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Verteilungspolitik
I. Vorbemerkungen: 1. Zielsetzung der Verteilungspolitik ist die Schaffung einer größeren Verteilungsgerechtigkeit (vgl. II). Eine quantitativ exakt bestimmbare, allgemein anerkannte Norm für Verteilungsgerechtigkeit ist nicht ableitbar. Grundsätzlich nicht haltbar ist die These, die Verteilungsgerechtigkeit mit Verteilungsgleichheit gleichsetzt. - 2. Begründung: Die augenblickliche, ungleiche Einkommensverteilung wird fast unbestritten als ungerecht empfunden. Insofern können Verbesserungsbemühungen ohne Festlegung einer endgültigen Norm für Verteilungsgerechtigkeit begründet werden. In der Praxis werden solche Umverteilungsbestrebungen ja i. d. R. auch nicht prinzipiell, sondern wegen ihrer Nutzlosigkeit - die Marktverteilung läßt sich nicht ändern - oder wegen ihrer negativen Nebenwirkungen für andere gesamtwirtschaftliche Ziele - wie Wachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität - abgelehnt. Generell muß das Festhalten am Status quo der Verteilung ebenso intensiv begründet werden wie Umverteilungsmaßnahmen. Letztlich zielen Umverteilungsbemühungen der Verteilungspolitik sicher auf die personelle Verteilung (i. S. d. Verteilung der Einkommen auf Haushalte bzw. Personen) ab. Wenn man in Rechnung stellt, daß weit über die Hälfte der privaten Haushalte ihr Einkommen vornehmlich aus unselbständiger Arbeit bezieht, scheint es nicht unvernünftig zu sein, sich mit den Problemen der funktionellen Verteilung (Anteil der Arbeits- bzw. Besitz- und Gewinneinkommen am Volkseinkommen) zu beschäftigen. Die funktionelle Einkommensverteilung kann insofern als eine Grundlage auch der personellen Verteilung gesehen werden. - 3. Ebenen der V.: Der "Kampf" um die Anteile am Sozialprodukt wird in einer privatkapitalistischen, dezentralisiert organisierten Volkswirtschaft im wesentlichen auf vier Ebenen geführt: a) auf den Gütermärkten, b) in den Einkommensverhandlungen (meist kollektiver Art), c) bei der Festlegung der Höhe von Staatseinnahmen und deren Struktur, d) bei der Festlegung der Höhe von Staatsausgaben und deren Struktur.
II. Verteilungsgerechtigkeit: 1. Begriff: Übereinstimmend wird von allen Seiten und Gruppen eine möglichst gerechte Verteilung gefordert. Umstritten ist die Festlegung von Verteilungsgerechtigkeit. Die kontroversen Leitbilder reichen von der Forderung nach dem unkorrigierten Leistungsprinzip bis zur Empfehlung der absoluten Gleichverteilung. - 2. Konflikte: a) Das Ziel Verteilungsgerechtigkeit ist in mehrfacher Hinsicht umstritten. Nach Meinung vieler Liberaler ist es aus dem Katalog der gesamtwirtschaftlichen Ziele zu streichen. Dagegen sehen viele Postkeynesianer gerade die Verletzung des Ziels Verteilungsgerechtigkeit als eine der Hauptursachen für anhaltende Instabilitäten an. Die enge ökonomische Analyse liefert keine Verteilungsnorm. Wirtschaftspolitik und Verteilungspolitik müssen sich demnach auf anderweitig gewonnene Leitbilder bzw. Normen berufen. Die Leitbilder der Wirtschaftpolitik, Liberalismus (Leistungsgesellschaft) und Egalitarismus (Gleichheitsauffassung, vgl. Gleichheitsprinzip), beinhalten gemeinsam die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Unter diesen allgemein anerkannten Grundwerten nimmt Freiheit den zentralen Platz ein, denn in diesem Wert sind - bei angemessenem Verständnis des Menschen in seiner Gesellschaftlichkeit - die beiden anderen Grundwerte mitenthalten. Freiheit kann nicht einfach (und nur) Verzicht der staatlichen und gesellschaftlichen Organe auf Eingriffe ins wirtschaftliche Geschehen bedeuten, denn dann profitieren die einzelnen Wirtschaftsubjekte aufgrund unterschiedlicher ökonomischer und sozialer Ausgangsbedingungen höchst unterschiedlich von den so geschaffenen Verhältnissen. Diese Ungleichheit ist zugleich Ungerechtigkeit und eine Beeinträchtigung der konkreten materiellen Freiheit vieler. - b) Aufgabe der Gesellschaft (des Staates) ist es, solche sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse zu schaffen, daß jeder Mensch seine persönlichen (unterschiedlichen) Anlagen frei entfalten kann. Ohne Gerechtigkeit im Sinne gleicher Freiheitschancen und Entfaltungsmöglichkeiten für alle und ohne Solidarität in Form zusätzlicher Hilfe für Benachteiligte ist die Freiheitsforderung fragwürdig: Die Freiheit der ungerechterweise Ungleichen könnte auf Kosten der Freiheit der anderen gehen. Die Gerechtigkeit der freien Entfaltung setzt (mindestens) voraus: (1) Angemessene Bildungs- und Erziehungsmöglichkeiten für alle; (2) Abbau persönlicher Abhängigkeiten aufgrund unterschiedlicher ökonomischer und/oder politischer Macht oder zumindest deren demokratische Kontrolle. - Die Menschen sind auf Grund ihrer unterschiedlichen natürlichen Anlagen verschieden. Mit Ausnahmen geht die neuzeitliche politische Philosophie (etwa seit Hobbes, Locke, Smith, Rousseau, Kant) davon aus, daß aus diesen individuellen Unterschieden keine Legitimierung von politischer Macht der einen über die anderen abgeleitet werden kann. Diese Legitimierung erfolgt durch einen Vertrag (demokratische Verfassung), nach dem jeder Bürger die gleiche Chance und das gleiche Recht hat, auf jeden Platz innerhalb der politischen Ordnung zu gelangen. - Der Begriff der Gleichheit bleibt in der Praxis solange formal, solange die Chancengleichheit durch unzulängliche Bildung und Armut der einen nicht gewährleistet ist. Die Gleichheitsforderung hat nicht eine Nivellierung der Individuen zum Ziel, sondern will Chancengleichheit für alle, damit die unterschiedlichen Anlagen frei zur Entfaltung kommen. Die heute sichtbaren Unterschiede der Menschen an Intelligenz, Sensibilität, Kreativität etc. sind zum Teil Folge der Umweltbedingungen und arbeitsteiligen Produktionsweise. Um die weitgehende Beseitigung dieser "erzeugten", nicht der "natürlichen" Unterschiede, geht es der Gleichheitsforderung.
III. Umverteilungspolitische Instrumente: Die Reduzierung bestehender sozialer und ökonomischer Ungleichheiten kann an sehr verschiedenen Punkten ansetzen, die in die verschiedensten Bereiche der Wirtschaftspolitik fallen und sich gegenseitig nicht ausschließen. - 1. Tarifpolitik: Tarifpolitische Auseinandersetzungen zwischen Produzenten und Arbeitnehmern (Lohn- und Lohnstrukturpolitik (vgl. VI.) versuchen, sowohl die vom Markt bestimmte funktionelle Verteilung zwischen Lohn- und Gewinneinkommen zu korrigieren als auch die vom Markt determinierte Lohn- und Gewinnstruktur zu beeinflussen. Diese Korrekturversuche setzen also an der Primärverteilung an und sind von jeher stark umstritten. - 2. Finanzpolitik: Viele finanzpolitische Maßnahmen setzen ebenfalls an der ungleichen Primärverteilung (vgl. primäre Einkommensverteilung) an und versuchen, diese in eine gleichmäßigere sekundäre Verteilung (vgl. sekundäre Einkommensverteilung) zu überführen. - Probleme, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten der finanzpolitischen Umverteilungsmaßnahmen werden traditionellerweise im Rahmen der Finanzpolitik abgehandelt und sollen daher hier nur kurz angeführt werden. Durch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Sozialtransfers und Subventionen greift der Staat in die Primärverteilung ein. Die Verteilungswirkungen der genannten Maßnahmen werden durch Überwälzungsprozesse stark modifiziert, sind insofern empirisch nur schwer feststellbar. Einflüsse auf die Primärverteilung übt der Staat auch durch Setzung von ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, durch die Forschungs- und Technologiepolitik und die Bildungspolitik aus. Hier sind die Verteilungswirkungen fast völlig unbekannt. Schließlich bietet die Bereitstellung öffentlicher Güter einen wichtigen Ansatzpunkt für verteilungspolitische Maßnahmen. Völlig ungelöste Zurechnungs- und Bewertungsprobleme ermöglichen allenfalls (sehr umstrittene) Tendenzaussagen bezüglich der Verteilungswirkungen. - 3. Sozialpolitik: Unbestritten zur Verteilungspolitik gehören die umfangreichen Maßnahmen der Sozialpolitik. Im Mittelpunkt der Bemühungen um soziale Sicherheit stehen die in der Bundesrep. D. umfassend ausgebauten Sozialversicherungssysteme und zahlreiche weitere Maßnahmen der Sozialgesetzgebung (soziale Sicherung). Hier ist sicher von verteilungspolitischen Erfolgen zu sprechen, obwohl die Bemühungen nicht ausreichten, um das Armutsproblem völlig zu beseitigen. - 4. Bildungspolitik: Unverkennbar ist auch die verteilungspolitische Relevanz von bildungspolitischen Maßnahmen, insbes. dann, wenn sie gezielt auf einzelne Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind. Dahinter steckt der Gedanke, daß eine gleichmäßigere Verteilung der Bildungschancen zu gleichmäßigeren Einkommensansprüchen unter den Arbeitnehmern führt. - Erwähnt sei der ebenfalls verteilungsrelevante Aspekt der Beseitigung von diskriminierenden Einkommensnachteilen - für die Bundesrep. D. bedeutsam ist vor allen die Forderung nach gleicher Entlohnung für Frauen und Männer. - 5. Vermögenspolitik: a) Allgemeine Instrumente: Richtig ist, daß einerseits die Vermögensverteilung eine noch größere Ungleichheit aufweist als die der Einkommen und andererseits ein Teil der Ungleichheit der Einkommensverteilung auf die einseitige Vermögensverteilung zurückzuführen ist. Unter dem Aspekt Vermögensumverteilung werden daher fünf grundsätzliche Alternativen diskutiert: (1) Umverteilung bestehender Vermögen, (2) staatliche Umverteilung von Vermögen durch Vermögens- und Erbschaftsteuern, (3) Reprivatisierung von öffentlichen Vermögenswerten z. B. durch Volksaktien, (4) Überführung von Teilen des Privatvermögens in öffentliches Vermögen und schließlich (5) Umverteilung von Vermögenszuwächsen im privaten Bereich. - Beurteilung: Gegen die Alternativen (1) und (4) werden tiefgreifende ordnungspolitische Bedenken vorgebracht (Enteignung, Aushöhlung der Marktwirtschaft durch Einschränkung des Privateigentums). Die Alternative (3) kann nach den negativen Erfahrungen mit der Volksaktienausgabe (VW und VEBA) als gescheitert angesehen werden. Bei grundsätzlicher Anerkennung der Institution des Privateigentums kann die Alternative (2) in Form einer Beschränkung des Erbrechts als natürlichste Form zur Erreichung einer Vermögensumverteilung angesehen werden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Forderung von J. St. Mill, nach dessen Meinung jeder Mensch nicht mehr erben dürfe, als zu seiner Ausbildung und Vorbereitung auf den von ihm angestrebten Beruf notwendig ist. Die gegenwärtige Erbschaftsteuer in der Bundesrep. D. mit hohen Freibeträgen, niedrigen Steuersätzen und Bewertung von Haus- und Grundbesitz zu Einheitswerten ist weit von einer ernsthaften Substanzbesteuerung entfernt. Einer Beschränkung des Erbrechts stehen außer politischen Widerständen, die die Durchsetzungschancen als gering erscheinen lassen, auch prinzipielle Bedenken entgegen. Der Wunsch nach materieller Sicherung der eigenen Nachkommenschaft ist für viele Menschen zweifellos eine wesentliche Triebfeder für die Akkumulation von Reichtum und damit für berufliche Leistungen. Die Suche nach einem allgemein anerkannten Optimum zwischen (positiv zu bewertendem) Akkumulationstrieb und dem Streben nach Chancengleichheit gestaltet sich als äußerst schwierig. - b) Die praktische und konkrete vermögenspolitische Diskussion beschränkt sich nahezu ausschließlich auf die Alternative (5), also auf eine Beeinflussung der Vermögensbildung für mittlere und untere Einkommensschichten. Unter diesem Aspekt ist hinzuweisen auf (1) die praktizierten Sparförderungsmaßnahmen (Sparprämiengesetz, Wohnungsbauförderungsgesetz, Vermögensbildungsgesetz), deren verteilungskorrigierende Wirkung aber nicht allzu hoch eingeschätzt wird; (2) vielfältige Pläne und Vorschläge von den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen. Die letzteren umfassen Investivlohnpläne in verschiedenen Varianten (Investivlohn) sowie betriebliche und überbetriebliche Ertragsbeteiligungspläne in ebenfalls sehr unterschiedlichen Ausprägungen. - c) Abschließende Bemerkungen: Nach dieser Skizzierung einiger wichtiger Teilaspekte der V., bleibt festzuhalten: Die praktische verteilungspolitische Diskussion wird weiterhin primär unter lohnpolitischen Gesichtspunkten geführt. Inwieweit die lohnpolitische Verteilungsdebatte durch Verlagerung auf andere Verteilungsebenen (insbes. Vermögensverteilung) entlastet bzw. entschärft werden kann, ist hier nicht endgültig zu beantworten. Der diesbezügliche Optimismus des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Gewinnbeteiligung eine Entspannungsfunktion bezüglich der Tarifpolitik zuschreibt, ist sicher verfrüht und übertrieben, wenn man in Rechnung stellt, daß Gewinnbeteiligungspläne schon seit 40 Jahren existieren, bis heute aber noch nicht in größerem Umfang realisiert wurden. Spürbare Umverteilungserfolge wird man dann nur zu Lasten der Gruppe der Unternehmer erzielen können. Ihr Widerstand gegen eine Vermögensumverteilung wird naturgemäß nicht geringer sein als im Rahmen der Lohnpolitik. Die Binsenweisheit, daß es bei Umverteilungsmaßnahmen immer Gewinner und Verlierer gibt, gilt für alle Verteilungsebenen.
IVerteilungspolitik Nominallohnpolitik: 1. Begriff: Die Verteilungspolitik der Gewerkschaften richtet sich zum einen auf die Erhöhung der Lohnquote mit Hilfe einer expansiven (Nominal-) Lohnpolitik und zum anderen auf den Abbau von Lohndifferentialen durch die Lohnstrukturpolitik (z. B. Sockelbeträge, Streichung von Niedriglohngruppen). Sollen Tarifverhandlungen gegen den Widerstand der Unternehmerverbände durch gesetzte Nominallohnerhöhungen auf Dauer eine Verteilungsverbesserung (höhere Lohnquote) bewirken, dürfen die Nominallohnerhöhungen nicht durch entsprechende Preisanhebungen kompensiert werden. - 2. Ergänzende Maßnahmen: a) Um die Überwälzungsmöglichkeiten der Unternehmen zu beschränken, fordern die Gewerkschaften ordnungspolitische Maßnahmen in Form von Wettbewerbsverschärfungen (vorbeugende Fusionskontrolle, Verbot von Preisabstimmungen), Verbraucherschutz, Preiskontrollen für marktmächtige Unternehmen, Erweiterung der Publizität und Mobilisierung des Wettbewerbs durch gemeinwirtschaftliche Unternehmen. - b) Die so durch Nominallohnerhöhungen, bei gleichzeitiger Verschärfung des Preiswettbewerbs beabsichtigten Reallohnerhöhungen, müssen weiterhin gegen Abwehrmaßnahmen in Form von Produktions-, Beschäftigungs- und Investitionseinschränkungen abgesichert werden. Dazu werden u. a. folgende Forderungen erhoben: konsequente Vollbeschäftigungspolitik im Rahmen staatlicher Konjunkturpolitik, aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, verbesserte Kreditmöglichkeiten für Investoren und strukturpolitische Maßnahmen. - 3. Dieser kurz skizzierten Position der verteilungsaktiven Lohnpolitik der Gewerkschaften steht die neoklassische Marktposition entgegen. Nach dieser gibt es eine sich langfristig sowieso einstellende Marktverteilung, die jede autonome Verteilungspolitik sinnlos macht; die Lohnpolitik kann nur die Aufgabe haben, die sich wegen bestimmter Marktunvollkommenheiten verzögert einstellende Marktverteilung zu reproduzieren, um damit die Anpassungsprozesse zu beschleunigen. Lohnpolitik ist eine Variante der Stabilisierungspolitik. Hier kommt ein zweiter, nicht unwesentlicher Punkt hinzu: der Verteilungskonflikt, wie er etwa zwischen den Tarifparteien zum Ausdruck kommt, beruht danach im wesentlichen auf Fehleinschätzungen der Tarifparteien über das Erreichbare (sprich: Marktverteilung) und auf mangelnder Information. Trotz der Existenz heftig rivalisierender Gruppen ist das System nach dieser Position bei entsprechender Aufklärung und Information in der Lage, im Rahmen der ökonomischen Sach- und Wirkungszusammenhänge zum Interessenausgleich zu führen. Die Verteilungspolitik hat auch von dort her ihre Aufgabe und Begründung. Funktion der Einkommenspolitik ist es, allen Gruppen die Sachzusammenhänge (Marktverteilung und/oder die Pattsituation im langfristigen Verteilungskampf aufgrund sich aufhebender Machtpositionen) klar zu machen. Zwar werden die zu konservierenden Verteilungsverhältnisse nicht als gerecht bezeichnet, aber doch für unveränderlich gehalten. Nach allem können lohnpolitische Richtlinien zumindest mittelfristig direkt in den Dienst der anderen gesamtwirtschaftlichen Ziele wie Wachstum, Preisstabilität und Vollbeschäftigung gestellt werden.
Verteilungspolitik Einkommenspolitik: Fast immer ruft der Mißerfolg konjunkturpolitischer Bemühungen, sei es an der Preis- oder sei es an der Beschäftigungsfront, die Befürworter lohnpolitischer Richtlinien und Empfehlungen auf den Plan. - 1. Der neoklassisch-monetaristische Ansatz: Anhaltende Arbeitslosigkeit ist nach dieser Lehre immer und überall auf ein zu hohes Reallohnniveau zurückzuführen. Bei Vollbeschäftigung dagegen führen Lohnerhöhungen über die Produktivitätsentwicklung hinaus zu Kostensteigerungen und damit zu Inflation (Inflationtheorie). Konsequenterweise werden je nach Lage kostenniveauneutrale Lohnregeln bzw. vollbeschäftigungskonforme Richtlinien ersonnen und empfohlen. Diese stellen die Einkommenspolitik in den Dienst der Konjunkturpolitik. Aktive Umverteilungsbemühungen werden abgelehnt, weil der Marktmechanismus auch das Ziel der verteilenden Gerechtigkeit erfüllt. Lohnregeln und -empfehlungen sollen lediglich die sowieso stattfindende marktmäßige Entwicklung vorwegnehmen und beschleunigen. Wegen der Gleichgewichtsorientierung des neoklassisch-monetaristischen Paradigmas (eingeschlossen sind die theoretischen Schulen der Neuen klassischen Makroökonomik aber auch die wirtschaftspolitischen Leitbilder Supply-Side-Economics und (extreme) Angebotspolitik) beruhen die Ableitungsversuche von Lohnregeln auf Modellen der Gleichgewichtstheorie. Es geht den Verfechtern der Regeln nicht um die Lösung des Verteilungskonflikts, da es diesen nach ihrer Lehre eigentlich gar nicht gibt, sondern darum, die Gegenseite (Arbeitnehmer, Gewerkschaften) davon zu überzeugen, ihre autonomen Verteilungspläne aufzugeben. Die bei der Marktverteilung eventuell verbleibenden Verteilungsungerechtigkeiten müssen nach dieser Auffassung auf anderen Ebenen (Sozialpolitik, Vermögensbildung, Steuersystem) korrigiert werden, aber auch nur insoweit Not und Armut unter dem Fürsorge- und/oder Stabilitätsaspekt zu groß werden. In einer Welt mit Ungleichgewichten, Unsicherheit und gesellschaftlichen Dauerkonflikten bzgl. Verteilung, Umwelt, Produktionsbedingungen etc. wird von den gleichgewichtsorientierten, neoliberalen Lehren keine umfassende Lösung der wirtschaftlichen Probleme angeboten. - 2. Ansätze keynesianischer Prägung: Auch nach keynesscher, keynesianischer und postkeynesianischer Argumentation versagt die traditionelle Konjunkturpolitik mit den Zielen Preisstabilität und Vollbeschäftigung teilweise wegen des Verteilungskonflikts zwischen den Gruppen, der aber nicht mehr als einseitiger Störfaktor behandelt wird, sondern als eine Selbstverständlichkeit, die man nicht wegdefinieren kann, um danach zur gleichgewichtigen Tagesordnung überzugehen. Nach keynesscher und postkeynesianischer Sicht dient Einkommens- bzw. Lohnpolitik nicht nur zur konjunkturpolitischen Absicherung, sondern hat immer auch Umverteilungscharakter, jedenfalls solange ungerechtfertigte Ungleichheiten vorliegen. Insofern gehört das Ziel Verteilungsgerechtigkeit in den Katalog der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen. Inwieweit eine Einkommenspolitik (Sozialkontrakt) nach postkeynesianischer Art in der Lage ist, die Konjunkturpolitik zu erleichtern, läßt sich allgemein nicht klären. Sicher scheint allerdings nur, daß die Hoffnungen vieler Postkeynesianer auf Lösungen des Verteilungskonflikts trügerisch sind. Trotzdem bleibt die Einbeziehung realer Konfliktsituationen wirtschaftstheoretisch und -politisch unumgänglich. Es reicht zudem in keinem Fall aus, Konflikte nur auf dem Weg zum Gleichgewicht zu sehen und zu berücksichtigen (Theorie permanenter Ungleichgewichte). Für kurz- bis mittelfristige Konjunkturpolitik bedeutet Integration der Verteilungsproblematik zunächst Aufgabe der herkömmlichen Lohnregeln. An ihre Stelle tritt eine Orientierung der Lohneinkommensentwicklung an der Investitions- und der Preisentwicklung unter Einbeziehung der jeweiligen Konjunktursituation sowie der absehbaren Wachstumsprognosen. Dabei kann diese Orientierung nur vorläufige ad-hoc-Empfehlungen beinhalten, die unter Umständen durch Revisionsklauseln flexibel gestaltet werden können. Vielfältige Unsicherheiten verhindern auf Dauer allgemeingültige Aussagen. Diese Unsicherheiten begründen aber in keinem Fall die Forderung nach verteilungspolitischer Abstinenz (einkommenspolitische Empfehlungen).
VI. Sozialpolitik als Umverteilungspolitik: 1. Begriff: Die Einrichtungen der sozialen Sicherheit unterscheiden sich in den einzelnen Ländern ganz erheblich. Das Leistungsangebot kann privatwirtschaftlich organisiert sein, wobei sich der Staat darauf beschränkt, die Bürger zu einer Versicherung gegen soziale Risiken (Krankheit, Unfall, Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit) zu zwingen (etwa das Verfahren der USA). Das Ziel der sozialen Sicherheit läßt sich auch durch ein umfassendes staatliches Versorgungswerk regeln, innerhalb dessen die Finanzierung aus dem allgemeinen Steueraufkommen erfolgt. Einen Mittelweg geht die Sozialversicherung in Deutschland. Es wurde eine eigenständige Sozialversicherung errichtet mit weitgehenden Verteilungs- und Allokationszielen, die sich aber vorwiegend über Beiträge finanziert. - 2. Begründung: Ein Zwangsversicherungssystem wird einerseits mit nicht versicherungsfähigen, sozialen Risiken begründet und andererseits (nicht unbestritten) mit den beabsichtigten Umverteilungsabsichten, die zum Teil nicht direkt etwas mit den sozialen Risiken zu tun haben. Zu nennen sind die vertikale Umverteilung durch Sachleistungen, die einkommensunabhängig gewährt werden; die horizontale Umverteilung zugunsten kinderreicher Familien sowie die Umverteilung durch Arbeitgeberanteile und Staatszuschüsse aus dem allgemeinen Steueraufkommen. - Unter allokationsmäßigem Aspekt ist Sozialpolitik die Gesamtheit aller Maßnahmen, welche die Menschen gegen diejenigen Risiken schützen, die durch individuelle Vorkehrungen nur ungenügend oder in deutlich ineffizienter Weise ausgeschaltet werden können. In dieser Definition überwiegt eindeutig die liberalistische Komponente, da Sozialpolitik erst eingreift, wenn Selbsthilfe nicht möglich ist (vgl. auch Subsidiarität). Der egalitäre Aspekt beschränkt sich auf die (selbstverständliche) Erkenntnis, daß Fälle existieren, in welchen die ökonomische Position eines Wirtschaftssubjekts weniger von eigenen Anstrengungen, sondern vielmehr vom Zufall abhängt. Sozialpolitik wird danach als verallgemeinertes Versicherungskonzept aufgefaßt, welches bei Versagen der Selbstversicherung eingreift. - Vertreter des risikobezogenen Versicherungskonzepts lehnen eine Sozialpolitik ab, die aus dem Versagen des Marktmechanismus im Distributionsbereich abgeleitet wird. Diese Sicht ist generell nicht haltbar, wenn man die Ergebnisse der Allokations- bzw. Wohlfahrtsökonomik berücksichtigt. Die pareto-optimale Einkommensverteilung ist nicht endogen bestimmt und hängt zudem von der Vermögensverteilung ab. Außerdem sind die Unvollkommenheiten tatsächlicher Marktwirtschaften in Rechnung zu stellen. Sozialpolitik ist demnach immer auch Umverteilungspolitik, weil der Marktmechanismus im Distributionsbereich versagt. - 3. Die praktizierte Sozialpolitik in der Bundesrep. D. enthält neben dem Umverteilungsaspekt (Sicherheit im weiteren Sinne) einen Humanitätsaspekt (Ermöglichung eines menschenwürdigen Daseins) und den Risikoschutzaspekt (Sicherheit im engeren Sinne, Versicherungskonzept). Sozialpolitik mit Umverteilungscharakter (als Korrektur des Marktmechanismus) wird frühestens dann überflüssig, wenn das Marktsystem das Stabilitäts-, sprich Beschäftigungsproblem dauerhaft und auch kurzfristig gelöst hat, wenn das Wettbewerbsproblem soweit gelöst ist, daß Verteilungsverzerrungen beseitigt sind und wenn die Vermögenskonzentration beseitigt ist, so daß von Chancengleichheit gesprochen werden kann. Erst dann kann Sozialpolitik als reine Sicherungspolitik verstanden werden, eventuell sogar über alternative Privatversicherungen freiwilliger Art diskutiert werden, obwohl dennoch genügend Gründe für eine staatliche und zwangsweise Grundversicherung im Rahmen des Versicherungskonzepts verbleiben. Dazu gehören: mangelnde Finanzkraft Einzelner, mangelnde Erkenntnis der Risikowahrscheinlichkeit, Unterschätzung der Zukunft, Vorherrschen strategischer Überlegungen (Free-rider-Verhalten), Inflationsproblem bei Altersvorsorge, unterschiedliche Anlagemöglichkeiten der Wirtschaftssubjekte, positive externe Effekte für die Allgemeinheit, wenn Bestand und Qualität des Humankapitals (auch durch präventive Maßnahmen) erhalten wird, notwendiger Ausgleich für unterschiedliche, spezifische Gefahren der industriellen Arbeitswelt, Ineffizienz kommerzieller Versicherungsmärkte wegen des adverse-selection Phänomens.
Literatur: Andersen, U., Einführung in die Vermögenspolitik, München 1976; Bartling, H., Luzius, F., Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, München 1993; Hickel, R., Huster, E.-U., Kohl, H. (Hrsg.), Umverteilen, Frankfurt/M. 1993; Huster, E.-U. (Hrsg.), Reichtum in Deutschland, Frankfurt/M. 1993; Krelle, W., Schunck, J., Siebke, J., Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer, 2 Bände, Tübingen 1968; Külp, B., Verteilung, Theorie und Politik, 1994; Mückl, W., Vermögenspolitische Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1975; Pitz, K. H., (Hrsg.), Das Nein zur Vermögenspolitik. Gewerkschaftliche Argumente und Alternativen zur Vermögensbildung, Reinbek 1974; Rawls, J., Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1979; Roberts, C. C., Verteilungstheorie und Verteilungspolitik, Köln 1980; Rothschild, K. W., Verteilungspolitik, Krise oder Abstinenz, in: Markmann, H., Simmert, D. B. (Hrsg.), Krise der Wirtschaftspolitik, Köln 1978, S. 473 ff.; Smith, A., Der Wohlstand der Nationen, München 1973 (1776); Sohmen, E., Allokationstheorie und Wirtschaftspolitik, Tübingen 1976; Werner, J., Verteilungspolitik, Stuttgart-New York 1979.
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