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Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer

I. Ausmaß der Verschuldung und Verschuldungsmuster: Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. und der ehemaligen kommunistischen Reformländer betrug 1995 mehr als 2.000 Mrd. US-$, wobei sich eine starke Konzentration auf Schwellenländer feststellen läßt. 1993 betrugen die Schulden Brasiliens 132,75 Mrd. US-$, Mexikos 118,1 Mrd. US-$, Argentiniens 74,47 Mrd. US-$, Südkoreas 47,2 Mrd. US-$. - Interpretation: Eine hohe Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. ist per se noch nicht beunruhigend, da sie auch auf gesteigerte wirtschaftliche Aktivität hindeuten kann. Ein unterentwickeltes Land wird zu Beginn seiner Entwicklung eine zunehmende Auslandsverschuldung aufweisen, die dann im Laufe der Entwicklung abgebaut wird; beim Erreichen des Reifestadiums werden die Schulden zurückbezahlt und das betreffende Land wird ggf. zum Gläubiger anderer sich entwickelnder Staaten. Die Verschuldung ermöglicht ihnen, über die interne Ersparnis hinaus Investitionen zu tätigen und dadurch das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen und Zahlungsbilanzengpässe zu überwinden. - Kriterien zur Beurteilung: Problematisch wird eine Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E., wenn aufgenommene Kredite konsumtiv verwendet werden. Unproblematische Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. liegt vor, wenn die damit zusätzlich generierte Produktion die Kredit-, Zins- und Amortisationskosten decken (Effizienz- oder Transformationskriterium); die zusätzliche Produktion muß dabei Devisen erwirtschaften, die ausreichen, die Kredite in ausländischer Währung zu bedienen (Transferkriterium). Das Liquiditätskriterium fordert, daß das Transferkriterium jederzeit erfüllt sein muß. Das Zusammentreffen mehrerer ungünstiger weltwirtschaftlicher Faktoren (sinkende Exporterlöspreise, hohe Zinsen Anfang der 80er Jahre, Ölpreisanstieg) führte dazu, daß die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. zu einer Verschuldungskrise führte, die insbes. nach dem Moratorium Mexikos im August 1982 offen in Erscheinung trat.
II. Indikatoren und Verlauf: Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. lag 1955 bei 7 Mrd. US-$ und stieg 1970 auf 77 Mrd. US-$, 1975 auf 179 Mrd. US-$, 1980 auf 636 Mrd. US-$. Zwischen 1975 und 1980 verdreifachte sich die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. Vor der Ölpreisexplosion lag der Bankenanteil an der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. bei ca. 50%; in den 70er Jahren stieg er insbes. bei den Hauptschuldnerländern Lateinamerikas auf 70%, während die Länder Afrikas ihre privaten Kredite von 32% (1973) auf 20% (1986) senkten. - Das Moratorium Mexikos gefährdete die Weltfinanzordnung. Durch eine Politik der Krisenbewältigung (Pariser Club) wurde erfolgreich eine Eskalation der Weltfinanzkrise vermieden. - Indikatoren: Nicht alle hochverschuldeten Entwicklungsländer befinden sich in einer Schuldenkrise. Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. muß in Bezug gesetzt werden zur Schuldendienstfähigkeit des jeweiligen Landes. Die am häufigsten verwendeten Indikatoren sind die Schuldendienstquote (Schuldendienst/Exporteinnahmen) sowie das Verhältnis von Schulden-/Exportquote bzw. Schulden/BSP. Die Schulden-/Exportquote fiel von 210% (1986) auf 136,2% (1993) und die Schuldendienstquote von 27,5% (1986) auf 18,3% (1993). Auf Schwellenländer (insbes. Lateinamerikas) entfällt etwa die Hälfte der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen (überwiegend in Schwarzafrika) sind insbes. gegenüber öffentlichen Gläubigern verschuldet.
III. Ursachen: Zwischen entwicklungspolitisch notwendiger Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. und der Schuldenkrise muß unterschieden werden, wobei der eigentliche Grund in der fehlenden inländischen Finanzintermediation zu sehen ist. Die Ursachen der Schuldenkrise sind vielschichtig. - 1. Externe Ursachen: Sie können dem Schuldnerland nicht direkt angelastet werden. Zu nennen sind die drastischen Ölpreissteigerungen der Jahre 1973/74 und 1979/80, die die Zahlungsbilanzen vieler Entwicklungsländer extrem belasteten und Kreditaufnahmen im Ausland notwendig machten. Insbes. Schwellenländer, die ihre Industrialisierung forcierten, waren auf hohe Energieimporte angewiesen, die nicht kurzfristig substituiert werden konnten. Nach der zweiten Ölkrise kam es zu einem Umschwung in der amerikanischen Wirtschaftspolitik, so daß bei expansiver Haushaltspolitik und restriktiver Geldpolitik der Dollarkurs und das internationale Zinsniveau gleichzeitig anstiegen. Die monetaristisch geprägte Stabilitätspolitik der USA verursachte eine weltweite Rezession, die zu einem Verfall der Rohstoffpreise und damit zu sinkenden Exporterlösen der Entwicklungsländer führte. Industrieländer versuchten, ihre Zahlungsbilanzprobleme mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen zu lösen. Auch die Banken waren an der Entstehung der Schuldenkrise maßgeblich beteiligt, da sie ihre Kredite sorglos vergaben: zuverlässige Verschuldungsindikatoren standen nicht zur Verfügung und zusätzlich vertrauten sie auf staatliche Garantien, da angenommen wurde, daß Staaten niemals zahlungsunfähig würden. Das sog. Recycling der Petrodollars führte zu einer Geldschwemme bei den Banken, die daraufhin großzügige Kredite an Entwicklungsländer vergaben und ihnen dabei das Zinsrisiko aufbürdeten, da Zinsgleitklauseln vereinbart wurden. Der später einsetzende extreme Zinsanstieg hatte unvorhersehbare Belastungen zur Folge, die dann die Schuldenkrise auslösten. - 2. Interne Ursachen: Die aufgenommenen Kredite wurden vielfach nicht entwicklungskonform verwendet, so daß das genannte Liquiditätskriterium nicht erfüllt war. Überhöhte Staatsausgaben (Rüstungsausgaben) und eine expansive Geldpolitik führten zu einem Vertrauensverlust der Bürger der Entwicklungsländer in die eigene Währung (Kapitalflucht).
IV. Lösungsansätze der Schuldenkrise: Die hohe Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. bewirkte eine abnehmende Kreditwürdigkeit vieler Entwicklungsländer, so daß Banken sich mit weiteren Krediten zurückhielten. Der Wachstumsprozeß vieler Entwicklungsländer wurde dadurch unterbrochen, so daß unternommene Investitionen sich nicht mehr amortisierten. Entwicklungsländer benötigen neue Mittel, um aus der Krise "herauszuwachsen". - 1. Sanierung: Eine Lösung der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer d. E. kann nur ursachenadäquat erfolgen. Notwendig sind Sanierungen, die finanzielle Opfer von Entwicklungsländern und Industrieländern erfordern. - a) Sanierungsmaßnahmen der Schuldnerländer: Schuldnerländer müssen u. a. ihre leistungsbilanzbelastende Interventions- und Wechselkurspolitik revidieren, für verbesserte Rahmenbedingungen bei Direktinvestitionen sorgen, durch geldpolitische Maßnahmen die einheimische Ersparnisbildung steigern sowie die Defizite des Staatshaushaltes absenken. - b) Hilfsmaßnahmen der Gläubigerländer: Die notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Anpassungskosten können nicht von Entwicklungsländern allein getragen werden. Industrieländer müssen verstärkt technische und finanzielle Hilfe leisten, insbes. ihre Märkte für Exporte der Entwicklungsländer öffnen (Baker-Plan, Brady-Initiative). Dem IWF wird vorgeworfen, daß er stärker am Gläubigerschutz interessiert sei, als an sozialverträglichen Anpassungsmaßnahmen. Den Schuldnerländern wird neuerdings eine zweifache Konditionalität auferlegt (Stufenkonditionalität). Ziel ist die Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation: wenn diese vom Entwicklungsland erreicht wird, werden keine weiteren Auflagen gegeben. Wird sie nicht erreicht, werden auch Instrumentenziele als Auflagen vorgegeben (Abbau von Subventionen, Reduzierung des Budgetdefizits, Abwertung der heimischen Währung etc.). Anpassungsprogramme bergen jedoch makroökonomische Gefahren, wobei der IWF bei seiner Therapie vornehmlich von der Nachfrageseite ausging. Die Angebotsseite muß stärker bei den Strategieüberlegungen berücksichtigt werden. - 2. Schuldenerlaß: Viele Entwicklungsländer sind nicht in der Lage, ihre Auslandverschuldung zurückzuzahlen. Eine erfolgreiche Rückzahlung würde kreislauftheoretisch hohe Zahlungsbilanzdefizite der Industrieländer erfordern, die wiederum zu sozialen Spannungen und Arbeitslosigkeit in Industrieländer führen würden. Für Schuldnerländer, die ernsthafte wirtschaftspolitische Sanierungsmaßnahmen begannen, muß daher ein Schuldenerlaß erwogen werden. Allerdings sollte er nicht bedingungslos gegeben werden, sondern nur als "Belohnung" für eine ursachenadäquate Bekämpfung der Auslandverschuldung dienen. Ein genereller Schuldenerlaß würde insbes. die wohlhabenden Schwellenländer begünstigen und schlechte Wirtschaftspolitik belohnen sowie gute Schuldner bestrafen. Die Realisierungschancen eines generellen Schuldenerlasses dürften gering sein, da die Banken kaum freiwillig auf ihre Forderungen verzichten und eine Übernahme durch die öffentliche Hand nicht erwartet werden kann. Eine Sozialisierung der ausfallgefährdeten Kredite der Banken ist ordnungspolitisch nicht angemessen, da die Gläubigerbanken z. T. ihre uneinbringbaren Kredite abgeschrieben haben und sie die Konsequenzen ihrer Handlungen selbst tragen sollten. Da sie die aus den Kreditgeschäften realisierten Gewinne beanspruchen, müssen sie auch die Verluste übernehmen, wobei allerdings darauf zu achten ist, daß Bankkonkurse nicht eine internationale Kettenreaktion auslösen. - 3. Schuldenübernahme durch eine internationale Schuldenagentur: Verschiedene Umschuldungsmaßnahmen sind im Gespräch, die im Kern eine Abdiskontierung der Kredite beinhalten (Debt-conversion-Programm). Zur Abwicklung dieser Programme sind internationale Verschuldungsagenturen vorgeschlagen worden. - 4. Verweigerung der Rückzahlung seitens der Schuldnerländer: Vereinzelt wird ein Schuldnerkartell gefordert, um die Rückzahlung gemeinsam zu verweigern. Mit einer allgemeinen Befolgung eines solchen Aufrufs ist kaum zu rechnen, da die Schuldnerländer unterschiedliche Interessen haben und auf die Aufrechterhaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen angewiesen sind. Rückzahlungsverweigerungen verhindern die Möglichkeiten neuer Kredite, die für die wirtschaftliche Entwicklung benötigt werden. Zu erwähnen sei, daß die Bürger bestimmter Entwicklungsländer höhere private Auslandsforderungen haben als die nationale Verschuldung ausmacht (Kapitalflucht). Es muß bei der Lösung des Verschuldungsproblems auch darauf geachtet werden, daß herrschende Eliten der Entwicklungsländer nicht Gewinner zu Lasten der Bürger in Industrieländern werden. - 5. Ordnungspolitischer Lösungsansatz: Zur Forcierung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung brauchen Entwicklungsländer neue Kredite. Es stellt sich die Frage, wie ihre Kreditfähigkeit wieder hergestellt werden kann, ohne zu sozialem Aufruhr beizutragen. Zur ursachenadäquaten Überwindung der Verschuldungskrise muß insbes. untersucht werden, für welche Maßnahmen Entwicklungsländer Kredite benötigen. - a) Kredite für sozialpolitische Maßnahmen: Nach dem Prinzip der Subsidiarität muß sich die Weltgemeinschaft bei der Finanzierung unabweisbarer sozialer Maßnahmen beteiligen. Falls Importe und Devisen notwendig sind, muß überprüft werden, inwieweit unter Verwendungskontrolle der von den Industrieländern zu leistenden Zuschüsse die Entwicklungsländer von der Zahlungsbilanzbelastung sozialer Ausgaben entlastet werden. - b) Aufbau der Industriekapazität: Entwicklungsländer müssen sich stärker für Direktinvestitionen öffnen, die den Aufbau der industriellen Kapazität ermöglichen, ohne daß Entwicklungsländer dafür Devisen zur Verfügung stellen müssen. Das wirtschaftliche und finanzielle Risiko wird von den investierenden Unternehmen übernommen. Eine stärkere Außenhandelsliberalisierung ermöglicht es, Wachstumspotentiale ohne Zahlungsbilanzprobleme aufzubauen. - c) Infrastrukturinvestitionen: Der notwendige Aufbau der Infrastruktur kann wie bisher von den internationalen Organisationen der multilateralen und auch der bilateralen Entwicklungshilfe geleistet werden, so daß den Entwicklungsländern zinsgünstige Kredite für den Aufbau solcher Investitionen zur Verfügung stehen, deren Rentabilität sich nur langfristig rechnet.


Literatur: Lachmann, W., Entwicklungspolitik, Bd. 3, Außenwirtschaftliche Aspekte, München, Wien 1994; Proceedings of the World Bank, Annual Conference on Development Economics 1992; Eaton, J., Sovereign Debt: A Primer, World Bank Economic Review (Mai 1993).

 

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