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Geschichte der Betriebswirtschaftslehre (BWL)

I. Überblick: Wer die Geschichte betriebswirtschaftlichen Denkens (Betriebswirtschaftslehre (BWL)) untersucht, muß zwei Quellen der Erkenntnis auseinanderhalten: a) Einsichten beim Verfolgen nicht-wirtschaftswissenschaftlicher Problemstellungen: außerhalb einer Vorläuferwissenschaft der BWL, und b) einzelwirtschaftliche Einsichten, die bei der Untersuchung wirtschaftswissenschaftlicher Problemstellungen gefunden wurden: innerhalb einer wirtschaftswissenschaftlichen Denkstil- oder Hochschulgemeinschaft. - Die betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse, die bis ins beginnende 18. Jahrhundert gesammelt wurden, sind im wesentlichen beim Verfolgen von nicht-wirtschaftswissenschaftlichen Problemstellungen entstanden. So gehen z. B. Teile heutiger Vorstellungen zur Wettbewerbsordnung und Preisbildung auf Einsichten später Scholastiker (wie des Beichtvaters Karls V. Domenico Soto, des Kardinals de Lugo, Luis Molina, Leonhard Lessius) vor und um 1600 zurück: Nebenprodukte aus der Arbeit einer wissenschaftlichen Gemeinschaft von Moraltheologen. Leibniz hat 1682 die Kapitalwertberechnung begründet und damit den ersten Ansatz zur Investitionstheorie geschaffen. Leibniz 1669, Jacob Bernoulli 1692 und Daniel Bernoulli 1732 legten den Grundstein zur heutigen Theorie der Entscheidungen unter Ungewißheit: Nebenprodukt aus einer wissenschaftlichen Gemeinschaft von Mathematikern. - Die berufsmäßigen Nicht-Wirtschaftswissenschaftler wollten gesellschaftlich-verpflichtete Handlungsempfehlungen geben bzw. begründen, z. B. die spätscholastischen Jesuiten zur "gerechten" Preispolitik, Leibniz zur "Rechtmäßigkeit" der Kapitalwertrechnung, die ersten Überlegungen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung suchten nach einer "gerechten" Verteilung des angesammelten Spielkapitals eines wiederholten Glücksspiels, das zuvor abgebrochen werden mußte. Insoweit gaben gesellschaftlich-verpflichtete Fragestellungen Anlaß für Forschungen, deren Ergebnisse heute zur BWL zählen. Betriebswirtschaftliche Erkenntnisse, die innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft an wirtschaftlichen Fragen Arbeitender entstanden sind, werden hier zu den Vorläuferwissenschaften der BWL gezählt, wenn ihre Schwerpunkte vor dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts liegen: der Zeit der akademischen Verselbständigung der BWL im deutschen Sprachraum. Dazu gehören von der Antike bis ins 18. Jahrhundert die Ökonomik, im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert die Kameralwissenschaft mit ihren Ausläufern der landwirtschaftlichen Betriebslehre und der Staatsrechnungswissenschaft, daneben die Lehre von Unternehmer und Unternehmung in der spätklassischen Nationalökonomie, sowie die als "psychologische Gesellschaftslehre" entworfene Lehre von der Unternehmung in der historisch-ethischen Schule der Nationalökonomie.
II. Ökonomik: 1. Die antike Ökonomik entsteht als ganzheitliche Managementwissenschaft, als Wissenschaft von der ethisch verantwortlichen Menschenführung in einem Haus, das sowohl Betrieb als auch Haushalt im heutigen Sinne darstellt. Das Wort "Wirtschaften" ("oikonomia") scheint erst in der Umgebung des Perikles (griechischer Staatsmann, nach 500-429 v. Chr.) aufgekommen zu sein, als Bezeichnung für das vernünftige Gestalten aller mit dem Haus (oikos) eines freien Bürgers zusammenhängenden Angelegenheiten. Dabei kann für "Haus" auch Vermögen oder Betrieb gesagt werden, denn die Bediensteten sind Sklaven, und der freie Bürger als Hausherr besitzt auch gegenüber Ehefrau und Kindern eine kaum beschränkte Befehlsgewalt. So schreibt Xenophon (um 430-354 v. Chr.), ein Schüler des Sokrates, seinen "Oeconomicus" als Lehre von der sittlich und technisch-wirtschaftlich vernünftigen "Unternehmungsführung" für den Haus- und Gutsherren. Der ältere Cato (234-149 v. Chr., bekannt als Feind Carthagos) fordert eine strenge Diktatur bei der Führung seiner Sklaven. Ganz anders Varro (116-27 v. Chr., politischer Gegner Julius Caesars), der den Leistungswillen der Sklaven durch Belohnungen anstacheln und sie als Vermögensgegenstände schonend einsetzen will. Deshalb sei es einträglicher, auf fiebrigen Sümpfen angeheuerte, freie Arbeiter einzusetzen als die eigenen Sklaven: Zweifelsohne eine sehr bemerkenswerte Äußerung zur "Unternehmungsethik", wie eine zum Sozialverband Unternehmung gehörende Arbeitskraft gegenüber Arbeitern zu behandeln sei, die über den Markt vom Sozialverband Unternehmung getrennt sind. - Varro ist wohl der erste, der das Problem der von der Ausbringungsmenge unabhängigen, "fixen" Kosten erörtert: Nur die Arbeiter und Fuhrknechte seien proportional zur Fläche eines Olivenhains zu vermehren und das auch nur, wenn das Land von gleicher Qualität sei. Wenn man eine kleinere Fläche bearbeite, brauche man gleichwohl einen Aufseher, und bei doppelter Fläche keineswegs zwei Aufseher. Varro beschreibt auch einen Arbeitskalender für den Ackerbau, in dem man einen Vorläufer betrieblicher Produktionsplanung erblicken kann. - Columella (0-70, Stabsoffizier in Syrien und Pazifist) beschreibt das Problem der optimalen Lenkungsspanne (Kontrollspanne): Wieviel Personen kann ein Vorgesetzter überwachen? Bei ihm findet sich auch ein erster Ansatz zu einer Investitionsrechnung im Hinblick auf die Produktwahl zwischen Weinbau, Heu und Gemüse, sowie erstes Marketingdenken, z. B. seien Fische vor dem Verkauf auf dem Markt zu füttern, weil dann Gewicht und Erlös höher seien. - Die Ökonomik wird ab dem 12. Jahrhundert sogar an Universitäten gelehrt: als Teil der Hochschulgemeinschaft Philosophie, die neben den Fakultäten der Theologie, Jurisprudenz und Medizin besteht. - 2. Im ausgehenden Mittelalter entwickelt sich eine Ökonomik speziell für Kaufleute: die sog. Handlungswissenschaft. Die einzelnen Schriften erstrecken sich von einer arabischen Handelskunde, geschrieben um das 9.-12. Jahrhundert, und kaufmännischen Erziehungslehren über den "vollkommenen Handelsmann" (1. Aufl. 1675) von Jacques Savary (1622-1690, Textilkaufmann, später Mitarbeiter Colberts am Hofe Ludwigs XIV.), dessen Lehr- und Nachschlagewerk über das kaufmännische Wissen über ein Jahrhundert nachgedruckt wurde, bis zu den Schriften des Hamburger Handelsakademieleiters Büsch (1728-1800) und des Nürnberger Handelsschulgründers und Verlegers Johann Michael Leuchs (1763-1836), von unbedeutenden Nachfahren abgesehen. Die heutige BWL findet in der Ökonomik erste Ansätze zur Planungs- und Organisationslehre, sowie bei Savary eine erste Formulierung von Bilanzzwecken und des Grundsatzes der Verlustvorwegnahme bei der Gewinnermittlung. Davon abgesehen, trägt die sog. "Handlungswissenschaft" zum heutigen einzelwirtschaftlichen Denken nichts bei. Jedoch wurde in der Zeit des wirtschaftspolitischen Merkantilismus erkannt: Für den Handel ist ausschlaggebend, daß ein Anbieter erfährt, wer seine Produkte nachfragen möchte, und ein Nachfrager, wo er das Gewünschte findet. Diese Informationsverbreitung ist der Kerngedanke eines "Project Eines freywilligen ungezwungenen Intelligentz-wercks" in von Schröders "Fürstliche Schatz= und Rent=Cammer" (1686), französischen und britischen Vorbildern folgend.
III. Kameralwissenschaft und ihre Nachfolger: Die Kameralwissenschaft ist Folge einer erkenntnistheoretischen Revolution: der Aufklärungsphilosophie. Erfahrungswissenschaften werden von Metaphysik und damit zugleich von der Ethik getrennt. Dies bewirkt, daß die ethische Verankerung der "Ökonomik" einer praktisch-gestaltenden Sicht Platz macht. - 1. Die Kameralwissenschaft verselbständigt sich als Hochschulwissenschaft als die ersten, dem Inhalt nach betriebswirtschaftlichen Lehrstühle ab 1727 vom Preußischen König Friedrich Wilhelm I. in Halle und Frankfurt/Oder errichtet werden. Dem Vater Friedrichs des Großen, sonst eher geizig und kein Förderer der Wissenschaft, mißfiel, daß junge Leute "schlechte Oeconomie" betrieben und durch juristische Studien Advokaten erzeugt würden, die das Land nur "aussaugten, sozusagen aushungerten". Man müsse auch auf "Politica, oeconomica und cameralia, so man im Lande würcklich gebrauchen könte" Gewicht legen. Mit cameralia ist die fürstliche Schatzkammer, also das Finanzwesen gemeint. - 2. Der erste Inhaber eines kameralwissenschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Halle, Simon Peter Gasser (1676-1745), behandelt in seinem Lehrbuch ausführlich Vorkalkulation für Gebäudeunterhaltung und Planung im Sinne einer Vorschaurechnung. Im weiteren Verlauf werden durch Georg Heinrich Zincke (1692-1769) schon Unternehmungsplanspiele ausgearbeitet oder erstmals kalkulatorische Abschreibungen in Form unterschiedlicher Verzinsungssätze für verschiedene Anlagegegenstände beschrieben (Joachim Georg Darjes, 1714-1791). Das Wissen der Kameralwissenschaft, zur Zeit als sie von der klassischen Nationalökonomie aus der Hochschullehre verdrängt wurde, faßt Edward Baumstark (1807-1889) in einer Enzyklopädie der Kameralwissenschaften 1835 zusammen. Kameralwissenschaftler beschäftigen sich teils mit betriebswirtschaftlichen Fragen, teils mit der Steuerlehre, der Policeywissenschaft (Verwaltungslehre), aber auch mit technischer Gewerbelehre und Vieharzneikunde. Wegen der Breite der Aufgaben, der sich dieser Vorläufer interdisziplinärer Managementwissenschaft widmet, aber auch wegen der Niveauarmut ihrer Vertreter, entsteht in der Kameralwissenschaft kein Leitbild des Forschens, das eine Theorienbildung auslöst. Deshalb nimmt die Bedeutung der Kameralwissenschaft ab und wird zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der klassischen Nationalökonomie überrollt. An den Hochschulen des deutschen Sprachraumes bleiben nur zwei Zweige des einzelwirtschaftlichen Astes der Kameralwissenschaft erhalten: die landwirtschaftliche Betriebslehre und im Österreichischen Kaiserreich die Staatsrechnungswissenschaft. - 3. Vorbild einer praktisch gestaltenden BWL wird im 19. Jahrhundert die landwirtschaftliche Betriebslehre. Zwei Namen sind hervorzuheben: Albrecht Daniel Thaer (1752-1828, Gutsherr und Kameralwissenschaftler in Berlin) beschreibt mit als erster den Denkstil anwendungsbezogener Wissenschaft. Thaers bedeutendster Schüler (und Widerpart in der Beurteilung der landwirtschaftlichen Fruchtwechselwirtschaft) ist Johann Heinrich von Thünen (1783-1850, in Mecklenburg ansässiger Gutsbesitzer). Er spricht als erster heute allgemein bekannte Optimumregeln aus, wie: Die Produktion ist auszudehnen, bis das Erzeugnis des letzten Arbeiters durch den Lohn, den er erhält, absorbiert wird (Kern der Grenzproduktivitätstheorie der Entlohnung). Sinngemäß bestimmt Thünen den Investitionsumfang nach der Regel "Grenzrendite gleich Kalkulationszinsfuß" und erörtert, wann bei sich ändernden Umweltbedingungen eine Handlungsweise von einer anderen, dann vorteilhafteren, verdrängt wird (heute wird dies Sensitivitätsanalyse genannt). Am bekanntesten ist aber seine Standortlehre: die sog. Thünenschen Kreise. Sie sind das Ergebnis von Modellüberlegungen, welches landwirtschaftliche Produktionsprogramm gewählt werden soll in Entfernung von dem Marktort, der im Mittelpunkt eines isolierten Staates liegend gedacht wird. Zukunftsweisend verwendet Thünen für das landwirtschaftliche Produktionsprogramm die Methode einer isolierenden Abstraktion: die ceteris-paribus-Argumentation unter Anwendung mathematischer Optimumbestimmung, also die Marginalanalyse unter Verwendung der Differentialrechnung. Thünen erkennt die Notwendigkeit und Gefahren des Modelldenkens, denen er durch Vergleiche mit seiner jahrelang mühsam aufgebauten landwirtschaftlichen Buchhaltung (also durch Tests von Hypothesen) zu begegnen sucht. - 4. Neben der landwirtschaftlichen Betriebslehre entstehen im 19. Jahrhundert eine Reihe von Untersuchungen zu anderen Gewerben, die der BWL in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten den Weg weisen können, wären sie zur Kenntnis genommen oder sorgfältiger ausgewertet worden. Nur drei seien erwähnt: a) Eisenbahngesellschaften waren die ersten Unternehmungen, für die das Anlagevermögen überragende Bedeutung gewann. Der erste Autor, der das Eisenbahnwesen umfassend behandelt, schreibt zugleich eine erste Industrie- bzw. Verkehrsbetriebslehre. Dionysius Lardner (1793-1859, aus Irland stammender Mathematiker) ist einer der Begründer betriebswirtschaftlicher Kostentheorie. Seine Ausführungen über variable und fixe Kosten und darüber, wie in der Preispolitik das Gewinnmaximum gefunden werden kann, sind nicht nur unabhängig von Cournot (1801-1877, Schulverwaltungsbeamter in Grenoble und Dijon) entstanden, sondern vor allem stärker an der Wirklichkeit ausgerichtet, weil sie auf die Kostenerfassung eingehen. Lardner erörtert auch die Innenfinanzierungspolitik und die Bilanzierung, insbes. bei technischem Fortschritt. Er kann als Entdecker einer leistungsmäßigen Substanzerhaltung angesehen werden. b) Eine allgemeine, Landwirtschaft, Handel und Industrie umfassende, modernisierte kameralwissenschaftliche Erwerbslehre verfaßt Courcelle-Seneuil (1813-1892, Nationalökonom, später französischer Staatsrat). c) Karl Bernhard Arwed Emminghaus (1831-1916, Professor in Karlsruhe, später Generaldirektor einer Versicherungsbank) erkennt die Notwendigkeit, zwischen der Volkswirtschaftslehre und der Privatwirtschaftslehre zu trennen und eine Lehre vom rationellen Einzelwirtschaftsbetrieb aufzubauen. Mit "Gewerkslehre" ist das gemeint, was heute Industriebetriebslehre heißt, allerdings ohne den Bergbau. Obwohl Emminghaus sich in bestechender Klarheit für eine rein praktisch-gestaltende Lehre ausspricht, fordert er die Koalitionsfreiheit der Arbeiter zu Gewerkschaften, den Unternehmern und Regierungen seiner Zeit um Jahrzehnte vorauseilend. - 5. Die Staatsrechnungswissenschaft, nicht die kaufmännische Buchhaltung, ist als Vorläuferwissenschaft vom Rechnungswesen anzusehen. Die Finanzen der Herrscher (Könige, Fürsten, aber auch des Papstes, der Klöster), beruhten bis ins 19. Jahrhundert weit stärker auf Erwerbseinkünften (Domänen, Verpachtung der Rechte zur Steuereintreibung, Erzgewinnungsrechten in Bergwerken, aber auch Manufakturen wie der Porzellanmanufaktur in Meißen) als auf der Steuererhebung selbst, für die vor dem Absolutismus mitunter die Zustimmung der betroffenen Stände eingeholt werden mußte. - Rechnungswesen beginnt in wissenschaftlicher Form, sobald Hypothesen über die wirtschaftlichen Zwecke des Rechnungswesens und den daraus folgenden zweckabhängigen Rechnungsinhalt ausgesprochen werden. Das setzt voraus, daß theoretische Begriffe für wirtschaftliche Zusammenhänge gebildet und hierfür Meßtechniken entwickelt werden. Im Anschluß an die aus der Antike überkommene Tradition der Rechnungslegung durch Dokumentation (Inventar und Einzelaufzeichnung der Geschäftsvorfälle) bedarf es dazu dreierlei: (1) Gegenüber der ganzheitlichen Ökonomik-Sicht von Planung, Organisation und Kontrolle als Einheit erfolgt eine ausdrückliche Trennung in verschiedene Kontrollaufgaben, der Hinweis auf unterschiedliche Rechnungszwecke. (2) Für die unterschiedlichen Rechnungszwecke bedarf es eines daraus logisch abgeleiteten Rechnungsinhalts und eines Musterbeispiels für die Problemlösung, z. B. die (heute selbstverständliche) organisatorische Trennung von Kassierer und Hauptbuchhalter und das Abstellen des Inhalts der Buchhaltung auf den Zweck der Wirtschaftlichkeitskontrolle. (3) Damit diese "Theorie" des Rechnungswesens sich in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft weiterentwickeln kann, bedarf es einer Lehrtradition an Hochschulen. - Diese drei Merkmale sind erstmals mit den Überlegungen zu einem "verbeßerten Cameral-Rechnung = Fuße" der österreichischen Hofrechenkammer um 1760 verwirklicht (vor allem durch die Schriften ihres Hauptbuchhalters Johann Matthias Puechberg 1764, 1774). Die österreichische Hofrechenkammer bemüht sich im Geiste der Aufklärung, den Unterricht im Rechnungswesen zu fördern. In Wien und später an anderen Hochschulen des österreichischen Kaiserreichs werden Lehrstühle für Staatsrechnungswissenschaft errichtet. So wurden z. B. die Schwierigkeiten innerbetrieblicher Leistungsverrechnung 1818 an dem etwas anrüchigen Beispiel der "Bilanzirung der Miststätte" erläutert durch von Puteani (1782-1847). Warum soll man das Problem der Ertragszurechnung (Abteilungserfolgsrechnung) bei der Kuppelproduktion nicht am Beispiel der Viehwirtschaft verdeutlichen? Die Lehre vom Rechnungswesen, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, griff auf die Quellen aus der Staatsrechnungswissenschaft nicht zurück.
IV. Klassische und historisch-ethische Nationalökonomie: In der klassischen Nationalökonomie werden betriebswirtschaftliche Probleme hintangestellt. Erst spätklassische Nationalökonomen formen Bausteine für die Einzelwirtschaftstheorie der Institutionen heute: Optimierungsregeln mit Hilfe des Marginalprinzips (zugleich Grundlagen "neoklassischer Mikroökonomie") wie Claus Kröncke (1771-1843) in einer Schrift über das Steuerwesen (1804) oder Georg Franz August Graf de Buquoy - de Longueval (1781-1851) zur Tiefe des Pflügens (1815) als Vorläufer von Thünens, zur Lehre von den Unternehmerfunktionen insbes. A. F. Riedel (1809-1872) in einem Lehrbuch über Nationalökonomie 1838 und Hans von Mangoldt (1824-1868) über den Unternehmergewinn 1855, sowie zu den Verfügungsrechten durch Riedel, F. B. W. von Hermann (1795-1868) und Lorenz von Stein (1815-1890). - In Kritik zur marktwirtschaftsbetonten klassischen Nationalökonomie entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine historisch-ethische Schule der Nationalökonomie mit einem Schwerpunkt im Deutschen Kaiserreich. Der Wortführer ihrer jüngeren Richtung, Gustav Schmoller (1838-1919, Preußischer Staatsrat), will durch seine Lehre von der Unternehmung "die Elemente zu einer deskriptiven psychologischen Gesellschaftslehre" (1890) erkennen und weiterentwickeln. Für Schmoller ist die geschichtliche Entwicklung der Unternehmung ein "psychologischer Erziehungsprozeß und ein Entwicklungsprozeß von Institutionen". Die historisch-ethische Schule beeinflußt maßgeblich den Denkstil amerikanischer Business-Schools. Jene Nationalökonomen und Wirtschaftsgeschichtler, die zwischen 1890 und 1920 die amerikanischen Business-Schools ausbauten, hatten überwiegend bei Vertretern der historischen Schule im deutschen Sprachraum studiert. Richard T. Ely förderte z. B. die landwirtschaftliche Vermarktungslehre, und seine Schüler legten einen Grundstock für die später zum Marketing erweiterte Güterdistributionslehre. Ähnliches gilt für den Dekan der Harvard Business School, den Schmoller-Schüler Edwin Francis Gay, der u. a. den Fallstudienunterricht in der Güterdistributions- und Handelsfunktionenlehre förderte.
V. Akademische Verselbständigung der BWL: Aus praktischen Ausbildungsbedürfnissen, die Vorbildern in Frankreich, Belgien und den USA folgen, und wegen des als unternehmerfeindlich empfundenen Selbstverständnisses der historisch-ethischen Volkswirtschaftslehre an den reichsdeutschen Universitäten werden ab 1898 Handelshochschulen errichtet. Entgegen manchen Lehrbuchdarstellungen darf die Gründung der Handelshochschulen nicht als Wiege der BWL angesehen werden. Die Handelshochschulen entstehen, um die Allgemeinbildung der Kaufleute (Fremdsprachen, Volkswirtschaftslehre, Recht) zu verbessern. In den Handelshochschulen erlebt das kameralistische Wissenschaftsverständnis eine nur wenig veränderte Wiederauferstehung; allerdings werden die Fremdsprachen wegen der inzwischen größeren Bedeutung des Außenhandels stärker betont. Erst nach 1908 beginnt sich jene wissenschaftliche Gemeinschaft zu entwickeln, die heute "Betriebswirtschaftslehre" heißt. Sie führt zunächst noch den Namen Privatwirtschaftslehre oder Handelswissenschaft (zu verstehen in dem weiten Sinne, in dem das Handelsgesetzbuch kaufmännische Tätigkeiten regelt). Sie verselbständigt sich als akademische Disziplin ab 1912 durch Abgrenzung, ja Einigelung gegenüber der Nationalökonomie. Merkmale für die Verselbständigung der heute BWL genannten wissenschaftlichen Gemeinschaft sind ein reichliches Jahrzehnt nach Errichtung der ersten Handelshochschulen: a) Zum Erfahrungsaustausch über kaufmännische Techniken (z. B. zur Kostenrechnung), dem sich die beiden ersten Fachzeitschriften (Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, heute ZfbF; Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis, heute DBW) vorwiegend widmen, treten erste theoretische Erörterungen. Eugen Schmalenbach (1873-1955, lehrte in Köln) versucht mit seiner gekürzt veröffentlichten Habilitationsschrift (1908/09), die Kostentheorie aus der Grenznutzenschule als Lehre von den Verrechnungspreisen anzuwenden: Sind knappe Faktoren zusätzlich zu beschaffen, entscheiden die Grenzkosten, sind sie nicht zu beschaffen, entscheidet der Grenznutzen. b) Mit dem Lehrbuch von Heinrich Nicklisch (1876-1946, lehrte hauptsächlich in Berlin) wird eine erste Allgemeine BWL (1912) vorgestellt, die über Wiederbelebungsversuche früherer handlungswissenschaftlicher Lehrtexte hinausgeht. c) Wissenschaftliche Selbständigkeit erlangt diese Gemeinschaft von Hochschullehrern der Handelswissenschaft bzw. Privatwirtschaftslehre durch die Auseinandersetzung um die Privatwirtschaftslehre als "Profitlehre" 1912. Der Streit um die Privatwirtschaftslehre als Wissenschaft entsteht als Nachwehe zum Werturteilsstreit drei Jahre zuvor in der Volkswirtschaftslehre. Als Folge des Werturteilsstreits spalten sich die Soziologie und die BWL von der Nationalökonomie (Politischen Ökonomie, Staatswissenschaft) ab. Der Anlaß des Werturteilsstreits ist aus dem Selbstverständnis der Mehrheit damaliger deutscher Volkswirtschaftler zu verstehen. Um in der Politik gehört zu werden, hatten deutsche Nationalökonomen den "Verein für Socialpolitik" (1872) gegründet, wobei das Schimpfwort "Katheder-Sozialist" heute einen gänzlich falschen Eindruck ihrer politischen Absichten erweckt: Marxist war keiner, die Mehrzahl würde heute als Befürworter des "Sozialen" in einer Marktwirtschaft gelten (z. B. Schmoller). Die Nationalökonomie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist keine geachtete Wissenschaft: "Wer glaubt denn heutzutage außerhalb unserer Kreise noch an nationalökonomische Wissenschaft? Die Praxis doch ganz gewiß nicht, und ich kann es wahrhaftig der Praxis nicht verdenken, daß sie diese Art Wissenschaft gering achtet" (Werner Sombart, 1863-1941, auf der Tagung des "Vereins für Socialpolitik" 1909). Die Gründerpersönlichkeiten des "Vereins für Socialpolitik" haben 1909 das siebente Lebensjahrzehnt überschritten oder eilen ihm zu, als es auf der Wiener Tagung des "Vereins für Socialpolitik" zum Generationenkonflikt kommt: Eine Gruppe Mittvierziger, mit Max Weber (1864-1920, lehrte in Freiburg, Heidelberg und München) und Werner Sombart an der Spitze, will weg von den politischen Reden und hin zu erklärenden Theorien. Das ist der Anlaß des Werturteilsstreits. - Lujo Brentano (1844-1931, Volkswirt in München) steht in der "historisch-ethischen" Tradition der Gründer des "Vereins für Socialpolitik", als er die Privatwirtschaftslehre scharf kritisiert. Mehrfach betont er, daß die Professoren der Volkswirtschaftslehre "den ihnen anvertrauten Stoff vom Standpunkt des Gesamtinteresses zu behandeln" haben. Aus dieser Haltung heraus verdächtigt er jüngere Nationalökonomen, die eine "wertfreie" (= erklärende) Privatwirtschaftslehre wünschen, sie förderten die Sonderinteressen der Unternehmer. Die Mehrzahl der Vertreter der Privatwirtschaftslehre betont damals, ihr Fach solle nur zu privatwirtschaftlicher Erkenntnis führen, nicht zu wirtschaftspolitischer. Ein gesellschaftlich-verpflichtetes Wissenschaftsziel fordert neben Johann Friedrich Schär (1846-1924, lehrte in Zürich und Berlin) und entgegen früherer Kritik an Schär nach 1915 Nicklisch, offenbar unter dem Eindruck von Brentanos Angriff: "So sehen auch die Vertreter der Privatwirtschaftslehre bei ihrer Arbeit in erster Linie den Menschen und dann das Verhältnis des Einzelnen ... Er ist Glied des Ganzen. Und sein Tun und Lassen muß beherrscht sein durch dieses Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit". Schmalenbach wendet sich erst ab 1918 dem Ziel der Gemeinwirtschaftlichkeit zu, dem er nur wenige Jahre ernsthaft nachstrebt. Schmalenbachs Absicht, seinen Überlegungen zur Verbesserung der innerbetrieblichen Wirtschaftlichkeit durch die Ausrichtung an wohlfahrtsökonomischen Theoremen des Konkurrenzgleichgewichts einen "gemeinwirtschaftlichen" Bezug zu geben, kann als Nachhall der Angriffe von volkswirtschaftlicher Seite gegen die Privatwirtschaftslehre erklärt werden, aber auch dadurch, daß die Reichsregierung bei ihren Sozialisierungsbestrebungen nach 1918 keine Vertreter der Privatwirtschaftslehre beratend hinzuzieht, weil die Privatwirtschaftslehre als Unternehmerwissenschaft gilt. Der gesellschaftspolitisch neutrale Klang des Namens Betriebswirtschaftslehre gegenüber der als Profitlehre verdächtig gewordenen "Privatwirtschaftslehre" gibt für die Umbenennung der wissenschaftlichen Gemeinschaft von "Privatwirtschaftslehre" in "Betriebswirtschaftslehre" (zunächst in Köln) den Ausschlag. Als "Betriebswirtschaftler" wird dann auch Schmalenbach 1919 in den vorläufigen Reichswirtschaftsrat berufen. Die Namensänderung der Privatwirtschaftslehre in "Betriebswirtschaftslehre" und die wirtschaftspolitische Zielsetzung der Gemeinwirtschaftlichkeit bei einzelwirtschaftlichen Untersuchungen sind Reaktionen auf die gleiche Ursache: Ausweichen vor dem Vorwurf einer Profitlehre. - Bis 1919 führt die Privat- bzw. Betriebswirtschaftslehre ein wenig beachtetes Dasein. Eine erste in den Augen der Öffentlichkeit respekterheischende Leistung gelingt mit Lösungsvorschlägen zum Problem Geldentwertung und Bilanzierung. Praktiker, wie Walter Rathenau (Leiter der AEG und der Rohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium, 1922 als Reichsaußenminister ermordet), und Hochschullehrer erkannten ab Oktober 1920 das Problem und entwickelten Lösungsvorschläge. - Zwei Meßtechniken haben die bilanztheoretische Diskussion hierüber in den folgenden Jahrzehnten geprägt: (1) Fritz Schmidt (1882-1950, lehrte in Frankfurt) erläutert den quellenmäßigen Reinertrag für Zeitabläufe mit steigenden Preisen: Er fordert für alle Bilanzbestände und für Aufwand und Ertrag die Bewertung zu Wiederbeschaffungspreisen am Umsatztag (dem bilanzrechtlichen Realisationszeitpunkt für Gewinn, d. h. Ertrag und Aufwand). Die Höherbewertung der Bestände in der Bilanz neutralisiert er durch eine offene Zwangsrücklage "Wertänderungen am ruhenden Vermögen". Das Problem einer inflatorischen Finanzierungslücke (weil Gewinn bereits im Zeitpunkt der Forderungsentstehung verwirklicht wird und gewinnabhängige Ausgaben vor dem Einnahmenzufluß auslöst, und ihres Abbaus durch Kreditaufnahmen oder Kundenanzahlungen) definiert er weg über die Voraussetzungen der Wertgleichheit von Geldforderungen und Geldschulden. (2) Walter Mahlberg (1884-1935, lehrte zuletzt in Freiburg) und Schmalenbach konstruieren im einzelnen die Rechentechnik für eine bilanzielle Gewinnermittlung, die über Kaufkraftindices Geldwertänderungen bereinigt (reale Kapitalerhaltung). Beide Meßtechniken zählen zu den im Weltmaßstab wichtigsten Beiträgen der deutschsprachigen BWL in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Vor und in der Zeit der Weltwirtschaftskrise treten Arbeiten zu den vielfältigen Preisuntergrenzen in Abhängigkeit von einzelnen Umweltbedingungen (Verkauf vom Lager, Mehrproduktbetrieb, Liquiditätsengpässe, Liquidationsüberlegungen) hinzu. - Gegen den Strom gemeinwirtschaftlichen Denkens äußert Wilhelm Rieger (1878-1971, lehrte in Nürnberg und Tübingen) ein Bekenntnis zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung und nennt sich als einziger noch "Privatwirtschaftler". Er sieht Gewinnstreben als das Unternehmungsziel an, auf das hin die BWL erklärende Theorien zu entwickeln habe. Demgegenüber befürchtet Schmalenbach aus der Zunahme der fixen Kosten das Ende einer marktwirtschaftlichen Ordnung: Kartelle und eine durch staatliche Planung "gebundene Wirtschaft" seien zwangsläufig zu erwarten. Während sich einzelne Volkswirtschaftler mit dieser waghalsigen Prognose künftiger Wirtschaftssysteme auseinandersetzen, schweigen die Vertreter der BWL dazu. Sie versagen (sich) vor der Einbringung ihres Forschungsgebiets in Probleme der Wirtschaftsordnung. Bald darauf, in der Zeit des Nationalsozialismus, wird es lebensgefährlich, sich gegen die völkisch-wirtschaftliche Doktrin zu äußern. Einzelne Betriebswirtschaftler halten mit beachtlichem Mut dagegen (Max Rudolf Lehmann, Alexander Hoffmann), andere fallen auf das nationalsozialistische Gemeinschaftsgefasel herein (wie Nicklisch) oder biedern sich an.
VI. Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg: Der Wiederbelebung betriebswirtschaftlicher Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg war das Eingebundensein ihres Untersuchungsobjektes in eine Wirtschaftsordnung selbstverständlich: "Die deutsche Betriebswirtschaftslehre verdankt ihre Fortschritte in erster Linie dem dynamisch-organischen Denken, daß den Betrieb als eine Durchgangsstelle des wirtschaftlichen Kreislaufs im Strome der Wirtschaftsumsätze sieht" formuliert Fritz Schmidt in seinem letzten Aufsatz, der zugleich das Wiedererscheinen der ZfB eröffnet. Schmalenbach hat zuvor schon den "Betrieb als einen mit eigener Lenkung ausgestatteten Organismus" bezeichnet, "der in dem Gesamtkörper der Wirtschaft eines Landes nur ein Organ ist". Konrad Mellerowicz (1891-1984, lehrte in Berlin) übernimmt dieses Bild in seine Überlegungen zum Verhältnis von Wirtschaftsordnung und Betriebsordnung. - Gegen eine Betriebswirtschaftslehre als "Wirtschaftlichkeitslehre der Unternehmung", wie sie zum 50-jährigen Jubiläum der ersten Handelshochschule und zum 75. Geburtstag Schmalenbachs als Programm formuliert wird, fordert als erster Martin Lohmann (geb. 1901, lehrte in Freiburg) "eine die Sach- und Sozialwelt des Unternehmens in gleicher Weise umschließende Lehre". Karl Hax (1901-1978, lehrte vor allem in Frankfurt) kontert: "Man kann natürlich die Betriebswirtschaftslehre auch in Richtung auf eine Betriebssoziologie entwickeln; dann ist sie aber keine Wirtschaftswissenschaft mehr. Es fördert auch die Lösung der Probleme nicht, wenn man die Vertreter des Wirtschaftlichkeitsprinzips ... im Zwielicht einer materialistischen Weltanschauung erscheinen läßt, der gegenüber sich dann die eigene 'soziale' Haltung um so wirkungsvoller abhebt. Das ist die glatte und bequeme Formel, mit der man den Problemen ausweicht, die aber nichts zu ihrer Lösung beiträgt". Ähnlich klar bezieht Erich Schäfer (1900-1984, lehrte hauptsächlich in Nürnberg) Stellung. In dieser zweiten Generation betriebswirtschaftlicher Hochschullehrer wird der methodologische Gegensatz zwischen einem sozialwissenschaftlichen Basiskonzept und einem grundsätzlich wirtschaftstheoretischen Denken nach und nach offenkundig - ein Gegensatz, der in der jetzigen dritten Generation betriebswirtschaftlicher Hochschullehrer (d. h. nach 1970) zur nur noch hochschulorganisatorisch verdeckten Spaltung in konkurrierende Denkstilgemeinschaften geführt hat. Dieser Zwiespalt zwischen einer BWL, die von marktwirtschaftlichem Willen getragen, auf der Wirtschaftstheorie aufbaut, und einer Managementlehre, die an eine ethisch-soziale Verantwortung der Unternehmungsführung appelliert und unter die Fittiche einer allumfassenden Verhaltens- bzw. Sozialwissenschaft schlüpfen will, bricht deutlich auf, nachdem Erich Gutenberg (1897-1984, lehrte hauptsächlich in Köln) sein Verständnis von den Grundlagen der BWL auf der mikroökonomischen Produktionstheorie und der Theorie der monopolistischen Konkurrenz 1951/55 aufbaut. Nicht ohne Widerstand wird der Einbau der im wesentlichen auf erklärende Theorien gerichteten Mikroökonomie in die bisher im wesentlichen praktisch gestaltende BWL hingenommen. "Ursprung und Zweck der Betriebswirtschaftslehre ist die einzelbetriebliche Praxis ... Eine Betriebswirtschaftslehre ... soll ... dem praktischen Betriebe dienen": Diese Forderung setzt Mellerowicz 1952 dem Theoriebemühen Gutenbergs entgegen. Nur an der Oberfläche geht es in diesem Methodenstreit um den Verlauf von Kostenkurven (Mellerowicz, der kritiklos den ertragsgesetzlichen Kostenverlauf übernommen hat, sieht seine Lehre durch Gutenbergs Kritik am Ertragsgesetz bedroht) und um das Für und Wider einer "mathematisch-deduktiven Methode". Wie die sich anschließenden Wortmeldungen zeigen, fühlen sich die Anhänger einer Betriebswirtschaftslehre als ganzheitlicher Organisationswissenschaft (im heutigen Sprachgebrauch: einer interdisziplinären Managementwissenschaft) bedroht durch die wirtschaftstheoretische Sicht Gutenbergs. Von der bis etwa 1970 in eine fast dominierende Rolle hineinwachsenden, mikroökonomisch fundierten und durch die Unternehmungsforschung mathematisch verfeinerten BWL wenden sich als erste viele an Absatzfragen Arbeitende ab. Sie importieren das amerikanische "Marketing". Zu den Treppenwitzen der Fachgeschichte zählt, daß die von ihnen zurückgewiesene Preistheorie der unvollkommenen Konkurrenz gerade als Lehre von der Beeinflussung des Käuferverhaltens und realitätsbezogenen Annäherung an Marktprozesse gegen die neoklassische Lehre vom Konkurrenzgleichgewicht von Edward Hastings Chamberlin (1899-1967, lehrte in Cambridge, Mass.) konzipiert worden war. - Mit der nach 1970 immer offenkundiger werdenden Spaltung der Hochschulgemeinschaft "Betriebswirtschaftslehre" in gegensätzliche Denkstilgemeinschaften geht ein Auflösungsprozeß der Allgemeinen BWL im Hochschulunterricht, vor allem im Hauptstudium, einher. Während ab 1970 innerhalb der deutschsprachigen BWL die über Absatz- und Organisations- (bzw. Personal- und Unternehmensführungs-) Fragen Forschenden mehrheitlich einem "sozialwissenschaftlichen Basiskonzept" bzw. einer interdisziplinären Managementwissenschaft folgen, wählt die bis dahin kaum über begriffliche Systematisierungen und Faustformeln hinausgelangte Lehre von Investition und Finanzierung seit diesem Zeitpunkt die wirtschaftstheoretische Sichtweise, baut ab etwa 1980 auf Kapitalmarktgleichgewichtsmodelle. Da jedoch Modelle des Konkurrenzgleichgewichts Wettbewerb als Handeln im Ungleichgewicht wegdefinieren (auf einen Nullpunkt reduzieren), gilt auch für diesen Bereich betriebswirtschaftlicher Forschung - wie für die vor der Wirtschaftstheorie in die Arme der Verhaltens- und Sozialwissenschaften fliehenden Vertreter des Marketing, der Organisation und des Personalwesens - , daß sich marktwirtschaftlicher Wille mit überwiegend planwirtschaftlichem Können und dessen Überschätzung paart. - Erst nach 1980 wendet sich die Finanzierungstheorie - wie die Lehre vom Rechnungswesen - verstärkt einer Theorie der Institutionen innerhalb einer Wettbewerbsordnung zu. In der Forschung des letzten Jahrzehnts dringt dabei die Übernahme und Weiterentwicklung der institutionellen Mikroökonomie in den Vordergrund, nämlich eine Lehre von den Verfügungsrechten einschließlich weiter Teile einer ökonomischen Analyse des Kapitalmarkt-, Bilanz- und Steuerrechts, ansatzweise auch des Arbeits- und Wettbewerbsrechts; sowie der Transaktionskostenansatz, der vor allem hierarchische Organisationen gegenüber Marktbeziehungen erklären will, und die Lehre von den Principal-Agent-Modellen. Sie behandelt modellmäßig die Beziehungen zwischen Auftraggebern und von ihnen gegen Entgelt Beauftragten. Dabei beschäftigt sie sich vor allem mit sog. unvollständigen Verträgen, bei denen für die Gesamtlaufzeit Rechte und Pflichten der vertragschließenden Rechtsparteien nicht vollständig aufgelistet oder nicht rechtlich erzwungen werden können, z. B. weil Verstöße nicht zu beweisen sind. Diese Forschungsansätze sind inzwischen um evolutorische Sichtweisen über Marktprozesse, Ressourcen, die anhaltende Wettbewerbsvorteile versprechen, und eine Lehre des Ausübens von Unternehmerfunktionen erweitert worden.

 

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