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Monetarismus

I. Begriff und Einordnung: Lehre, die insbes. aus der Kritik der geldtheoretischen Vorstellung der Keynesschen Lehre und der keynesianischen Positionen entstanden ist. Der Monetarismus kann insoweit als moderne Version der Quantitätstheorie betrachtet werden, die die Trennung vom geld- und güterwirtschaftlichen Bereich aufhebt. Neben geldtheoretischen Aussagen macht der Monetarismus aber auch solche zur Einkommens- und Beschäftigungstheorie, zur Verteilungstheorie etc. Er ist also mehr als reine Neo-Quantitätstheorie und stellt ein geschlossenes wirtschaftstheoretisches System dar, das den Anspruch erhebt, eine bessere Erklärung der ökonomischen Realität anzubieten als der Keynesianismus ("monetaristische Gegenrevolution"). Für den Monetarismus gilt - wie für andere Lehrmeinungen auch -, daß keine völlige Übereinstimmung hinsichtlich der inhaltlichen Abgrenzung existiert. - Die bekanntesten Vertreter des traditionellen Monetarismus sind Monetarismus Friedman und K. Brunner.
II. Inhalt: 1. Der Monetarismus knüpft an die Gleichgewichts- und Harmonieidee von Klassik und Neoklassik an. Ein grundlegendes Postulat des Monetarismus ist die Annahme der relativen Stabilität des privaten Sektors. Damit ist gemeint, daß das marktwirtschaftliche System bei flexiblen Preisen zu einem stabilen Gleichgewicht tendiert. Es wird also unterstellt, daß in der Realität ein Walras-Gleichgewicht existiert (Neoklassik II). Darüber hinaus wird angenommen, daß die Dynamik des privaten Sektors stabil ist, exogene Schocks also absorbiert und in eine stabilisierende Bewegung umgeformt werden. - 2. Unterscheidung: a) Die naive Quantitätstheorie behauptete einen strikt proportionalen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau. Sie greift dabei auf die Quantitätsgleichung zurück, die in der Einkommensform
lautet (M = Geldmenge, v = Umlaufgeschwindigkeit, p = Preisniveau, Y = Realeinkommen). Die naive Quantitätstheorie postulierte, daß das Realeinkommen unabhängig von monetären Größen im realen Bereich der Volkswirtschaft bestimmt wird (klassische Dichotomie) und die Umlaufgeschwindigkeit eine institutionell gegebene, konstante Größe sei. Treffen diese Hypothesen zu, dann gilt in der Tat eine streng proportionale Beziehung zwischen M und p. Die Hypothese einer konstanten Umlaufgeschwindigkeit basiert in der naiven Quantitätstheorie auf der Vermutung, daß Geld nur aus Transaktionsgründen gehalten wird. Diese Sicht wurde durch die Keynessche Geldtheorie widerlegt. - b) Die Neoquantitätstheorie hingegen begreift die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes als vom Geldnachfrageverhalten bestimmt. Sie geht davon aus, daß Geld eine von mehreren Vermögensformen ist und mit den übrigen in Substitutsbeziehungen steht. Die Portfoliozusammensetzung wird durch die Ertragsraten der einzelnen Vermögensarten bestimmt. Neben der Höhe des Gesamtvermögens und den Präferenzen der Geldnachfrager beeinflussen folglich auch die verschiedenen Ertragsraten das Ausmaß der Geldnachfrage. Unter bestimmten Annahmen kann man zeigen, daß die gleichen Argumente die Umlaufgeschwindigkeit beeinflussen. Aufgrund empirischer Untersuchungen vermuten die Monetaristen, daß die Geldnachfrage und damit die Umlaufgeschwindigkeit weitgehend zinsunelastisch ist, zumindest aber eine stabile Funktion der oben aufgeführten Argumente ist. - 3. Eine Steuerung der Geldmenge erlaubt es unter diesen Umständen den geldpolitischen Instanzen, das Nominaleinkommen zu beeinflussen. Die Zentralbank kann jedoch nicht die Geldmenge direkt steuern, da diese Größe auch vom Verhalten der Geschäftsbanken und des Publikums abhängt. Als primärer Ansatzpunkt der Geldmengensteuerung werden daher die von der Zentralbank kontrollierbaren Konzepte der Zentralbankgeldmenge bzw. der monetären Basis angesehen. Die Verbindung zwischen monetärer Basis und Geldmenge wird durch den Geldangebotsmultiplikator (Geldmengenmultiplikator) hergestellt. Da die Monetaristen davon ausgehen, daß der Geldangebotsmultiplikator durch den Einfluß der Zentralbank dominiert wird, ergibt sich die Vermutung einer Kontrollierbarkeit der Geldmenge. - 4. Der von Keynes entwickelte kredittheoretische Transmissionsmechanismus wird von den Monetaristen als zu eng angesehen und durch einen vermögenstheoretisch orientierten Transmissionsmechanismus der relativen Preise ersetzt. Bei dieser Sicht werden im Prinzip Substitutionsbeziehungen zwischen allen Aktiva vermutet, so daß eine Störung des Portfoliogleichgewichts - etwa durch eine Erhöhung der Geldmenge - zu Anpassungsvorgängen bei sämtlichen Aktiva führt. In der Lehrbuchdarstellung des monetaristischen Transmissionsmechanismus treten nominale und reale Effekte nebeneinander auf. Außer den expansiven Effekten werden auch kontraktive Rückkopplungseffekte gesehen. - 5. Aus der Analyse des Transmissionsmechanismus läßt sich nicht ohne weiteres ersehen, inwieweit reale Effekte auftreten, die auch dauerhaft wirken. Die Monetaristen gehen jedoch davon aus, daß eine einmalige Erhöhung des Geldmengenwachstums nur vorübergehend reale Effekte auf Produktion und Beschäftigung hat (Temporaritätsannahme). Langfristig führt die höhere Wachstumsrate der Geldmenge lediglich zu einer erhöhten Inflationsrate. Dies wird folgendermaßen begründet: Ausgangspunkt sei ein Wachstumsgleichgewicht. Die bei diesem Gleichgewicht herrschende Unterbeschäftigung wird von den Monetaristen als naürlich bezeichnet, weil davon ausgegangen wird, daß diese der eines walrasschen Gleichgewichts entspricht, falls Marktunvollkommenheiten (unvollkommener Markt), unvollständige Informationen etc. berücksichtigt werden. Durch eine einmalige monetäre Akzeleration kommt es via Transmissionsmechanismus zu Portfolioumstrukturierungen, die nach monetaristischer Auffassung zunächst reale Effekte haben. Die Outputerhöhung wird mit einer (wohlfahrtsvermindernden) Verkürzung der Sucharbeitslosigkeit erklärt, bei der die Arbeitnehmer einer Lohnillusion erliegen, weil sie die Preissteigerungsraten falsch antizipieren. Im Laufe der Zeit erfolgt eine Erwartungsanpassung, in deren Verlauf die Arbeitnehmer merken, daß ihre Reallöhne weniger stark gestiegen sind als erwartet. Demzufolge dehnen sie ihre Suchzeit wieder aus. Im Endeffekt hat die Arbeitslosigkeit ihren alten "natürlichen" Stand erreicht, und das reale Wachstum entspricht wieder der ursprünglichen Rate. Die Lücke zwischen höherer Wachstumsrate der Geldmenge und der wieder auf dem alten Stand befindlichen Wachstumsrate der Produktion wird durch eine erhöhte, aber voll antizipierte Preissteigerungsrate geschlossen. Eine dauerhafte Erhöhung der Beschäftigung läßt sich nach dieser Auffassung nur durch eine permanente Akzeleration des Geldmengenwachstums erreichen (Akzelerationstheorem). Die Phillips-Kurve hat aus dieser Sicht nur kurzfristig eine negative Steigung, langfristig verläuft sie senkrecht. - 6. Damit stimmen die Aussagen des Monetarismus in der langen Frist mit denen der naiven Quantitätstheorie überein. Das Wachstum der realen Produktion wird ausschließlich durch reale Faktoren bestimmt. Im Gegensatz zum Keynesianismus wird der fiscal policy im Vergleich zur Geldpolitik keine große Wirksamkeit unterstellt (Dominanz der monetären Entwicklung). Falls die fiskalpolitischen Maßnahmen über Steuern oder Kredite beim Publikum finanziert werden, kommt es nach monetaristischer Auffassung in großem Umfang zur Verdrängung privater Ausgaben (crowding out), die im Extremfall vollständig sein kann. Werden die Ausgaben über Geldschöpfung finanziert, dann liegt in Wirklichkeit keine Fiskal-, sondern Geldpolitik vor. Aber auch die Geldpolitik hat nur vorrübergehende reale Wirkungen. Zudem sind ihre Wirkungen weder im Umfang noch hinsichtlich des Zeitpunktes genau absehbar. - 7. In der Realität zu beobachtende Wachstums- und Konjunkturzyklen werden auf exogene Störungen des ökonomischen Systems zurückgeführt. Dabei handelt es sich um nicht vorhersehbare Ereignisse, wie den Erdölpreisanstieg 1974/75. Nach monetaristischer Auffassung werden solche Schocks durch den Einsatz diskretionärer Geldpolitik und Fiskalpolitik verstärkt. Z. T. wird diese Politik auch als eigenständige Ursache für ökonomische Fehlentwicklungen angesehen. Begründet wird diese Auffassung mit dem Auftreten von zeitlichen Verzögerungen (lags), die zu prozyklischen Wirkungen antizyklisch gemeinter Maßnahmen führen können.
III. Wirtschaftspolitische Konsequenzen: 1. Aus den monetaristischen Positionen ergibt sich die Forderung nach dem Verzicht auf jede diskretionäre Konjunktur- oder Beschäftigungspolitik (Vgl. auch Konjunkturpolitik 2 c.). Wird in der Ausgangslage eine bestimmte Höhe der Unterbeschäftigung diagnostiziert, so läßt sich nicht ohne weiteres feststellen, ob diese unfreiwilliger Natur ist. Nach monetaristischer Auffassung ist der allergrößte Teil der statistisch gemessenen Arbeitslosigkeit freiwillig und beruht auf falschen Reallohnvorstellungen, Informationsmängeln und "Marktstörungen", wie etwa der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe. Insoweit die beobachtete Arbeitslosigkeit freiwilliger Natur ist, läßt sich durch beschäftigungspolitische Maßnahmen nur eine vorübergehende Minderung der Arbeitslosenquote erreichen, und zwar nur, solange die Marktteilnehmer in ihren Erwartungen getäuscht werden. Sobald sich die Erwartungen vollständig angepaßt haben, wird sich auch die ursprüngliche Unterbeschäftigung wieder einstellen. Beschäftigungspolitische Maßnahmen sind in diesem Fall auf Dauer gesehen nicht nur unwirksam, sondern sie wirken auch wohlfahrtsmindernd, weil sie nur durch Täuschung und gegen die Präferenzen der Betroffenen durchgeführt werden können. - 2. Sollte die Arbeitslosigkeit jedoch tatsächlich unfreiwillig sein, dann führen diskretionäre beschäftigungspolitische Maßnahmen tendenziell zu einer Verschlechterung der Situation, weil das Marktsystem schneller zum Gleichgewicht zurückfindet, wenn es sich selbst überlassen bleibt. Daher wird empfohlen, lediglich eine kontinuierliche trendorientierte Geldmengenpolitik zu betreiben, die für die monetäre Alimentierung des realen Wachstums sorgt. Eine solche Politik, die die Ankündigung des Geldmengenziels impliziert, sorgt für die Verstetigung der Erwartungen und die Stabilisierung des Preisniveaus. - 3. Das Ziel der Preisniveaustabilität genießt deswegen Vorrang, weil diese als Voraussetzung für das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesses angesehen wird. - 4. Das Beschäftigungsziel wird von selbst erreicht, wenn dem freien Spiel des Marktes Raum geschaffen wird. - 5. Von Bedeutung sind daher auch Ordnungs- und Wettbewerbspolitik, die dafür zu sorgen haben, daß die Unvollkommenheiten des Marktsystems beseitigt werden. Verkürzt heißt dies, daß der staatliche Bereich minimiert werden soll. Die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse sind zu reprivatisieren, damit sie wieder durch den Markt reguliert werden können. Der Staat wird im wesentlichen auf ordnungspolitische Aufgaben beschränkt. Er sorgt für innere und äußere Sicherheit, setzt Spielregeln für den privaten Wettbewerb, definiert und überwacht Verfügungsrechte und schafft einen monetären Rahmen. Interventionen können beim Vorliegen von externen Effekten angezeigt sein, müssen aber in jedem Einzelfall unter Abwägung der Vor- und Nachteile begründet werden, wobei die Gefährdung der individuellen Freiheit durch den Staatseingriff in jedem Fall auf der Passivseite zu verbuchen ist.
IV. Beurteilung: 1. Von fundamentaler Bedeutung für die monetaristische Analyse ist die Annahme der Stabilität des privaten realen Sektors. Dahinter steht die Vorstellung eines allgemeinen mikroökonomischen Gleichgewichts, dessen Existenz und Stabilität aber nur unter sehr restriktiven Bedingungen abzuleiten sind. Unter realistischeren Annahmen, wie der Aufgabe der Hypothese vollkommener Voraussicht, ist bislang weder der Existenz- noch der Stabilitätsbeweis gelungen. Es erscheint sehr fragwürdig, den Harmonie- und Gleichgewichtsgedanken als Basis einer ökonomischen Analyse zu wählen, solange in der Realität Preisinflexibilitäten, Mengenungleichgewichte, Konzentration, ungleiche Startchancen und gesellschaftliche Dauerkonflikte bestehen, wie Verteilungskonflikte und Kontroversen bzgl. der Höhe von Staatsquoten, des Umweltstandards, akzeptabler Produktions- und Arbeitsbedingungen. Die Existenz eines umfassenden ökonomischen und gesellschaftlichen Gleichgewichts muß daher als höchst unwahrscheinlich bezeichnet werden. Selbst wenn ein solches Gleichgewicht existiert und stabil ist, bleibt zu klären, ob die Stabilisierungstendenzen hinreichend schnell wirken. Auch Friedman geht davon aus, daß geldpolitische Maßnahmen für eine Zeit von bis zu zehn Jahren reale Wirkungen zeigen können und erst in noch größeren Zeiträumen damit zu rechnen ist, daß das System zum Gleichgewicht zurückfindet, die Geldpolitik sich also ausschließlich in einer Veränderung der Inflationsrate niederschlägt. Darüber hinaus ist bekannt, daß der Preismechanismus in vielen Fällen durch das Vorhandensein von Monopolen und Oligopolen gestört ist. - 2. Die monetaristische Analyse von Geldnachfrage und Transmissionsmechanismus hat sehr fördernd auf die ökonomische Forschung in diesen Bereichen gewirkt. Eine gegenüber der herkömmlichen keynesianischen Analyse erweiterte Betrachtung der "Kredittheorie" macht jedoch deutlich, daß auch die prinzipiell kredittheoretische Konzeption die Elemente der Vermögenstheorie enthält. In mittel- bis langfristiger Sicht sind ohne weitere Annahmen noch keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Keynesscher und monetaristischer Position auszumachen. - 3. Zur Untermauerung der Hypothese eines exogenen Geldangebots wurden von monetaristischen Ökonomen empirische Studien vorgelegt, die im wesentlichen darauf beruhen, daß aus zeitlichen Abfolgen auf Kausalbeziehungen geschlossen wurde. Kritiker zeigten jedoch, daß die gleichen zeitlichen Abfolgen auch mit der umgekehrten Kausalität vereinbar sind. - 4. Die Berücksichtigung von Informations- und Anpassungskosten stellt ebenfalls unbestreitbar eine wesentliche Bereicherung der ökonomischen Theorie dar. Wenn diese Ansätze aber dazu benutzt werden, um (scheinbare) Ungleichgewichte aller Art zu erklären, verstellen sie den Blick auf reale Probleme, wie sie sich aus Konzentration, Preisrigiditäten und gesellschaftlichen Dauerkonflikten ergeben. Insbes. das Konzept der Sucharbeitslosigkeit birgt die Gefahr in sich, tatsächliche Arbeitsmarktprobleme zu verharmlosen. - 5. Die monetaristische Analyse führte zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Bedeutung von Verdrängungseffekten (crowding-out-Effekte). Auch dies stellt eine Bereicherung der Diskussion dar. Im Ergebnis wurde die Hypothese eines vollständigen crowding-out aber überwiegend abgelehnt, zumal wenn sich die Wirtschaft in einer Unterbeschäftigungssituation befindet. - 6. Heute sind auch keynesianisch orientierte Ökonomen hinsichtlich des Problems von zeitlichen Verzögerungen (lags) bei geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen skeptischer geworden. Die Vermutung, daß antizyklisch gemeinte Maßnahmen prozyklisch wirken, muß jedoch als extrem bezeichnet werden. Die Konsequenz aus dem Auftreten von lags muß nicht der generelle Verzicht auf konjunkturpolitische Maßnahmen sein, sondern kann auch in einer sorgfältigeren Mittelwahl und einer präziseren zeitlichen und quantitativen Dosierung bestehen. - 7. Schließlich ist festzuhalten, daß der monetaristische Glaube an die Selbststabilisierung des Marktsystems, die Tendenz zur Verharmlosung von wirtschaftlichen und sozialen Folgen anhaltender Fehlentwicklungen, die Geringschätzung der Bedeutung von Verteilungsproblemen und negativen externen Effekten nicht wissenschaftlich begründbar ist, sondern durch ein Werturteil eingebracht wird. - 8. Zur weitergehenden Kritik vgl. Keynessche Lehre, Postkeynesianismus.


Literatur: Brunner, K., Eine Neuformulierung der Quantitätstheorie des Geldes - Die Theorie der relativen Preise, des Geldes, des Output und der Beschäftigung, Kredit und Kapital 3 (1970), S. 1 ff.; Friedman, M., Die optimale Geldmenge und andere Essays, München 1970; Kalmbach, P., Der Neue Monetarismus, München 1973; Schröder, W., Theoretische Grundstrukturen des Monetarismus, Baden-Baden 1978.

 

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