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Finanzpolitik

I. Betriebliche F.: Summe aller Maßnahmen der Finanzierung einer Unternehmung zur Befriedigung des Kapitalbedarfs, unterstützt durch Finanzplanung (vgl. dort I). Finanzpolitik ist als Teil der Unternehmenspolitik in Zielen und Methoden abzustimmen mit Investitionspolitik, Einkaufspolitik, Marketingpolitik, Dividendenpolitik sowie der Gestaltung des Produktionsprogramms und dessen Ablaufes. - Vgl. auch Finanzentscheidungen, Finanzmanagement.
II. Öffentliche F.: 1. Begriff: Die öffentliche Finanzpolitik ist neben der Geldpolitik und den vielfältigen Ge- und Verboten ein Instrument der Wirtschaftspolitik. Sie verfolgt das Ziel, Struktur und Höhe des Sozialprodukts einer Volkswirtschaft mit Hilfe öffentlicher Einnahmen und öffentlicher Ausgaben zu beeinflussen; sie dient aber auch anderen Politikbereichen, sofern dort öffentliche Mittel eingesetzt werden (vgl. 2). - Finanzpolitik ist Ordnungspolitik und Prozeßpolitik. Unter ordnungspolitischem Aspekt gehört zu einer Wettbewerbswirtschaft z. B. ein Steuersystem, das den Wettbewerbsmechanismus möglichst wenig verfälscht; unter prozeßpolitischem Aspekt verändern staatliche Einnahmen und Ausgaben die volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen, aber auch Entscheidungen auf Einzelmärkten. Finanzpolitische Maßnahmen gehören wie die Instrumente der Geldpolitik vorwiegend zu den indirekt wirkenden Instrumenten. Im Gegensatz zu direkt verhaltensändernden Kontrollen (z. B. Preisstopp) beeinflussen sie i. d. R. die Daten für privatwirtschaftliches Handeln, weniger das Handeln der privaten Wirtschaftssubjekte selbst. Ausnahmen sind prohibitiv wirkende Einnahmen, die einem Ge- oder Verbot gleichkommen (Beispiel: Prohibitivzoll). - 2. Ziele: Es gibt kaum einen ökonomischen oder politischen Bereich, der nicht von Maßnahmen der öffentlichen Finanzwirtschaft berührt wird; daher dient die Finanzpolitik einer Vielfalt von Zielen. Letztlich ist jeder politische Zielkatalog eines Staates mit den möglichen Zielen der Finanzpolitik identisch. a) Fiskalisches Ziel (Aufgabe der staatlichen Einnahmesicherung): Der Staat benötigt Einnahmen, mit deren Hilfe er sich die zur Erfüllung seiner Aufgaben nötigen Ressourcen beschafft. Das fiskalische Ziel ist immer ein Vorziel. - b) Allokatives Ziel: Umfaßt eine Vielzahl von Teilzielen, die alle auf eine Veränderung der Ressourcenverteilung gerichtet sind; dabei kann es sich um eine Veränderung zwischen Privaten handeln (Probleme bei der regionalen und sektoralen Strukturpolitik), um eine Veränderung der Ressourcenverteilung zwischen Staat und Privaten (Problem der Staatsquote), sowie um eine Veränderung der Ressourcenverteilung innerhalb des Staates (Probleme des staatlichen Haushaltsplans sowie des Finanzausgleichs). - c) Distributionsziel bzw. Ziel der Einkommensverteilung: Für eine soziale Marktwirtschaft von zentraler Bedeutung. Das Ergebnis des marktwirtschaftlichen Prozesses, der selbst möglichst wenig gestört werden soll, ist unter sozialen Gesichtspunkten zu korrigieren, z. B. durch die Zuteilung von Transfereinkommen für nicht mehr im Arbeitsprozeß stehende Bürger. - Allokative und distributive Finanzpolitik können von den Zielen her exakt getrennt werden, bei einer Analyse der Wirkungen ergeben sich viele Überschneidungen. So gibt es kaum allokative Maßnahmen, die keine distributiven Folgewirkungen haben und umgekehrt. - d) Stabilisierungsziel: Seit der Weltwirtschaftskrise zunehmend in den Vordergrund der Finanzpolitik getreten. Es ist dogmenhistorisch eng verknüpft mit dem der keynesianischen Theorie (Keynesianismus), die im Gegensatz zur Klassik und Neoklassik davon ausgeht, daß die Volkswirtschaft auf einem nicht-optimalen Niveau verharren kann (z. B. stabiles Unterbeschäftigungsgleichgewicht). Die öffentliche Hand soll in diesem Fall durch gezielte konjunkturelle Impulse (Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage) Abhilfe schaffen. In der Bundesrep. D. hat das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 das stabilisierungspolitische Gesamtziel in die Einzelziele Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges wie angemessenes Wachstum gegliedert und damit konkreter gefaßt. Mit dem Gesetz ist zugleich ein weitgehend in Vergessenheit geratenes und partiell reformbedürftiges Instrumentarium für eine derartige stabilisierungsorientierte Politik (fiscal policy) bereitgestellt worden. - 3. Träger: Im Gegensatz zum Zentralstaat hat die Finanzpolitik in einem föderalistisch organisierten Staatswesen mehrere Entscheidungsebenen, in der Bundesrep. D. sind neben dem Bund die Länder und Gemeinden Träger der Finanzpolitik Jeder Entscheidungsebene obliegen bestimmte Aufgaben, dem Bund z. B. die Verteidigung und die soziale Sicherung, den Ländern die Bildungspolitik, den Gemeinden der Aufbau der örtlichen Infrastruktur. Sobald eine Aufgabe mehrere Ebenen betrifft, kommt es zur Mischfinanzierung. Auf jeder staatlichen Ebene sind die Entscheidungsprozesse durch die Gewaltenteilung nach Legislative, Exekutive und Judikative sowie durch den Einfluß von Parteien und Verbänden vielfältig strukturiert. Hinzu kommt der Einfluß supranationaler Institutionen; hinzuweisen ist auf das zunehmende Gewicht der EU und der NATO bei nationalen finanzpolitischen Entscheidungen. - a) Legislative: Die Parlamente als gesetzgebende Körperschaften beschließen den Haushaltsplan, das zentrale Planungsinstrument der Finanzpolitik - b) Exekutive: Sie gewinnt gegenüber dem Parlament gerade im Bereich der Finanzpolitik zunehmend an Gewicht. Sachkompetenz und Verfahrensrationalität geben der Exekutive bei der Entstehung von finanzpolitischen Entscheidungen und bei ihrer Durchführung einen Vorsprung. Die Bedeutung der Exekutive ist insbes. durch das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz weiter gesteigert worden. - c) Judikative: Finanzgerichte, aber auch das Bundesverfassungsgericht beeinflussen durch ihre Entscheidungen Richtung und instrumentelle Ausgestaltung der Finanzpolitik Beispiele sind Grundsatzurteile des Verfassungsgerichts zur Umsatzsteuer, zum Ehegattensplitting, zum Existenzminimum sowie zu verschiedenen Sonderabgaben. - 4. Instrumente: a) Einnahmenpolitik: (1) Steuerpolitik: Steuern können fiskalische und nichtfiskalische Ziele verfolgen. Konflikte beginnen i. d. R. dort, wo nichtfiskalische Ziele den fiskalischen Einnahmenzweck gefährden. Die Politik der Gebühren und Beiträge richtet sich vornehmlich auf die Lenkung personell oder gruppenmäßig zurechenbarer staatlicher Leistungen (Äquivalenzprinzip). Hier geht es z. B. um die Frage, ob und wie mit derartigen Abgaben preispolitische Signale bei staatlichen Gütern und Diensten gesetzt werden können. (2) Einen besonderen Bereich der öffentlichen Einnahmenpolitik bildet die Schuldenpolitik (debt management). Sie ist in den 70er Jahren weltweit immer bedeutsamer geworden, weil nachlassende Steuereinnahmezuwächse und v. a. sozialpolitisch motivierte Ausgabensteigerungen nur durch wachsende Kreditaufnahmen in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Dieser Vorgang war zum Teil stabilisierungspolitisch sinnvoll; gleichzeitig liefert er aber wachsenden Konfliktstoff, weil die Staatsverschuldung kommenden Generationen Zahlungsverpflichtungen auferlegt, evtl. private Kreditnachfrage vom Kapitalmarkt verdrängt (crowding out) und den Haushaltsplan mit wachsenden Zinskosten belastet. Die deutsch-deutsche Vereinigung hat die Schuldenpolitik in eine völlig neue Dimension gerückt. Vgl. auch öffentliche Kreditaufnahme, Verschuldungsgrenzen. - b) Ausgabenpolitik: Sie verfolgt grundsätzlich alle Ziele, die mit Hilfe öffentlicher Ausgaben verfolgt werden können. Insofern ist ihr Zielkatalog nahezu unbegrenzt. Im Rahmen einer Stabilisierungspolitik fällt ihr die zentrale Aufgabe zu, durch Konjunktur- und Ausgabenprogramme die Gesamtnachfrage antizyklisch zu variieren, um auf diese Weise eine Veränderung der Investitions- und Konsumtätigkeit zu bewirken. Für eine derartige konjunkturorientierte Ausgabenpolitik sind vornehmlich Investitionsausgaben geeignet, die sich nicht nur im Falle der Rezession erhöhen, sondern auch in Boomsituationen reduzieren lassen (Problem der Reversibilität). Allerdings kann diese konjunkturell motivierte Expansion und Kontraktion lediglich eines Teils der öffentlichen Ausgaben ein Element der Unsicherheit in Bereiche der Wirtschaft bringen, die - wie die Bauwirtschaft - von solchen Maßnahmen besonders betroffen sind. Verbreitetes Instrument der Ausgabenpolitik im Bereich der Allokations- und Distributionsaufgabe sind Subventionen und Transfers. - c) Auch das Budget als ganzes ist als Instrument der Finanzpolitik anzusehen. Je nach seiner Einnahme- und Ausgabestruktur und nach seinen Veränderungen gegenüber der Vorperiode kann ein Haushalt mehr oder weniger expansiv sein und damit entsprechend auf die Gesamtwirtschaft einwirken. Zur Quantifizierung dieser expansiven bzw. kontraktiven Effekte sind im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte mehrere Meßkonzepte entwickelt worden, von denen insbes. das Konzept des konjunkturneutralen Haushalts Beachtung gefunden hat. - 5. Probleme finanzpolitischer Steuerung. a) Ausweichmöglichkeiten: Der Einsatz finanzpolitischer Instrumente hat eine lange Tradition. Seit dem Merkantilismus sind vornehmlich die Steuern dazu benutzt worden, privatwirtschaftliche Verhaltensweisen zu verändern. Dabei hat sich gezeigt, daß der Steuerzahler sich vornehmlich an den Vermeidungsmöglichkeiten der Steuern orientiert; für die meisten steuerpolitischen Instrumente sind daher die Signalwirkungen von zentraler Bedeutung, die darauf gerichtet sind, die gewünschten Verhaltensänderungen durch steuerliche Entlastungen zu bewirken. - b) Diskretionäre versus regelgebundene F.: Die Probleme zielorientierter Finanzpolitik haben seit dem bewußten Einsatz für gesamtwirtschaftliche Stabilisierungsaufgaben zugenommen. Hierbei stellen die Schwierigkeiten der Prognose und Planung besonders hohe Anforderungen. Auch ist der richtige zeitliche Einsatz der Instrumente (Timing) außerordentlich schwierig (lag). Diese Nachteile einer diskretionären Finanzpolitik, die bei der Wahl von Zeitpunkt, Art, Dosierung und Dauer des Einsatzes der Instrumente vielfältig variieren kann, haben zur Suche nach Alternativen geführt. Mögliche Lösungen bietet eine regelgebundene Finanzpolitik, die durch Vorwegregelung finanzpolitischer Maßnahmen in Rahmengesetzen die vorzunehmenden Eingriffe an bestimmte Signale binden will. Dies setzt freilich eine besonders leistungsfähige Theorie voraus, die bisher nicht existiert. Erschwerend kommt hinzu, daß expansive und kontraktive Maßnahmen der Finanzpolitik auf unterschiedliche Interessenlagen stoßen: Positive Maßnahmen werden angenommen, Sanktionsversuche dagegen häufig unterlaufen (vgl. auch konzertierte Aktion). - c) Politische Grenzen: Dies führt zu einer Asymmetrie der F.: Die Durchsetzung von Maßnahmen zur Überwindung einer Rezession ist normalerweise wegen der dann harmonierenden Interessen leichter als eine entsprechende Kontraktionspolitik. Hier zeigt sich, daß einer Steuerung der Wirtschaftsprozesse mittels finanzpolitischer Instrumente politische Grenzen gesetzt sind. - d) Dogmenhistorische Auseinandersetzung: In neuerer Zeit wird allgemein die staatliche Steuerung und v. a. die von den sog. Fiskalisten befürwortete Stabilisierungspolitik kritisiert. Als Reflex der Renaissance neoklassischer Denktraditionen - neben anderen theoretischen Ansätzen ist oft auch eine andere normative Konzeption auszumachen - bezweifeln die Monetaristen und Angebotstheoretiker die Funktionalität der staatlichen Steuerung, abgesehen von ordnungspolitischen Rahmensetzungen. Sie setzen auf "mehr Markt" und die "Stabilität des privaten Sektors" (Monetarismus). Auch diese Konzeption der Finanzpolitik ist aber empirisch nur schwer zu beurteilen, ihre Evaluation kontrovers. Damit bleibt die ständige Überprüfung der Legitimation und die Anpassung der Finanzpolitik an veränderte Rahmenbedingungen auch weiterhin ihr vordringliches Problem. - Vgl. auch Finanztheorie, Finanzwissenschaft, Verteilungspolitik 2.


Literatur: Albers, W., Ziele und Bestimmungsgründe der Finanzpolitik, in: Neumark, F., u. a. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl., Bd. I, Tübingen 1977, S. 123-163; Atkinson, A. B./Stiglitz, J. E., Lectures on public economics, London 1980; Brümmerhoff, D., Finanzwissenschaft, 5. Aufl., München-Wien 1990; Haller, H., Finanzpolitik, 5. Aufl., Tübingen, Zürich 1972; Mackscheidt, K./Steinhausen, J., Finanzpolitik, Bd. I, 3. Aufl., Tübingen, Düsseldorf 1978, Bd. II, Tübingen, Düsseldorf 1977; Matzner, E., Der Wohlfahrtstaat von morgen, Wien 1982; Musgrave, R. A./Musgrave, P. B., Kullmer, L., Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. IV, Tübingen 1978; Neumark, F., Wirtschafts- und Finanzprobleme des Interventionsstaates, Tübingen 1961; Pätzold, J., Stabilisierungspolitik, Bern, Stuttgart 1985; Recktenwald, H. C. (Hrsg.), Finanzpolitik, Köln, Berlin 1969; Schmölders, G., Finanzpolitik, 3. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1970; Wittmann, W., Einführung in die Finanzwissenschaft. IV. Teil: Finanzpolitik, 2. Aufl., Stuttgart, New York 1977; Zimmermann, H., Instrumente der Finanzpolitik, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl., hrsg. v. Finanzpolitik Neumark, Bd. I, Tübingen 1977, S. 165-192; Zimmermann, H., Henke, K. D., Finanzwissenschaft, 7. Aufl., München 1994.

 

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