Wirtschaftslexikon - Enzyklopädie der Wirtschaft
lexikon betriebswirtschaft Wirtschaftslexikon lexikon wirtschaft Wirtschaftslexikon Suche im Wirtschaftslexikon
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
 
 
 

Bildungspolitik

I. Definition: 1. Allgemein: Bildungspolitik ist die Gesamtheit der Entscheidungen, Handlungen, Handlungsprogramme und Regelungen, die von öffentlichen oder privaten Organisationen getroffen werden, um die Bedingungen für das Gelingen von Lernprozessen inhaltlich, organisatorisch und ressourcenmäßig zu gestalten. Entscheidungsbefugte Träger bildungspolitischer Maßnahmen können außer staatlichen Organen auf den unterschiedlichen Ebenen auch nichtstaatliche Organisationen sein, sofern sie im Rahmen rechtlicher Regelungen dazu befugt sind. - 2. Bildungspolitik i. e. S.: Die Fachpolitik bzw. die Entscheidungen, Handlungen, Programme und Regelungen, die sich auf jene gesellschaftlichen Bereiche und Organisationen beziehen, die ausschließlich oder vorrangig für den Zweck des systematischen Lernens geschaffen worden sind - 3. Bildungspolitik i. w. S.: Befaßt sich darüber hinaus auch mit all jenen Institutionen und Aktivitäten, die nur partiell auf Lernprozesse einwirken und lediglich mittelbar auf deren institutionelle, inhaltliche, finanzielle und personelle Gestaltungsbedingungen Einfluß (zu) nehmen (versuchen) (z. Bildungspolitik Wirtschaftsverbände, Jugendverbände, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Massenmedien, kulturelle Organisationen, politische Parteien).
II. Begründung staatlicher B.: Am Anfang staatlichen Engagements für ein bestimmtes Mindestmaß an Bildung der Bevölkerung stand das Interesse des (preußischen) Staates an einer schreib-, lese- und rechenkundigen Beamten-, Offiziers- und Soldatenschaft. Hinzu kam die Erwartung, daß eine staatlich gewährte Volksbildung einerseits produktive Kräfte freisetzen und die wirtschaftliche Entwicklung fördern (Bildungsökonomik), andererseits die Bevölkerung in die bestehende Gesellschaft integrieren und soziale Unruhen verhindern werde. Aus dieser historischen Entwicklung erwuchs die These, der Markt sei aus sich heraus nicht in der Lage, der Bevölkerung eines Staates das erforderliche Mindestmaß an allgemeiner Bildung zu gewährleisten (These des Marktversagens), vielmehr sei Bildung ein öffentliches Gut, in gewissem Umfang gar ein meritorisches Gut. Daher gilt heute die Bereitstellung des Gutes Bildung bzw. die Sicherung eines bestimmten Bildungsniveaus als ein aus dem Grundgesetz ableitbares gesellschaftliches Ziel, für dessen Erfüllung der Staat zu sorgen habe. Aus den historischen Anfangsbedingungen, die später durch die Theorie der öffentlichen Güter quasi legitimiert wurden, entwickelte sich ein faktisches Monopol des Staates als Bildungsanbieter, zumindest in den Bereichen allgemeine und berufliche Schul- und Hochschulbildung, denen hohe externe Effekte zugesprochen werden. - Neben die Marktversagensthese trat bald die These, daß nur der Staat die vom Grundgesetz Artikel 72 geforderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gewährleisten könne.
III. Ökonomische Aspekte der B.: 1. Allokationspolitik: a) Interne Effizienz: Hier geht es um die Gestaltung der Lernbedingungen durch die bildungspolitisch verantwortlichen Instanzen in einer solchen Weise, die es den Akteuren "vor Ort" möglich macht, in ihren Bildungsinstitutionen aus den ihnen zur Verfügungen stehenden knappen Ressourcen den maximal möglichen Lernerfolg herauszuholen bzw. einen bestimmten Lernerfolg mit minimalen Kosten zu realisieren. b) Externe Effizienz bzw. optimale Allokation: Die Ressourcen im Bildungssystem sind so einzusetzen, daß auch im Vergleich zu ihren alternativen gesellschaftlichen Verwendungsmöglichkeiten der gesellschaftliche Nutzen bzw. der Beitrag des Bildungssystems zur gesellschaftlichen Wohlfahrt möglichst maximiert wird. Dieser Wohlfahrtsbeitrag wird insbes. in der bestmöglichen Förderung des wirtschaftlichen Wachstums gesehen. - 2. Verteilungspolitik: Verteilungspolitisch besteht die Relevanz der Bildungspolitik in ihrem Potential zur Nivellierung von Vermögens- und Einkommensungleichheit. Da die individuelle Qualifikation neben dem Besitz an Geld- und Sachkapital nach wie vor als wichigste Erwerbsquelle gilt, besteht eine eminent wichtige gesellschafts-, vermögens- und einkommenspolitische Funktion der Bildungspolitik darin, die Bildung von Humankapital als Teil einer auf Chancengleichheit abzielenden Gesellschafts-, Vermögens- und Einkommenspolitik (Verteilungspolitik, Vermögens-, Einkommenspolitik) zu fördern. Die Gebührenfreiheit schulischer und hochschulischer Bildung, die Subventionierung von Erwachsenenbildung und Teilen der beruflichen Weiterbildung, die Ausbildungsförderung für Schüler und Studierende und neuerdings für Meister, sind Ausdruck einer auf Chancenausgleich und Verteilungsgerechtigkeit abstellenden Bildungspolitik
IV. Ziele der B.: Bildungspolitische Ziele bezeichnen Sollzustände des Bildungswesens, seiner Institutionen, der Lernbedingungen, aber auch der Lernerfolge, die mittels bildungspolitischen Handelns angestrebt werden. Diese spezifischen Ziele der Bildungspolitik sind zugleich den allgemeinen Leitzielen bzw. Normen der Gesellschaft verpflichtet. - 1. Allgemeine gesellschaftliche Normen als Hintergrundziele der B.: Bildungspolitische Ziele werden in der Regel abgeleitet aus den Zielen, die eine Gesellschaft durch Bildung ihrer Mitglieder verfolgt. Diese allgemeinen Bildungsziele sind großenteils identisch mit den allgemeinen Normen, die sich die Gesellschaften in übernationalen Deklarationen und Konventionen sowie in ihren nationalen Verfassungen gesetzt haben. Dazu gehören u. a. Gerechtigkeitsziele, Gleichheitsziele, die Wahrung der Menschenwürde und die freie Entfaltung der Person, der Schutz der Bedürftigen, die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Da diese obersten Normen der Gesellschaft nicht alle simultan auf höchstem Niveau realisiert werden können, ist es auch eine Aufgabe der B., sich direkt und indirekt, d. h. über die von ihr initiierten und gestalteten Bildungsprozesse vor allem politischer Bildung, um einen Ausgleich der Zielkonflikte durch das Streben nach der jeweils besten Synthese zu bemühen. - 2. Spezifische Ziele der B.: Sie lassen sich weitgehend aus den Normen der Gesellschaft ableiten und konkretisieren die Leistungserwartungen an das Bildungssystem. Da diese Leistungserwartungen sich widersprechen können, sind bildungspolitische Zielkonflikte u. U. nicht vermeidbar. So können z. Bildungspolitik das Ziel, dem Beschäftigungssystem jeweils die Menge und Qualität an Qualifikationen bereitzustellen, die es benötigt, und das Ziel, Bildungswege offenzuhalten und das Angebot an Qualifikationen von individuellen Bildungsentscheidungen abhängig zu machen, im direkten Widerspruch zueinander stehen. Allgemein gesprochen ist es das Anliegen der B., die nachwachsenden Generationen jeweils in Traditionen, Wertvorstellungen und Verhaltensregeln einzugliedern und ihnen Kenntnisse zu vermitteln, die sie für die Lebensführung in der jeweiligen Gesellschaft benötigen. Dabei wird einerseits möglichst viel Gemeinsames und Einheitliches angestrebt, um die Identität der Gesellschaft als eine bestimmte Gesellschaft mit bestimmten Normen, Werten und Regeln zu gewährleisten, andererseits geht es um funktionale Differenzierung und individuelle Entfaltung; es stehen folglich ein Integrations- und ein Differenzierungsziel in Konflikt zueinander (Sozialisation versus Individuierung). Ein weiteres fundamentales bildungspolitisches Spannungsverhältnis ergibt sich daraus, daß das Ziel der Bildungspolitik einerseits die Bewahrung der Gesellschaft ist, andererseits zugleich ihre Veränderung durch Innovationen, die aus dem Bildungssystem in die anderen gesellschaftlichen Bereiche hineinstrahlen. - Aus den gesellschaftlichen Funktionen des Bildungssystems lassen sich folgende spezifische bildungspolitische Ziele herleiten: Verwahrung der Heranwachsenden in einem Schutzraum, Sozialisation und Integration der Heranwachsenden in die bestehende Gesellschaft, ihre Qualifizierung für berufliches Handeln sowie die Allokation und Selektion der Qualifikationen, Chancenausgleich bzw. Chancengleichheit und die Hilfe bei Selbstentfaltung, Selbstfindung und Sinnsuche (Persönlichkeitsentfaltung).
V. Funktionen und Steuerungsmöglichkeiten der B.: Die allgemeinen Funktionen der Bildungspolitik gleichen denen staatlicher Gestaltung anderer Sachgebiete. Die Funktionsabläufe umfassen die Analyse der jeweiligen Ausgangsbedingungen und Problemlagen des Ressortbereichs einschließlich ihrer Randbedingungen und Entwicklungstendenzen (Prognose wahrscheinlicher Veränderungen wichtiger Handlungsparameter, Offenlegung des Handlungsspielraums, Klärung von und Entscheidung über Ziele sowie ressortinterne Integration der Willensbildung über die Gewichtung und Kombination von Zielen, Planung von Handlungsprogrammen mit zeitlich gestaffelten Zielen und Kostenkalkulationen, Zustimmung zu diesen Programmen bei den Interessierten, Durchsetzung des benötigten Ressourcenvolumens, Verteilung der Mittel auf Sachbereiche und innerhalb der Subsysteme, Koordination von Programmen mit anderen Ressorts, Veränderung von Institutionen, Regeln und Verfahren, Rekrutierung von Personal etc.) Solche allgemeinen staatlichen Gestaltungsfunktionen werden im Rahmen von Bildungspolitik angewendet auf die Ordnung und Gestaltung von Bildungsinstitutionen, Trägerschaft, Schulpflicht, Zugangsbedingungen, Prüfungsmodalitäten, Dauer von Bildungsgängen, Übergangsmöglichkeiten zwischen Bildungsgängen, Zertifikate, Mitbestimmung der Lernenden und ggfs. ihrer Eltern auf den Autonomiespielraum der Bildungseinrichtungen. Darüber hinaus ist bildungspolitisch zu entscheiden über Lernziele, Lerninhalte, Didaktik und Methodik des Unterrichts, Lehr- und Lernmittel, Ausbildung von Pädagogen, über ihre Besoldung, Laufbahnen und Karriereleitern, über Zulassung und Förderung nichtstaatlicher Institutionen, über die finanzielle Förderung von Lernenden. Mit den genannten Entscheidungsobjekten sind zugleich die wichtigsten Steuerungsinstrumente bezeichnet, mit deren Hilfe bildungspolitisch bestimmt werden kann, wer wieviel Bildung auf welche Art in welchen Institutionen unter welchen Bedingungen unter Einsatz welcher Ressourcen und zu welchem Preis erhält. Der faktischen Steuerungskapazität sind indes trotz des umfangreichen Instrumentariums Grenzen gesetzt, die aus nur langfristig veränderbaren Einstellungen der Beteiligten, aus oft langen Wirkungsabläufen bildungspolitischer Maßnahmen und partikularisierten Interessen sowie einer starken Ideologisierung der Bildungspolitik resultieren.
VI. Bildungspolitik in der Bundesrep. D.: 1. Bildungs- und Kulturföderalismus als Grundprinzip: Wichtige regulative Grundlagen für die Bildungspolitik wurden nach dem Zweiten Weltkrieg noch vor der Gründung der Bundesrep. D. im Jahre 1949 und vor der Verabschiedung des Grundgesetzes durch Kontrollratsdirektiven, Anordnungen der Besatzungsmächte und Länderverfassungen geschaffen. Die Erfahrungen mit einem im Dritten Reich zentralisierten und den nationalsozialistischen Zwecken untergeordneten Bildungssystem veranlaßten die Alliierten, die Gesetzgebungs- und Politikkompetenz für das Bildungswesen den Ländern zuzusprechen. Dementsprechend erhielten diese im Grundgesetz (Artikel 70, Ziffer 1 GG) zunächst die ausschließliche Zuständigkeit für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Bildungswesens, d. h. für die Kindergartenerziehung, für die Schul-, Hochschul- und Erwachsenen- bzw. Weiterbildung. Während für den Bereich des Hochschulwesens auch die Verwaltungs-, Planungs- und Finanzierungskompetenz in die Hände der Länder gelegt wurde, mußten sie sich diese Zuständigkeiten im Bereich der Kindergärten, Schulen und Erwachsenenbildung mit den Kommunen teilen. Die Kompetenz des Bundes blieb zunächst auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und die rechtliche Regulierung der betrieblichen Berufsausbildung beschränkt. Die zuletzt genannte Zuständigkeit für die betriebliche Berufsausbildung wird bis heute aus der Zuständigkeit des Bundes sowohl für das Wirtschafts- und Arbeitsrecht (Artikel 74, Ziffer 11 GG) als auch für das Berufsrecht und das Berufszugangsrecht (Artikel 12 GG) abgeleitet. Betriebliche Berufsausbildung gilt gestern wie heute als genuine Aufgabe der Wirtschaft. - Beruteilung: Der Bildungs- und Kulturföderalismus war und ist nicht unumstritten. Insbes. in den sechziger und siebziger Jahren wurde die Abstimmung einer im Prinzip dezentralen Bildungspolitik mit den überwiegend zentral bestimmten Maßnahmen der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik als dringlich empfunden und zugleich zunehmend schwieriger. Es schien immer weniger möglich zu sein, auf der Basis dezentraler bildungspolitischer Kompetenzen die in Artikel 72, Ziffer 2 Punkt 3 geforderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse sowie die ebenfalls im Grundgesetz (Artikel 12) garantierte Freizügigkeit bei der Bildungs- und Berufswahl zu wahren. Darüber hinaus schien die Mitte der sechziger Jahre einsetzende, politisch gewollte Expansion der weiterführenden allgemeinen Bildung und insbes. der Ausbau des Hochschulsystems die Finanzierungskraft der Bundesländer zu überfordern. Politisch gewollt war diese Expansion seinerzeit, weil sie mit der Erwartung verknüpft war, daß sich einerseits die von der Bildungsökonomik in Aussicht gestellte Förderung bzw. Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums realisieren ließe, und daß andererseits die Versprechungen von gleichen Lebenschancen durch Angleichung der Bildungschancen erfüllt werden könnten. - 2. Zentralisierungsschub 1969: Ein wichtiger entscheidender Schritt in Richtung auf eine größere Zuständigkeit des Bundes wurde 1969 getan, als sich die Bundesregierung mittels einer zugunsten der Länder veränderten Verteilung des Steueraufkommens und mit einer Finanzierungsbeteiligung am Hochschul- und Wohnheimbau sowie an der Ausbildungs- und Graduiertenförderung eine grundgesetzliche Erweiterung ihrer Zuständigkeit im Bereich des Hochschulbaus, der Ausbildungsförderung und der Gesamtplanung des Bildungswesens erkaufte. Weitergehende Forderungen nach Kompetenzverlagerungen zugunsten des Bundes lehnten die Länder mit dem Verweis auf die bereits gemachten Zugeständnisse sowie auf den kooperativen Föderalismus zwischen Bund und Ländern (gemeinsamer Ausschuß für den Hochschulbau, Errichtung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (und Forschungsförderung) (BLK) im Jahre 1970) ab. Die spezifische Koordinationsaufgabe, die sich für die Länder daraus ergibt, daß sie als Teil eines Bundesstaates die Interessen der jeweils anderen Länder und des Gesamtstaates zu berücksichtigen haben, haben die Länder durch die bereits 1949 eingerichtete Ständige Konferenz der Kultusminister (Kultusministerkonferenz bzw. KMK) zu lösen versucht. Mit der Intensivierung der Bildungsexpansion und vor allem der Bildungsreformversuche seit Mitte der sechziger Jahre traten ideologische und bildungspolitische Differenzen innerhalb der KMK zwischen CDU- und SPD/FDP-regierten Ländern immer stärker hervor, was einstimmige Beschlüsse der KMK zunehmend verhinderte und das Konzept des kooperativen Föderalismus auf dem Gebiet der Bildungspolitik in Frage stellte. - 3. Stärkung der föderativen Tendenzen seit Anfang der neunziger Jahre: Die bildungspolitischen Auseinandersetzungen in der KMK sowie zwischen Ländern und Bund waren z. T. Ausdruck des Ringens um die politische Macht auf Bundesebene, z. T. spiegelten sie die Sorge der Länder um ihre Eigenstaatlichkeit wider. Bei den Versuchen, die Grundlagen für die gemeinsame Bildungsplanung offenzulegen und zu klären, zeigte sich zudem, daß die im Grundgesetz formulierten Normen kontrovers interpretiert wurden und die Auseinandersetzungen um die Ziele und Mittel der Bildungspolitik zu keinem Konsens führen konnten. Vielmehr erlahmten gegen Ende der siebziger und vor allem in den achtziger Jahren die bildungsreformerischen Kräfte, und der 1969 geschaffene Status quo der bildungspolitischen Zuständigkeiten blieb bis heute erhalten. Es scheint - vor allem auch als Reaktion auf die Beschlüsse der europäischen Regierungschefs von Maastricht - in Deutschland eher eine Strömung in Gang gekommen zu sein, die den Länderföderalismus und die Eigenständigkeit der Länder stärken will.
VII. Bildungspolitische Beratung: Das Bedürfnis und die Notwendigkeit, sich über die Grundlagen der Bildungspolitik zu verständigen und Gesamtkonzepte für die Entwicklung des Bildungssystems zu erarbeiten, konnte weder von den Regierungen noch von den Parlamenten und ihren Ausschüssen befriedigend erfüllt werden. Auch die Kultusministerkonferenz erwies sich dafür als nicht geeignet, da sie zu sehr in die Abstimmung der Alltagspolitik und der Bildungsverwaltung verstrickt war. Deshalb wurden auf der Basis von Abkommen zwischen Bund und Ländern Beratungsgremien geschaffen, deren Auftrag als langfristige gesamtstaatliche Programm- bzw. Bildungsplanung charakterisiert werden kann. - 1. Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen: Als erstes ehrenamtliches Gremium dieses Typs 1953 errichtet. Er hat zwischen 1953 und 1965 in einer Reihe von Gutachten und Empfehlungen zu zahlreichen Problemen von Struktur und Inhalten des Bildungswesens und einzelner Teile des Bildungswesens Stellung genommen. Die Gesamttendenz der Äußerungen stellte auf einen behutsamen Umbau des Bildungssystems ab. Der Ausschuß folgte darin den damals neuen erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen (z. Bildungspolitik den Aussagen der dynamischen Begabungstheorie). Die Empfehlungen, die in einem sog. Rahmenplan zur Entwicklung des Bildungswesens kulminierten, hatten letztlich nur sehr begrenzte Wirkungen in den Ländern (z. Bildungspolitik die Umbenennung der Volksschule in die Grundschule einerseits und die Hauptschule andererseits im Jahre 1964). Wegen weitgehender Wirkungslosigkeit des Deutschen Ausschusses wurde seine Arbeit 1965 beendet. - 2. Wissenschaftsrat: Bereits im Jahre 1957 wurde der Teilbereich der Hochschulen aus dem Verantwortungsbereich des Deutschen Ausschusses ausgegliedert und dem Wissenschaftsrat überantwortet, der seitdem und bis heute für die Hochschulentwicklung in der alten Bundesrepublik und seit 1990 im vereinten Deutschland eine maßgebliche Rolle spielt. Diese besondere Rolle des Wissenschaftsrats spiegelt zum einen die damalige starke Fokussierung der Bildungspolitik auf den Hochschulbereich wider, die durch den faktischen oder vermeintlichen Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften erklärbar ist. Zum anderen hatte und hat der Wissenschaftsrat politische Wirkkraft aufgrund seiner organisatorischen Konstruktion. Im Unterschied zum Deutschen Ausschuß waren neben den ehrenamtlichen Experten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen und aus der Wirtschaft (wissenschaftliche Kommission) Vertreter der Länder und des Bundes an den Beratungen und Empfehlungen (Verwaltungskommission) beteiligt. Diese Struktur der Zusammensetzung hat zur Folge, daß die Analysen und Empfehlungen des Wissenschaftsrats sich vorrangig mit realisierbaren und politisch umsetzbaren Änderungsvorschlägen befaßten bzw. befassen. - 3. Deutscher Bildungsrat: Dieses Maß an Politiknähe und an Realistik wies der Deutsche Bildungsrat nicht auf, der 1965 als Nachfolgeorganisation des Deutschen Ausschusses eingerichtet wurde. Der Bildungsrat legte eine Fülle von Empfehlungen vor, die in der Regel auf Gutachten und kritischen Analysen des bildungspolitischen Status quo beruhten. Die Politikempfehlungen des Bildungsrats richteten sich mehrheitlich auf langfristige und z. T. fundamentale Reformen des Bildungswesens, wobei der Hochschulbereich ausgeklammert wurde und der Zuständigkeit des Wissenschaftsrats überlassen blieb. Auch im Bildungsrat waren neben ehrenamtlichen Sachverständigen (Persönlichkeiten aus der Wissenschaft und dem öffentlichen Leben; sog. Bildungskommission) Vertreter der Regierungsebenen von Bund und Ländern beteiligt (sog. Regierungskommission). Die Empfehlungen des Bildungsrats wurden von den zuständigen amtlichen Stellen auf Realisierungsmöglichkeiten geprüft. Auf diese Weise wurden bis Anfang der siebziger Jahre viele der Beratungsergebnisse des Bildungsrats in Empfehlungen der KMK und in Maßnahmen der Länder umgesetzt. Der Bildungsrat hat der Bildungspolitik in der Bundesrep. D. eine Fülle von Anregungen bereitgestellt und bis Anfang der siebziger Jahre viel für die Integration unterschiedlicher, z. T. gegensätzlicher Konzepte und vor allem für deren rationale Diskussion getan. Diese integrative Wirkung verpuffte danach zunehmend, da sich sowohl außerhalb wie später auch innerhalb des Gremiums die Polarisierung der bildungspolitischen und der dahinterstehenden gesellschaftspolitischen Positionen derart zuspitzte, daß die Außenwirkung des Bildungsrats immer mehr verblaßte. 1975 setzten sich schließlich die politischen Kräfte durch, die den Bildungsrat mittlerweile für überflüssig hielten, so daß das Gremium 1975 seine Arbeit einstellen mußte. - 4. Sonstige Beratungsgremien: Neben diesen Beratungsgremien wurden Ausschüsse mit begrenzten Aufgaben eingerichtet: (1) Planungsausschuß für den Hochschulbau, der gemäß Artikel 91a GG seit 1969 tätig ist und die Hochschulbaumaßnahmen plant; (2) Bundesausschuß für Berufsbildung, der gemäß § 50 des Berufsbildungsgesetzes von 1969 bis zur Errichtung des Bundesinstituts für Berufsbildung im Jahre 1976 eine beratende Funktion ausübte; (3) Ein Beispiel für einen Ad-hoc-Ausschuß mit beratender Aufgabe war die von 1971 bis 1974 tätige Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung, die neben einer umfangreichen Erhebung und Auswertung von Daten über Kosten und Erträge der betrieblichen Ausbildung eine Empfehlung zur Umlagefinanzierung der außerschulischen Berufsbildung erarbeitete. - 5. Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (und Forschungsförderung) (BLK): Zweifellos war die Zeit zwischen 1965 und 1973 die Phase, in der die bildungspolitischen Reformbemühungen am intensivsten betrieben wurden. Es war die Zeit des Wirkens des Bildungsrats, der ersten wirtschaftlichen Rezession in der Bundesrep. D. (1966/67) sowie fundamentaler politischer Veränderungen, die mit dem Vertrauensverlust in die Selbststeuerungskräfte der Marktwirtschaft einhergingen. 1966 gelang der SPD erstmals der Einritt in die Bundesregierung in einer Großen CDU/SPD-Koalition, die 1969 die bildungspolitisch so bedeutsamen Änderungen des Grundgesetzes bewerkstelligte. Noch im selben Jahr (1969) wurde die Große Koalition durch eine sozialliberale SPD/FDP-Koalition abgelöst. Für die Realisierung der gesellschaftspolitischen Ziele (Schaffung von mehr Demokratie und Chancengleichheit, von gleichen Lebenschancen und wachsendem Wohlstand) sollte das Bildungswesen (und damit die B.) der entscheidende Motor der Veränderungen sein. War der Bildungsrat "lediglich" ein Beratungsgremium von hohem Sachverstand, so sollte nun die eigens 1970 aufgrund von Artikel 91 b des GG eingerichtete Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (später: und Forschungsförderung) (BLK) eine gesamtstaatliche Bildungspolitik vorbereiten. a) Der Planungsauftrag: ein Bildungsgesamtplan. Die Kommission erhielt den Auftrag, einen langfristigen Rahmenplan für das gesamte Bildungswesen sowie mittelfristige Stufenpläne und Programme für die Durchführung vordringlicher Maßnahmen vorzubereiten. Sie sollte in Abstimmung mit dem Finanzplanungsrat ein gemeinsames langfristiges Bildungsbudget erarbeiten und die von der Konferenz der Regierungschefs zu verabschiedenden Pläne fortlaufend überprüfen und fortschreiben. Bei der Entwicklung eines Gesamtplans für das Bildungswesen umfaßte die Definition des Bildungswesens erstmals auch die vorschulischen Einrichtungen (Kindergärten, seitdem Elementarbereich genannt) sowie den Bereich der Weiterbildung (als vierten Bildungssektor); ausgeklammert blieb hingegen der Bereich der außerschulischen beruflichen Bildung. - Bei der Erarbeitung dieses Bildungsgesamtplans griff die BLK auf ein umfassendes Konzept der Reorganisation und Umstrukturierung des Bildungswesens, den sog. Strukturplan für das Bildungswesen zurück, der 1970 vom Bildungsrat vorgelegt worden war und vielerseits starke Beachtung gefunden hatte. Der Bildungsgesamtplan, den die Kommission 1973 verabschiedete, ist in großen Teilen eine Übersetzung dieses Strukturplans in reale und monetäre Größen (Schülerströme, Bildungsausgaben) sowie in Zeitschritte der Umsetzung. Strukturell war schon am Strukturplan des Bildungsrats bedeutsam, daß das Bildungswesen nicht mehr als ein nach Schulformen und Abschlüssen vertikal, d. h. hierarchisch gegliedertes System modelliert wurde, sondern als ein horizontal gestuftes, das durchlässig sein sollte und das Bildungswesen aus fünf Teilsystemen rekonstruierte: Elementarbereich, Primarstufe (Grundschulen), Sekundarbereich I (der die Jahrgänge 5 bis 9 bzw. 10 der Haupt-, Realschule und des Gymnasiums in Form der Gesamtschule zusammenfassen sollte), Sekundarbereich II (der die gymnasiale Oberstufe sowie alle berufsbildenden Bildungsgänge einschließen sollte), den tertiären Sektor (der alle Hochschularten in einer Gesamthochschule zusammenfassen sollte) und den quartären Bereich der Weiterbildung. Die BLK nahm dieses neue Strukturmodell des Bildungsrats angesichts sich andeutender und schnell artikulierender Widerstände nur halbherzig in den Bildungsgesamtplan auf, insofern als die Planung alternativ, d. h. sowohl nach Bildungsstufen wie auch nach Institutionsarten vorgenommen wurde. War der Bildungsgesamtplan einerseits eine großartige Leistung im Hinblick auf Planungsmethodik und Bildungsstatistik wie auch auf Integration der Auffassungen und Zuständigkeiten zahlreicher Beteiligter aus diversen Dienststellen von Bund und Ländern, so demonstrierte er andererseits die Grenzen der bildungspolitischen Konsensmöglichkeit und auch die Grenzen der Finanzierungsbereitschaft der verantwortlichen Stellen. - b) Grenzen der Bildungsgesamtplanung: Der bildungspolitische Dissens kam in drei Minderheitsvoten zum Ausdruck, die insbes. drei Reformvorhaben betrafen: die Orientierungsstufe (d. h. die Umdefinition des fünften und sechsten Schuljahres an den weiterführenden Schulformen der Sekundarstufe I in die sog. Orientierungsstufe, die entweder an den Grundschulen oder an den weiterführenden Schulen oder in einer eigenen Stufe organisiert sind und die Entscheidung der Eltern für eine der weiterführenden Schulformen hinausschieben sollte), die Gesamtschule (die als integrierte Schulstufe der Sekundarstufe I die Schularten Hauptschule, Realschule sowie Gymnasium ersetzen sollte) und die Lehrerbildung (die ihrerseits der Schulstufenstruktur angepaßt werden sollte). Die Minderheit plädierte für die Beibehaltung des gegliederten Schulwesens und eine entsprechend differenzierte Ausbildung und Besoldung der Lehrer. Ein weiterer Konflikt betraf die Finanzierung des im Bildungsgesamtplan entwickelten Programms und ergab sich dadurch, daß der Finanzplanungsrat den Bildungsgesamtplan als nicht finanzierbar bezeichnete und mehrmals auf Revision kostenintensiver Vorhaben drängte. Dabei ging es vor allem um die Senkung der Schüler-Lehrer-Relationen und die daraus resultierende Steigerung der Personalkosten. Zudem weigerte sich der Finanzplanungsrat, einen bestimmten Gesamtanteil der Bildungsausgaben am öffentlichen Gesamthaushalt festzulegen, der es ermöglicht hätte, das Bildungsbudget auf längere Sicht zu planen. Der schließlich 1973 von den Regierungschefs verabschiedete Bildungsgesamtplan enthielt zwar die optimistischen Kostenkalkulationen, ließ aber die Frage der Finanzierbarkeit offen. Eine Antwort auf diese Frage gaben 1974 die Staatssekretäre der Finanzministerien von Bund und Ländern, indem sie in einem unveröffentlichten Papier den Bildungsgesamtplan als nicht finanzierbar erklärten und die BLK zwangen, in mittelfristig orientierten Fortschreibungen das Programm zeitlich zu strecken und sich bei den Zielen zu bescheiden. Der Versuch, den Bildungsgesamtplan im Jahr 1981 noch einmal langfristig fortzuschreiben, scheiterte.
VIII. Bereichspolitiken und Ergebnisse: 1. Elementarbereich: Galt der Elementarbereich traditionell als Teil des Sozial- und Fürsorgesystems, so wandelte sich dieses Verständnis grundlegend im Zuge der Bildungsreformdiskussionen. Im Ergebnis gilt der Elementarbereich seit dem "Strukturplan für das Bildungswesen" des Deutschen Bildungsrats und insbes. seit der Verabschiedung des Bildungsgesamtplans als elementarer Bereich des Bildungswesens, dessen Programmatik nicht (mehr) durch Fürsorgeziele, sondern durch einen Bildungsauftrag charakterisiert ist. Die mit dem Bildungsgesamtplan verknüpfte sozialdemokratische Absicht, einen Versorgungsgrad von 75% der entsprechenden Jahrgänge bei Beitragsfreiheit für die Eltern im Laufe der siebziger Jahre zu erreichen, ist gescheitert, zudem schwankt der Versorgungsgrad ganz erheblich zwischen den Bundesländern. Seit Anfang der achtziger Jahre sind die Elternbeiträge erheblich heraufgesetzt worden, allerdings einkommensabhängig. In den neuen Bundesländern ist der Versorgungsgrad mit Einrichtungen des Elementarbereichs, der zu Zeiten der DDR bei 100% lag und den Müttern die Berufstätigkeit ermöglichte, erheblich gesunken. Derzeit sind die Länder und Gemeinden, die für die Versorgung mit entsprechenden Plätzen verantwortlich sind, durch das novellierte Jugendwohlfahrtsgesetz (das ein Bundesgesetz ist) verpflichtet worden, in relativ kurzer Zeit so viele Plätze bereitzustellen, wie seitens der Eltern nachgefragt werden. Dies stellt die Länder und vor allem die Gemeinden angesichts der zur Zeit ohnehin angespannten Haushaltslagen vor erhebliche Finanzierungsprobleme. - 2. Schulpolitik: Die Schulpolitik stand neben der Hochschulpolitik zunächst (d. h. in den sechziger und siebziger Jahren) im Mittelpunkt der Bildungspolitik Der behauptete und in Prognosen belegte Mangel an akademisch gebildeten Arbeitskräften einerseits wie auch das Faktum ungleicher Partizipation von Arbeiterkindern, Mädchen und Kindern in ländlichen Regionen wurden u. a. auf das gegliederte weiterführende Schulwesen und seine starke soziale wie geschlechtsspezifische Selektivität sowie auf ein unzureichendes Angebot in ländlichen Gebieten zurückgeführt. Schulpolitisches Ziel war es, vor allem die gymnasialen Bildungsgänge als direkte Zulieferer für das Hochschulsystem zu öffnen und beiden Anforderungen, nämlich der Ausbildung erheblich größerer Zahlen von Akademikern und der Öffnung der in die Hochschulen führenden Bildungsgänge für Mädchen und Arbeiterkinder, gerecht zu werden. - Der Weg dahin war allerdings umstritten, da sich die Befürworter des Gesamtschulsystems und die Anhänger des gegliederten Schulsystems relativ unversöhnlich gegenüberstanden. Der Kompromiß, zunächst in einem Modellversuch mit 50 Gesamtschulen diese neue Schulform neben den herkömmlichen Schulformen zu erproben, führte nicht dazu, daß die Gesamtschule flächendeckend als alleinige Regelschule etabliert wurde. Vielmehr machten die Länder nach dem Scheitern des Bildungsgesamtplans zunehmend ihre eigene Schulpolitik, deren Abstimmung in der KMK immer schwieriger und langwieriger wurde. Immerhin einigte sich die KMK 1982 auf ein Rahmenabkommen, in welchem die Gesamtschule als Regelschule akzeptiert und ihre Abschlüsse unter den Bundesländern anerkannt werden. Im Ergebnis hat sich in den alten Bundesländern eine gespaltene Schulstruktur herausgebildet insofern, als die CDU-beherrschten Länder an der Dreigliedrigkeit des weiterführenden Schulwesens festgehalten und Gesamtschulen allenfalls als Einzelfall im Rahmen des o. g. Modellversuchs zugelassen haben, während die SPD-beherrschten Länder ein viergliedriges Schulsystem vorweisen, in welchem die Gesamtschule eine von vier Schulformen der Sekundarstufe I ist. Das Angebot an und die Errichtung von Gesamtschulen wird dabei seit dem Abkommen von 1982 strikt an der Elternnachfrage orientiert. Die Gesamtschulen sind von den Eltern zunehmend angenommen worden, immerhin besuchten 1993 fast 10% aller Schüler der Sekundarstufe I in den alten Bundesländern eine Gesamtschule. - Bildungs- und schulpolitisch bedeutsamer war allerdings ein anderer Trend in der Entwicklung der Bildungsnachfrage: Besuchten 1960 noch 66% aller Schüler der Sekundarstufe I eine Hauptschule, 14% eine Realschule und 20% ein Gymnasium, so waren die entsprechenden Besuchsquoten 1993 wie folgt: 30% Hauptschule, 27% Realschule, 33% Gymnasium und knapp 10% Gesamtschule. Das Gymnasium ist damit zur meistbesuchten Schulform der Sekundarstufe I geworden. Bei diesen Besuchsquoten gibt es allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern und zwischen Regionen innerhalb jedes einzelnen Bundeslandes. Interessant ist ferner, daß mittlerweile der Mädchenanteil an den Abiturientenjahrgängen etwas über 50% liegt, während der Anteil der Jugendlichen aus Arbeiterfamilien an den Gymnasien sich zwischen 1975 und 1993 von etwa 20% auf 26% erhöht hat. Deutlich ist, daß Gesamtschulen einen erheblich höheren Anteil von Arbeiterkindern zum Abitur führen als Gymnasien. Für Jugendliche in ländlichen Regionen ist das Angebot an weiterführenden Schulen ebenfalls erheblich erweitert worden, allerdings hat sich der relative Chancenabstand zu Jugendlichen in städtischen Gebieten kaum verringert, da dort das Angebot noch dichter ausgebaut wurde. - Für alle Schulformen und Schulstufen gilt, daß die Versorgung mit Lehrpersonal gegenüber den sechziger Jahren deutlich verbessert wurde, so daß sowohl die durchschnittlichen Klassengrößen als auch Schüler-Lehrer-Relationen im Laufe der siebziger Jahre erheblich gesenkt werden konnten. - 3. Hochschulpolitik: Die Hochschulpolitik folgte ähnlich wie die Schulpolitik dem Doppelziel, über einen Ausbau der Hochschulen den vermeintlichen Akademikerbedarf und die wachsende Nachfrage nach Hochschulbildung zu befriedigen wie auch Jugendlichen aus hochschuldistanten Milieus Chancen auf eine universitäre Bildung zu eröffnen. Seit Mitte der sechziger Jahre setzte eine Welle von Hochschulgründungen ein, die einem Regionalisierungskonzept folgte und Hochschulangebote in den Regionen errichtete, die bis dahin unterversorgt waren (z. Bildungspolitik das Ruhrgebiet, Ostwestfalen, die Pfalz, das Siegerland, westliches Niedersachsen, Nordhessen, Südwürttemberg, Nord- und Westbayern). Diese Welle ebbte in den siebziger Jahren aus. Strukturell traten neben die Wissenschaftlichen Hochschulen die Fachhochschulen. Eine weitergehende Strukturreform, die im ersten Hochschulrahmengesetz von 1976 beabsichtigt war und die Zusammenfassung der Wissenschaftlichen und Fachhochschulen zu Gesamthochschulen, scheiterte am fehlenden Konsens zwischen den Ländern. Lediglich einige SPD-beherrschte Länder errichteten Gesamthochschulen (z. Bildungspolitik Hessen und Nordrhein-Westfalen), die neben die bestehenden Universitäten und Fachhochschulen traten. Die Gesamtzahl der Studienplätze wurde Mitte der siebziger Jahre in den alten Bundesländern bei 800.000 festgeschrieben. Dies verhinderte allerdings nicht den gemeinsamen Beschluß von Bundesregierung und Bundesländern im Jahre 1977, die Hochschulen weiter für die anwachsende Nachfrage nach Studienplätzen zu öffnen und die damals für nahezu alle Studienfächer vorherrschenden Beschränkungen des Hochschulzugangs aufzuheben, um den durch das Bildungssystem strömenden geburtenstarken Jahrgängen der sechziger Jahre die Bildungschancen nicht zu verbauen. Im Ergebnis studierten 1993 an den Hochschulen der alten Bundesländer 1,7 Mio. (deutsche und ausländische) Studierende auf 800.000 Studienplätzen, in ganz Deutschland besetzen 1,875 Mio. Studierende 920.000 Studienplätze. Hat sich im alten Bundesgebiet zwischen 1975 und 1993 die Zahl der Studierenden von 841.000 auf 1,712 Mio. etwas mehr als verdoppelt, so fiel der Anstieg des Bestandes an wissenschaftlichem Personal im gleichen Zeitraum mit 16% (von 78.000 auf 90.000) bzw. an Professuren mit nur 12% (von 30.000 auf 34.000) vergleichsweise bescheiden aus, so daß die Relation von Studierenden zu Stelle (wissenschaftliches Personal) von 11 in 1975 auf 19 in 1993 und die Relation zwischen Studierenden zu Professuren im gleichen Zeitraum von 27 auf 50 gestiegen ist. - Der Anstieg der Zahl der Studierenden ist dabei nur z. T. demographisch bedingt oder auf die Bildungspräferenzen zurückzuführen. Ein wichtiger Faktor ist die kontinuierlich gewachsene durchschnittliche Studiendauer in allen Studienfächern, in allen Hochschularten und an allen Studienorten, wenn auch z. T. mit unterschiedlichem Tempo. Die Gründe für dieses Phänomen sind vielfältig und werden kontrovers diskutiert. Auffällig ist, daß die Hochschulpolitik bereits seit den späten sechziger Jahren diesen Trend steigender Studiendauer beklagt hat, ohne daß es ihr in einem Zeitraum von nunmehr dreißig Jahren gelungen wäre, diesen Trend zu stoppen. Die ebenfalls seit den sechziger Jahren angestrebte Studien- und Studienstrukturreform, die in einem engen Zusammenhang mit dem Problem der Studiendauer gesehen wird, steht nach wie vor als ungelöstes Problem auf der Tagesordnung der Hochschulpolitik. Es scheint, als habe Nordrhein-Westfalen erstmals mit seinem Programm "Qualität der Lehre", das Mittel für die studentische Lehrevaluation sowie für die Unterstützung von Einführungs- und Orientierungsveranstaltungen durch Tutorien bereitstellt, sowie mit den abgespeckten Studieneckwerten energische Schritte unternommen, die mittelfristig den Trend steigender Studiendauer stoppen und umkehren könnten. - Trotz dieser unbefriedigenden Gesamtsituation hat die Hochschulexpansion dazu beitragen können, die Bildungschancen für Mädchen, Arbeiterkinder und Jugendliche aus ländlichen Regionen zu verbessern. Betrug z. Bildungspolitik im alten Bundesgebiet der Anteil der weiblichen Studierenden an allen Studierenden 1960 noch 24% und der Anteil unter den Studienanfängern 27%, so liegen die entsprechenden Anteile 1993 bei 40% bzw. 43%. In den neuen Bundesländern betragen die Partizipationsraten 1993 sogar 46% bzw. 48,5%. Der Anteil von Arbeiterkindern an den Studienanfängern der Wissenschaftlichen Hochschulen des alten Bundesgebiets lag in den sechziger Jahren bei 7 bis 8%. Der Anteil stieg im Zuge der Hochschulexpansion auf einen Höchststand von knapp 15% Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre, fiel dann allerdings wieder auf unter 10% zwischen 1988 und 1991 ab und liegt 1993 bei 12%. An den Fachhochschulen war der Anteil der Arbeiterkinder stets deutlich höher (1975 mit knapp 28% gegenüber 15%), er sank aber ebenfalls in den achtziger Jahren stark ab (1991 auf knapp 18%) und lag 1993 bei 20%. In erheblich stärkerem Maße waren Beamte und insbes. Angestelltenfamilien die Nutznießer der Hochschulexpansion. In den neuen Bundesländern liegen die Anteile von Arbeiterkindern höher (mit 15% an den Universitäten bzw. 22% an den Fachhochschulen in 1993), allerdings scheint der Trend zumindest kurzfristig rückläufig zu sein. - 4. Berufsbildungspolitik: Erst in den sechziger Jahren entwickelte sich eine Berufsbildungspolitik, zunächst im Gefolge des 1969 verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes (als Bundesgesetz), später auch auf Länderebene im Gefolge der Kritik an der Berufsausbildung im System der dualen Berufsausbildung. Diese Kritik richtete sich in erster Linie gegen den in den Betrieben stattfindenden (größeren) Teil der Ausbildung. Mehrere nicht repräsentative Einzelstudien waren zu dem Ergebnis gekommen, daß die Lehrlinge in den Betrieben eher als billige Arbeitskräfte ausgenutzt, denn als Auszubildende ausgebildet würden. Berufspädagogen und auch der Deutsche Bildungsrat empfahlen eine allmähliche Verlagerung der Berufsausbildung in Berufsbildungsgänge an berufsbildenden Schulen oder gar in sog. Kollegschulen. Dies war im übrigen auch die berufbildungspolitische Stoßrichtung des Bildungsgesamtplans von 1973 gewesen. Erschüttert wurde die betriebliche Berufsausbildung zusätzlich durch die Ergebnisse und Empfehlungen der "Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung" (Edding-Kommission), die in ihrem Zwischen- und Abschlußbericht Qualitätsdefizite und starke Qualitätsstreuung konstatierte, die einzelbetriebliche Finanzierungsweise der betrieblichen Bildung als problematisch und nicht effizient charakterisierte und einen Zentralfonds als neues Finanzierungssystem vorschlug. Wehrte sich die Wirtschaft über ihre Verbände einerseits vehement gegen die Kritik wie auch gegen den Finanzierungsvorschlag, so wurde sie seit Mitte der siebziger Jahre dadurch entlastet, daß die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre mit Ausbildungsplätzen versorgt werden mußten und die Öffnung der Hochschulen durch Ausbildung auf Vorrat in den Betrieben ergänzt wurde. Das quantitative Versorgungsproblem schob die Qualitätsfrage und das Finanzierungsproblem in den Hintergrund. Da Hochschulen und duales System allein die Versorgung der starken Jahrgänge mit Ausbildungsplätzen nicht gewährleisten konnten, trat die Berufsbildungspolitik der Länder insofern auf den Plan, als die Länder neue berufliche Bildungsgänge in den berufsbildenden Schulen einrichteten, z. T. in Teilzeit-, z. T. in Vollzeitform, die als Alternative für eine duale Ausbildung oder als Vorbereitung darauf fungierten (z. Bildungspolitik Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Fachgymnasien, Fachoberschulen, Berufsfachschulen). Insbes. Berufsfachschulen, Fachgymnasien, Fachschulen und Fachoberschulen konnten bis heute einen wachsenden Anteil der entsprechenden Jahrgänge aufnehmen, ohne daß aber das duale System an Klienten verloren hätte - im Gegenteil: das duale System versorgt inzwischen etwa 70% der einschlägigen Jahrgänge mit Ausbildungsplätzen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Teil der Jugendlichen sowohl eine duale Ausbildung wie auch berufsschulische Vollzeitbildungsgänge in beiden Richtungen durchlaufen (Warteschleifen), und daß seit Anfang der achtziger Jahre immer mehr Abiturienten/innen vor ihrem Studium eine Ausbildung im dualen System nachfragen (dies ist immerhin seit Mitte der achtziger Jahre gut ein Drittel der Abiturientenjahrgänge) und abschließen, von denen etwa 50% anschließend studieren. Neben dieser in den siebziger Jahren nicht erwarteten Expansion des dualen Systems hat durch Revisionen der meisten Ausbildungsordnungen eine deutliche Anhebung der Ausbildungsqualität stattgefunden, so daß die Kritik der späten sechziger und frühen siebziger Jahre an der dualen Ausbildung verstummt ist. - Zur Zeit bereitet der Berufsbildungspolitik Sorge, daß das Ausbildungsplatzangebot im Bereich der Industrie, z. T. auch im öffentlichen Dienst und im Banken- und Versicherungssektor wie auch im Handel bei steigender Nachfrage sinkt, während es an neuen und zusätzlichen Ausbildungsplätzen in sog. Zukunftsbereichen und Zukunftsberufen fehlt. In den neuen Bundesländern besteht insofern eine problematische Sondersituation, als die betriebliche Ausbildungsinfrastruktur aus der Zeit vor 1990 großenteils zusammengebrochen ist und etwa 40% aller Ausbildungsplätze in über- und außerbetrieblichen Lehrwerkstätten angeboten sowie etwa 70% aller Ausbildungsplätze aus öffentlichen Mitteln finanziert oder subventioniert werden. - 5. Weiterbildungspolitik: Da der Bereich der Weiterbildung im Vergleich zu den anderen Subsystemen des Bildungswesens marktmäßig organisiert ist und eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Trägern kennt, deren Angebote z. T. miteinander konkurrieren, z. T. sich komplementär zueinander verhalten, und da sich im Bereich der öffentlich verantworteten Weiterbildung die Länder und Gemeinden die Verantwortung für Planung, Durchführung und Finanzierung teilen, ohne daß es ein Gremium gibt, das analog zur KMK die Weiterbildungspolitiken der Gemeinden und Länder koordiniert, läßt sich von einer Weiterbildungspolitik auf nationaler Ebene kaum sprechen. Während die berufliche Weiterbildung für arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen in ihren Formen der Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung, der Umschulung und betrieblichen Einarbeitung im wesentlichen von der Bundesanstalt für Arbeit auf der Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969 gefördert wird und die Förderungsbedingungen durch die Bundesregierung definiert werden, obliegt die gesetzgeberische Verantwortung für die allgemeine und politische Weiterbildung den Bundesländern, die entsprechende planerische, administrative und Finanzierungsverantwortung einerseits den Ländern, andererseits den Kommunen und den vielfältigen Trägern. Die berufliche Weiterbildung jenseits der von der Arbeitsverwaltung getragenen Maßnahmen ist ebenfalls planerisch, administrativ und finanzierungspolitisch den Trägern und Nachfragern und damit dem Weiterbildungsmarkt überantwortet, wobei die größte Trägergruppe in diesem Bereich von den Betrieben gestellt wird. Orientiert sich die berufliche Weiterbildung der Bundesanstalt für Arbeit an den Vermittlungschancen ihrer Klientel, so folgen die betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen dem betrieblichen Qualifizierungsbedarf. Demgegenüber ist die allgemeine und politische Weiterbildungspolitik der Länder und Gemeinden vorrangig auf das Ziel der kompensatorischen Förderung gleicher Bildungschancen gerichtet. Wenn auch die Weiterbildungsbeteiligung in der deutschen Bevölkerung (19- bis unter 65jährige) seit 1979 erheblich gestiegen ist (berufliche Weiterbildung: von 10% in 1979 auf 21% in 1991; allgemeine und politische Weiterbildung im gleichen Zeitraum: von 16% auf 22%; wieder aufgenommene Ausbildung: von 2% auf 4%; Gesamtteilnahmequote: von 23% auf 37%), so bleiben doch die Teilnahmeraten nach Geschlecht und sozialem Status stabil ungleich: Männer nehmen in erheblich größerer Intensität vor allem an beruflicher Weiterbildung teil, und je höher der Bildungsabschluß und der berufliche Status ist, um so höher fällt die Teilnahmerate aus.
IX. Phasen der B.: Man kann die Bildungspolitik in der Bundesrep. D. durch Phasen kennzeichnen, die zugleich deutlich machen, daß sie Konjunkturen (Aufmerksamkeitszyklen) unterliegt. Arnold/Marz (1979) unterscheiden bis Mitte der siebziger Jahre fünf Phasen: a) Die erste kurze Phase der "Restauration und Improvisation" (1945-1948) kennzeichnet die Zeit unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in der es darum ging, die Bildungseinrichtungen überhaupt funktionsfähig zu machen. Am Ende stand die Restauration des gegliederten Bildungssystems der Weimarer Republik. - b) Die zweite Phase der "Vereinheitlichung und Koordinierung" (1949-1955) beginnt mit der Gründung der KMK und umfaßt die Periode, in der die Bundesländer sich in der Bildungspolitik abzustimmen beginnen und ihre Politik stärker koordinieren. In diese Phase fällt die Gründung des Deutschen Ausschusses. - c) In der dritten Phase "Effektivierung des Bestehenden" (1956-1962) beginnt die Bildungspolitik bereits auf den wahrgenommenen Mangel an akademischen Arbeitskräften zu reagieren und den Ausbau der Fachschulen und technischen Hochschulen in den Blick zu nehmen. In dieser Phase wird 1957 der Wissenschaftsrat gegründet, und es erfolgt eine erste kritische Darstellung der Schwächen des Schulsystems im "Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinen öffentlichen Schulwesens" des Deutschen Ausschusses (1959). - d) Die vierte Phase (1963 bis 1969) ist gekennzeichnet durch die "Mobilisierung der Bildungsreserven". In dieser Phase ruft Georg Picht die "Deutsche Bildungskatastrophe" aus, legt die KMK ihre erste Lehrerbedarfsprognose vor, die einen erheblichen Lehrermangel bis 1970 voraussagt, postuliert Ralf Dahrendorf das "Bürgerrecht auf Bildung", wird die ökonomische Bedeutung von Bildung wiedererkannt (Renaissance der Bildungsökonomie) und in ersten empirischen Studien das Problem der ungleichen Bildungschancen entdeckt. Es ist die Phase, in der der Deutsche Ausschuß durch den Bildungsrat ersetzt wird, der auf die bildungspolitischen Diskussionen erheblichen Einfluß nimmt. Es ist schließlich die Phase, in der die Große Koalition in einem konsensuellen Kraftakt die bildungspolitisch entscheidenden Grundgesetzänderungen vornimmt, das Berufsbildungsgesetz und das Arbeitsförderungsgesetz verabschiedet, anschließend allerdings von der sozialliberalen Koalition abgelöst wird. - e) Die fünfte Phase umfaßt die "große Bildungsreform" (1969-1973). In diese Phase fallen die großen bildungspolitischen Reformentwürfe wie der "Strukturplan für das Bildungswesen" des Bildungsrats, die "Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970" des Wissenschaftsrats, der Bildungsbericht '70 der Bundesregierung, der eine "Bildungsreform aus einem Guß" zwecks Verwirklichung gleicher Bildungs- und Lebenschancen entwarf, die Gründung der BLK, die Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög), die Arbeit der Edding-Kommission und schließlich die Verabschiedung des Bildungsgesamtplans. - Die sich nach dieser Reformperiode anschließende Phase der Bildungspolitik läßt sich schwieriger einordnen. Man kann die gesamte Phase seit 1974 z. Bildungspolitik als die Phase des Scheiterns der Bildungsreform, der Resignation der Reformer oder als Phase der Ernüchterung, der pragmatischen Kompromisse oder auch der kostenneutralen Öffnung des Bildungswesens bezeichnen. Die Phase ist generell durch die Absage an eine gesamtstaatliche Bildungsplanung in der Tradition des Bildungsgesamtplans geprägt, Planung ist als politische Handlungsstrategie verlagert worden auf die Ebene der einzelnen Bildungsinstitution, deren Handlungsfähigkeit durch Gewährung größerer Autonomiespielräume gestärkt werden soll.
X. Bildungspolitik in den neuen Bundesländern: Die Chance für eine grundlegende kritische Analyse und Reflexion des bundesdeutschen Bildungssystems wurde im Zuge der deutschen Einigung vertan. Der Einigungsvertrag sah nicht nur die Ausweitung der Geltung des Grundgesetzes auf die neuen Bundesländer vor, sondern er unterstellte die neuen Bundesländer auch der Geltung der Schulgesetze der alten Bundesländer sowie der geltenden Abkommen der KMK. So entstanden in den neuen Ländern in kurzer Zeit bildungssystemische Strukturen, die denen der alten Länder gleichen. Der beinahe einzige offene und umstrittene Punkt ist die Dauer des Schulbesuchs bis zum Abitur (derzeit 13 Jahre in den alten Ländern, 12 Jahre in den neuen Ländern in Anlehnung an die DDR-Tradition). Die Hochschullandschaft wurde ebenfalls im wesentlichen derjenigen der alten Bundesländer angepaßt, was einerseits die "Abwicklung" der meisten Wissenschaftsakademien zur Folge hatte (in der DDR waren Hochschulausbildung an den Universitäten und Forschung in den Akademien relativ strikt getrennt), andererseits in den sog. ideologielastigen Fächern zu großen Entlassungswellen unter den eigenen Wissenschaftlern und zu einem beachtlichen Import von Wissenschaftlern aus den alten Bundesländern führte. Ein größerer Teil der tertiären Institutionen wurde in Fachhochschulen umgewandelt, worin die für die gesamte Bundesrep. D. deklarierte hochschulpolitische Linie zum Ausdruck kam, in Zukunft stärker auf den Ausbau der Fachhochschulen - u. U. auch zu Lasten der Universitäten - zu setzen.
XI. Aktuelle Felder der B.: U. a. lassen sich zur Zeit folgende bildungspolitische Aktionsfelder identifizieren: 1. Im Elementarbereich geht es vorrangig um die Schaffung eines Platzangebotes, das die aktuelle sowie prognostizierte hohe Nachfrage nach Einrichtungsplätzen decken kann. Das Hauptproblem besteht zur Zeit vor allem für die Kommunen als den Hauptfinanziers für diese Investitionsausgaben darin, die erforderlichen Finanzmittel aufzubringen. - 2. Im Schulbereich besteht eine Aufgabe für die Bildungspolitik darin, die wieder anwachsenden Schülerzahlen zu bewältigen, ohne daß zusätzliche Finanzmittel für die Einstellung zusätzlicher Lehrer/innen verfügbar sind. Die zur Zeit präferierten Strategien stellen auf freiwillige Mehrarbeit der Lehrer/innen (Geld statt Stellen) oder auf politisch verordnete Mehrarbeit ohne Gehaltsausgleich ab. Zugleich besteht das Problem, die "Vergreisung" der Lehrerkollegien (stetig wachsender Anteil der über 50jährigen in den Kollegien) zu vermeiden. Die zweite Strategie setzt auf die Innovativität der einzelnen Schulen und Kollegien und hofft, die anstehenden Probleme durch Gewährung größerer Handlungs- und Entscheidungsautonomie für die Einzelschulen lösen zu können, d. h. Schulklima und Unterrichtsqualität zu verbessern. - 3. Im Hochschulbereich setzt die Politik ebenfalls auf möglichst kostenneutrale Maßnahmen. Dazu gehören zum einen interne Umstrukturierungen zwischen Universitäten und Fachhochschulen, aber auch innerhalb der Institutionen selbst, zum anderen die Gewährung finanzieller Autonomie, von der man sich einen effizienteren Umgang mit den verfügbaren Ressourcen verspricht. Schließlich sollen durch reduzierte Vorgaben für die Studiengänge (Eckwerte) die Studiengänge wieder in angemessener Zeit studierbar gemacht werden, und durch ein weitgefächertes Evaluationsinstrumentarium (Veranstaltungsbeurteilung, Lehrberichte) soll die Lehre gestrafft und verbessert werden. - 4. Die Berufsbildungspolitik sorgt sich zur Zeit wieder um ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen in den Betrieben. Finanzielle Anreize vor allem in den neuen Bundesländern, Ausbildungsappelle und die Suche nach neuen Finanzierungsformen stehen im Vordergrund der politischen Überlegungen. - 5. Die Weiterbildungspolitik steht ebenfalls vor dem Hauptproblem knapper finanzieller Ressourcen. Während die Betriebe ihre Weiterbildungaktivitäten kaum reduziert haben, sie aber stärker selbst durchführen und von externen Anbietern abziehen, zugleich aber auch die Teilnehmer/innen stärker an den Kosten beteiligen (z. Bildungspolitik durch Verlagerung der Maßnahmen in Zeiten außerhalb der Arbeitszeit), ist die Bundesanstalt für Arbeit gezwungen, die Anspruchsgrundlagen in größeren Abständen zu verändern, um die aus der hohen Arbeitslosigkeit resultierende hohe Nachfrage nach ihren Maßnahmen ihren verfügbaren Mitteln anzupassen. Öffentliche bzw. öffentlich geförderte Einrichtungen (wie z. Bildungspolitik die Volkshochschulen) sehen sich seit einigen Jahren gezwungen, die Kursgebühren zu erhöhen. Es scheint, als sei die Bildungspolitik in den neunziger Jahren generell dem Diktat der knappen Kassen ausgeliefert.
Literatur: Anweiler, O./Fuchs, H.-J./Dorner, M., Petermann, E., Bildungspolitik in Deutschland 1945-1990, Opladen 1992; Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Reinbek 1994; Arnold, R./Marz, F., Einführung in die Bildungspolitik. Grundlagen, Entwicklungen, Probleme. Stuttgart 1979; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Grund- und Strukturdaten 1994/95, Bonn 1994; Hüfner, K./Naumann, J., Konjunkturen der Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Der Aufschwung (1960-1967), Stuttgart 1977; Hüfner, K./Naumann, J./Köhler, H./Pfeffer, G., Hochkonjunktur und Flaute: Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1967-1980, Stuttgart 1986.

 

<< vorheriger Begriff
nächster Begriff>>
Bildungsplanung
Bildungsproduktionsfunktion

 

Diese Seite bookmarken :

 
   

 

  Weitere Begriffe : Termindevisen | Naturalgeld | elektronische Datenverarbeitung (EDV) | Marktstatistik | Projekt
wiki wirtschaft

Thematische Gliederung | Unser Projekt | Impressum