Wirtschaftslexikon - Enzyklopädie der Wirtschaft
lexikon betriebswirtschaft Wirtschaftslexikon lexikon wirtschaft Wirtschaftslexikon Suche im Wirtschaftslexikon
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
 
 
 

Geldtheorie

I. Abgrenzung: Geldtheorie wurde lange Zeit vornehmlich verstanden als Theorie des Wesens und des Wertes von Geld. Die makroökonomische Analyse der Bestimmungsgründe des Geldwerts setzt eine Theorie der Geldnachfrage und eine Theorie des Geldangebots voraus. Sie läßt sich aber nicht trennen von der Analyse der kürzerfristigen Wirkungen von Veränderungen der Geldmenge auf reale Größen, wie Reallohn, Realeinkommen und Beschäftigung. Zum Erkenntnisgegenstand moderner makroökonomischer Geldtheorie gehören daher neben der Theorie des Geldwerts auch die Analyse des monetären Transmissionsmechanismus (Kap. II., III.), die Analyse der besonderen Rolle der Erwartungen für vorübergehende reale Wirkungen von Geldpolitik (Kap. III.) sowie die ordungspolitische Frage der Sicherung des Geldwerts im Rahmen der Geldverfassung (Kap. IV.).
II. Theorie des Geldwertes und der Transmission: 1. Der Wert des Geldes ist bestimmt als die Menge an Gütern und Dienstleistungen, die im Austausch gegen eine Geldeinheit erhältlich ist. Als theoretische Kategorie entspricht der Wert des Geldes der Inversen des allgemeinen Preisniveaus P, also 1/P. Das allgemeine Preisniveau wird in der Theorie als ein abstrakter Index der Einzelpreise von Gütern und Dienstleistungen verstanden. In der Realität wird der Binnenwert des Geldes in der Regel durch einen Preisindex des privaten Konsums approximiert, der auf einem bestimmten, von Zeit zu Zeit geänderten Warenkorb beruht (Inflation). - Vgl. auch Kaufkraft. 2. Klassische Neutralität des Geldes: a) Die klassische Quantitätstheorie (Theorie der Geldnachfrage 2.) bildet die grundlegende Theorie des Geldwerts. Danach verhält sich das allgemeine Preisniveau des langfristigen Gleichgewichts proportional zur Geldmenge. Die Quantitätsgleichung in der Einkommensversion, läßt sich additiv schreiben, wenn die Variablen logarithmiert werden (ausgedrückt durch kleine Buchstaben). Werden die langfristigen Gleichgewichtswerte durch Sternchen bezeichnet, so gilt:


b) Erläuterung: Die Quantitätstheorie besagt, daß eine Veränderung der nominalen Geldmenge m die langfristigen Gleichgewichtswerte der Umlaufgeschwindigkeit v* und des Realeinkommens bzw. Outputniveaus y* nicht beeinflußt und daher das langfristige Gleichgewichtspreisniveau p* proportional verändert. Dies ist die Aussage klassischer Neutralität des Geldes. Sie gilt unter der Annahme, daß die nutzenmaximierenden Marktteilnehmer frei von Geldillusion sind, d. h. Veränderungen des Geldwerts korrekt antizipieren. Die Nachfragen und Angebote an sämtlichen Märkten für Güter und Dienstleistungen sind dann ausschließlich abhängig vom realen Vermögen, dem realen Zinsniveau und den relativen Preisen, hier verstanden als Quotient aus absoluten Einzelpreisen und allgemeinem Preisniveau. - Die klassische Neutralitätsaussage gilt für das mittel- bzw. langfristige Gleichgewicht der Volkswirtschaft. Sie unterliegt daher allen makroökonomischen Theorien, die sich nicht auf die kurze Frist beschränken. Dazu steht nicht in Widerspruch, daß Veränderungen der Geldmenge in der kurzen Frist nicht neutral auf den gesamtwirtschaftlichen Prozeß wirken, d. h. relative Preise, wie den Realzinssatz und das Reallohnniveau, sowie reale Nachfrage- und Angebotsmengen an den verschiedenen Märkten vorübergehend beeinflussen.
3. Superneutralität des Geldes: a) Begriff und Abgrenzung: Die klassische Aussage der Neutralität bezieht sich auf Änderungen des Niveaus der Geldmenge, nicht auf Änderungen des Niveaus der permanenten Wachstumsrate der Geldmenge. Dagegen spricht man im Rahmen der Wachstumstheorie von Superneutralität des Geldes, sofern die Wahl einer höheren Wachstumsrate der Geldmenge lediglich eine höhere Inflationsrate und eine geringere Realkassenhaltung induziert, aber das reale Zinsniveau und die Entwicklung von Realkapitalbestand und Output unverändert läßt. - b) Beurteilung: Gegen die Existenz einer Superneutralität des Geldes spricht, daß eine höhere Inflationsrate bei unveränderter Sparquote eine verstärkte Anlage der Ersparnisse in Realkapital induzieren könnte. Für diesen Tobin-Effekt der Inflation gibt es allerdings keinen empirischen Beleg. Andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, daß die höhere Inflationsrate einen Fall der Sparquote bewirkt mit entsprechenden Folgen für die Entwicklung von Realkapitalbestand und Realeinkommen. - Insgesamt ist das Konzept einer Superneutralität des Geldes wenig überzeugend, weil es die realen Kosten von Inflation außer acht läßt, die im Verbrauch zusätzlicher Ressourcen für das Finanzmanagement bestehen.
4. Nichtneutralität der Geldemission: a) Allgemein: Im Rahmen der makroökonomischen Prozeßtheorie wird im allgemeinen die Tatsache negiert, daß Geldmengenänderungen schon deshalb nicht einfach neutral wirken, weil jede Geldemission durch die Zentralbank mit einem Aktivatausch verbunden ist: (1) Geld kommt nicht durch Abwurf von einem Helikopter (helicopter-money; Friedman) oder als Geschenk von Santa Claus (Fisher) in Umlauf. Santa Claus könnte jedem Bürger einen Geldbetrag durch den Schornstein werfen in Höhe eines festen Prozentsatzes seiner bisherigen Kassenhaltung. Würden die Bürger die Quantitätstheorie kennen, so würden sie sich darauf einstellen, daß nach Weihnachten jeder Einzelpreis und das allgemeine Preisniveau um diesen Prozentsatz höher sein werden. Daher träte dies ein, ohne daß es zu besonderen Marktaktivitäten käme. (2) Der Vorgang der Geldemission wirkt in mehrfacher Hinsicht nicht neutral auf den realen Sektor der Volkswirtschaft: Je nachdem, an welchem konkreten Finanzmarkt die Zentralbank als Nachfrager von Aktiva auftritt, können sich unterschiedliche allokative Wirkungen ergeben. Dies ist insbes. dann der Fall, wenn Zentralbank- bzw. Basisgeld (Theorie des Geldangebots 2.) im Rahmen der Gewährung von Refinanzierungskrediten in Umlauf gebracht wird. Die Refinanzierungssätze, wie Diskontsatz oder Reposatz, liegen in der Regel unter dem Marktzinssatz. Es kommt somit zu einer Subventionierung der Geschäftsbanken. Auch die Art der Verwendung des nach Abzug der Kosten verbleibenden Gewinns der Zentralbank durch den Staat kann nicht neutral wirken. - b) Seigniorage (Münzgewinn): Das Monopol der Basisgeldschöpfung sichert dem Staat einen realen Monopolgewinn, der dem privaten Sektor Ressourcen entzieht. Der Begriff des Münzgewinns datiert aus der Zeit, da der Herrscher eines Landes die Differenz zwischen Nominalwert der Münzausgabe und Prägekosten zur Finanzierung seines Haushalts verwandte. Der heute in der Geldtheorie gebräuchliche Begriff der Seigniorage bezieht sich auf die mit dem allgemeinen Preisniveau deflationierten Einnahmen des Staates aus sämtlichen Arten der Basisgeldemission (Münzen, Noten, Einlagen von Geschäftsbanken und privaten Nichtbanken bei der Zentralbank). (1) Formale Darstellung: Die realen Gesamteinnahmen während einer Periode (s) entsprechen dem Produkt von Wachstumsrate der Geldbasis (wB) mit dem Realwert der Geldbasis (B/P) plus Zinseinnahmen auf den Bestand an solchen Aktiva der Zentralbank (AZ), die keine Verschuldung des Staates darstellen (Währungsreserven, Refinanzierungskredite):
Zinseinnahmen auf staatliche Schuldtitel im Besitz der Zentralbank werden mit dem Gewinn dem Staat zurückerstattet, haben daher keine reale Bedeutung; de facto gewährt die Zentralbank dem Staat kostenlos Kredit. (2) Verwendung des Aufkommens an Seigniorage:
Ein Betrag sK dient zur Abdeckung der Kosten der Basisgeldproduktion und der Aufrechterhaltung der Zentralbank, ein Betrag sI wird von der Zentralbank in die Erweiterung ihrer Bestände an Aktiva AZ investiert. Der verbleibende Betrag sS entspricht der Summe von Nettogewinn der Zentralbank und Neuverschuldung der Regierung bei der Zentralbank. Er dient der monetären Finanzierung von Staatsausgaben. (3) Im Rahmen der Geldtheorie wurden stetige Entwicklungspfade (steady states) betrachtet, bei denen der nominale Zinssatz i sich in Höhe der nominalen Wachstumsrate der Volkswirtschaft einstellt. In diesem besonderen Fall entspricht die Investition der Zentralbank in Schuldtitel des privaten Sektors exakt der Verzinsungspflicht des privaten Sektors auf den vorhandenen Aktivabestand. Die verbleibende reale Seignioragelast verkürzt sich daher auf das Produkt aus Wachstumsrate der Geldbasis mit Realwert der Geldbasis. (4) Theorem der aufkommensmaximierenden Inflationsrate: Wird weiter angenommen, daß die Volkswirtschaft real nicht wächst, so reduziert sich die Wachstumsrate der Geldbasis auf die Höhe der Inflationsrate p. Das Aufkommen an Seigniorage verringert sich dann auf die Inflationssteuer (Friedman, 1953).
Sie entspricht dem Produkt von Inflationsrate mit realer Geldbasis (vgl. auch Inflation IV). Es wurde analysiert, für welches Inflationsniveau der Staat sorgen muß, wenn er dem privaten Sektor auf diesem Wege, statt durch offene Besteuerung, möglichst viele Ressourcen entziehen will. Da die makroökonomische Nachfrage nach Basisgeld, ebenso wie die entsprechende Nachfrage nach Geld (Theorie der Geldnachfrage), u. a. negativ vom Nominalzinssatz abhängt und der Nominalzinssatz der Summe von Realzinssatz und erwarteter Inflationsrate entspricht, ist die reale Nachfrage nach Basisgeld eine negative Funktion des Inflationsniveaus. Dies hat zur Folge, daß das reale Aufkommen an Inflationssteuer nicht proportional mit der Inflationsrate steigt. In einem Steueraufkommen-Inflationsraten-Diagramm läßt sich der Zusammenhang in Form einer invertierten U-Kurve darstellen (vgl. Abbildung):
Wird ausgehend von Null die Inflationsrate erhöht, so steigt das Aufkommen an Inflationssteuer zunächst an, jedoch abnehmend, weil für gegebene Realeinkommen mit zunehmendem Inflationsniveau die reale Basisgeldhaltung immer stärker eingeschränkt wird. Das Grenzaufkommen an Inflationssteuer fällt zunehmend mit steigendem Inflationsniveau und wird schließlich negativ. Das maximal erzielbare Aufkommen wird durch Wahl eines Inflationsniveaus erreicht, bei dem die Zinselastizität der Basisgeldnachfrage den Wert 1 erhält. - Die praktische Bedeutung des Beitrags der Inflationssteuer zur Budgetfinanzierung ist im allgemeinen gering.
5. Nichtneutralität in der kurzen Frist: (1) Die klassische Neutralität des Geldes gilt nicht in der kurzen Frist, weil die im Vergleich zu den Finanzaktivamärkten aus verschiedenen Gründen geringere Anpassungsgeschwindigkeit der Güter- und Dienstleistungsmärkte verhindert, daß sich das allgemeine Preisniveau unmittelbar einer Veränderung der Geldmenge anpaßt. (2) Erläuterung: Dieser Grundtatbestand läßt sich im Rahmen der Quantitätstheorie allgemein wie folgt umreißen: kurzfristig gilt für die aktuellen Werte von Preisniveau, Geldmenge, Umlaufgeschwindigkeit und Outputniveau in logarithmischer Darstellung
Durch Abziehen dieser Gleichung von der langfristigen Gleichgewichtsbeziehung erhält man:
Dabei gilt m*-m = 0, weil die von der Zentralbank bestimmte Geldmenge m festgelegt ist und somit zur Gleichgewichtsgeldmenge m* wird. Bei Anhebung der Geldmenge auf ein höheres Niveau paßt sich das laufende allgemeine Preisniveau nicht sofort hinreichend an das Gleichgewichtsniveau p* an. Es entsteht eine positive Preislücke, p* - p, die sich in Form eines Falls der aktuellen Umlaufsgeschwindigkeit unter ihren langfristigen Gleichgewichtswert zeigt, v < v*, und/oder in einem Anstieg des Outputs über das Kapazitätsniveau, y > y*. Der eine wie der andere Effekt bedeutet, daß die Geldmengenänderung kürzerfristig nicht neutral wirkt, d. h. Beziehungen im realen Sektor der Volkswirtschaft verändert. Die Quantitätstheorie impliziert, daß es sich bei dieser Nichtneutralität des Geldes um ein vorübergehendes Phänomen der kürzeren Frist handelt. Aber diese Theorie erklärt nicht, durch welche Marktprozesse es zu einer Rückkehr der Volkswirtschaft zum langfristigen Gleichgewicht kommt. Die Transmission und die spezifischen Charakteristika der Nichtneutralität des Geldes bleiben im dunkeln. - Wie der makroökonomische Prozeß sich in Reaktion auf monetäre Impulse im einzelnen entwickelt, wird von den keynesianischen, monetaristischen und neuklassischen Prozeßtheorien dargestellt (s. u.).
6. Allgemeine Transmissionstheorie der relativen Preise: a) Überblick: Die Transmissionstheorie der relativen Preise erklärt, in welcher Weise monetäre und finanzpolitische Impulse über Vermögensmärkte auf die Wirtschaftsaktivität und das allgemeine Preisniveau übertragen werden. Es handelt sich um eine allgemeine Theorie, die die ursprüngliche Preistheorie neufaßt, indem die Rolle von marktspezifischen Informations- und Anpassungskosten herausgearbeitet und die Anwendung der Preistheorie auch auf Vermögensgüter hervorgehoben wird. Der Grundansatz dieser Theorie vereint Postkeynesianer, wie Tobin (1961), und Monetaristen, wie Brunner (1961). Aber schon bei Keynes (1936) ist der Transmissionsmechanismus der relativen Preise im Ansatz vorhanden, indem monetäre Impulse den Preis des vorhandenen Realkapitals relativ zum Preis für neu zu produzierende Kapitalgüter erhöhen und damit die Investitionsnachfrage anregen. - b) Erläuterung: Ein monetärer Impuls verändert die verfügbare Kassenhaltung und über Substitutionsprozesse die Vermögensstrukturen von Geschäftsbanken und Nichtbanken. In welche Richtung dominant substituiert wird, hängt von den vorhandenen Informationen, den Kosten der Informationsbeschaffung und den Kosten der Änderung einer Vermögensposition ab. Im Rahmen des allgemeinen Ansatzes wird angenommen, daß die Grenzkosten der Information und ebenso die Grenzkosten der Anpassung am geringsten sind für Kassenhaltung, höher für Wertpapiere, wiederum höher für Bankkredite, am höchsten für Realkapitalhaltung. Ein wesentlicher qualitativer Sprung in dieser Hinsicht besteht zwischen Wertpapieren und Bankkrediten: Anleihen sind standardisierte Schuldinstrumente, deren Schuldner relativ gut bekannt sind; zugleich handelt es sich um fungible Kredite, die kurzfristig zu geringen Transaktionskosten im Markt weitergegeben werden können. Bankkredite andererseits sind mit hohen Informationskosten hinsichtlich der Güte des Schuldners und der Erfolgswahrscheinlichkeit der finanzierten Investition verbunden. - c) Transmissionsskizze: Eine Senkung des Mindestreservesatzes setzt Reserven frei, die von den Banken zur Ausweitung ihres Aktivgeschäftes verwendet werden können. Es entsteht ein expansiver monetärer Impuls. Er wird nach der Theorie der relativen Preise auf die Wirtschaftsaktivität tendenziell wie folgt übertragen: (1) Die Banken beginnen zunächst damit, Wertpapiere vom Publikum zu kaufen. Die Kurse der Papiere beginnen zu steigen, die Rendite festverzinslicher Anleihen fällt. Durch die Abgabe von Wertpapieren ist die Kassenhaltung des Publikums auch relativ zur Realkapitalhaltung und den Verbindlichkeiten aus Kreditaufnahme gestiegen. Das Publikum wird daher partiell seine Verschuldung abbauen, aber auch vermehrt Aktien, die vorhandenes Realkapital verbriefen, nachfragen, weil deren relativer Preis gegenüber festverzinslichen Wertpapieren gesunken ist. (2) Die Banken andererseits werden im zweiten Schritt dazu übergehen, auch Bankkredit, dessen Zinssatz zunächst unverändert ist, vermehrt anzubieten. Bei gleichzeitigem Rückgang der Kreditnachfrage fällt der Kreditzins. Der allgemeinen Zinssenkung entspricht ein Steigen der Preise der Vermögensaktiva, das durch Reoptimierung der Portfolios von Wertpapieren auf alle Arten von vorhandenem Realkapital übertragen wird. Bei unverändertem Ouputpreisniveau bedeutet der Preisanstieg für Vermögensaktiva einen realen Vermögensgewinn. Daher kommt es zu einer Belebung der dauerhaften Konsumnachfrage. Zugleich beginnt die Investitionsnachfrage zu steigen, weil bei unverändertem Preis für neue Kapitalgüter deren relativer Preis gegenüber vorhandenem Realkapital gesunken ist. Damit hat der monetäre Impuls die Gesamtnachfrage erreicht und wird produktionswirksam. - d) In der modernen Makrotheorie ist die Transmission monetärer Impulse damit nicht abgeschlossen. Sie wirkt weiter, indem die verbesserte Konjunktur dazu führt, daß die Nichtbanken ihre Erwartungen über längerfristige Erträge revidieren, ihre Investitionsnachfrage verstärken und zur Finanzierung sowohl Wertpapiere verkaufen als auch sich stärker bei den Banken verschulden. Damit kommt es zu einer Umkehr, die Zinsen an den Anleihemärkten und nachfolgend an den Kreditmärkten beginnen wieder zu steigen. Die vom monetären Impuls anfänglich bewirkte Realzinssenkung wird wieder rückgängig gemacht. - e) Empirische Untersuchungen über die zeitliche Abfolge von Änderungen der Geldmenge, der realen Konjunktur und des Bankkreditvolumens zeigen im Einklang mit dem skizzierten Ablauf der Transmission, daß die Konjunktur in der Regel dem Kreditvolumen vorausläuft.
III. Makroökonomische Theorie der Nichtneutralität des Geldes : 1. Keynes Betonung der kurzen Frist: a) Keynes revolutionierte die makroökonomischen Theorie, indem er die lange Frist und damit die klassische Neutralität des Geldes aus dem Blickfeld schob und die kurze Frist zur entscheidenden Perspektive für die Theorie wie die wirtschaftspolitische Praxis erklärte. Die empirische Beobachtung relativ träge reagierender Nominallöhne veranlaßte ihn, eine makroökonomische Analyse der kurzen Frist zu entwerfen, in der das allgemeine Preisniveau vereinfachend als konstant angenommen wurde. Dies für sich genommen, bedeutete analytisch, der Nichtneutralität des Geldes die größtmöglichen Wirkungsmöglichkeiten zu eröffnen. - b) Geld- versus Finanzpolitik: Aber Keynes hielt die prinzipiellen Wirkungen von Geldpolitik für empirisch unbedeutend. Unter dem Eindruck der Großen Depression kam er zu der Überzeugung, daß eine Volkswirtschaft in ein Gleichgewicht dauerhafter Unterbeschäftigung geraten kann (sog. keynesianische Arbeitslosigkeit), das sich entgegen den Vorstellungen der klassischen Ökonomik auch langfristig nicht von allein auflösen wird. Maßgeblich für diese Einschätzung war, daß der stabilisierenden Wirkung des Vermögens im Rahmen der Konsumfunktion kein Raum gegeben wurde. Keynes zentrale Botschaft lautete, daß der Zustand der Unterbeschäftigung nur verlassen werden kann, wenn die aggregierte Gesamtnachfrage durch expansive Maßnahmen der staatlichen Finanzpolitik dauerhaft ausgeweitet wird. Die Alternative einer Expansion der Geldmenge versprach dagegen keinen nennenswerten Erfolg. - c) Liquiditätsfalle: Diese Einschätzung folgte aus Keynes spezieller Formulierung der Geldnachfragefunktion (Theorie der Geldnachfrage). Mit fallendem Zinsniveau nimmt die Zinselastizität der Geldnachfrage numerisch zu. Die zunehmende Liquiditätspräferenz kann im Unterbeschäftigungsgleichgewicht schließlich sogar absolut werden. Eine Ausweitung der Geldmenge bewirkt dann keine weitere Zinssenkung, lediglich eine passive Vergrößerung der Kassenhaltung. In diesem extremen Zustand des Finanzsektors der Volkswirtschaft einer Liquiditätsfalle wird die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes in dem Maße sinken, wie die Geldmenge ausgeweitet wird. Eine anregende Wirkung auf den realen Sektor der Volkswirtschaft kann nicht entstehen.
2. Keynesianische Theorie der kurzen Frist: a) Im Rahmen des keynesianischen Einkommen-Ausgaben-Ansatzes werden monetäre Impulse durch den Zinsmechanismus übertragen. Der Ansatz verbindet eine einfache Formulierung des Walrasianischen Geldmarkts mit der aggregierten Gesamtnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Im Unterschied zu einem Interbankengeldmarkt, an dem sich Geschäftsbanken gegenseitig kurzfristigen Kredit gewähren, handelt es sich beim Walrasianischen Geldmarkt um einen makroökonomischen Markt, an dem das Bestandsangebot an Geld M und die mit L bezeichnete Geldnachfrage der Nichtbanken aufeinandertreffen. Es gilt:
mit L1 > 0 > L2. L1 bezeichnet die Ableitung der Geldnachfragefunktion nach dem Realeinkommen y, L2 die Ableitung nach dem Zinssatz r. Die Funktion der aggregierten Gesamtnachfrage yN lautet:
mit i1 < 0 < c1. Da das allgemeine Preisniveau als Konstante behandelt wird, sind sämtliche Variablen real definiert. c1 bezeichnet die positive Ableitung der Konsumnachfrage c nach dem Realeinkommen y, i1 bezeichnet die negative Ableitung der Investitionsnachfrage i nach dem Zinssatz r. Schließlich gibt g die Staatsnachfrage an. - b) Erläuterung: Während Keynes vermutete, daß die zinsvermittelten Wirkungen von Änderungen der Geldmenge auf die Gesamtnachfrage gering sind, spitzten die Keynesianer diese empirische Einschätzung zu: Money does not matter wurde zu einem Leitsatz. - Gründe: (1) Maßgeblich dafür war zum einen, daß die Keynesianer anders als Keynes den besonderen Zustand der Liquiditätsfalle, L2 —> –, nicht als einen seltenen Grenzfall ansahen. (2) Vor allem aber gaben sie dem Zinsmechanismus eine neue Interpretation. Während bei Keynes die negative Abhängigkeit der Investitionsnachfrage vom realen Zinssatz den Einfluß des relativen Preises von neuproduziertem zu vorhandenem Realkapital spiegelt und damit potentiell sehr wirksam ist, verengten die Keynesianer die Interpretation der Zinsabhängigkeit zu einer Abhängigkeit der Investitionsnachfrage von der Höhe der Kreditkosten. Da Befragungen von Unternehmen ergaben, daß Kreditkosten im Rahmen von Investitionsplanungen eine untergeordnete Bedeutung spielen, lag die Schlußfolgerung nahe, daß eine geldpolitisch bewirkte Zinssenkung die aggregierte Gesamtnachfrage wenig beeinflussen würde, zumal auch die Konsumnachfrage als praktisch zinsunabhängig angesehen wurde. Von einer schuldfinanzierten Ausweitung der Nachfrage des Staates g, andererseits, konnten erhebliche multiplikative Wirkungen auf die Gesamtnachfrage und Beschäftigung erwartet werden. - c) Entwicklung: Diese einfache Analyse der kurzen Frist dominierte bis Ende der sechziger Jahre. Zwar geriet die Vorstellung einer Liquiditätsfalle allmählich in Vergessenheit, doch verfestigte sich die Auffassung, daß Geldpolitik einerseits relativ unwirksam ist in bezug auf die konjunkturelle Lage und daß andererseits etwaige reale Effekte aufgrund einer hohen Instabilität der Geldnachfrage nicht hinreichend sicher prognostiziert werden können. Zugleich wurde die langfristige Aussage der klassischen Quantitätstheorie, wonach die Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus durch die Expansion der Geldversorgung bestimmt ist, in den Hintergrund gedrängt zugunsten von Erklärungsansätzen, die auf die unmittelbare Entwicklung von Überschußnachfrage und von Kostendruck abstellten. - Vgl. auch Inflation III.
3. Analyse der Phillipskurve: a) Keynesianische Interpretation: (1) Die empirische Beobachtung einer offenbar langfristig geltenden negativen Beziehung zwischen der Höhe der Wachstumsrate der Nominallöhne und der Höhe der Arbeitslosigkeit durch A. W. Phillips (1958) hatte weitreichende Bedeutung für die Klärung der Nichtneutralität des Geldes im Rahmen der Weiterentwicklung der makroökonomischen Theorie. (2) Unter Rückgriff auf das einzelwirtschaftliche Konzept der Aufschlagskalkulation (Aufschlagspreisbildung) formulierte Samuelson und Solow (1961) die Phillipskurve um in eine negative Beziehung zwischen dem Niveau der Steigerungsrate des allgemeinen Preisniveaus p und der Höhe der Arbeitslosigkeit u:
Dabei bezeichnet u0 die Höhe der Arbeitslosigkeit bei Preisstabilität. Die Keynesianer interpretierten die Differenz zur aktuellen Arbeitslosenquote u als ein Maß der von der Gesamtnachfrage induzierten Überschußnachfrage am Arbeitsmarkt. Je größer diese Überschußnachfrage ist, um so niedriger ist die aktuelle Arbeitslosigkeit. Der als konstant angenommene Koeffizient b bringt die vermutete Stabilität der Beziehung zum Ausdruck und begründet die berühmte Menuefunktion der Phillipskurve. Danach war es wirtschaftspolitisch möglich, durch Wahl einer höheren allgemeinen Preissteigerungsrate das Niveau der Arbeitslosigkeit dauerhaft zu senken. - b) Monetaristische Neuinterpretation: (1) Merkmale: Friedman (1968) zeigte, daß die keynesianische Formulierung den grundlegenden Unterschied zwischen nominalen und realen Löhnen außer acht läßt. Mehrbeschäftigung setzt voraus, daß der Reallohn gesenkt wird. Die Durchsetzung einer höheren allgemeinen Preissteigerungsrate bewirkt daher nur dann einen Fall der Arbeitslosigkeit, wenn der Nominallohn weniger stark steigt. Dies wäre möglich, wenn die Arbeitnehmer der Geldillusion erlägen, d. h. nominale Lohnsteigerungen irrtümlich für reale Lohnsteigerungen ansähen. Das widerspricht der Realität. Zwar können Reallohn und Arbeitslosigkeit sinken, wenn die allgemeine Preissteigerungsrate von den Arbeitnehmern unterschätzt wird; das kann aber nur vorübergehend der Fall sein, weil der Irrtum erkannt und durch eine Revision der Nominallohnforderungen beseitigt wird. Die monetaristische Formulierung der Phillipskurve enthält daher die erwartete allgemeine Preissteigerungsrate e als zusätzlichen Term
Die Variable uN bezeichnet das Niveau der natürlichen Arbeitslosenrate. Darunter ist jenes Niveau an Arbeitslosigkeit zu verstehen, das auch im langfristigen Gleichgewicht besteht, weil zum einen unzureichende Information und mangelnde Mobilität verhindern, daß alle Arbeitsmöglichkeiten wahrgenommen werden, und weil zum anderen die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme niederwertige Arbeitsplätze unattraktiv machen (Mindestlohnarbeitslosigkeit). (2) Folgerungen: Die monetaristische Neuformulierung der Phillipskurve impliziert erstens, daß die keynesianische Phillipskurve eine kurzfristige Beziehung angibt, sich mit Änderungen der erwarteten Preissteigerungsrate verlagert, und zweitens, daß im langfristigen Gleichgewicht die Arbeitslosigkeit stets ihrem natürlichen Niveau entspricht, weil die tatsächliche Preissteigerungsrate vollständig erwartet wird. Die monetaristische Formulierung der Phillipskurve etablierte darüberhinaus das klassische Neutralitätstheorem von neuem: Die Wahl einer höheren Expansionsrate der Geldversorgung bewirkt ein dauerhaft schnelleres Steigen aller Preise, läßt aber die realen Beziehungen der Volkswirtschaft im wesentlichen unberührt, wenn man von den spezifischen Kosten von Inflation absieht.
4. Monetaristische Theorie der kürzeren Frist: a) Überblick: Ein umfassender Ansatz zur Analyse der Nichtneutralität des Geldes in der kürzeren Frist wurde von K. Brunner und A. H. Meltzer (1972) entwickelt. Sie stellten die keynesianische Analyse der Gesamtnachfrage auf eine breitere Transmissionsgrundlage, indem sie die Vermögensmärkte integrierten. Darüberhinaus erweiterten sie den Analyserahmen, indem sie in Berücksichtigung der Analyse der Phillipskurve eine Outputangebotsfunktion mit Rückkoppelung zum Arbeitsmarkt einführten. Damit wurde es möglich, das simultane Zusammenspiel von Vermögensmärkten, Arbeitsmarkt und Outputmarkt zu analysieren. - b) Formale Darstellung: Allgemein geschrieben ist das Outputangebot yA für unveränderten Kapitalstock negativ abhängig vom Nominallohn W, positiv vom Preisniveau P mit A2 > 0 > A1, W1,2 > 0, wobei der Nominallohnsatz positiv abhängt von tatsächlichem und erwartetem Preisniveau Pe. A1 und A2 bezeichnen dabei die partiellen Ableitungen des Outputangebots nach dem Lohnsatz und nach dem Preisniveau; W1,2 die Ableitungen des Lohnsatzes nach dem aktuellen und nach dem erwarteten Preisniveau. Die Integration der Vermögensmärkte in die aggregierte Gesamtnachfrage erfolgt über die Berücksichtigung des Vermögens als Determinante der Konsumnachfrage und durch direkte Berücksichtigung der Preise dieser Aktiva als Determinanten von Investitions- und Konsumnachfrage. Zusätzlich zu den Vermögensmärkten für Geld M und staatliche Schuldtitel S wird der Markt für vorhandenes Realkapital RK berücksichtigt. Das Vermögen des privaten Sektors V ist gegeben durch
mit v1 < 0. Bei der Geldmenge M handelt es sich um Außengeld, d. h. um Geld das nicht im Austausch gegen Verbindlichkeiten des privaten Sektors geschaffen wird; die oben erwähnte autonome Geldbasis entspricht der Außengeldmenge, weil weder die Währungsreserven noch Anleihen der öffentlichen Hand Verbindlichkeiten des privaten Sektors darstellen. Der mit v(i) bezeichnete Marktpreis der Schuldtitel S hängt negativ ab vom Zinsniveau i, wie die Ableitung v1 angibt. Schließlich bezeichnet PRK den Marktpreis des vorhandenen Realkapitals. Die aggregierte Gesamtnachfrage yN ist dann von der Form
mit N1,3 < 0 < N2,4,5 und = (Pe-P)/P. N1,3 bezeichnet die partiellen Ableitungen der Gesamtnachfrage nach dem Realzins und nach dem Preisniveau; entsprechend bezeichnet N2,4,5 die partiellen Ableitungen nach dem Marktpreis für vorhandenes Realkapital, nach dem nominalen Vermögen und nach der realen Staatsnachfrage. Die Gesamtnachfrage ist eine negative Funktion des Realzinssatzes i- und des Preisniveaus P, eine positive Funktion des Vermögens V, der realen Nachfrage des Staates g und des Marktpreises für vorhandenes Realkapital PRK. - c) Transmissionsskizze: Die nicht aufgeführten Gleichgewichtslösungen der Vermögensmärkte zeigen, daß eine Ausweitung der Geldmenge das Zinsniveau i senkt und den Realkapitalpreis PRK steigen läßt. Beides wirkt direkt expansiv auf die Gesamtnachfrage: Die Realzinssenkung regt sowohl die Konsum- als auch die Investitionsnachfrage an, das Steigen des Realkapitalpreises wirkt zusätzlich direkt auf die Investitionsnachfrage. Zugleich bewirken diese Preiseffekte eine Wertsteigerung des Vermögens. Dadurch entsteht ein weiterer expansiver Effekt auf die Konsumnachfrage. Der induzierte Anstieg der Gesamtnachfrage bewirkt einen Anstieg sowohl des allgemeinen Preisniveaus wie auch von Produktion und Beschäftigung für zunächst unveränderte Preisniveauerwartungen Pe. - Rückwirkungen: Allerdings bleibt es nicht dabei, weil die Zunahme des allgemeinen Preisniveaus eine Revision der Preisniveauerwartungen am Arbeitsmarkt auslöst, die über entsprechende Lohnforderungen den Reallohn wieder steigen läßt und damit einen Rückgang des Outputangebots erzwingt. - Das mittelfristige Gleichgewicht wird erreicht, wenn aktuelles und erwartetes Preisniveau wieder übereinstimmen. Die vorübergehende Nichtneutralität des Geldes ist aufgelöst: Das Outputniveau entspricht wieder dem Kapazitätsniveau und die Arbeitslosigkeit ihrem natürlichen Niveau. Lediglich das Preisniveau und der Nominallohnsatz sind infolge der Geldmengenausdehnung dauerhaft höher. - d) Beurteilung: Das monetaristische Modell von Brunner und Meltzer bildet einen Rahmen, der es erlaubt, die makroökonomische Rolle des Geldes umfassend zu analysieren, weil zum einen die verengte keynesianische Fassung des Transmissionsmechanismus aufgehoben ist und zum anderen der Übergang von kürzerfristiger Nichtneutralität des Geldes zu mittelfristiger Neutralität modelliert ist. Allerdings fehlt eine explizite Rückkoppelung der Preisniveauerwartungen zur Bewegung des aktuellen Preisniveaus bzw. eine rationale Fundierung der Preisniveauerwartungen durch Rückkoppelung zur auslösenden Geldmengenänderung.
5. Nichtneutralität und Erwartungsbildung: a) Allgemeines: Mit der theoretischen Auseinandersetzung über die Eigenschaften der Phillipskurve wurde die besondere Bedeutung der Erwartungsbildung über die zukünftige Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus zu einem beherrschenden Thema der Makroökonomik. Seitdem wird die Nichtneutralität des Geldes der kürzeren Frist informationstheoretisch als Folge unzutreffender Erwartungen und damit von Erwartungsfehlern behandelt. Die Neutralität des Geldes in der mittleren bzw. langen Frist ist definiert durch die Gleichheit von Erwartungen mit Realisationen. - b) Adaptive Erwartungen: (1) Begriff: In der empirischen Wirtschaftsforschung wurden Prognosen zukünftiger Werte einer Variablen lange Zeit extrapolativ aus vergangenen Realisationen hergeleitet. Seit der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Nominalzins und erwarteter Inflationsrate durch Fisher (1930) galt der Ansatz adaptiver Erwartungen als geeignet:
Danach wird der für die laufende Periode erwartete Wert xe einer Variablen x gebildet als Summe der Erwartung für die mit Index – 1 bezeichnete Vorperiode plus einem Bruchteil des für die Vorperiode beobachteten Erwartungsfehlers. Es handelt sich nicht um eine theoretische Erklärung der Erwartungen, sondern um ein beschreibendes Annäherungsverfahren. (2) Beurteilung: Der Ansatz adaptiver Erwartungen wurde von den Monetaristen zur allgemeinen Charakterisierung des Prozesses einer schrittweisen Auflösung nichtneutraler Wirkungen monetärer Impulse verwendet. Ein Problem des Ansatzes besteht darin, daß Erwartungsfehler fortgeschrieben werden, wenngleich mit geometrisch fallendem Gewicht. Dies steht in Widerspruch zur Grundannahme der Wirtschaftstheorie eines rationalen oder zumindest eingeschränkt rationalen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte. - c) Rationale Erwartungen: (1) Begriff: Wenn die Variable x eine endogene Variable ist, deren Entwicklung durch andere Variable bestimmt wird, und die Wirtschaftssubjekte diesen Zusammenhang kennen sowie über Informationen über die Entwicklung dieser Determinanten verfügen, dann wäre es rational, diese Kenntnisse für die Prognose zu verwenden. Dieser von J. F. Muth (1961) formulierte Ansatz rationaler Erwartungen definiert den zu Ende der Vorperiode für die laufende Periode erwarteten Wert xe
als den mit E bezeichneten, konditionalen mathematischen Erwartungswert von x, der durch die verfügbare Informationsmenge -1 bestimmt ist. Die Informationsmenge umfaßt die theoretische Struktur, die die Entwicklung von x erklärt, sämtliche bis zum Prognosezeitpunkt verfügbaren Kenntnisse der Verteilungen aller relevanten ökonomischen Variablen sowie etwaige Informationen über beabsichtigte wirtschaftspolitische Maßnahmen. (2) Eigenschaften: Erstens, die Prognosen sind unverzerrt, d. h. die ex-ante Prognosefehler sind rein zufälliger Art und somit unkorreliert; zweitens, die Varianz der Prognosefehler ist minimal. (3) Beurteilung: Im Unterschied zum Ansatz adaptiver Erwartungsbildung bietet der Ansatz rationaler Erwartungen eine theoretische Erklärung der Erwartungen, die konsistent ist zum zugrundeliegenden makroökonomischen Modell. Zu den offenen Problemen dieses Ansatzes sind zu rechnen die Frage des Grades der Informationsverarbeitung und die Frage der Lernprozesse in bezug auf Änderungen der Struktur.
6. Neuklassische Theorie: a) Die Einführung der Theorie rationaler Erwartungen in die Makroökonomik durch R. Lucas (1972) führte zu einer Revolutionierung der makroökonomischen Theorie in mehrfacher Hinsicht: Erstens wurde die klassische Neutralität des Geldes der langen Frist zu einem integralen Bestandteil der rationalen Erwartungen und damit zu einer expliziten Determinante der kurzen Frist; zweitens führte die Betonung des Informationsaspekts zu einer Reduktion der Nichtneutralität des Geldes auf zufällige Störungen; und drittens wurde damit ein Ausgangspunkt für die Analyse des Problems der Glaubwürdigkeit des Ziels der Bewahrung des Geldwerts geschaffen. - b) Formale Darstellung: Werden alle Variablen logarithmisch definiert und konditionale Erwartungswerte mit E-1 gekennzeichnet, so läßt sich die aggregierte Outputangebotsfunktion yA schreiben:
Dabei bezeichnen -1yK das Kapazitätsniveau des Outputs, das mit den Investitionen der Vorperiode festgelegt ist, p das Preisniveau und u einen nicht-prognostizierbaren, normalverteilten Produktivitätsschock. Die konjunkturelle Komponente des Outputs wird durch eine unerwartete Änderung des Preisniveaus verursacht, wobei der positive Koeffizient eine Elastizität bezeichnet, die das Ausmaß der Reaktion des Outputangebots bestimmt. Sie repräsentiert eine unerwartete Senkung des Reallohns. Die Outputangebotsfunktion wird durch die einfachste Formulierung der Gesamtnachfrage yN ergänzt:
Diese sei eine Funktion der realen Kassenhaltung (m-p). Im Gleichgewicht folgt für das Preisniveau und somit für die rationale Erwartung des Preisniveaus
wobei der positive Koeffizient die Elastizität der Gesamtnachfrage in bezug auf Änderungen der realen Kassenhaltung bezeichnet. Diese Lösung zeigt, daß die klassische Neutralität des Geldes in den Erwartungen berücksichtigt wird. Eine Zunahme der erwarteten Geldmenge m induziert eine proportionale Zunahme der rationalen Preisniveauerwartung. Berücksichtigung dieser Lösung in der Preisgleichung ergibt:
Unerwartete Veränderungen der Geldmenge bewirken also nur einen unterproportionalen Anstieg des Preisniveaus. Daher kommt es zu einer konjunkturellen Zunahme von Output und Beschäftigung:
c) Geldpolitik: (1) Wirkungsweise: Die neuklassischen Makroökonomen zeigten weiter, daß Geldpolitik unwirksam ist, wenn etwa versucht wird, die Geldmenge antizyklisch zur zuletzt beobachteten Konjunkturbewegung (y--1yK)- 1 zu variieren. Würde die Zentralbank ihre Geldmengenpolitik beispielsweise folgender Regel unterwerfen
mit und als positiv definierten Reaktionskoeffizienten der Zentralbank, so würden die Wirtschaftssubjekte bei Kenntnis der Regel und der zuletzt beobachteten Konjunkturbewegung die systematische Komponente der Geldmengenausdehnung antizipieren und in den Lohnvereinbarungen berücksichtigen. Als unerwartete Geldmengenänderung verbliebe
Die Zentralbank würde daher die Rückkoppelung auf die zuletzt beobachtete Konjunkturbewegung besser unterlassen, weil lediglich eine überflüssige Preisniveauänderung aber kein realer antizyklischer Effekt erreicht werden kann. (2) Möglichkeit der Geldpolitik: Allerdings kann die Zentralbank auch bei rationaler Erwartungsbildung prinzipiell stabilisierend auf Output und Beschäftigung Einfluß nehmen, vorausgesetzt sie verfügt über einen Informationsvorsprung vor den Wirtschaftssubjekten. Dies ist in der aufgeführten Reaktionsfunktion berücksichtigt. Und zwar ist angenommen, daß die Zentralbank den aktuellen Produktivitätsschock u beobachtet, den die Wirtschaftssubjekte zu Ende der vorhergehenden Periode nicht prognostizieren können. Wird die unerwartete Geldmengenänderung in der Outputlösung berücksichtigt, so zeigt sich, daß eine perfekte Stabilisierung erreicht werden kann, sofern die Zentralbank den Strukturparameter a kennt und ihren Reaktionsparameter d auf diesen Wert setzt. Allerdings kann es auch zu einer geldpolitisch verursachten Destabilisierung kommen, wenn die Zentralbank eine falsche Vorstellung über den Koeffizienten a hat und/oder den Schock u fehlerhaft diagnostiziert. - d) Beurteilung: Die neuklassische Theorie bietet durch die Einbeziehung rationaler Erwartungen eine klare, konsistente Analyse des gleichzeitigen Wirkens von Neutralität und Nichtneutralität des Geldes in der kurzen Frist. Die Präzision der Theorie wird erkauft mit übersteigerten Annahmen hinsichtlich des Informationsstandes der Marktteilnehmer. Während die Monetaristen aufgrund ihrer empirischen Arbeiten zu der Ansicht kamen, daß Schwankungen der Wirtschaftsaktivität in erheblichem Maße gerade von der Geldpolitik ausgelöst oder verstärkt werden, begünstigte die analytische Reduktion nichtneutraler Wirkungen von Änderungen der Geldversorgung auf zufällige Schocks das Aufkommen einer makroökonomischen Denkrichtung, die als Theorie des realen Konjunkturzyklus bezeichnet wird. Die Vertreter dieser Theorie versuchen zu zeigen, daß Konjunkturschwankungen nicht monetär verursacht sind, sondern fast ausschließlich von Änderungen der Konsumpräferenzen und technologisch bedingten Produktivitätsschocks ausgelöst werden. Diese extreme Sicht läßt sich aber empirisch nicht stützen.
IV. Theorie der Sicherung des Geldwerts im Rahmen der Geldverfassung: 1. Das Ziel der Preisstabilität: a) Unterscheidung: (1) Das Ziel der Preisniveaukonstanz würde bedeuten, der Öffentlichkeit für die kurze bis lange Frist einen festen Erwartungswert über die Höhe des allgemeinen Preisniveaus vorzugeben. Aufgrund realer Nachfrage- und Angebotsschocks würde das Preisniveau sich kürzerfristig um diesen Erwartungswert bewegen, aber die Unsicherheit der Marktteilnehmer über die Höhe des Preisniveaus in der ferneren Zukunft wäre minimal, weil die Geldpolitik stets darauf gerichtet wäre, für eine Rückkehr zu dem festen Erwartungswert zu sorgen. (2) Das alternative Ziel einer Null-Inflation bedeutet, daß der Öffentlichkeit die Erwartung einer dauerhaften Inflationsrate von Null vorgegeben wird. Schockinduzierte vorübergehende Abweichungen der Inflationsrate von Null bedeuten keine Verletzung des Ziels. Solche Abweichungen verändern aber dauerhaft die Höhe des Preisniveaus. Das Preisniveau kann also 'wandern'. Daher nimmt bei dieser Interpretation des Ziels der Preisstabilität die Unsicherheit über die zukünftige Höhe des Preisniveaus mit der Länge des Zeithorizonts zu. - b) In der geldpolitischen Praxis wird das Ziel der Preisstabilität auf die Inflationsrate bezogen. Es hat sich die Konvention herausgebildet, eine Inflationsrate von 2 Prozent mit Preisstabilität gleichzusetzen. Dies wird damit begründet, daß ein Preisindex vom Laspeyres-Typ die tatsächliche Inflation tendenziell überzeichnet.
2. Theorie der Zeitinkonsistenz optimaler Geldpolitik: a) Allgemein: Es gibt keine Zentralbank, die die Geldpolitik so führt, daß der Geldwert bewahrt wird. Eine mögliche Erklärung bildet die inoffizielle Verpflichtung, für ein Aufkommen an Inflationssteuer zur Budgetfinanzierung zu sorgen. Eine alternative Erklärung bietet das Theorem der Zeitinkonsistenz optimaler Geldpolitik. Kydland und Prescott (1977) zeigten, daß es für eine regierungsabhängige Zentralbank optimal ist, zur Beeinflussung der Lohnabschlüsse Preisstabilität im Sinne einer Inflationsrate von Null zu versprechen, nach Abschluß der Verträge aber mit expansiver Geldpolitik für eine positive Inflationsrate zu sorgen, um eine Senkung des Reallohns und damit eine Zunahme der Beschäftigung zu erzielen. Mit Hilfe der Theorie nicht-kooperativer Spiele läßt sich nachweisen, daß dies zu einem langfristigen Gleichgewicht mit dauerhafter Inflation führt. - b) Der einfachste Ansatz berücksichtigt die Outputangebotsfunktion und eine Zielfunktion der Regierung. Wird der Kapazitätsoutput y0 vereinfachend als konstant angenommen, so lautet das Outputangebot y logarithmisch
Weiter sei angenommen, daß die Zentralbank direkt die Inflationsrate steuern könne. Der Nutzenverlust der Regierung VR sei durch folgende quadratische Funktion bestimmt:
mit yZ = y0 + c*. Der Nutzenverlust der Regierung ist umso geringer, je kleiner die Inflationsrate ist und je geringer der Output von dem Zielniveau yZ abweicht. Das Zielniveau entspricht dem konstanten Kapazitätsouput plus einem gewünschten Ouputgewinn c*. Der Koeffizient x bestimmt, wie gewichtig der Regierung das Ziel einer möglichst geringen Inflationsrate ist relativ zu dem Outputziel. - c) Bedeutung der Geldpolitik: Die Zentralbank kündigt am Ende der Vorperiode an, für Null-Inflation zu sorgen, A = 0, damit diese Rate als Erwartung in die Lohnabschlüsse eingeht. In der folgenden Zeit verhält sie sich inkonsistent, d. h. sie sorgt für eine höhere Inflationsrate. Optimal ist:
Die optimale Inflationsrate R hängt positiv ab von der Höhe des von der Regierung gewünschten Outputgewinns c*, negativ von der mit x bestimmten relativen Bedeutung des Ziels der Preisstabilität. - Fälle: (1) Wurde in den vorangegangenen Lohnabschlüssen gutgläubig die angekündigte Rate berücksichtigt, e=A=0, so erreicht die Zentralbank einen Outputgewinn. (2) Der entscheidende Punkt ist nun, daß rationale Arbeitnehmer bzw. ihre Vertreter nicht gutgläubig handeln werden. Kennen sie, beispielsweise aufgrund wiederholter Beobachtung, die Entscheidungssituation der regierungsabhängigen Zentralbank, dann bilden sie die rationale Erwartung
Sie werden daher nicht kooperativ 'spielen', sondern anstelle der angekündigten Rate A die antizipierbare Inflationsrate e in den Lohnabschlüssen berücksichtigen. Da die Geldpolitik vollständig antizipiert wird, kommt es zu einem ineffizienten Ergebnis: dauerhafte Inflation ohne Outputgewinn. Es gibt auch keine Alternative. Würde nämlich die Zentralbank daraufhin für eine noch höhere Inflationsrate sorgen, so erreichte sie zwar einen Outputgewinn, aber der damit verbundene Nutzengewinn für die Regierung wäre geringer als der aus der zusätzlichen Inflation resultierende Nutzenverlust. - d) Folgerungen und Beurteilung: Die spieltheoretische Analyse des Problems der Zeitinkonsistens optimaler Geldpolitik einer abhängigen Zentralbank zeigt erstens, daß die übliche Ankündigung, für Preisstabilität zu sorgen, nicht glaubwürdig ist, und zweitens, daß der angestrebte Zweck einer dauerhaften Stimulierung von Produktion und Beschäftigung nicht erreicht wird. Statt dessen werden mit der unnötigen Inflation Wohlfahrtsverluste erzeugt. Zwar hat Rogoff (1985) nachgewiesen, daß die Regierung das Problem etwas entschärfen kann, indem sie 'konservativere' Zentralbankiers ernennt, die dem Teilziel der Preisstabilität ein größeres Gewicht geben als die Regierung und daher für ein niedrigeres Niveau der Inflation sorgen. Da sie aber darauf verpflichtet bleiben, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Regierung zu unterstützen, bleibt das Phänomen der Zeitinkonsistenz der Geldpolitik und damit die prinzipielle Inflationsverzerrtheit der Geldverfassung erhalten.
3. Theorie der Reputation: a) Der Grundgedanke dieser Analyse ist, daß eine abhängige Zentralbank das Gleichgewichtsniveau der Inflation verringern könnte, sofern sie durch eine entsprechend geführte Politik die Inflationserwartungen günstig beeinflussen könnte. Würde sie anhaltend eine weniger expansive Geldpolitik betreiben, als ihrem Typus entspricht, könnte sie sich die Reputation erwerben, eine weniger abhängige Zentralbank zu sein. Das setzt voraus, daß die der Zentralbank von der Regierung vorgegebene Zielfunktion der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. - b) Backus und Driffil (1985) entwickelten eine einfache spieltheoretische Analyse: Es gibt eine regierungsabhängige Zentralbank. Die Öffentlichkeit hat keine sichere Kenntnis, ob die Bank abhängig ist oder nicht. Um die Reputation einer unabhängigen Zentralbank zu erwerben, sorgt die Bank entgegen der Zielfunktion der Regierung für eine niedrige Inflationsrate. Je länger sie diese Politik durchhält, umso mehr passen die Wirtschaftssubjekte ihre Inflationserwartungen daran an. Allerdings ändert der Aufbau von Reputation nicht den wahren Charakter der Bank. Das bedeutet, irgendwann wird die Reputation ausgenutzt werden, um durch eine Inflationsüberraschung einen einmaligen Gewinn an Output und Beschäftigung zu erzielen. Die Wirtschaftssubjekte rechnen daher stets mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, daß das eintreten wird. Die Inflationserwartungen und somit das durchschnittliche Inflationsniveau sind folglich höher als sie es wären, wenn es sich um eine bekanntermaßen unabhängige Zentralbank handelte. - c) Beurteilung: Die Theorie der Reputation zeigt nicht, daß Reputationserwerb den für die Sicherung des Geldwerts entscheidenden Makel fehlender Unabhängigkeit kompensieren könnte. Sondern diese Theorie zeigt, daß die Inflationsverzerrtheit des modernen Geldsystems für begrenzte Perioden durch eine auf Reputationserwerb bedachte Zentralbank verringert werden kann, sofern es keine zureichende öffentliche Information darüber gibt, ob und in welchem Maße die Zentralbank von der Regierung abhängt. Die praktische Relevanz der Theorie ist eingeschränkt, weil es in der Realität zusätzlich zur Information über den Kurs der Geldpolitik weitere Informationsquellen gibt, aus denen der Typus der Bank und damit ihr Verhalten in der ferneren Zukunft erschlossen werden kann.
4. Regelbindung: a) Grundgedanke: Eine dauerhafte Sicherung des Geldwerts setzt voraus, daß zeitinkonsistentes Verhalten der Zentralbank ausgeschlossen wird. Simons (1936) schlug eine Beschränkung des diskretionären Spielraums der Geldpolitik in Form einer Regelbindung vor. Der Vorschlag wird insbes. von Monetaristen vertreten. Danach soll das Geldmengenwachstum durch eine externe Regel festgelegt werden, um zu verhindern, daß erstens die Zentralbank mit einem durchschnittlich zu hohen Wachstum der Geldmenge Inflation generiert und zweitens mit fehlgesteuerten Schwankungen der Geldversorgung ungewollt Produktion und Beschäftigung destabilisiert. - b) Beispiele: (1) Die berühmteste Regel ist die k-Prozent Geldmengenregel von Friedman (1959). Danach soll das Wachstum der Geldmenge m konstant k Prozent betragen:
Unter Berücksichtigung der in prozentualen Änderungsraten ausgedrückten Quantitätsgleichung ergibt sich für Friedmans Regel die Lösung:
Die durchschnittliche Regimerate der Inflation R beträgt Null, sofern die konstante Wachstumsrate der Geldmenge k so festgesetzt wird, daß sie der Differenz der durch Index T bezeichneten Trendraten des Wachstums von Output und Umlaufsgeschwindigkeit entspricht. Die tatsächliche Inflationsrate bewegt sich bei dieser Regel dagegen um die Regimerate in Abhängigkeit von den Abweichungen der Änderungsraten von Output und Umlaufsgeschwindigkeit von ihren Trendraten. - Beurteilung: Ein Hauptproblem der Geldmengenregel Friedmans ist, daß sie Preisstabilität im Sinne einer durchschnittlichen Inflationsrate von Null nur solange sicherstellt, wie sich die Trends der Umlaufsgeschwindigkeit und des Outputwachstums nicht verändern. Die Erfahrungen der siebziger Jahre haben gezeigt, daß sich sowohl der reale Wachstumstrend einer Volkswirtschaft wie auch der Trend der Umlaufsgeschwindigkeit erheblich verändern kann. Die Zentralbank könnte darauf nicht reagieren, solange nicht Regierung oder Parlament eine Änderung der Regel dekretieren. Es bedürfte einer politischen Entscheidung. Daher könnte es zu einer Politisierung der Geldpolitik kommen, zu häufigeren Änderungen mit expansivem Vorzeichen. Der eigentliche Vorzug der Regelbindung, eine langfristige Stabilitätsperspektive zu schaffen, ginge verloren. (2) Meltzer (1984) hat eine Geldmengenregel vorgeschlagen, die Friedmans Regel überlegen ist. Es handelt sich um eine trendorientierte Geldmengenregel, die keiner Änderung bedarf. Danach würde die Wachstumsrate der Geldmenge in Höhe der Differenz gleitender Mittelwerte der Wachstumsraten von Output und Umlaufsgeschwindigkeit festgesetzt. Die Regel würde Trendänderungen automatisch erfassen nach einer Übergangsperiode, deren Dauer durch die zeitliche Reichweite der gleitenden Mittel bestimmt ist. Die Regel würde mittelfristig Preisstabilität garantieren, während Übergangsperioden würde es allerdings zu größeren Ausschlägen der aktuellen Inflationsrate kommen. - c) Beurteilung: (1) Für die Anwendung von Geldmengenregeln kommen die herkömmlichen Geldmengenabgrenzungen nicht in Frage, weil sie kurzfristig in der Regel nicht hinreichend präzise gesteuert werden können. Daher sind solche Regeln auf die Geldbasis zu beziehen. (2) Um die Inflationserwartungen dauerhaft zu verankern, dürfen Geldmengenregeln nicht häufig verändert werden. Nach monetaristischer Ansicht sollte einer Geldmengenregel daher Verfassungsrang zuerkannt werden, weil dies verhindert, daß die Regel mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden kann. (3) Die Verankerung des Geldwerts durch eine Geldmengenregel ist nicht kostenlos: Die Möglichkeiten zu einer aktivistischen Politik monetärer Konjunktursteuerung würden beseitigt oder zumindest drastisch beschnitten.
5. Unabhängigkeit der Zentralbank: a) Grundgedanke: (1) Rechtfertigung: Die Inflationsverzerrtheit des modernen Geldsystems ist auf das Geldschöpfungsmonopol des Staates zurückzuführen, das der Regierung die Möglichkeit eröffnet, die Geldversorgung der Volkswirtschaft in den Dienst politischer Interessen zu stellen, die dem Ziel entgegenstehen, den Wert des Geldes dauerhaft zu bewahren. Die Analyse des Problems zeitinkonsistenter Geldpolitik zeigt, daß die Inflationstendenz nicht beseitigt werden kann, solange die Verbindung zwischen politischen Interessen und Verfügungsgewalt über die Geldversorgung bestehen bleibt. Weder Geldmengenregeln noch der Versuch des Reputationserwerbs können das Problem durchgreifend lösen. Die Gewährung vollständiger Zentralbankunabhängigkeit erscheint als der einzige Weg, eine dauerhafte Sicherung des Geldwerts zu erreichen. (2) Begriff: Neumann (1991) interpretiert das Statut der Unabhängigkeit als eine Selbstbindung des Staates gegenüber den Bürgern, das Geldschöpfungsmonopol nicht länger für stabilitätsfremde Zwecke auszunutzen. Die Glaubwürdigkeit dieser Selbstbindung wird durch den Grad der Widerrufbarkeit bestimmt. Das Unabhängigkeitsstatut sollte daher Verfassungsrang haben. Vollständige Unabhängigkeit umfaßt funktionelle Unabhängigkeit der Zentralbank als Institution und Vorkehrungen zur Sicherung der persönlichen Unabhängigkeit der Zentralbankiers sowie ihrer Bindung an das Ziel der Geldwertstabilität. - b) Elemente der funktionellen Unabhängigkeit: (1) Weisungsfreiheit: Sie bleibt eingeschränkt, wenn die Zentralbank ausdrücklich verpflichtet wird, unter Wahrung ihrer Aufgabe der Sicherung des Geldwerts die allgemeine Wirtschaftspolitik der Regierung zu unterstützen. Eine solche Bestimmung bietet einen Ansatzpunkt für potentiellen politischen Druck auf die Zentralbank. (2) Das Verbot der Staatsfinanzierung richtet sich formal an die Zentralbank, dient aber ihrem Schutz. Die Vorschrift bleibt unvollständig, sofern der Ankauf öffentlicher Anleihen im offenen Markt zugelassen wird. (3) Unter Wechselkurskompetenz ist das Recht zu verstehen, über Interventionen am Devisenmarkt und im Falle der Mitgliedschaft in einem Festkurssystem in Abstimmung mit den Behörden der Partnerländer über Kursparitäten zu entscheiden. Diese Kompetenz liegt in aller Regel bei der Regierung. Der Geldwert läßt sich nur bewahren, sofern die Wechselkurspolitik der Geldpolitik untergeordnet wird. Anderenfalls kann die Zentralbank aufgrund einer falschen Währungsparität gezwungen sein, den Import ausländischer Inflation geldpolitisch zu validieren. Bei flexiblen Wechselkursen ist das automatisch ausgeschlossen. Bei festen Wechselkursen wäre das nur dann der Fall, wenn zum einen der Zentralbank die Kompetenz der Verhandlungsführung mit den Partnern übertragen würde. Dies erscheint unrealistisch. Eine de-facto Verlagerung der Kompetenz würde zum anderen dadurch bewirkt, wenn der Zentralbank ein Veto-Recht in bezug auf Wechselkursparitäten eingeräumt würde oder das Recht, die Verpflichtung zu Interventionen aussetzen zu dürfen, wenn die interne Geldwertstabilität bedroht erscheint. - c) Vorkehrungen zur Sicherung persönlicher Unabhängigkeit der Mitglieder des Leitungsgremiums einer Zentralbank: (1) Modalitäten der Bestellung: Fehlende fachliche Kompetenz und politisches Parteigängertum sind unabhängigem Verhalten nicht förderlich. Dieses Problem ist auch von der Bestellung von Richtern für Verfassungsgerichte bekannt. (2) Modalitäten der Amtsdauer und Wiederbestellung: Die ökonomische Theorie der Institutionen zeigt, daß es anreizverträglicher Bedingungen bedarf, um ein bestimmtes Verhalten sehr wahrscheinlich zu machen. Relativ kurze Amtszeiten und ungeregelte Modalitäten einer Wiederbestellung fördern persönliche Rücksichtnahme auf den politischen Prozeß und auf die besonderen Interessen jener Politiker, die aller Voraussicht nach über die Wiederbestellung entscheiden werden. - Vorschläge: Um dem von Vaubel (1993) betonten Interesse von Regierungen entgegenzuwirken, durch Ernennungen eine ihre Wiederwahl fördernde Geldpolitik zu erreichen, dürfen die Amtszeiten der Zentralbankiers nicht zu kurz sein und sollten Ernennungen zeitlich so gestaffelt werden, daß während einer Legislaturperiode nur wenige Neuberufungen möglich sind. Relativ kurze Amtszeiten von 5 bis 8 Jahren können durch das Institut einer automatischen Wiederbestellung faktisch verlängert werden. Vorzugsweise würde das Institut der Wiederbestellung überflüssig gemacht durch einmalige Ernennung für 12 Jahre und mehr. Ein weitergehender Vorschlag ersetzt die einheitliche Amtsdauer durch eine individuelle, deren Ende durch das Pensionsalter bestimmt ist. - d) Beurteilung: Ein Unabhängigkeitsstatut macht die Zentralbank zu einer mächtigen Institution. (1) Monetaristen verwiesen auf die damit verbundene Gefahr eines Machtmißbrauchs. So hob Brunner (1983) hervor, daß die unabhängigen Zentralbankiers der Versuchung erliegen könnten, ihre öffentliche Bedeutung künstlich zu vergrößern, indem sie die Volkswirtschaft in Wechselbäder der Überliquidität und anschließender Kontraktion stürzen. (2) Friedman (1962) zeigte anhand historischer Beispiele, daß unabhängige Zentralbankiers oft andere Ziele verfolgten als das Ziel der Geldwertstabilität. Deshalb bedarf es zusätzlicher Vorkehrungen, die eine persönliche Bindung der Zentralbankiers an dieses Ziel wahrscheinlich machen. - Beispiele: Von besonderer Bedeutung ist eine anreizverträgliche Gestaltung der Gehälter. So könnten die Gehälter mit einer Gleitklausel versehen werden, wonach Anpassungen die Zuwachsrate der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität berücksichtigen, nicht aber den Preisanstieg. Gehälter und Pensionen könnten darüberhinaus automatisch gekürzt werden, wenn die über einen vorher festzulegenden Zeitraum gemessene Preissteigerungsrate einen gesetzlich festgelegten Wert übersteigt (Vaubel, 1989). Das persönliche Einkommensinteresse würde also mit dem Ziel der Geldwertstabilität verknüpft. Vorstellbar wäre auch eine symmetrische Regelung, um ein Interesse an Deflation auszuschließen. Eine Deflation würde andererseits vom Parlament nicht geduldet, weil sie die reguläre Staatsfinanzierung bedrohen würde. Es würde zur Beseitigung des Unabhängigkeitsstatuts kommen. Die Zentralbankiers würden daher Deflation vermeiden. Neben das Einkommensinteresse tritt das Interesse an der Machtausübung. Es muß als offen bezeichnet werden, ob Brunners negative Einschätzung zutrifft. Die besondere Macht der Zentralbankiers dokumentiert sich darin, daß sie den Marktteilnehmern und den politischen Akteuren einen monetären Stabilitätskurs vorgeben können, der jene zwingt, aus Eigeninteresse diesen Kurs der Geldpolitik in Rechnung zu stellen. Halten sich die Zentralbankiers nicht an das Stabilitätsziel, so gerät die Geldpolitik in das Schlepptau der von ihr geweckten Inflationserwartungen. Das wäre machtreduzierend. - e) Die langfristigen Erfahrungen mit den relativ unabhängigen Zentralbanken Deutschlands und der Schweiz sprechen dafür, daß Zentralbankunabhängigkeit der Bewahrung des Geldwerts förderlicher ist als Abhängigkeit. Allerdings ist auch in diesen Ländern das allgemeine Preisniveau fortwährend gestiegen, vorübergehend sogar stärker als in anderen Ländern. Zentralbankunabhängigkeit wird heute als die geeignetste institutionelle Lösung des Problems der Bewahrung des Geldwerts angesehen - eine perfekte Lösung gibt es jedoch nicht.


Literatur: Backus, D./Driffill, J., Inflation and Reputation, in: American Economic Review, 75 (1985), S. 530-538; Brunner, K., Some Major Problems in Monetary Theory, in: American Economic Review, 51 (1961), Papers and Proceedings, S. 47-56; Brunner, K., The Pragmatic and Intellectual Tradition of Monetary Policymaking and the International Monetary Order, in: Ders. (Hrsg.), Lessons of Monetary Experiences from the 1970s, Berlin 1983, S. 97-141; Brunner, K./Meltzer, A. H., A Monetarist Framework for Aggregative Analysis, in: Brunner, K. (Hrsg.), Proceedings of the First Konstanzer Seminar on Monetary Theory and Monetary Policy, Beiheft 1 zu Kredit und Kapital, Berlin 1972, 31-88; Fisher, I., The Theory of Interest, New York 1930; Friedman, M., Discussion of the Inflationary Gap, in: Ders. (Hrsg.), Essays in Positive Economics, Chicago 1953, S. 251-262; Friedman, M., A Program for Monetary Stability, New York 1959; Friedman, M., Should There Be an Independent Monetary Authority? in: Yeager, L. B. (Hrsg.), In Search of a Monetary Constitution, Cambridge, Masachussetts 1962, S. 219-243; Friedman, M., The Role of Monetary Policy, in: American Economic Review, 58 (1968), S. 1-17; Keynes, J. M., The General Theory of Employment, Interest, and Money, London 1936; Kydland, F./Prescott, E., Rules Rather than Discretion: The Inconsistency of Optimal Plans, in: Journal of Political Economy, 85 (1977), S. 473-493; Lucas, R., Econometric Testing of the Natural Rate Hypothesis, in: O. Eckstein (Hrsg.), The Econometrics of Price Determination, Washington 1972; Meltzer, A. H., Rules for Price Stability: An Overview and Comparison, in: Price Stability and Public Policy, Federal Reserve Bank of Kansas City, 1984, S. 209-222; Muth, J. F., Rational Expectations and the Theory of Price Movements, in: Econometrica, 29 (1961), S. 315-335; Neumann, M. J. M., Precommitment by Central Bank Independence, in: Open Economies Review, 2 (1991), S. 95-112; Phillips, A. W., The Relation Between Unemployment and the Rate of Change of Money Wages in the United Kingdom, 1861-1957, in: Economica N. S., 25 (1958), S. 283-299; Rogoff, K., The Optimal Degree of Commitment to an Intermediate Monetary Target, in: The Quarterly Journal of Economics, 100 (1985), S. 1169-1189; Samuelson, P. A./Solow, R. M., Analytical Aspects of Anti-Inflation Policy, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, 50 (1960), S. 177-194; Simons, H. C., Rules versus Authorities in Monetary Policy, in: Journal of Political Economy, 44 (1936), S. 1-30; Tobin, J., Money, Capital and Other Stores of Value, in: American Economic Review, 51 (1961), Papers and Proceedings, S. 26-37; Vaubel, R., Überholte Glaubenssätze, in: Wirtschaftsdienst, 69 (1989), S. 276-279; Vaubel, R., Eine Public-Choice-Analyse der Deutschen Bundesbank und ihre Implikationen für die Europäische Währungsunion, in: Duwendag, D./Siebke, J. (Hrsg.), Europa vor dem Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion, Berlin 1993, S. 23-79.

 

<< vorheriger Begriff
nächster Begriff>>
Geldsurrogate
Geldüberhang

 

Diese Seite bookmarken :

 
   

 

  Weitere Begriffe : Markentransferstrategie | medium quality | Privateinlagen | Leitungskosten | Risiko-Nutzen
wiki wirtschaft

Thematische Gliederung | Unser Projekt | Impressum