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Harmonisierung der Besteuerung innerhalb der EU

I. Hintergründe der Harmonisierungsbestrebungen: Steuerliche Regelungen können die im Rahmen des Binnenmarktes angestrebte Beseitigung der EU-Binnengrenzen (einheitlicher Binnenmarkt) de facto nutzlos machen oder beeinträchtigen; sie können außerdem den Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern im Binnenmarkt verzerren. Beispiele: Prohibitive Besteuerung des Wohnsitzwechsels für Unternehmer durch Wegzugsbesteuerung (Beeinträchtigung von Niederlassungsfreiheit und Aufenthaltsrecht); geringere Dividende einer ausländischen Kapitalgesellschaft an einen deutschen Anleger als aus einer vergleichbaren deutschen Gesellschaft, selbst wenn die ausländische Gesellschaft auch in Deutschland und in denselben Branchen wie die inländische Vergleichsgesellschaft investiert, infolge der Unterschiedlichkeit der nationalen Körperschaftsteuersysteme (Wettbewerbsverzerrung und Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit). - Steuerliche Einflüsse auf den Wettbewerb können sowohl im Bereich der indirekten Steuern (Steuerobjekt: das einzelne Produkt; Effekt: unmittelbare Kostenbeeinflussung) als auch bei den direkten Steuern auftreten (Steuerobjekt Unternehmensgewinn, Folge unterschiedliche Nettokapitalrendite, daher unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen bei Selbstfinanzierung und Eigenkapitalaufnahme). Diese Unterschiede werden insbes. verursacht durch das Bestehen unterschiedlicher Steuerarten, unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen und unterschiedlicher Steuersätze. - Eine Anpassung der Steuergesetzgebung der Mitgliedstaaten an die Erfordernisse des Binnenmarktes ist daher seit der Frühzeit der EG (bzw. früher EWG) für nötig gehalten worden. Im Zeitablauf wurden jedoch unterschiedliche Auffassungen bez. des notwendigen Umfangs der Harmonisierung vertreten. Zunächst wurde im Vertrag eine Vollharmonisierung der indirekten Steuern vorgesehen, während eine Harmonisierung der direkten Steuern unterbleiben sollte. Hierauf folgte in den 60er und 70er Jahren eine Phase, in denen die EG-Behörden erfolglos eine Vollharmonisierung der gesamten Steuergesetzgebung als Endziel anstrebten. Dieser Ansatz scheiterte wegen fachlicher Schwierigkeiten und vor allem wegen des politischen Widerstands der Mitgliedstaaten gegen einen Souveränitätsverzicht auf dem Gebiet des Steuerwesens. Daher wird im Bereich der indirekten Steuern seit der Einheitlichen Europäischen Akte (1985) und im Bereich der direkten Steuern seit etwa 1990 das Subsidiaritätsprinzip auch im Bereich der Besteuerung verfolgt: Harmonisierung soll nur soweit erforderlich erfolgen, die Besteuerungskompetenz verbleibt ansonsten grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Dieses Konzept wird begleitet von der Erwartung, bei einem Nebeneinander unterschiedlicher Steuersysteme seien Mitgliedstaaten mit ungünstigen steuerlichen Standortbedingungen langfristig gezwungen, nachteilige Regelungen abzubauen oder abzumildern, so daß die Wettbewerbsbedingungen sich im großen und ganzen angleichen, ohne daß alle Regelungen schließlich im Detail identisch sein müßten ("Wettbewerb der Systeme"); diese Konzeption ist in praxi nur unter bestimmten Annahmen realistisch. - In einem solchen Wettbewerb der Systeme wäre dann allerdings ein Steuersenkungswettbewerb um mobile Besteuerungspotentiale zu verhindern. Außerdem wären zentrale Rechtsvorschriften immer dann noch erforderlich, wenn die Beseitigung der Behinderungen des Binnenmarktes nur durch die Einführung eines EU-weit einheitlichen Verfahrens möglich ist oder ein Wettbewerb der Systeme im Einzelfall keinen Erfolg verspricht. Voraussetzung für das Funktionieren des Subsidiaritätsprinzips im Steuerrecht ist jedoch ferner, daß gegen den Fortbestand nationaler Gesetze, die eine grenzüberschreitende Tätigkeit behindern oder (nicht und!) gegenüber inländischer Tätigkeit benachteiligen, effektive Sanktionen geschaffen werden.
II. Instrumente und Rechtsgrundlagen: 1. Rechtsetzung: Der EG-Vertrag gibt keine allgemeine und umfassende Kompetenz zur Angleichung der nationalen Steuervorschriften. Eine solche Kompetenz ist auch in Art. F. 3 des Europäischen Unionsvertrages (Maastrichter Vertrag, EU 2, EWG 4 b)) nicht verankert worden. Daher muß in jedem Einzelfall auf spezielle Einzelermächtigungen des EG-Vertrages zurückgegriffen werden. In Frage kommen vor allem Art. 99 (Harmonisierung der indirekten Steuern), Art. 100 und 101 (Angleichung von Vorschriften, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken oder Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen), während andere Vorschriften nur in Ausnahmefällen als Rechtsgrundlage denkbar sind (z. B. Art. 75 ff. - Verkehrspolitik für Kfz-Steuer). Instrumente der Rechtsetzung sind EU-Verordnungen mit unmittelbarer Wirkung in den Mitgliedstaaten und EU-Richtlinien mit mittelbarer Rechswirkung, im Einzelfall auch völkerrechtliche Verträge gem. Art. 220 EGV. Diese häufigsten Rechtsgrundlagen für Maßnahmen bei der Harmonisierung der Steuern sehen Einstimmigkeit bei der Verabschiedung von Maßnahmen vor, weshalb Fortschritte bei der Harmonisierung der Besteuerung i. d. R. nur sehr langsam zu erreichen sind. - 2. Rechtsprechung: Da die nationalen Steuerrechte im Verhältnis zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages der Überwachung durch den Europäischen Gerichtshof unterliegen, können gegen ungerechtfertigte Behinderungen des Binnenmarktes durch steuerliche Vorschriften effektive Sanktionen durchgesetzt werden (ständige EuGH-Rechtsprechung), insoweit erfolgt zwar keine direkte Harmonisierung der Besteuerung, aber eine Reduzierung des Spektrums zulässiger Steuernormen. Sanktionen sind unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten, Verlängerung von Klagefristen und ggf. auch Verpflichtung des Mitgliedstaates zum Ersatz der durch unberechtigte Besteuerung verursachten Schäden.
III. Harmonisierung der Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer): Auswirkungen von Steuerunterschieden sind bei der Umsatzsteuer am größten, da diese Steuer auf alle Waren erhoben wird und deren Preis direkt beeinflußt. Unterschiede in der steuerlichen Behandlung auf demselben Markt haben somit unmittelbar beachtliche Auswirkungen für die einzelnen Anbieter. Daher war die Schaffung eines dem Gemeinsamen Markt (bzw. Binnenmarkt) angemessenen Umsatzsteuersystems von Anfang an ein Hauptziel der EG. Wegen der sehr unterschiedlichen Struktur und Bedeutung dieser Steuer in den Mitgliedstaaten wird seit jeher aber nur eine schrittweise und langfristig angelegte Vereinheitlichung angestrebt, da eine abrupte Vollharmonisierung entweder einige Staaten vor unlösbare Budgetprobleme (infolge Steuersenkung) oder andere vor schwere soziale Probleme (z. B. Inflationsschub infolge Steuererhöhung) gestellt hätte. - 1. Ziele der Harmonisierung der Umsatzsteuer: (1) Gleichbehandlung des Warenexports und -imports mit den im Staat selbst hergestellten und verbrauchten Waren (somit keine Möglichkeit einer merkantilistischen Politik auf Kosten anderer Mitglieder) (2) Minimierung anderer Handelshemmnisse wie Grenzkontrollen und Unübersichtlichkeit des Steuerrechts. - 2. Stufen des Harmonisierungsprozessses: Beginn im EWGV selbst durch Verbot der Exportsubventionen (Art. 97 EGV), nur noch Erstattung der Umsatzsteuerbelastung bei der Ausfuhr zugelassen, da ansonsten Exportware auf dem Auslandsmarkt wegen doppelter Umsatzbesteuerung chancenlos gewesen wäre (Bestimmungslandprinzip). Da wegen der damals üblichen kumulativen Umsatzsteuersysteme die auf der Ware liegende Umsatzsteuerbelastung von der Zahl der vorgegangenen Verkaufsvorgänge abhing und nur statistisch schätzbar war, war dieses Verfahren nicht exakt. Verankerung eines exakten wettbewerbsneutralen Systems in der nächsten Harmonisierungsstufe: 1967 führte die 1. Richtlinie der EG zur Harmonisierung der Umsatzsteuer (EG-Amtsblatt vom 11. 4. 1967, S. 1.301) das Allphasen-Umsatzsteuer-System mit Vorsteuerabzug ("Mehrwertsteuersystem") ein (Allphasenumsatzsteuer), wodurch exakte Berechnung der exakten Umsatzsteuerbelastung für jede Ware, exakte Ausfuhrerstattungen und somit Neutralität im grenzüberschreitenden Handel ermöglicht wurden. Das erste Harmonisierungsziel war damit bereits verwirklicht. - Zur Vereinfachung der Formalia und der Grenzkontrollen wurden bereits damals als Voraussetzungen benannt: Der Unterschied der Umsatzsteuerbelastung im In- und Ausland muß soweit sinken, daß davon keine meßbare Wettbewerbsverzerrung mehr ausgeht; dafür ist eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und der Steuersätze erforderlich. Als ersten Schritt auf dieses Ziel hin harmonisierte die 6. EG-Richtlinie von 1977 die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer weitgehend. Dies konnte jedoch noch keinen entscheidenden Fortschritt bedeuten: Für Aufhebung der Grenzkontrollen und Verzicht auf den Grenzausgleich (Erstattung der Umsatzsteuer des Exportlandes und Erhebung derjenigen des Importstaates) wäre eine völlige Angleichung der Steuersätze und der Übergang zum Ursprungslandprinzip erforderlich gewesen. Das hätte von einigen Staaten die Bereitschaft zu spürbaren Mehrwertsteuersatz-Erhöhungen oder -Senkungen erfordert, außerdem einen Verzicht auf nationale Sondersteuersätze für bestimmte Branchen. Darüber hinaus erfordert der Wechsel vom Bestimmungs- zum Ursprungslandprinzip wegen der dann einsetzenden starken Verschiebung des Steueraufkommens die Bereitschaft zu einem Fiskalausgleich (bzw. Finanzausgleich) zwischen den Mitgliedstaaten. Hierbei sind jedoch große politische Widerstände zu überwinden; bei der Gestaltung eines evtl. Fiskalausgleichs sind außerdem auch noch technische Probleme ungelöst. Aus diesem Grund kam es lange zu einer Harmonisierung des Harmonisierungsprozesses. - Im Zuge der Bemühungen um die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes wurde auch für diese Problematik ein schrittweiser Übergang vorgesehen: Abschaffung der Grenzkontrollen ab 1. 1. 1993 sowie Schaffung eines diffizilen Übergangssystems (EG-Amtsblatt Nr. L 376 vom 31. 12. 1991). Nach diesen Regelungen wird die Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Lieferungen an umsatzsteuerpflichtige Unternehmer demnach grundsätzlich im Staat des Käufers erhoben und unter der Bezeichnung "Erwerbsteuer" nicht dem Lieferanten, sondern dem Kunden auferlegt. Gehört der Käufer einer bestimmten Personengruppe an (umsatzsteuerfreie Unternehmer, juristische Personen, u. ä.), so wird er den umsatzsteuerpflichtigen Unternehmern gleichgestellt, wenn er mehr als eine bestimmte Summe für Käufe aus anderen Mitgliedstaaten aufwendet. Gehört der Kunde dagegen nicht zum erwerbsteuerpflichtigen Personenkreis (d. h. im wesentlichen, wenn der Kunde Privatperson ist), so ist der Verkäufer steuerpflichtig. Bei Steuerpflicht des Verkäufers für grenzüberschreitende Lieferungen sind im Normalfall zwei Fälle zu unterscheiden: (1) Versendung oder Beförderung von Waren: hier wird der Lieferant grundsätzlich im Staat des Käufers steuerpflichtig (Bestimmungslandprinzip), Steuerpflicht im Ursprungsland kommt nur subsidiär in Frage, wenn die Lieferungen in bestimmten Staat im VZ eine Bagatellgrenze nicht überschreiten (sog. Lieferschwelle). (2) Abholung der Ware durch den Käufer im Staat des Lieferanten: Steuerpflicht des Lieferanten im Ursprungsland. Für die Lieferung besonders hochwertiger Gegenstände (z. B. neuer Fahrzeuge) gelten weitere Sonderregelungen. - Dieses mehrstufige System ersetzt bei Lieferungen zwischen Unternehmern nur die frühere Erhebung von Einfuhrumsatzsteuer an den Grenzen durch die Erhebung von Erwerbsteuer, bei Lieferungen an Privatpersonen ist dagegen ein Einstieg ins Ursprungslandprinzip, wenn auch nicht durchgängig, gemacht worden. Bei sonstigen Leistungen hat der Binnenmarkt keine weitere Verstärkung des Ursprungslandprinzips gebracht. - Bewertung des Übergangssystems: Das Übergangssystem beginnt den Einstieg ins Ursprungslandprinzip in einem relativ kleinen Segment, weswegen die entstehenden Steueraufkommensverschiebungen und die Einführung eines Fiskalausgleichs noch vernachlässigt werden können. Durch das Ursprungslandprinzip bei Privatkäufen trotz unterschiedlicher Steuersätze wird jedoch bewußt eine Wettbewerbsverzerrung in Grenzgebieten erzeugt; hierdurch entsteht ein Anreiz für Hochsteuerländer, durch Umsatzsteuersenkungen die Nachteile für die eigene Wirtschaft zu verringern und hierdurch die Voraussetzungen für eine weitere Harmonisierung zu schaffen. Um einen Steuersenkungswettlauf zu verhindern, wurde diese Regelung jedoch durch eine bis Ende 1996 befristete Einführung eines Mindeststeuersatzes für den normalen und für den ermäßigten Steuersatz flankiert; für die Jahre 1997-1998 will die EU-Kommission eine Steuersatzspanne von 15-25 % vorschreiben lassen. - Für die Unternehmen bringt die Differenzierung zwischen Lieferungen an andere Unternehmer und an Privatkunden und das neue Verfahren der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs zusätzliche administrative Belastungen mit sich. - 3. Ausblick: Während der Geltungsdauer der Übergangszeit (ursprünglich bis Ende 1996 befristet, danach aber automatische Verlängerung um jeweils ein Jahr bis zum Inkrafttreten der endgültigen Regelung) sollen die Voraussetzungen für einen akzeptablen Mechanismus des Fiskalausgleichs geschaffen werden. Dabei soll das Steueraufkommen letztlich so auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, wie es bei Weitergeltung des Bestimmungslandprinzips der Fall wäre. Aufgrund der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen ist jedoch mit weiteren Fortschritten bei der Harmonisierung der Umsatzsteuer in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
IV. Harmonisierung der Verbrauchsteuern: Im Bereich der Verbrauchsteuern ist der ursprüngliche Plan, die drei großen Verbrauchsteuern (Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Alkohol: Biersteuer, Schaumweinsteuer und Weinsteuer) vollständig zu harmonisieren und alle anderen Verbrauchsteuern abzuschaffen, aufgegeben worden. Seit 1993 gilt vielmehr für die genannten großen Verbrauchsteuern ein harmonisiertes Recht mit vereinheitlichtem Steuergegenstand, harmonisiertem Steuererhebungsverfahren und EU-weiten Mindeststeuersätzen, während für die übrigen "kleinen" Verbrauchsteuern nur die Vorgabe zu beachten ist, daß sie keine Formalitäten beim Grenzübertritt auslösen dürfen. Grenzüberschreitende Warenbewegungen bei denjenigen Waren, die den harmonisierten Verbrauchsteuern unterliegen, müssen über amtlich zugelassene, überwachte Betriebe (Steuerlager) abgewickelt werden, in denen die Ware steuerfrei belassen wird, bis sie aus diesem System heraus z. B. an Privatpersonen verkauft. Versendungs- und Beförderungslieferungen sind im Bestimmungsland steuerpflichtig. Durch dieses System wird die Verbrauchsteuer i. d. R. im Bestimmungsland der Ware entrichtet. Verkäufe an Privatpersonen (Abhollieferungen) oder Warenbewegungen durch Private werden dagegen nicht erfaßt. Analog zum Umsatzsteuer-Übergangssystem richtet sich die Besteuerung somit für Gewerbetreibende nach dem Bestimmungslandprinzip, für Private dagegen nach dem Ursprungslandprinzip. Im Gegensatz zum Umsatzsteuer-Übergangssystem ist diese Lösung für die Verbrauchsteuern endgültig (EG-Amtsblatt Nr. L 76 vom 23. 3. 1992, S. 1 ff.). Das läßt sich dadurch begründen, daß die Handhabung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Gegensatz zu normalen Waren schon aus der Natur der Sache heraus umfangreichen Kontroll- und Nachweispflichten unterliegen muß und daher eine Vereinfachung des Systems, wie es bei der Umsatzsteuer ein Hauptmotiv für die Forderung nach einer Weiterentwicklung ist, bei den Verbrauchsteuern nicht in lohnendem Umfang erreichbar wäre. Den evtl. auftretenden Wettbewerbsverzerrungen durch den partiellen Übergang zum Ursprungslandprinzip wird im Bereich der großen Verbrauchsteuern durch mehrere Verbrauchsteuersatzrichtlinien, die Mindeststeuersätze festlegen, eine Grenze gesetzt.
V. Sonstige indirekte Steuern: Richtlinie über die Kraftfahrzeugbesteuerung von Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 12 t aus dem Jahre 1993 verwirklicht Ansatzpunkte für eine abgestimmte Regelung im Bereich der Kraftfahrzeugsteuer, s. dort.
VI. Direkte Steuern: 1. Allgemein: Ein theoretisch einleuchtendes Grundkonzept wie für die Harmonisierung der indirekten Steuern ist wegen der komplexeren Natur der direkten Steuern nicht vorhanden; statt dessen erfolgt eine Beschränkung auf die Lösung wichtiger Einzelprobleme (seit 1990 ist dies auch offizielles Konzept). - 2. Rechtsetzungstätigkeit des Rats und der Kommission: bisher nur wenige verabschiedete Rechtsakte; einige Vorschläge: a) Konzernbesteuerung: (1) Konzernbildung und -umstrukturierung: Die Fusionsrichtlinie vom 23. 7. 1990 ermöglicht weitgehend steuerneutralen Aufbau eines grenzüberschreitenden Konzerns. Fusion bestehender Unternehmungen beiderseits der Grenze, Einbringung von Unternehmen oder Unternehmensteilen in andere Unternehmen oder Erwerb der Aktienmehrheit an einem anderen Unternehmen (sog. Anteilstausch), aber auch Spaltung eines transnationalen Unternehmens in verschiedene neue Gesellschaften lösen keine akute Steuerbelastung der stillen Reserven mehr aus (Steuerstundung bis zum späteren Verkauf der Wirtschaftsgüter). Ziel ist es, die bisher durch nationales Steuerrecht gegebenen Möglichkeiten zur steuerlich ungehinderten Kooperation und Umstrukturierung von Unternehmen auch auf Vorgänge mit Beteiligung ausländischer Gesellschaften zu erweitern und so die Benachteiligung dieser Gesellschaften zu beseitigen. Begünstigt sind allerdings nur Vorgänge mit Beteiligung von Kapitalgesellschaften aus den verschiedenen Mitgliedstaaten; über die als Kapitalgesellschaft eingestuften Rechtsformen existiert eine abschließende Liste. - (2) Laufende Besteuerung von konzerninternen Geschäften: Geregelt durch das Schiedsabkommen der EG-Staaten vom 23. 7. 1990 (EG-Amtsblatt Nr. L 225, S.10), in Kraft erst seit 1. 1. 1995, zunächst befristet auf fünf Jahre und nur zwischen den zwölf alten EG-Staaten anzuwenden (Beitrittsabkommen der drei neuen EU-Staaten 1995 geschlossen, aber noch nicht ratifiziert). Ziel ist die Beseitigung von Behinderungen grenzüberschreitender Verkaufstätigkeit durch Doppelbesteuerung innerhalb eines Konzerns, die sich durch Ansatz unterschiedlicher Verrechnungspreise durch die beteiligten Finanzverwaltungen ergeben. - (3) Laufende Besteuerung von Dividendenausschüttungen innerhalb eines Konzerns: Geregelt durch die Mutter-Tochter-Richtlinie vom 23. 7. 1990 (EG-Amtsblatt L 225, S. 6). Als problematisch wurden bei der laufenden Dividendenbesteuerung folgende Punkte angesehen: Die auf die Dividenden erhobenen Quellensteuern führen wegen ihrer Bemessung nach dem Bruttobetrag der Zahlung zu Besteuerung auch bei Verlustgeschäften; bei Ermäßigungsansprüchen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen aufwendiges Erstattungsverfahren für einen Teilbetrag der Quellensteuer, der Restbetrag wird auch bei Verlustgeschäften an Auslandsgesellschaften nicht erstattet, daher Benachteiligung gegenüber Inländern und wirtschaftlich negative Folgen. Die Lösung ist die Abschaffung der Quellenbesteuerung bei Dividendenzahlungen an ausländische Mutterunternehmen (mind. 25% Beteiligung). Von den bei Erlaß der Richtlinie eingeräumten Ausnahmen ist nur noch die Erlaubnis für Portugal relevant, eine Zeitlang noch eine Quellensteuer zu erheben (Befristung mit Verlängerungsmöglichkeit). Behandlung im Staat der Muttergesellschaft: Freistellung der empfangenen Dividenden von der Körperschaftsteuer (Schachtelprivileg) oder indirekte Anrechnung der durch die Tochterunternehmung bereits gezahlten Körperschaftsteuer auf die Körperschaftsteuer, die die Muttergesellschaft für die empfangene Dividende zu zahlen hat. - (4) Laufende Besteuerung von Zinszahlungen und Lizenzgebühren innerhalb von Konzernen: Richtlinienvorschlag vom 6. 12. 1990 sah Abschaffung der Quellensteuern auch auf diese Zahlungen vor, wurde von der Kommission später aber mangels ausreichender Aussicht auf Verabschiedung im Rat offiziell zurückgezogen. - b) Gewinnermittlung: (1) Verordnung über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV-VO) aus 1985 sieht (lediglich) vor, daß das Ergebnis einer solchen Unternehmung nicht bei ihr selbst besteuert wird, sondern anteilig ihren Mitgliedern zugerechnet und von diesen versteuert wird (Mitunternehmerprinzip). - (2) Verlustberücksichtigung: Richtlinienvorschlag vom 11. 9. 1984 (Amtsblatt EG Nr. C 253/5, 20. 9. 1984 und C 170/3, 9. 7. 1985) sieht dreijährigen Verlustrücktrag und zeitlich unbefristeten Verlustvortrag für alle Unternehmen in der EG vor. Bisher nicht rechtskräftig, hat aber seit Bestehen eine "stille Harmonisierung" in mehreren EU-Staaten ausgelöst, indem diese ihre Regelungen über die Verlustberücksichtigung freiwillig an den Regelungen des Vorschlags orientiert haben. Ergänzender Richtlinienvorschlag vom 6. 12. 1990 (Amtsblatt EG Nr. C 5330, 28. 2. 1991) sieht darüber hinaus die Möglichkeit vor, Verluste ausländischer Betriebsstätten oder Tochterunternehmen unter gewissen Bedingungen im Inland von der Bemessungsgrundlage abzusetzen. Dies würde für Investitionen im EU-Ausland Nachteile bzgl. der Berücksichtigung der Verluste aus einer Investition beseitigen (bisherige Regelung in Deutschland: § 2 a EStG). Bisher nicht rechtskräftig verabschiedet, Fortschritte in den Beratungen sind nicht ersichtlich. - (3) Sonstige Gewinnermittlungsregeln: Bisher wurden keine konkreten Vorschläge vorgelegt. Traditionell konzentriert sich die Diskussion auf die Harmonisierung der Abschreibungen, der Rückstellungsbildung und der Behandlung der Verbringung von Wirtschaftgütern von einem Staat in einen anderen. Von 1990 bis 1992 erarbeitete eine Expertengruppe (sog. Ruding-Kommission) konkrete Vorschläge: Stufenplan zur Harmonisierung der Steuern in drei Phasen, der die Harmonisierung vor allem in den bereits traditionell genannten Bereichen fordert. Die Vorschläge sind nach Ansicht der Kommission zu weitgehend und haben mittlerweile kaum noch eine realistische Chance auf Verwirklichung. - c) Körperschaftsteuersysteme: Als problematisch gilt, daß die bestehenden Körperschaftsteuersysteme, soweit sie Anrechnungssysteme sind, keine grenzüberschreitende Anrechnung von Körperschaftsteuer vorsehen und somit die Auslandsinvestition gegenüber der Inlandstätigkeit benachteiligen (Handicap für die Verwirklichung eines einheitlichen Kapitalmarktes für Eigenkapital). Ferner stellen sich durch unterschiedlich hohe Nettorenditen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt ein. Offizielle Lösungsvorschläge liegen nicht vor (Richtlinienvorschlag von 1975 zur Einführung eines Teilanrechnungssystems mit grenzüberschreitender Anrechnung 1990 als veraltet zurückgezogen). Betonung der Bedeutung einer Mindestharmonisierung der Körperschaftsteuer und vielbeachtete Diskussionsbeiträge durch das Ruding-Komitee 1992 (binnenmarktverträgliche Modifizierung des Anrechnungssystems, Mindeststeuersatz für die Körperschaftsteuer). In der Literatur auch Überlegungen, die Benachteiligung grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit durch Rückkehr zum klassischen System (keine Anrechnung der KSt beim Aktionär) zu bewerkstelligen. - d) Besteuerung von Privatpersonen: Eine Harmonisierung der Einkommensteuerregelungen für Private ist grundsätzlich nicht beabsichtigt, da die Steuerunterschiede dort nur geringe Wettbewerbsverzerrungen bewirken. Harmonisierungsüberlegungen gab es daher bisher nur in zwei Ausnahmebereichen: der Zinsbesteuerung und der Besteuerung der Grenzgänger. - (1) Zinseinkünfte: Infolge der Kapitalmarktliberalisierung wurde eine Kapitalanlage in anderen EU-Staaten in unbegrenztem Umfang möglich; dies erschwert den Finanzverwaltungen über das vorher bereits gegebene Maß hinaus den Nachweis und die Überprüfung von privaten Zinseinkünften. Da gerade Kapital besonders auf Steuerbelastungsunterschiede reagiert, kommt es auf dem Markt für Fremdkapital daher besonders leicht infolge unterschiedlicher Besteuerungsregelungen und infolge unterschiedlicher Informationsbeschaffungsmöglichkeiten zu Wettbewerbsverzerrungen. Ein Lösungsvorschlag (Amtsblatt EG Nr. C 141/5, 7. 6. 1989) sah deshalb die allgemeine Einführung einer Quellensteuer von mindestens 15% in allen EU-Staaten vor, scheiterte jedoch vor allem am Widerstand Luxemburgs. Vor Einführung einer EU-weiten Quellensteuer werden in der Diskussion vor allem Vorkehrungen gegen eine steuerbedingte Kapitalflucht in Drittländer gefordert. - (2) Grenzgänger: Die hier einschlägige Problematik, daß Grenzgänger oftmals ihre Sonderausgaben und andere persönliche Lasten nicht steuerlich geltend machen konnten, während dies vergleichbaren anderen Steuerpflichtigen möglich war, ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 14. 2. 1995 (Rs. C-279/93, Schumacker) als gelöst anzusehen. Frühere Richtlinienvorschläge und Empfehlungen zu dieser Frage sind daher weitgehend gegenstandslos. - 3. Rechtsprechung: Seit 1986 hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung Grundsätze zur Gestaltung der direkten Steuern durch die Mitgliedstaaten aufgestellt, durch die allmählich Veränderungen auch in althergebrachten Grundsätzen des traditionellen Steuerrechts erreichbar erscheinen, soweit diese das Funktionieren des Binnenmarktes behindern. So wird vor allem die Unterscheidung zwischen unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Personen als verdeckte Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit eingestuft, die bei mangelnder Rechtfertigung im Einzelfall als verbotene Diskriminierung verworfen werden kann. Diskriminierungsverbot.
VII. "Stille Harmonisierung": Innerhalb der Gemeinschaft ist in einigen Fällen auch ohne bindende Harmonisierungsrichtlinie eine Entwicklung hin zu einheitlicheren Steuernormen zu beobachten, so etwa bei der Gestaltung des Verlustabzugs (Orientierung am Richtlinienvorschlag der Kommission) oder bei der Erweiterung des Schachtelprivilegs auf Veräußerungsgewinne (Übernahme des niederländischen Vorbilds). - 8. Zusammenarbeit der Verwaltungen: Durch die Intensivierung der zwischenstaatlichen Tätigkeiten müssen die Finanzverwaltungen vermehrt ausländische Sachverhalte klären; hierzu ist eine Zusammenarbeit der Behörden zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich, da Verwaltungen im Ausland keine Hoheitsgewalt besitzen. Daher wird im Zuge der Harmonisierung der Steuern auch die Zusammenarbeit der Finanzbehörden intensiviert (EG-Amtshilfe-Richtlinie von 1976, Verordnung zum Austausch von EDV-Daten zur Mehrwertsteuer vom 27. 1. 1992, EG-Amtsblatt Nr. L 24/1992, S. 1 ff).
Literatur: Langer, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, in: Der Betrieb 1992, S. 340; Dautzenberg/Heyeres, Umsatzsteuersystem im Binnenmarkt, Neue Wirtschaftsbriefe, Beilage 3/1994; EG-Kommission, Leitlinien zur Unternehmensbesteuerung, Bundesrats-Drucksachen 360/90 und 540/92; Herzig/Dautzenberg/Heyeres, Beilage 12 zu Der Betrieb 1990; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1992.

 

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