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Steuerrecht

I. Begriff: Gesamtheit der Rechtsnormen unserer Rechtsordnung, die sich - im weitesten Sinne - auf Steuern beziehen. Diese schaffen und regeln die Rechtsbeziehungen (Rechte und Pflichten) zwischen den Trägern der Steuerhoheit und den ihnen unterworfenen natürlichen und juristischen Personen.
II. Gliederung: 1. a) Materielles St.: Dieses regelt Steuersubjekt, Steuerobjekt, Befreiungen, Bemessungsgrundlage und Steuersätze der einzelnen Steuerarten. b) Formelles St.: Enthält die verfahrensrechtlichen Regelungen des Steuerrecht - 2. a) Allgemeines St.: Die Rechtsnormen, die für alle Steuerarten gelten und die sowohl das Verfahren als auch - teilweise - das materielle Steuerrecht allgemeinen Charakters betreffen, sind mehr oder weniger einheitlich gestaltet. Weitgehend in der Abgabenordnung (AO) und im Bewertungsgesetz (BewG) kodifiziert. b) Besonderes St.: Regelt für die Vielzahl der verschiedenen Steuern vorwiegend das materielle Steuerrecht der einzelnen Steuerarten, enthält aber auch besondere Verfahrensvorschriften, die nur für die jeweilige einzelne Steuer gelten.
III. Rechtsquellen: Die Lehre von den Rechtsquellen des Steuerrecht ist - entsprechend der Natur des Steuerrecht - Teilstück der Rechtsquellenlehre des Verwaltungsrechts und damit zugleich Teil der allgemeinen Rechtslehre. Als Quellen des Steuerrecht kommen folgende in Betracht: (1) Steuergesetze, (2) Steuerrechtsverordnungen, (3) autonome Satzungen, (4) Gewohnheitsrecht, (5) supranationales Recht, (6) Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).
IV. Rechtsanwendung: Die Rechtsanwendung im Steuerrecht besteht - wie im allgemeinen Recht - darin, einen konkreten Sachverhalt unter den maßgebenden (abstrakten) gesetzlichen Tatbestand zu subsumieren, so daß sich eine konkrete Rechtsfolge bzw. eine gesetzlich zugelassene Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Rechtsfolgen (steuerliches Wahlrecht, Steuerpolitik II. 2) (b)) ergibt. Sie setzt Feststellung des Sachverhalts (geregelt in der AO [Ermittlungsverfahren] und in der FGO [Erforschung des Sachverhalts und Beweisaufnahme] ) und der anzuwendenden Rechtsnorm (Auffinden, Textkritik und Auslegung) voraus.
V. Rechtsauslegung: Die Auslegung im Steuerrecht ist gesetzlich nicht mehr geregelt. 1. Sie folgt den allgemein geltenden Auslegungsregeln: Die Steuergesetze sind gem. ihres Sinngehalts unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und der Entwicklung der Verhältnisse auszulegen (vgl. auch typische Betrachtungsweise). - 2. Dieses Ziel wollen die Anhänger der verschiedenen subjektiven und objektiven Auslegungstheorien auf verschiedenen Wegen erreichen: Während die subjektiven Theorien von dem Sinn des Gesetzes ausgehen, den es nach dem Willen des historischen Gesetzgebers haben sollte, stellen die objektiven Theorien auf den Willen des Gesetzes selbst ab. Das Bundesverfassungsgericht hebt den objektivierten Willen des Gesetzgebers hervor, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem gegebenen Sinnzusammenhang ergibt. Aufgrund dieser Rechtsprechung kann im Steuerrecht die objektive Auslegungstheorie heute als die herrschende angesehen werden. - 3. Die von der allgemeinen Rechtslehre entwickelten verschiedenen Auslegungsmethoden gelten auch im Steuerrecht Sie stehen gleichwertig nebeneinander, ergänzen einander und sind i. d. R. alle miteinander zu verbinden. - Wichtigste Methoden: (1) Grammatische Auslegung: Sie geht von dem Wortlaut der festgestellten Rechtsnorm aus und soll diesen unter Heranziehung des Sprachgebrauchs und der Grammatik klarstellen. (2) Historische Auslegung: Sie berücksichtigt aufgrund der Materialien die Entstehungsgeschichte der Rechtsnorm, wobei die Entwicklung der Verhältnisse zu beachten ist. (3) Logisch-systematische Auslegung: Sie ermittelt und stellt ab auf den Sinn der Begriffe und den Sinnzusammenhang der Rechtssätze nach der allgemeinen Rechtsordnung und nach der Systematik des Gesetzes. (4) Teleologische Auslegung: Sie geht von dem spezifischen Sinn und Zweck des Steuergesetzes aus, der einerseits in der beschreibenden Erfassung steuerpflichtiger, steuerfreier oder steuerbegünstigter Vorgänge, andererseits in der Bestimmung von Art und Umfang der Steuerpflicht, der Steuerbefreiung oder der Steuervergünstigung zu sehen ist.
VI. Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten: 1. Zum Bürgerlichen Recht: Bürgerlich-rechtliche Vertragsfreiheit ist dem Steuerrecht fremd. Wenn auch die Besteuerung im allgemeinen an Vorgänge anknüpft, denen bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäfte zugrunde liegen, so kommt es bei deren steuerrechtlicher Wertung doch mehr auf das an, was (wirtschaftlich betrachtet) ist und durchgeführt wird. - Das Steuerrecht verwendet häufig Rechtsbegriffe des bürgerlichen Rechts. Diese können im Steuerrecht einen abweichenden (z. B. Wohnsitz) oder den gleichen (z. B. Ehe, Miete) Inhalt haben oder dem Steuerrecht angepaßt (z. B. Aufrechnung) sein. Auch bürgerlich-rechtliche Begriffe müssen daher im Steuerrecht stets aus dem steuerrechtlichen Bedeutungszusammenhang heraus interpretiert werden. - 2. Zum Zivilprozeßrecht: Während die ZPO der Durchsetzung und Sicherung bürgerlich-rechtlicher Ansprüche zwischen Privatpersonen dient, regelt das formelle Steuerrecht die Entstehung, Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung hoheitlicher Ansprüche sowie den Rechtschutz des Bürgers gegen unberechtigte steuerliche Inanspruchnahme. Das Zivilprozeßrecht wird deshalb von der Dispositionsmaxime beherrscht, während im Steuerrecht der Untersuchungsgrundsatz gilt. Allerdings greift auch die FGO auf einzelne Vorschriften der ZPO zurück, so z. B. die Bestimmungen für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen, für die Beweisaufnahme, für die Streitgenossenschaft. Soweit die FGO keine Bestimmungen über das Verfahren trifft, sind - unter Beachtung der grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahren - die Vorschriften des GVG und der ZPO sinngemäß anzuwenden. - 3. Zum Verwaltungsrecht: Das Steuerrecht ist in seinem Kern - wie heute allgemein anerkannt ist - besonderes Verwaltungsrecht. Es hat sich jedoch insbes. nach Einrichtung des Reichsfinanzhofs und dem Inkrafttreten der AO im Jahre 1919 weitgehend verselbständigt. Das formelle Steuerrecht lehnt sich - entsprechend der erstrebten Verfahrensvereinheitlichung - i. d. R. an die Verwaltungsgerichtsordnung an, soweit nicht die Besonderheiten und die Eigengesetzlichkeit des Steuerrecht Abweichungen fordern. - 4. Zum Finanzrecht: Dieses erfaßt die rechtliche Ausgestaltung der öffentlichen Finanzmittel in ihrer Gesamtheit und regelt deren Bestand, Beschaffung und Verwendung ebenso wie die verfahrensmäßigen Einrichtungen, die der Kontrolle und Sicherung einer gesetzmäßigen Verwaltung und Verwendung dieser Mittel dienen. Das Steuerrecht stellt sich als ein wichtiges Teilgebiet des Finanzrechts dar: Es bezieht sich nur auf eine einzelne Art der öffentlichen Einnahmen, die Steuern; es erfaßt nicht andere öffentliche Einnahmen sowie die Verausgabung der öffentlichen Finanzmittel.
VII. Steuerrecht und Rechtsprechung: 1. Die Finanzgerichtsbarkeit wird durch unabhängige, von der Verwaltung losgelöste Gerichte ausgeübt, in den Ländern durch die Finanzgerichte als obere Landesgerichte und im Bund durch den Bundesfinanzhof (§§ 1 und 2 FGO). Ziel des Verfahrens ist der Rechtsschutz des einzelnen gegenüber rechtswidrigen Maßnahmen der Verwaltung. Die gerichtlichen Entscheidungen binden die Beteiligten soweit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist (Rechtskraft). Zwar wirken sie formell nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus, werden aber i. d. R. von der Finanzverwaltung auch in anderen - gleichgelagerten - Fällen beachtet. - 2. Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher in einer Vielzahl von Fällen die Verfassungsmäßigkeit steuerrechtlicher Vorschriften zu prüfen. Seine Entscheidungen greifen unmittelbar und gestaltend in das Steuerrecht ein.

 

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