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Lohnpolitik
I. Begriff: Gesamtheit der Maßnahmen des Staates (staatliche L.) und der an der Lohnbildung beteiligten Parteien (Lohnpolitik der Tarifpartner) zur Beeinflussung von Lohnbildung, -höhe und -struktur.
II. Einteilung nach den Trägern: 1. Staatliche L.: Teil der Einkommenspolitik (Verteilungspolitik VI) des Staates, welche a) unter Gewährleistung der Tarifautonomie durch indikative Maßnahmen, z. B. durch Appelle zur Lohndisziplin, unverbindliche einkommenspolitische Empfehlungen und Kooperationen, oder b) durch die Tarifautonomie mehr oder weniger aufhebende Zwangsmaßnahmen, z. B. durch Indexierung der Tariflöhne, Lohnkontrollen oder Lohnstopps, versuchen, den Lohnbildungsprozeß so zu beeinflussen, daß unter Berücksichtigung verteilungspolitischer Auswirkungen die gesamtwirtschaftlichen Ziele der Stabilisierungspolitik erreicht werden können. - 2. Lohnpolitik der Tarifpartner, geprägt durch gegensätzliche Verteilungsziele: Die Gewerkschaften versuchen über ihre Tariflohnforderungen, die Arbeitgeberverbände durch Abwehr von Tariflohnsteigerungen, die reale Verteilungsposition ihrer Mitglieder zu verbessern bzw. u. U. zu halten. Im Rahmen der Tarifautonomie führen Verhandlungen, evtl. auch Arbeitskampf und Schlichtung zu Tarifverträgen, in denen u. a. die Tariflöhne mit einer vereinbarten Laufzeit festgelegt werden. - 3. Betriebliche L.: Unternehmensinterne Ergänzungen zu tarifvertraglichen Vereinbarungen bzgl. übertariflicher Lohnzuschläge (Effektivlohn) und zusätzlicher Lohndifferenzierungen.
III. Konzepte: 1. Produktivitätsorientierte L.: Form der L., die die Lohnstückkosten (LSK) und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Verteilungsrelationen (Lohnquote, Gewinnquote) mit dem Ziel konstant läßt, die Stabilität des Preisniveaus zu bewahren. Aus der Definition der (gesamtwirtschaftlichen) Lohnstückkosten als Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit (nominale Lohnsumme) zu realem Bruttoinlandsprodukt folgt durch Umformung der Quotient Stundenlohnsatz/Arbeitsproduktivität je Stunde als Bestimmungsgleichung der Lohnstückkosten. D.h., die Lohnstückkosten bleiben konstant, wenn der Nominallohnsatz mit der gleichen Rate wächst wie die Arbeitsproduktivität. Unter der Zusatzannahme eines konstanten Arbeitnehmeranteils (abhängige Erwerbstätige/Erwerbstätige insgesamt) sowie einer von der Kostenseite her begründeten Konstanz des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus gilt dann auch, daß die reale Lohnquote konstant bleibt. - Kritik: Nach diesem Konzept wird, wenn tatsächlich Preisniveaustabilität erreicht wird, die gegebene Verteilung zementiert. Aufgrund von Marktmacht verfügen die Unternehmungen unabhängig von der Kostenseite über Preiserhöhungsspielräume, so daß das Preisniveau gleichwohl steigen und die Lohnquote sinken kann. Neben den Lohnkosten spielen bei der Preisbildung noch andere Kostenbestandteile (z. B. die Kapitalkosten) eine Rolle, die zu einer Erhöhung des Kosten- und Preisniveaus führen können. - 2. Kostenniveauneutrale Lohnpolitik (preisneutrale L.): a) Begriff: Die k. Lohnpolitik überträgt mikroökonomische Vorstellungen über die Bildung der Angebotspreise auf die Gesamtwirtschaft. Die kostentheoretische Begründung der Produktivitätsregel und die Ableitung der kostenniveauneutralen Lohnregel des Sachverständigenrats beruhen auf einer Übertragung der mikroökonomischen Angebotspreisbildung auf Basis einer Zuschlagskalkulation auf die Gesamtwirtschaft. - b) Das Angebotspreisniveau ergibt sich gem. der Zuschlagskalkulation aus: p = (1 + g) q, wobei g = konstanter Aufschlagssatz und q = gesamtwirtschaftliche Durchschnittskosten. Bei der angenommenen Konstanz des Aufschlagssatzes (g) folgt:
Soll das Angebotspreisniveau stabilisiert werden (), so muß man das Durchschnittskostenniveau stabilisieren, also für q=0 sorgen. - c) Angebotsniveauformel: Erfolgt die angenommene Preissetzung (s. o.) nur aufgrund der Lohnstückkosten (oder sind alle anderen Durchschnittkostenbestandteile als konstant anzusehen) folgt die Angebotspreisniveauformel
Für folgt wiederum die Produktivitätsregel:
d) Kritik: Keine der Begründungen für die Anwendung der starren Produktivitätsorientierung (auch in Form der k. L.) ist hinreichend. Das spricht nicht gegen die Einbeziehung der Orientierungsgröße Produktivitätsentwicklung bei lohnpolitischen ad-hoc-Empfehlungen. Allerdings ist auf einige weitere grundsätzliche Bedenken hinzuweisen. (1) Die Befolgung der Produktivitätsregel läßt die Entwicklung des Gesamtarbeitsmarktes völlig außer acht. Produktivitätslohn und Gleichgewichtslohnniveau fallen im Normalfall auseinander, was zu Ungleichgewichten auf dem Arbeitsmarkt führt, insoweit die Lohndrift nicht ausreicht, dies zu verhindern. (2) Nach der Produktivitätsregel ist die Lohnfindung allein auf das Ziel der Preisstabilität ausgerichtet. Die Lohnpolitik kann aber nur im Zusammenhang mit allen wirtschaftspolitischen Zielen gesehen und analysiert werden. Das Ziel der Konjunkturstabilisierung z. B. erfordert, daß die Reallöhne nicht durch die Preisniveauentwicklung verzerrt werden. Zu niedrige Reallöhne beschleunigen den Konjunkturaufschwung; zu hohe Reallöhne im Abschwung führen unter Umständen zur Rezession. In einem Konjunkturaufschwung, der von den Investititionen getragen und von einer Steigerung des Preisniveaus begleitet ist, müssen die Nominallöhne über die Produktivitätsentwicklung hinaus erhöht werden. Sinnvolle Lohnpolitik ist nur möglich, wenn die jeweilige Konjunktursituation Berücksichtigung findet. (3) Schließlich muß noch auf ein schwerwiegendes methodisches Bedenken hingewiesen werden, das einerseits das Produktivitätskonzept in Frage stellt und andererseits verdeutlicht, daß lohnpolitische Empfehlungen nur im oben angedeuteten größeren wirtschaftspolitischen Zusammenhang und bei gleichzeitiger Berücksichtigung insbes. der Investitionsentwicklung in unterschiedlichen Konjunktursituationen sinnvoll sind. Dieses Bedenken besteht in der Tatsache, daß die Entwicklung der Arbeitsproduktivität aus dem Wirtschaftsprozeß heraus resultiert, also endogen (im starken Maß durch die Lohnentwicklung selbst) bestimmt ist, während sie bei Prognosen für die Lohnpolitik häufig als exogen vorgegeben angenommen wird. - 3. Expansive L.: U. a. von gewerkschaftlicher Seite vorgeschlagenes Konzept, das durch über den autonomen Produktivitätsfortschritt hinausgehende Nominallohnerhöhungen sowohl die Lohnquote als auch das Volkseinkommen real steigern soll. - 4. Vollbeschäftigungskonforme L.: a) Begriff: Am Vollbeschäftigungsziel orientierte Lohnempfehlung, die vom deutschen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seit 1974 in modifizierten Ausprägungen vertreten wird. Sie tritt in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit an die Stelle der produktivitätsorientierten Lohnpolitik bzw. der kostenniveauneutralen Lohnpolitik. Danach ist bei hoher Arbeitslosigkeit ein Abschlag vom mittelfristigen Produktivitätsfortschritt und der erwarteten Inflationsrate vorzunehmen, um dem Erfordernis neuer Arbeitsplätze Rechnung zu tragen. Dauerhafte Arbeitslosigkeit wird danach im wesentlichen gem. der neoklassischen Lehre erklärt. - b) Allgemein beinhaltet die v. Lohnpolitik folgende Merkmale: Lohnzurückhaltung, Verstetigung der Lohnpolitik, Lohndifferenzierung nach branchen-, regional- und qualifikationsspezifischen Merkmalen und Absicherung durch ein Gewinnbeteiligungssystem. - c) Beurteilung: Kritiker bemängeln die Einseitigkeit der so gekennzeichneten Lohnpolitik unter zwei Aspekten. Die angenommene Diagnose stellt zu einseitig auf die Angebotsseite ab. Dagegen stehen (zum Teil ebenso einseitig vorgebracht) die Thesen einer konjunkturellen oder dauerhaften Nachfrageschwäche, die Stagflationserklärungen auf Basis monopolistischer bzw. oligopolistischer Preispolitik und vielfältige Strukturhypothesen. Die therapeutischen Empfehlungen basieren ebenfalls auf zu einseitigen Argumentationsketten, insbes. bzgl. der Zusammenhänge zwischen Verteilung, Investitionen und Wachstum. Die makroökonomische Investitionshypothese stellt zu eng auf das Profitmotiv ab, was in Zeiten hoher Unterauslastung der Kapazitäten wegen fehlender Nachfrage nicht unumstritten sein kann. Bezweifelt wird auch, ob die erforderlichen Nachfrageeffekte einer zurückhaltenden Lohnpolitik einerseits tatsächlich eintreten und andererseits nicht (bei Eintritt) zu Preiserhöhungen genutzt werden. - Vgl. auch Verteilungspolitik V.
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