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Arbeitslosigkeit
I. Begriff: Fehlende Beschäftigungsmöglichkeit für einen Teil der arbeitsfähigen und beim herrschenden Lohnniveau arbeitsbereiten Arbeitnehmer. Ursache ist ein gesamtwirtschaftliches, sektorales oder regionales Beschäftigungsdefizit. Bei stark steigendem Erwerbspersonenpotential kann auch ein Angebotsüberschuß auf dem Arbeitsmarkt ursächlich sein. Voraussetzung für eine Erfassung in der amtlichen Statistik der Bundesanstalt für Arbeit (BA) ist eine Meldung beim Arbeitsamt. Registrierung, Beiträge zur BA und Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung (Arbeitsmarktpolitik) sind Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld oder - bei Bedürftigkeit - Arbeitslosenhilfe (aus Bundesmitteln). Ende 1995 gab es in Deutschland 3,8 Mio. registrierte Arbeitslose, davon 1,1 Mio. im Osten, von denen 3,1 Mio. Leistungen bezogen. Durch die deutsche Vereinigung gingen rd. 4 Mio. Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern verloren: Je ein Viertel der Beschäftigungsverluste seit 1989 ging in A., in den Vorruhestand, in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen oder in den Westen, einschließlich Pendler.
II. Arten: 1. Saisonale Arbeitslosigkeit:Saisonale Arbeitslosigkeit entsteht, wenn Produktion und Nachfrage stark von der Jahreszeit abhängen. Dabei können sowohl biologische, klimatische, verhaltens- und institutionell bedingte Faktoren Unstetigkeiten in der Produktion und der Nachfrage verursachen. Beispiele hierfür sind die Abhängigkeit der Land- und Forstwirtschaft von biologischen Faktoren, des Baugewerbes vom Wetter, bestimmter Dienstleistungen (z. B. Tourismus, Weihnachtsgeschäft) von verhaltensbedingten zeitlichen Nachfrageballungen sowie die Abhängigkeit von institutionellen Faktoren wie Quartalstermin, Schulentlassungstermine und Betriebsferien. - Das Ausmaß saisonaler Arbeitslosigkeit hängt somit zum einen vom Umfang der von ihr betroffenen Branchen, zum anderen aber auch davon ab, inwieweit es gelingt, durch den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente (z. B. Wintergeld und Winterausfallgeld) das Entstehen saisonaler Arbeitslosigkeit zu verhindern oder bei eingetretener Arbeitslosigkeit durch Vermittlungsaktivitäten befristete Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Branchen zu erschließen. Insgesamt ist die saisonale Arbeitslosigkeit eher kurzzeitiger Natur, so daß ihr "Schweregrad" eher gering ist. - 2. Friktionelle Arbeitslosigkeit: Die friktionelle Arbeitslosigkeit hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen ergibt sie sich aus den in entwickelten Industriegesellschaften häufigen Arbeitsplatzwechselvorgängen (Fluktuation), wenn Beendigung der alten und Beginn der neuen Tätigkeit zeitlich auseinander fallen. Die Beurteilung des "Schweregrades" der friktionellen Arbeitslosigkeit hängt davon ab, von welcher Seite des Arbeitsmarktes der Anstoß zum Arbeitsplatzwechsel ausging. Der zweite Faktor, der das Ausmaß der friktionellen Arbeitslosigkeit bestimmt, ist die Suchdauer. Informationen über den neuen Arbeitsplatz, Bewerbungen, Vorstellungen, Eignungstests, ggfs. Wohnortwechsel erfordern Zeit und führen dadurch zu einer sog. "Sucharbeitslosigkeit". Diese kann u. U. noch durch eine sog. "Mismatch-Arbeitslosigkeit" verstärkt werden, wenn es aufgrund von objektiven, subjektiven oder organisatorisch-institutionellen Faktoren bei den an der Vermittlung beteiligten Gruppen zu verlängerter Arbeitslosigkeit kommt. - Das Ausmaß der friktionellen Arbeitslosigkeit wird also insgesamt durch den Umfang der Fluktuation und den Zeitbedarf zwischen der Aufgabe des alten und der Annahme des neuen Arbeitsplatzes bestimmt. Würde man hypothetisch einmal davon ausgehen, daß für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz ein Zeitbedarf von einem Monat erforderlich ist, so ergäbe sich bei gegenwärtig rd. 6 Millionen Arbeitslosmeldungen im Jahr eine durchschnittliche friktionelle Arbeitslosigkeit von 6 Mio. mal 1/12 = 0,5 Millionen. Dies würde bei einem Bestand von 3,5 Millionen Arbeitslosen einem Anteil von etwa 15% entsprechen. - 3. Niveau-Arbeitslosigkeit: Unter Niveau-Arbeitslosigkeit kann man diejenige Arbeitslosigkeit verstehen, die durch die Differenz im Niveau von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entsteht und auf einen Mangel an Arbeitsplätzen im technischen Sinn oder einen Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Sie verteilt sich weitgehend gleichmäßig auf die verschiedenen Sektoren, Regionen und Berufsgruppen. Zur Erklärung der niveaubedingten Arbeitslosigkeit stehen sich zwei Theorien kontrovers gegenüber: Auf der einen Seite befinden sich die Keynesianer (Fiskalisten), die die Ursache für diese Arbeitslosigkeit in einem allgemeinen Nachfragemangel auf den Gütermärkten sehen. Dieser kann wiederum zum einen in einem konjunkturellen Rückgang der einzelnen Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, also des Bruttoinlandsproduktes (C + I + ASt + Ex-Im), begründet und damit vorübergehend sein (konjunkturelle Arbeitslosigkeit). Zum anderen kann die Gesamtnachfrage auf dem Gütermarkt aber auch durch längerfristige Nachfragedefizite gekennzeichnet sein (wachstumsdefizitäre Arbeitslosigkeit), deren Ursachen z. B. in einem anhaltenden Anstieg der Sparquote oder einer bei abnehmenden Produktinnovation zunehmenden Marktsättigung liegen können. Auf der anderen Seite stehen die Neoklassiker (Monetarismus), die die niveaubedingte Arbeitslosigkeit allein darauf zurückführen, daß der bestehende Reallohn höher als der Vollbeschäftigungs-Reallohn ist mit der Folge eines Angebotsüberhanges auf dem Arbeitsmarkt. Die Ursachen für diese sog. klassische Arbeitslosigkeitliegen daher nach diesen Vorstellungen in einem zu hohen und zu inflexiblen Lohnniveau bzw. allgemein in zu ungünstigen Produktions- und Investitionsbedingungen. Der Schlüssel für die Bekämpfung der niveaubedingten Arbeitslosigkeit liegt nach keynesianischer Auffassung insbes. bei der Regierung und der von ihr unabhängigen Bundesbank, die mit ihren fiskal- und geldpolitischen Instrumenten die Voraussetzungen für einen kurz- bzw. längerfristigen Anstieg von Produktion und Beschäftigung schaffen können. Nach Auffassung der Neoklassiker fällt dagegen den Tarifparteien die entscheidende Rolle bei der Realisierung eines vollbeschäftigungskonformen Reallohnniveaus zu. - 4. Struktur-Arbeitslosigkeit: Strukturelle Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt deshalb nicht zusammenpassen, weil beide Seiten des Arbeitsmarktes bezüglich vermittlungsrelevanter Merkmale wie z. B. Alter, Qualifikation, Gesundheit unterschiedlich zusammengesetzt ("strukturiert") sind. Für die Höhe der strukturellen Arbeitslosigkeit ist demnach maßgebend, wodurch und in welchem Tempo sich die Struktur der Arbeitskräftenachfrage und des Arbeitskräfteangebots auseinanderentwickeln. Für die Veränderung der Struktur der Nachfrage nach Arbeitskräften sind insbes. folgende Faktoren maßgebend: die Verschiebung der Struktur der Güternachfrage und der technische Fortschritt. - Die Struktur der Güternachfrage verändert sich insbes. in sektoraler Hinsicht. In der sog. "Drei-Sektoren-Hypothese" wird der in der Vergangenheit beobachtete Strukturwandel dahingehend interpretiert, daß auch in Zukunft die Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteile des primären Sektors (Land-und Forstwirtschaft) sowie des sekundären Sektors (Verarbeitendes Gewerbe) abnehmen und die entsprechenden Anteile des tertiären Sektors zunehmen. Hauptkomponenten für die Güternachfrageänderung sind der Konsum der privaten Haushalte sowie die Ausgaben des Staates. Ursachen für die Veränderung der staatlichen Ausgaben liegen im politischen Bereich: Beispiele hierfür sind Verlagerungen von Ausgaben vom Verteidigungs- und Verkehrsbereich in den Umweltschutz und den Wohnungsbau. Eine Ursache für die Veränderung der privaten Konsumausgaben liegt im Anstieg des verfügbaren Einkommens und den unterschiedlich hohen Einkommenselastizitäten der Konsumgüternachfrage. Eine unterdurchschnittliche Elastizität wird z. B. für Massenprodukte aus dem Nahrungsmittelbereich sowie dem Textilbereich angenommen; eine überdurchschnittliche Elastizität liegt dagegen bei neuen Produkten und Dienstleistungen vor. Eine weitere Ursache für den Strukturwandel in der Güternachfrage resultiert aus der Globalisierung der Wirtschaft und der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung. Dieser führt zu einem ständig zunehmenden Warenaustausch zwischen den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern. Aufgrund der unterschiedlich hohen Kosten für die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital kommt es zu einer Verlagerung der Produktion arbeitsintensiver Produkte in Länder mit niedrigem Lohnniveau, also den Entwicklungs- und Schwellenländern, während sich die Industrieländer verstärkt auf kapitalintensive Produkte konzentrieren, die wiederum einen verstärkten Einsatz von qualifizierten Arbeitskräften erforderlich machen. Mit dieser Strukturänderung der Güternachfrage ändert sich somit insbes. in der Bundesrep. D. die Qualifikationsstruktur der Arbeitskräftenachfrage: Die Nachfrage nach un- und angelernten Arbeitskräften sinkt, die nach qualifizierten und hochqualifizierten steigt. - Der technische Fortschritt verändert die Nachfrage nach Arbeitskräften auf doppelte Weise: Zum einen führt er über Produktinnovationen zu neuen Gütern und steigender Güternachfrage. Zum anderen trägt er über Prozeßinnovationen zu einer unterschiedlich starken Beschleunigung der Arbeitsproduktivität bei. Den Strukturwandel in der Arbeitskräftenachfrage gewinnen daher diejenigen Branchen, in denen die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aufgrund von Produktinnovationen und hoher Einkommenselastizität besonders rasch expandiert, Prozeßinnovationen aber relativ langsam durchgesetzt werden, so daß die Arbeitsproduktivität unterdurchschnittlich stark ansteigt. - Verzögerungen in der gegenseitigen Anpassung der Angebots- und der Nachfragestrukturen werden durch die Strukturanalysen der Arbeitslosen und offenen Stellen belegt. Die Streuung der Arbeitslosenquoten bei wichtigen Strukturmerkmalen (z. B. Region, Qualifikation, Beruf) ist ein Maß für die "Segmentierung" des Arbeitsmarktes und damit für die Höhe der strukturellen Arbeitslosigkeit. Hohe Arbeitslosigkeit und Überbeschäftigung existieren also auf den segmentierten Arbeitsmärkten gleichzeitig. Dies erfordert einen verstärkten und differenzierten Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Der Handlungsbedarf der Arbeitsmarktpolitik besteht dabei zunächst darin, die Ursachen für die starke Segmentierung aufzuspüren. Diese können z. B. in einer zu geringen regionalen und/oder beruflichen Mobilität der Arbeitnehmer oder in einer zu geringen Substitutionsbereitschaft der Arbeitgeber liegen. Ein weiterer Grund könnte in zu wenig differenzierten Lohnstrukturen zwischen den Arbeitsmarktsegmenten bestehen. Die gravierendste Folge von Arbeitsmarktsegmentierung ist die Langzeit-Arbeitslosigkeit bei bestimmten Personengruppen. Die Bekämpfung der Langzeit-Arbeitslosigkeit stellt daher eine besondere Herausforderung für die Arbeitsmarktpolitik dar.
III. Kosten: Durch die direkten Zahlungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie durch die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung der Leistungsempfänger entstehen die direkten Kosten der Arbeitslosigkeit Auch Arbeitslose ohne Leistungsansprüche verursachen Ausgaben für Sozialhilfe und Wohngeld. Zu diesen direkten Kosten werden die Ausfälle an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen gerechnet, die durch die Nicht-Arbeit von Arbeitslosen entstehen. Zusammengenommen erreichten die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit 1994 etwa 135 Mrd. DM. Im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik werden die durchschnittlichen Kosten pro Arbeitslosen und Monat als Lohnzuschuß angeboten.
IV. Sozialrecht: Stand der Arbeitslosen, die berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig sind, aber vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausüben, auch wenn sie Auszubildende oder Heimarbeiter sind. Arbeitslosigkeit ist Leistungsvoraussetzung für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
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