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Entwicklungspolitik
I. Begriff: Unter Entwicklungspolitik wird die Gesamtheit aller staatlichen Maßnahmen zur Förderung der sozioökonomischen Entwicklung in Entwicklungsländern verstanden, die von Entwicklungsländern und Industrieländern ergriffen werden. Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern, wobei die Entwicklungspolitik auf Erkenntnisse der Entwicklungstheorie zurückgreift. Die Entwicklungspolitik der Industrieländer wird häufig auch als Entwicklungshilfepolitik (Entwicklungshilfe) bezeichnet.
II. Entwicklungsstrategien: Unter einer Entwicklungsstrategie wird ein programmatisches Konzept der Entwicklungspolitik verstanden, welches den sozio-ökonomischen Entwicklungsprozeß einleitet oder beschleunigt. Analog zur wirtschaftspolitischen Gestaltungsnotwendigkeit (Wirtschaftspolitik) des Staates in Industrieländern wird auch für Entwicklungsländer eine vorausschauende Entwicklungspolitik gefordert. - Dabei ist zwischen der Diagnose der Unterentwicklung, den Entwicklungszielen und dem verwendeten Entwicklungsmodell zu unterscheiden. - Je nach Ursachenerklärung ergeben sich unterschiedliche wirtschaftspolitische Handlungsschwerpunkte. - 1. Wachstumsstrategien: In den 50er und 60er Jahren wurde Wachstum mit Entwicklung gleichgesetzt. Demzufolge wurden wachstumsorientierte Entwicklungsstrategien formuliert, die zum Teil auf dem Harrod-Domar-Modell aufbauten. Als entscheidendes Entwicklungshemmnis wurden der Kapitalmangel und die niedrige inländische Ersparnis angesehen. Mit steigendem Wachstum sollte die Armut automatisch beseitigt werden (trickle-down-Effekt). Als Leitbild der wachstumsorientierten Entwicklungspolitik kann die Modernisierungstheorie gelten, nach der die Industrieländer Vorbilder im Entwicklungsweg der Entwicklungsländer darstellen. Bekannt wurden insbes. sektorale Wachstumsstrategien. - a) Ausgewogenes Wachstum, balanced growth: Nach Entwicklungspolitik N. Rosenstein-Rodan und R. Nurkse ist ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern nur durch ein Gesamtkonzept aufeinander abgestimmter Investitionen möglich. Befürwortet wird daher eine zentrale Planung des gesamten Industriesektors. - b) Als Alternative wurde die Strategie des unausgewogenen Wachstums (unbalanced growth) von A. O. Hirschman vorgeschlagen. Soziopsychologische Gründe stehen im Vordergrund, ein größeres Vertrauen zu marktwirtschaftlichen Anreizen wird unterstellt; jedoch wird vermutet, daß der Markt nicht auf marginale Anreize reagiert (Fehlen dynamischer Unternehmer). Eine selektive Förderung von Schlüsselindustrien schafft Anreize, die Unternehmer in vor- und nachgelagerten Sektoren zu Investitionen anregen sollen. Unter der Annahme hoher Verkettungseffekte (backward- und forward-linkages) wird die Initialzündung von führenden Sektoren auf die gesamte Wirtschaft übertragen. - c) Bewertung und Konsequenzen: Beide Strategien benötigen als Initialzündung einen big-push, wobei die Strategie des ausgewogenen Wachstums einen größeren Informationsstand verlangt als die des unausgewogenen Wachstums. Beide Strategien sind unwirksam, wenn inverse Angebotsreaktionen vorliegen. Mit beiden Strategien sind die Verwaltungen der Entwicklungsländer überfordert. Beide Strategien sind nicht notwendigerweise unvereinbar, sie ergänzen sich: Die Strategie des ausgewogenen Wachstums konzentriert sich auf die horizontale, die Strategie des unausgewogenen Wachstums auf die vertikale Produktionsstruktur. - In den 70er Jahren gerieten die Wachstumsstrategien unter Kritik, da selbst Länder mit überdurchschnittlichen BSP-Wachstumsraten kaum nennenswerte sozio-ökonomische Fortschritte aufwiesen. Probleme der Einkommensverteilung rückten nun verstärkt ins Zentrum entwicklungspolitischen Interesses. So forderte die Weltbank eine größere Umverteilung des Einkommenszuwachses. - 2. Umverteilung mit Wachstum (redistribution with growth): Zur Armutsbekämpfung sah die Weltbank eine Umverteilung der Vermögenszuwächse, nicht jedoch des Vermögens, als politisch durchsetzbar an. Als Entwicklungsindikator sollte der gewichtete Mittelwert der Einkommenszuwachsraten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gewählt werden, wobei den ärmeren Schichten eine höhere Gewichtung zukommen sollte. Die ILO fordert eine Einkommensumverteilung mit Hilfe arbeitsintensiver Produktion (employment and redistribution). Das Augenmerk wurde nachfolgend verstärkt auf eine stärkere Armutsbekämpfung gelegt. - 3. Grundbedürfnisstrategien (basic needs): Ziel ist die Armutsbekämpfung (Beseitigung der absoluten Armut) innerhalb einer Generation. Wegen des Ausbleibens erhoffter intraökonomischer Sickereffekte (trickle-down-Effekte) sollte die Zielgruppe der absolut Armen direkt unterstützt werden. - Die Befriedigung der Grundbedürfnisse umfaßt zwei wesentliche Komponenten: die Gewährleistung einer Mindestausstattung mit Konsumgütern (Ernährung, Kleidung, Wohnung etc.) und die Bereitstellung grundlegender öffentlicher Dienstleistungen (Trinkwasserversorgung, sanitäre Anlagen, Transport, Gesundheitsdienste, Bildungseinrichtungen); oft wird auch eine stärkere Partizipation der Zielgruppen gefordert (community development). - Schwierigkeiten ergeben sich bei der Festlegung der Grundbedürfnisse. Grundbedürfnisorientierte Strategien sollten nicht nur eine "internationale Armenfürsorge" beinhalten, sondern durch verbesserte Beschäftigungsmöglichkeiten die Selbstverantwortlichkeit der einzelnen stärken (self-reliance). - Von der WHO ("Gesundheit für alle bis zum Jahre 2000"), der UNO ("Internationale Entwicklungsstrategien für die dritte Entwicklungsdekade") und der Weltbank wurden die grundbedürfnisorienierte Entwicklungspolitik vorübergehend zum Programmziel erhoben. Mangelnde Operationalität führten seit Mitte der 80er Jahre zu einem abnehmenden Interesse an ihr. - 4. Binnen- versus Außenorientierung: Bei der Auswahl ursachenadäquater Entwicklungsstrategien sind stets auch Aussagen über die beabsichtigte Integration in die Weltwirtschaft zu treffen. Von der Abschirmung des Binnenmarktes durch Zölle, Kontingente bis hin zur Abkoppelung vom Weltmarkt (Dependencia-Theorie, Protektionismus) mit oft weitgehender staatlicher Lenkung und Kontrolle des Wirtschaftsablaufs bis zur liberalen Außenwirtschaftspolitik, erstreckt sich die Bandbreite. Ein verbreiteter Handelspessimismus (für Entwicklungsländer-Produkte bestehen kaum noch Absatznischen im Weltmarkt) führte zur Strategie eines inward-looking, d. h. man versuchte, Importe durch Eigenproduktion zu substituieren. Diesem Ansatz steht derjenige der Außenorientierung (outward-looking) mit einer Strategie der Exportförderung und -diversifizierung gegenüber (Importsubstitutionspolitik, Exportdiversifizierung). - a) Autozentrierte Entwicklung: Ihre ökonomischen Elemente ähneln dem Konzept der Strategie des ausgewogenen Wachstums. Während letztere von der herrschenden Einkommensverteilung und den Ergebnissen der internationalen Arbeitsteilung ausgehen (Nachfragestruktur ist durch die Bezieher hoher und mittlerer Einkommen und durch das Ausland bestimmt), wollen die Vertreter der autozentrierten Entwicklung über das Nachfrageprofil der großen Masse der Bevölkerung die Produktionsstruktur bestimmen. Einheimische Kapazitäten sollen von Güterimporten aus den Industrieländern unabhängig machen. Der entscheidende Sektor wird in der Landwirtschaft gesehen, wobei insbes. eine Steigerung der Bodenproduktivität angestrebt wird. - b) Strategie der Importsubstitution: Bislang importierte Güter sollen im Inland produziert werden und damit industrielles Wachstum initiieren. Dadurch erwartet man eine Entlastung der Zahlungsbilanz (Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer). Ausländische Firmen haben bereits rentable Marktlücken erschlossen, so daß die Forcierung jener Branchen weniger risikobeladen ist. Die Größe des Binnenmarktes stellt ein wesentliches Erfolgskriterium einer Importsubstitutions-Politik dar. Bei knappem Risikokapital und fehlenden unternehmerischen Talenten lassen sich auf heimischem Boden Investitionsmöglichkeiten leichter ausschöpfen als auf wettbewerbsstarken Auslandsmärkten. Entwicklungsländer, die eine Politik der Importsubstitution betrieben, gelang es nicht, ihre Zahlungsbilanz- und Arbeitslosigkeitsprobleme zu lösen. Einigen Entwicklungsländern ist eine Importsubstitution für den Agrarbereich zu empfehlen. - Zu den Maßnahmen einer Importsubstitution gehört die Verbesserung interner Einkommensrelationen der mit dem Ausland konkurrierenden Sektoren, um deren Rentabilität zu verbessern. Verwendet werden tarifäre und nicht-tarifäre Maßnahmen (z. B. Erziehungszoll). - Wachstumswirkungen einer Importsubstitution ergeben sich bei ausreichenden Verkettungseffekten, Existenz hoher externer und interner Ersparnisse und unter der Annahme, daß dynamisch-komparative Vorteile genutzt werden. Allerdings führt der Mangel an Preis- und Qualitätswettbewerb zu Quasi-Monopolen und zur Erlahmung der Leistungsanstrengungen der Unternehmen. Die in der Praxis erfolgte Diskriminierung der Landwirtschaft führte zu sinkenden Sparquoten. - c) Die Enge des Binnenmarktes der Entwicklungsländer gab Anlaß zu einem Konzept des collective self-reliance: Eine graduelle Öffnung zum internationalen Wettbewerb wurde durch eine Verstärkung des Außenhandels zwischen Entwicklungsländern vorgeschlagen. Damit lassen sich zunehmende Skalenerträge nutzen, ohne dem Druck der Industrieländer ausgesetzt zu sein. Bis zur Wettbewerbsreife und Konkurrenzfähigkeit eigener Unternehmen gegenüber denjenigen der Industrieländer sollte ein gemeinsamer Außenhandelsschutz vorgesehen werden. Die unterschiedlichen Integrationsbemühungen der Entwicklungsländer scheiterten jedoch z. T. an der Aufteilung der Kosten und Vorteile solcher Integration. - d) Strategie der Exportförderung: Nach Vorstellungen von A. Smith stellt der Außenhandel den Motor wirtschaftlicher Entwicklung dar (engine of growth). Eine Förderung von Primärgüterexporten wird wegen niedriger Verkettungseffekte keine wirtschaftliche Entwicklung verursachen, da Primärgüterexporte nur eine ausgleichende Funktion durch Deviseneinnahmen übernehmen können. - Voraussetzungen: Eine Politik der Exportförderung bietet sich an, wenn Inlandsmärkte nur eine geringe Nachfrage darstellen, wagemutige Unternehmer und leistungsmotivierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Notwendig ist ebenfalls eine wirksame Außenhandelsinfrastruktur (Banken, Marktinformationen, Verkehrswege, Versicherungen). Sie kann im Sinne einer Strategie des unausgewogenen Wachstums verstanden werden, wenn die Exportsektoren Schlüsselindustrien darstellen. Die Förderung der Exporte soll jedoch nicht zu Exportverzerrungen führen (Verzerrung). Der Export muß Unternehmensgewinne ermöglichen, was durch Subventionen und der Zurverfügungstellung günstiger Inputs erreicht werden kann. Das Aufheben von gegen den Export gerichteten Preisverzerrungen führt zu einer besseren Einschätzung der ökonomischen Knappheiten. - Wirkungen: Exportorientierte Länder haben den Sprung zur Industrialisierung geschafft, Arbeitslosigkeit damit überwunden und eine Verbesserung der Einkommensverteilungssituation erreicht. - Importsubstitution und Exportförderung werden oft als Alternativen dargestellt, was sie aber nur in der langfristigen Betrachtungsweise sind. Beide Strategien können je nach Sektor sogar gleichzeitig angewendet werden. Importsubstitution ist oft Voraussetzung für eine später erfolgreiche Exportförderung. Erst wenn bereits Erfahrungen auf Inlandsmärkten gemacht wurden, lassen sich Auslandsmärkte penetrieren. Probleme der strukturellen Anpassung ergeben sich, wenn eine Politik der Importsubstitution zu lange durchgeführt wird. - 5. Landwirtschaft versus Industrie: Die Auseinandersetzung darüber, ob das Schwergewicht der wirtschaftspolitischen Bemühungen zugunsten der Landwirtschaft oder der Industrie ausfallen solle, zieht sich wie ein roter Faden durch Strategiediskussionen. Da anfänglich Entwicklung mit Industrialisierung gleichgesetzt wurde, kam es meist zu einer Vernachlässigung der Landwirtschaft. Die Entwicklung der Landwirtschaft ist aber für die wirtschaftliche Entwicklung von enormer Bedeutung. - a) Entwicklungspolitische Bedeutung der Landwirtschaft: In den meisten Entwicklungsländern hat der Primärsektor einen hohen Anteil an Produktion und Beschäftigung; im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung nimmt dieser Anteil jedoch ab. Deshalb wollten viele Entwicklungsländer die notwendige landwirtschaftliche Entwicklung überspringen. Allerdings stellt sie eine unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung dar. - Nach heutiger Sicht hat sie folgende Aufgaben: Sicherung des Nahrungsmittelangebots, Freistellung von Arbeitskräften für den sekundären und tertiären Sektor, Marktvergrößerung und Kaufkraftzunahme für Industrie und Dienstleistungssektoren, Bildung heimischer Ersparnisse und die Deviseneinnahmefunktion. Angestrebt werden sollte daher ein ausgewogenes sektorales Wachstum zwischen Landwirtschaft und Industrie. - b) Folgen vernachlässigter Landwirtschaft: In der Absicht, durch niedrige Löhne die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu sichern, wurden niedrige Preise für Nahrungsmittel festgelegt (wage goods). Dadurch lohnte es sich für Landwirte nicht mehr, für den Markt zu produzieren. Es kam zu einer Verstärkung der Subsistenzlandwirtschaft und ihrer Verarmung. Eine prosperierende Landwirtschaft wirkt sich auch positiv auf den urbanen Sektor aus. Industrialisierungsfortschritte hängen in hohem Maße von Produktivitätsfortschritten in der Landwirtschaft ab. Eine diskriminierende Agrarpreispolitik führt zu einem Nahrungsmitteldefizit, das Importe notwendig macht und die Verschuldungssituation verschlimmert. - Gefordert wird eine integrierte ländliche Entwicklung. Durch diese Konzeption soll der gesamte ländliche Raum attraktiver gemacht werden, um langfristig die absolute Armut auf dem Lande auszurotten. - c) Industriepolitik: Ohne Industrialisierung lassen sich die Lebensbedingungen der Dritten Welt nicht verbessern. Folgende generelle Alternativen bieten sich zur Industrialisierung an: Importsubstitution versus Exportorientierung, kapitalintensive versus arbeitsintensive Industrialisierung. Eine kapitalintensive Produktion kann ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erreichen, eine arbeitsintensive das Beschäftigungsproblem besser lösen. Ebenfalls ist zu klären, inwieweit auf Auslandskapital zurückgegriffen werden soll, ob Schwer- oder Leichtindustrie bzw. Investitionsgüter- oder Konsumgüterindustrien gefördert werden sollen. Probleme ergeben sich auch bei der Alternative modernster oder angepaßter Technologien. Entwicklungsländer optieren meist für modernste Technologien zu Lasten der eher beherrschbaren angepaßten Technologien mit höheren Beschäftigungs- und Verkettungseffekten. - 6. Marktkonforme Armutsbekämpfung: Die älteren Grundbedürfnisstrategien versuchten, das Armutsproblem mit Instrumenten der Entwicklungsplanung zu lösen. Der marktwirtschaftliche Ansatz geht davon aus, daß für Arme Anreize so zu setzen sind, daß sie sich verstärkt selbst helfen können (Hilfe zur Selbsthilfe). Eine stärkere Demokratisierung und Vermögensumverteilung wird angestrebt. Produktivitätsorientierte Bildungsinvestitionen sind von entscheidender Bedeutung, um die Armen in die nationale Arbeitsteilung zu integrieren. Ergänzende sozialpolitische Maßnahmen werden insbes. im Gesundheitsbereich gefordert. Zur erfolgreichen Überwindung des Armutsproblems gehört die stärkere Einbeziehung der Armen in den Marktmechanismus, der u. a. durch eine verstärkte Förderung der Landwirtschaft erreicht werden soll. Ein funktionierender Marktmechanismus erlaubt einen friedlichen Ausgleich von Ressourcen und einen friedlichen Wettbewerb statt konfliktreicher politischer Verteilungskämpfe. Die Rolle des Staates für die Entwicklung muß daher neu in Richtung ordnungspolitischer Aufgaben überdacht werden. - 7. Nachhaltige Entwicklung: Entwicklungsländer benötigen ein aufholendes Wachstum, wobei die Folgen für die Umwelt einbezogen werden müssen. Prioritäten liegen bei der Überwindung des Bevölkerungsproblems, einer vorrangigen Bekämpfung örtlicher Umweltschäden und der Bedeutung von Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Umwelt über Informationen, Ausbildung und Forschung. Die weltweite Dimension des Ökologieproblems erfordert eine Zusammenarbeit von Entwicklungsländern und Industrieländern. Umweltpolitische Minimalstandards müssen international durchgesetzt werden, um die prinzipiell erneuerbaren Ressourcen der Erde nicht zu überlasten, so daß auch nachfolgenden Generationen ein Wachstumsspielraum verbleibt.
III. Wirtschaftspolitische Problemfelder: Zur Implementierung entwicklungspolitischer Zielsetzungen benötigen die Regierungen Kenntnisse über die Wirksamkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen: - 1. Außenhandelspolitik: Viele wirtschaftspolitische Probleme ergeben sich aus der Einbindung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung. - a) Außenwirtschaftliche Problemfelder: Viele Entwicklungsländer leiden unter instabilen Exporterlösen, die zum Teil durch schwankende Rohstoffpreise verursacht werden, langfristig sinkenden Terms of Trade, insbes. für Rohstoffe und einer hohen Auslandsverschuldung. - b) Schutzzollpolitik: Zum Schutz der inländischen Produktion vor ausländischer Konkurrenz erheben Entwicklungsländer oft Schutzzölle auf Importe. Der Schutz kann ebenso über Einfuhrlizenzen und andere nicht-tarifäre Maßnahmen erreicht werden. Oft wird auf das Erziehungszoll-Argument (Erziehungszoll) verwiesen, wonach bis zur Produktionsreife und dadurch erwirkter Wettbewerbsfähigkeit Industrien in Entwicklungsländern temporär geschützt werden müssen. - Probleme: Der oft zu lange aufrechterhaltene Schutzzoll bewirkt unzureichenden Wettbewerbsdruck, so daß er zur Konservierung bestimmter Industriezweige führt. Nachteile der bürokratischen Schutzzollpolitik bestehen insbes. darin, daß der Wirtschaft nicht rechtzeitig die notwendigen Kapital- und Ersatzgüter zur Verfügung stehen, so daß der Produktionsablauf gehemmt wird. Zur Förderung ihrer Exporte bedienen sich die Entwicklungsländer auch des Instruments des - c) Kompensationshandels: Bei Abnahme von Industrieprodukten durch Entwicklungsländer verpflichten sich Firmen der Industrieländer im Gegengeschäft zur Abnahme von (meist schwer auf dem Weltmarkt verkäuflichen) Produkten der Entwicklungsländer. Die entwicklungspolitische Bedeutung des Kompensationshandels ist strittig. - d) Ferntourismus: Als eine besondere Form des Exportes wurde er in den 60er Jahren in Entwicklungsländern als förderungswürdig betrachtet. Er bringt Beschäftigungs-, Devisen- und Einkommenseffekte. Im Rahmen des Ferntourismus erfolgt ein Ausbau infrastruktureller Einrichtungen (Bank-, Verkehrs- und Kommunikationswesen, Elektrizität). - Die entwicklungspolitische Bedeutung wird verstärkt hinterfragt. Nur ca. ein Drittel der Bruttodeviseneinnahmen kommen dem Urlaubsland zugute, wegen mangelnder Qualifikation des Personals bleiben leitende Funktionen oft Ausländern vorbehalten, zugleich unterliegen die Beschäftigungseffekte saisonalen Schwankungen. Kritisiert wird die durch ihn hervorgerufene Kommerzialisierung von Gastfreundschaft und Kunst, das Ansteigen von Kriminalität und Prostitution. Demgegenüber hat er eine wachsende soziale Mobilität und einen hohen Frauenanteil an den Beschäftigten gebracht, so daß zumindest einige entwicklungshemmende Strukturen abgebaut werden konnten. - e) Freihandelszonen: Während für den Rest der Entwicklungsländer Importbeschränkungen bestehen bleiben, werden in der Freihandelszone weder Zölle noch indirekte Steuern erhoben. Transaktionen werden unbürokratisch abgewickelt, und die materielle Infrastruktur entspricht dem internationalen Standard. Entwicklungsländer verzichten in der Anfangsphase oft auf die Erhebung von Steuern. Erhofft wurde die Absorption überschüssiger Arbeitskräfte und die Attrahierung ausländischen Kapitals. Freihandelszonen stellen oft Enklaven dar, die finanziell von Entwicklungsländern finanziert werden. Die Kosten solcher Zonen sind von Entwicklungsländern stark unterschätzt worden, da ihr Aufbau für den Rest des Landes weniger Ressourcen zur Verfügung hält und die erhofften Spillover-Effekte ausblieben. - 2. Geld- und Währungspolitik: - a) Wechselkurspolitik: Die Währungen der meisten Entwicklungsländer sind überbewertet und behindern damit Exporte und fördern Importe. Überbewertete Währungen wirken wie eine Importsubvention und wie ein Exportzoll. Bei festen Wechselkursen kommt es zu einem Nachfrageüberschuß nach Devisen, so daß eine Rationierung notwendig ist. Oft werden multiple Wechselkurse gewählt, die den Preismechanismus und seine Lenkungsfunktionen im internationalen Dienstleistungs-, Güter- und Kapitalverkehr erschweren, so daß durch falsche Signale Fehlentwicklungen eingeleitet werden. Überbewertete Währungen führen zu chronischen Zahlungsbilanzdefiziten. - b) Dadurch wird eine Devisenbewirtschaftung nötig: Diese führt früher oder später zu einer Spaltung des nationalen Devisenmarktes (schwarzer Devisenmarkt). Eine strenge Devisenbewirtschaftung schreckt potentielle ausländische Investoren ab, so daß das außenwirtschaftliche Gleichgewichtsziel unerreichbar wird. Wirtschaftliche Unsicherheit führt zusätzlich zu Kapitalflucht. Es kommt zu einer Überfakturierung der Einfuhr und zu einer Unterfakturierung der Ausfuhr sowie zu überhöhten Devisenanforderungen der Antragsteller, da man späteren Kürzungen bei der Zuteilung vorbeugen will. Die Bürokratie ist zu einer effektiven Zuteilung knapper Ressourcen nicht befähigt, zudem ist sie Pressionen verschiedener wirtschaftlicher Lobbys ausgesetzt, woraus Willkür und Korruption folgen. Die Wachstumsraten von Entwicklungsländern mit Devisenbewirtschaftung liegen i. a. unterhalb derer, die einen freien Kapitalverkehr verfolgen. - c) Geldpolitik: Die Zentralbanken der meisten Entwicklungsländer müssen Staatsdefizite finanzieren, da einheimische Kapitalmärkte noch nicht bestehen. Die fehlende Unabhängigkeit der Zentralbank führt zu einer unkontrollierten Geldvermehrung mit der Folge erhöhter Inflationsraten. Hohe Inflationsraten gefährden den Außenwert der Währung, verstärken ihre Überbewertung und regen zusätzlich die Flucht in Fremddevisen (Kapitalflucht) an. Über hohe Inflationsraten ist es bisher keinem Entwicklungsland gelungen, seine wirtschaftlichen Probleme zu lösen und einen Wachstumsprozeß zu initiieren. - d) Inflation und Entwicklung: Wegen der schwach entwickelten Finanzverwaltung sind Entwicklungsländer oft auf Seigniorage-Einkommen (Seigniorage) angewiesen. Die daraus folgenden Inflationen wurden wegen des Charakters des Zwangssparens positiv bewertet. Wegen niedriger Ersparnisse hielt man nur über Zwangssparen den Aufbau eines volkswirtschaftlich notwendigen Kapitalbestands für möglich. Sektorale Starrheiten und Engpässe sollten über Inflationen überwunden werden. - Die wachstumsfördernden Effekte einer Inflation werden heute verstärkt hinterfragt: Sie beeinträchtigt die Lenkungsfunktion der Preise, vermindert als Nachfrageinflation die Intensität des Wettbewerbs und ist meist mit niedrigen Realzinsen verbunden. Inflationen erschweren den Export, fördern den Import und senken das Realeinkommen der Arbeiter und sozial Schwachen. - 3. Aufbau der Finanzintermediation: Entwicklungsländer sind durch duale Finanzmärkte gekennzeichnet (formeller Sektor in einigen Städten, informeller Sektor im ländlichen Bereich). Der Finanzdualismus führt zur Ineffizienz, da latent vorhandene Ersparnisse den Investoren nicht zur Verfügung stehen, somit wird die finanzielle Infrastruktur zu einem wesentlichen Entwicklungsengpaß. - a) Ursachen dualer Finanzmärkte: Die unzureichende Entwicklung der Finanzmärkte wird auf die hohe staatliche Reglementierung zurückgeführt. - Die finanzielle Repression der Finanzmärkte ist das Ergebnis folgender Beweggründe: Höchstzinsen sollen vor Wucher schützen, reglementierte Kredite sollen schwachen Nachfragern helfen, niedrige Zinsen eine schnelle Industrialisierung ermöglichen und die Inflation bekämpfen; zusätzlich sollte durch eine Zinsregulierung das Marktversagen kompensiert werden. - Die Kosten für subventionierte Kredite hatten andere Wirtschaftssubjekte zu tragen (niedrige Habenzinsen), so daß es zu keiner Erhöhung der nationalen Sparquoten kommen konnte. Im informellen Sektor wurden kurzfristige Kredite unter hohen Zinsen durch private Finanzvermittler zur Verfügung gestellt. Verbreitet sind auch Spar- und Kreditvereine. - b) Aufgaben der Finanzmärkte: Die finanzielle Infrastruktur soll Kredite für Investoren bereitstellen und die Bildung von Einlagen ermöglichen. Mit zunehmender institutioneller Entfaltung der finanziellen Infrastruktur steigt aber auch zunehmend die Anonymität zwischen Sparer und Investor. - Zu den sozio-ökonomischen Grundfunktionen der Finanzintermediation gehören: Vermittlungsfunktionen, wobei zwischen regionaler, sektoraler und sozialer Transformation unterschieden wird; Anlageumwandlungsfunktionen, wobei zwischen Fristen-, Größen- und Risikentransformation untergliedert wird; Schöpfung von Finanzanlagen. - Die meisten dieser Funktionen kommen in Entwicklungsländern jedoch nicht zum Tragen: Wegen fehlender Finanzmärkte ist der Bargeldbedarf in Entwicklungsländern höher als in Industrieländern (McKinnon-Shaw-These). - c) Entwicklungsfördernde Finanzmarktpolitik: Für Entwicklungsländer konkurrieren zwei Ansätze zum Aufbau einer verbesserten Finanzintermediation. Der demand-following-Ansatz verläßt sich auf Marktkräfte und unterstellt, daß sich im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung die notwendigen Finanzintermediäre von selbst einstellen. Der supply-leading-Ansatz geht davon aus, daß der Staat die notwendige finanzielle Infrastruktur bereitstellen muß, damit es zu einer entwicklungsfördernden Finanzintermediation kommt. So sollen über Entwicklungsbanken Kredite den sog. leading sectors zugeteilt werden. - Notwendig ist eine stärkere Liberalisierung der Finanzmärkte in Entwicklungsländern. Realzinserhöhungen mobilisieren im allgemeinen Termin- und Spareinlagen, so wurde z. B. nach einer Zinsreform in Taiwan ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Sparquote beobachtet, und positive Realzinsen trugen zur Reduzierung der Inflationsrate bei. Ein Rückzug des Staates bei der Kreditlenkung sowie die Herstellung stabiler gesamtwirtschaftlicher Verhältnisse mit positivem Realzinsniveau und mit realistischem Wechselkurs kann finanzielle Fehlallokationen vermeiden helfen, da bei steigender Globalisierung der Finanzmärkte eine nationale Abschottung ineffektiv und kostspielig wird. - 4. Finanz- und Steuerpolitik: Kurzfristig läßt sich eine Ersparnislücke auch durch Kapitalimporte schließen. Langfristig ist jedoch entscheidend, daß Entwicklungsländer die Effektivität ihrer Steuerverwaltung verbessern, um die notwendigen Einnahmen zu generieren. - a) Steuerpolitik: Im Gegensatz zu Industrieländern beträgt der Anteil der direkten Steuern an den Staatseinnahmen zwischen 20% und 30%. Indirekte Steuern, insbes. Import- und Exportabgaben sowie Verbrauchsteuern stellen den größten Teil der Finanzeinnahmen dar. - Die Steuerpolitik in Entwicklungsländern hat traditionellerweise zwei Aufgaben übernommen: Durch Steuerkonzessionen und fiskalische Anreize sollten insbes. ausländische Firmen ins Land geholt werden, um die Kapitalbildung zu erhöhen. Zweitens müssen über Steuereinnahmen die Staatsausgaben finanziert werden, insbes. die Infrastruktur im Sozialbereich. - Große Probleme bereiten die administrative Kompetenz und die Integrität der Steuerverwaltung. Auch fehlender politischer Wille führt dazu, daß in Entwicklungsländern nur ca. 3% der Bürger zur Einkommensteuer veranlagt werden. Wegen der leichten Veranlagung von Import- und Exportabgaben haben Entwicklungsländer hier die größte Quelle öffentlicher Einnahmen erschlossen. Durch eine Besteuerung des Außenhandels ist es möglich, auch die Ausländer an der Finanzierung der staatlichen Ausgaben zu beteiligen, sofern sie nicht vollständig auf Inländer überwälzbar ist. - b) Staatliche Budgetdefizite: Hohe Staatsausgaben zur Schaffung notwendiger Infrastruktur und die unzureichende Kapazität der Steuerverwaltung führten zu Budgetdefiziten der Entwicklungsländer, die meist monetär durch Zentralbank-Geldschöpfung alimentiert wurden. Staatliche Unternehmen übernehmen oft Aufgaben der Wirtschaftspolitik (Infrastruktur, Beschäftigung) und werden meist ineffizient geführt. Die Verluste der staatlichen Unternehmen werden dem öffentlichen Budget angelastet. - c) Stabilitätspolitik: Makrostabilisierungsprogramme haben drei Ziele: Inflationskontrolle, Wiederherstellung eines fiskalischen Gleichgewichts durch verringerte Staatsausgaben und Steuererhöhungen, Überwindung des Zahlungsbilanzdefizits über Exportförderungen und Wechselkursanpassungen. IWF und Weltbank "zwangen" Entwicklungsländer zu Anpassungspolitiken. Nur bei ihrem Vorliegen wurden zusätzliche Kredite gegeben, wobei die Weltbank Kredite abhängig machte von der Implementierung von Programmen struktureller Anpassung (Konditionalität). Oft führten diese Maßnahmen vor allem zu einer Abnahme des ökonomischen Wachstums und zur Verschlechterung der sozialen Situation der Armen. Reduzierung von Staatsausgaben traf vorerst Sozial-, Gesundheits- und Bildungsprogramme. Allerdings ist diese unsoziale Folge das Ergebnis nationaler Politik und nicht unbedingt das der notwendigen Anpassung. - 5. Sozialpolitische Problemfelder: Sozialpolitische Maßnahmen sollen den Ärmsten in Entwicklungsländern dazu verhelfen, ihre Produktivität zu steigern und sich gegenüber den Folgen von Lebensrisiken abzusichern. - a) Bildungspolitik: Die Bildung von Humankapital ist für den Entwicklungsprozeß von entscheidender Bedeutung. Hierbei ist zwischen formaler Bildung und praktischer Ausbildung (on-the-job-training) zu unterscheiden. Zur formalen Bildung gehört das Schul- und Hochschulwesen, zur praktischen Ausbildung zählen die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für und während der Berufsausbildung erworben werden. Das Bildungssystem der Entwicklungsländer ist von Industrieländern übernommen worden. Da in Entwicklungsländern rd. 70% der Schüler aus dem ruralen Bereich kommen, von denen 80% ihren Lebensunterhalt auf dem Lande verdienen werden, sind die Lehrpläne kaum der Entwicklung des Landes angemessen. - Oft dient ein Bildungsabschluß nur dazu, einen bestimmten Beruf ergreifen zu können bzw. als Voraussetzung für die nächste Bildungsstufe. Generell ist das Bildungssystem durch einen urbanen Bias gezeichnet. Eine hohe Ausbildungsrate verbunden mit geringen Beschäftigungsmöglichkeiten führt zu brain-drain-Problemen (brain-drain). Die Lehrpläne sind stärker auf technische und handwerkliche Ausbildung auszurichten, um eine Produktivitätssteigerung der ländlichen Bevölkerung zu bewirken. - b) Gesundheitspolitik: Eine Verbesserung der Gesundheit ist Ziel und gleichzeitig auch Voraussetzung der Entwicklung, da von ihr auch die Arbeitsproduktivität abhängt. - Trotz großer Erfolge im Bereich der Gesundheitsversorgung liegt die Lebenserwartung in Entwicklungsländern unterhalb derjenigen der Industrieländer. Die unterschiedliche Morbiditätsstruktur in Entwicklungsländern verlangt auch eine andere Gestaltung des Gesundheitswesens (z. B. Bekämpfung von Infektionskrankheiten). - Die Struktur des Gesundheitswesens in Entwicklungsländern ist vielschichtig: In den Städten steht den Wohlhabenden (ca. 5-10% der Bevölkerung) eine umfassende Gesundheitsversorgung zur Verfügung. Im ländlichen Raum ist dagegen das Gesundheitsangebot unzureichend. Gesundheit wurde als meritorisches Gut angesehen und die Dienstleistungen wurden daher kostenlos zur Verfügung gestellt. Insbes. das Programm der WHO mit dem Ziel "Gesundheit für alle im Jahre 2000" legte Wert auf eine kostenlose Basisgesundheitsversorgung in der Dritten Welt. In vielen Entwicklungsländern spielen Nicht-Regierungsorganisationen (z. B. Missionskrankenhäuser) bei der Gesundheitsversorgung immer noch eine bedeutende Rolle. Angestrebt wird z. Zt. der Aufbau eines dualen Gesundheitswesens mit öffentlichen Versorgungseinrichtungen für alle, insbes. im ländlichen Raum, wohingegen im städtischen Raum verstärkt der private Sektor gefördert wird. - Vgl. Alma-Ata-Initiative, Bamako-Initiative, Basis-Gesundheitsdienst. - c) Soziale Sicherung: Generell unterscheidet man zwischen traditioneller, informeller und formaler sozialer Sicherung. Die traditionellen Sicherungsformen galten allen Mitgliedern, wobei ein Ausscheren von der Gemeinschaft mit Sanktionen belegt wurde. Dadurch war ein Mindestmaß sozialer Sicherheit gegeben. Im Zuge der Auflösung traditioneller Sicherungssysteme entwickeln sich informelle Sicherungsformen, die z. T. in sog. "Hilfsvereinen auf Gegenseitigkeit" organisiert sind. Die zunehmende Monetarisierung erlaubt eine stärkere Quantifizierung von Risiken und damit den Aufbau formaler Sicherungssysteme. - Die ILO hat Mindeststandards für die soziale Sicherheit in Entwicklungsländern festgelegt: Schutz bei Einkommensverlusten durch Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfälle, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter sowie eine ausreichende medizinische Versorgung. - Der Aufbau formaler Sicherung ist teilweise in Lateinamerika erfolgt, wobei vor allem die wohlhabenderen Gesellschaftsschichten vom Aufbau solcher Einrichtungen profitieren. - d) Hungeranalyse: Viele Entwicklungsländer leiden unter periodisch auftretenden Hungersnöten, die allerdings nicht durch klimatische Einflüsse allein verursacht werden. Oft sind sie auch das Ergebnis der Diskriminierung der Landwirtschaft. Die in den meisten Entwicklungsländern verfolgte Niedrigpreispolitik führte dazu, daß es sich für die Landwirte nicht lohnte, für den Markt zu produzieren, so daß nur selten funktionsfähige Distributionssysteme entstanden. - Im Rahmen von Nahrungsmittelhilfe versucht die Weltgemeinschaft, den Entwicklungsländern bei der Überwindung von akuten Hungersnöten zu helfen. Langfristig ist eine marktlich und produktivitätsorientierte Landwirtschaftspolitik notwendig, die nicht nur den armen Verbraucher, sondern auch den armen Produzenten berücksichtigt. - 6. Umweltpolitik: Auch in der Dritten Welt machen sich Umweltprobleme bemerkbar; die Bekämpfung muß je nach Ursache national oder international geschehen. Entwicklungsländer können zur Lösung globaler Probleme beitragen (tropische Regenwälder). Damit stellen sie Dienstleistungen für Industrieländer zur Verfügung (öffentliches Gut), wofür die Industrieländer Kompensationen an die Entwicklungsländer leisten müssen. Beim Aufbau nationaler Umweltschutzmaßnahmen benötigen Entwicklungsländer administrative Hilfe von Industrieländern, wobei auch in Industrieländern kaum Erfahrungen mit effizienten ökonomischen Instrumenten wie Umweltzertifikaten vorliegen (Umweltpolitik). - 7. Bevölkerungspolitik: Die Beeinflussung der Geburtenrate bleibt die bevölkerungspolitische Schlüsselvariable. Die Überwindung von Informationsdefiziten (Erläuterung des Reproduktionsweges und der Notwendigkeit der Regulierung der Anzahl der Geburten), effektive Familienprogramme und insbes. eine Besserstellung der Frau (Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten) können zu einem Umdenken beitragen. - Maßnahmen: In einigen Entwicklungsländern wurde das Bevölkerungswachstum über drastische Sanktionen beeinflußt. Reduzierung des Gehaltes, Zuweisung kleiner Wohnungen, geringere Ausbildungschancen für Mehr-Kinder-Familien etc. (z. B. China). - Problem: In Entwicklungsländern werden Kinder traditionell als Investitionsgut, in Industrieländern als Konsumgut gesehen. Der Aufbau einer staatlichen Alterssicherung reduziert den Zwang zur großen Kinderzahl. - 8. Infrastrukturpolitik: Der Aufbau einer funktionsfähigen Infrastruktur ist wesentliche Entwicklungsvoraussetzung. In Entwicklungsländern muß das Verkehrs-, Kommunikations- und Bildungssystem weiter verbessert werden. Dazu kommt der notwendige Ausbau einer sozialen Infrastruktur. Nach dem Prinzip der Subsidiarität ist hierbei auch die Weltgemeinschaft zur Hilfe verpflichtet (Entwicklungshilfe).
Literatur: Hemmer, H.-R., Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer, 2. Aufl., München 1988; Hogendorf, J. S., Economic Development, 2. Aufl., New York et al. 1992; Lachmann, W., Entwicklungspolitik, Bd. 1: Grundlagen, München - Wien 1994; ders., Bd. 2, Binnenwirtschaftliche Aspekte, München - Wien 1997; ders., Bd. 3: Außenwirtschaftliche Aspekte, München - Wien 1994; Meier, G. M., Leading Issues in Economic Development, 5. Aufl., Oxford et al. 1989; Sell, F. L., Ökonomik der Entwicklungsländer, Frankfurt et al. 1993; Todaro, M. P., Economic Development, 5. Aufl., New York - London 1994; Chenery, H., Srinivasan, T. N. (Hrsg.), Handbook of Development Economics, Bd. 1: Amsterdam et al. 1988, Bd. 2: Amsterdam et al. 1989, Bd. 3A, 3B, Amsterdam 1995.
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