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Subsidiarität

1. Begriff: Der katholischen Soziallehre entstammendes gesellschaftsethisches Prinzip, das auf die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten, der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung abstellt. Nur dort, wo die Möglichkeiten des Einzelnen bzw. einer kleinen Gruppe (Familie, Gemeinde) nicht ausreichen, die Aufgaben der Daseinsgestaltung zu lösen, sollen staatliche Institutionen subsidiär eingreifen. Dabei ist der Hilfe zur Selbsthilfe der Vorrang vor einer unmittelbaren Aufgabenübernahme durch den Staat zu geben. Der individuelle Aspekt der Subsidiarität (Selbstverantwortung) und der gesellschaftliche Aspekt (Schaffung der materiellen Voraussetzungen hierfür durch den Staat) lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen: je nach Akzentuierung entsprechen sowohl marktwirtschaftliche als auch wohlfahrtsstaatliche Konzepte (Wohlfahrtsstaat) dem Subsidiaritätsprinzip. - 2. Finanzwissenschaft: Subsidiarität wird als Grundsatz für die Aufgabenverteilung zwischen Privaten und Staat sowie innerhalb des privaten und öffentlichen Sektors angewandt. Die Verantwortung für eine Aufgabe ist der jeweils kleinsten dafür geeigneten Einheit zu übertragen; die Abstufung der Einheiten reicht vom Individuum über den privaten Haushalt und andere private Gemeinschaften bis hin zu den öffentlichen Kollektiven unterschiedlicher Größe (Verbände, Gemeinden, Länder, Zentralstaat, supranationale Organisationen). Aus der Subsidiarität ergeben sich Empfehlungen für die Zuständigkeit des Staates (z. B. für die Empfangsberechtigung von Sozialhilfeleistungen) und für die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen. - Zuständigkeiten der einzelnen Verwaltungsebenen: Die übergeordnete Ebene greift erst dann ein, wenn die untergeordnete überfordert ist. - Umfang der Wirtschaftstätigkeit öffentlicher Verwaltungen: Eine negative Interpretation von Subsidiarität besagt, daß sich die öffentliche Hand nur dann wirtschaftlich betätigen darf, wenn die privaten Unternehmen nicht imstande sind, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen (Lückenbüßerfunktion); bei einer positiven Formulierung von Subsidiarität übernehmen die öffentlichen Unternehmen eine Vorreiterfunktion, durch die die Betätigung privater Unternehmen erst möglich wird. - 3. Im Rahmen der Sozialpolitik bedeutet der Grundsatz der Subsidiarität, daß eine Wahrnehmung von (sozialen) Aufgaben durch den Staat nur dann erfolgen soll, wenn diese von nichtstaatlichen Einrichtungen (z. B. freie Wohlfahrtspflege, Kirchen) nicht erfüllt werden können. - Vgl. auch Gestaltungsprinzipien der Sozialpolitik 3. - 4. Mit dem am 1. 11. 1993 erfolgten Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Union (EU) ist ein spezifisch gemeinschaftsrechtliches Subsidiaritätsprinzip formal etabliert worden. - a) Rechtsgrundlage: Art. 3 b EG-Vertrag besagt, daß bei Angelegenheiten, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, die Gemeinschaft nur tätig wird, "sofern die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können". Der Subsidiaritätsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts entspricht also dem föderalen Prinzip und dient dem Zweck, daß in der Gemeinschaft staatliche Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden und die nationale Identität der Mitgliedstaaten gewahrt bleibt. - b) Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet keine Zuweisung von Zuständigkeiten, sondern eine Anweisung für deren praktische Ausübung. Es ist insbes. für die Regionalpolitik (Strukturfonds der EU), die Umweltpolitik sowie für die Forschungsförderung von weitreichender Bedeutung. Auf vielen anderen Politikfeldern wird die Anwendung der in Art. 3b EG-Vertrag genannten Maßstäbe für ein Tätigwerden der Gemeinschaftsebene mangels näherer Präzisierung ("sofern . . . nicht ausreichend erreicht werden können" und "besser erreicht werden können") in der Praxis vorerst auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen. - Vgl. auch Harmonisierung der Besteuerung innerhalb der EU.

 

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