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Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)
I. Begriff: 1. Bestimmte Regeln der Rechnungslegung. Sie bilden die allgemeine Grundlage für die handelsrechtliche Bilanzierung und sollen die mit der Erstellung und Veröffentlichung von Jahresabschlüssen verbundenen legislatorischen Zwecksetzungen gewährleisten. - 2. Die GoB haben Rechtsnormcharakter, d. h. sie sind verbindlich anzuwenden, wenn Gesetzeslücken vorhanden sind, Zweifelsfragen bei der Gesetzesauslegung auftreten und eine Rechtsanpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse stattfinden muß. Insofern spricht man auch von einem unbestimmten Rechtsbegriff. Im HGB 1985 hat der Gesetzgeber erstmalig bestimmte Prinzipien, die seit langem als rechtsform- und größenunabhängige GoB anerkannt waren, einzeln kodifiziert. - 3. Für die Ermittlung der nichtkodifizierten Teile der GoB werden in der Literatur zwei Methoden genannt: a) Nach der induktiven Methode werden die GoB aus den Gepflogenheiten der Praxis "abgeleitet". - b) Bei der deduktiven Methode wird der Versuch unternommen, die GoB allein aus Zwecken der Rechnungslegung zu ermitteln. Beide Verfahren haben lediglich heuristischen Charakter. So hat die deduktive Methode, die nach herrschender Meinung die richtige ist, mit Deduktion oder Ableitung in einem logischen Sinne nichts zu tun. Sie ist lediglich ein "theoretisches Interpretations- und Findungsverfahren" im Gegensatz zur "Induktion aus der Anschauung der praktischen Übung ehrbarer Kaufleute" heraus.
II. Quellen: 1. Gesetz- und Rechtsprechung: a) Handelsrecht (§§ 238-263 HGB); b) Steuerrecht (§§ 140-148, 154, 158 AO; §§ 4 ff. EStG; 29-31 EStR); c) Rechtsprechung. - 2. Empfehlungen, Erlasse, Gutachten von Behörden und Verbänden. - 3. Gepflogenheiten der Praxis. - 4. Wissenschaftliche Diskussion; vgl. z.B den Systematisierungsvorschlag von Baertge/Apelt.
III. Die wichtigsten Grundsätze: Nach überwiegender Meinung, der auch das HGB von 1985 folgt, werden folgende Anwendungsbereiche der GoB unterschieden: 1. Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (i. e. S.): Als Ausfluß des Grundsatzes der Klarheit und Übersichtlichkeit (Nachprüfbarkeit) soll die Buchführung so beschaffen sein, daß sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle, ihre Entstehung und Abwicklung und die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 HGB, § 145 I AO). Notwendig sind Eintragungen in einer lebenden Sprache; insbes. bei EDV-Buchführung dürfen auch Abkürzungen, Ziffern, Buchstaben oder Symbole verwendet werden, wenn ihre Bedeutung in Organisationsplänen, Programmbeschreibungen, Datenflußplänen o. ä. eindeutig festliegt (§ 239 HGB). - Die Grundsätze der Vollständigkeit sowie formellen und materiellen Richtigkeit verlangen, daß keine Geschäftsvorfälle weggelassen, hinzugefügt oder anders dargestellt werden, als sie sich tatsächlich abgespielt haben. Konten dürfen nicht auf falsche oder erdichtete Namen geführt werden. Bei der Führung von Büchern oder bei Belegbuchhaltung soll Blatt für Blatt oder Seite für Seite fortlaufend numeriert sein. Der ursprüngliche Buchungsinhalt darf nicht unleserlich gemacht, es darf nicht radiert werden, Bleistifteintragungen sind unzulässig. Zwischen den Buchungen dürfen keine Zwischenräume gelassen werden (Buchhalternase). Bei EDV-Buchführungen müssen Änderungen und Korrekturen automatisch aufgezeichnet werden (§ 239 III HGB). - Sämtliche Buchungen müssen aufgrund der Belege jederzeit nachprüfbar sein ("keine Buchung ohne Beleg", Belegprinzip). Der Zusammenhang zwischen Geschäftsvorfall, Beleg und Konto ist durch ein Grundbuch herzustellen, das auch in einer geordneten und übersichtlichen Belegablage bestehen kann. Die Erfüllung der Grundbuchfunktion ist bei EDV-Buchführung durch Ausdruck oder Ausgabe auf Mikrofilm (vgl. Mikrofilm), bei der Speicherbuchführung durch jederzeitige Ausdruckbereitschaft sicherzustellen. - Der Grundsatz der rechtzeitigen und geordneten Buchung verlangt, daß die Buchungen innerhalb einer angemessenen Frist in ihrer zeitlichen Reihenfolge vorgenommen werden. Kasseneinnahmen und -ausgaben sollen i. d. R. täglich festgehalten werden (§ 146 I AO). Im Kontokorrentbuch sind alle Käufe und Verkäufe auf Kredit kontenmäßig festzuhalten; bei nur gelegentlich unbarem Geschäftsverkehr braucht ein Kontokorrentbuch nicht geführt zu werden, wenn für jeden Bilanzstichtag über die bestehenden Forderungen und Schulden Personenübersichten geführt werden; bei Einzelhändlern ist eine vereinfachte Buchung kleinerer Kreditgeschäfte zulässig (im Wareneingangsbuch in einer besonderen Spalte, Kreditverkäufe in einer Kladde, Debitoren- oder Kreditorenverzeichnis zum Bilanzstichtag). Ersatzweise Führung einer Offene-Posten-Buchführung ist bei Einhaltung der Ordnungsmäßigkeitsvoraussetzung möglich. - Die Aufbewahrungsfrist für Bücher beträgt zehn, für Buchungsbelege sechs Jahre, soweit sie nicht Buchfunktion erfüllen (wie z. B. die Belegkopien der ausgeglichenen Posten in der Offene-Posten-Buchführung). - 2. Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur: Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt, daß am Schluß eines jeden Geschäftsjahrs (Stichtagsprinzip) alle Vermögensgegenstände, Rechnungsabgrenzungsposten und Schulden in ein Inventar aufzunehmen sind (Inventur), die dem Grunde nach in der Bilanz erscheinen könnten (Aktivierungspflicht, Aktivierungswahlrecht, Passivierungspflicht, Passivierungswahlrecht). Dazu gehören alle Posten, die nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem bilanzierenden Unternehmen zuzurechnen sind (also z. B. auch Treuhandvermögen beim Treugeber, Sicherungsvermögen beim Sicherungsgeber, Kommissionsware beim Kommittenten). Deshalb gilt grundsätzlich das Prinzip der Einzelerfassung, doch genügen bei Anwendung anerkannter mathematisch-statistischer Methoden auch Stichprobenverfahren (§ 241 I HGB). Nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit (Materiality) brauchen Anlagevermögensgegenstände bis zu 100 DM nicht in das Inventar aufgenommen zu werden (31 III EStG). Weitere Vereinfachungen sind durch die Anwendung der Festbewertung (§ 240 III HGB; Festwert) und der Gruppenbewertung (§ 240 IV HGB) möglich. - Der Grundsatz der Richtigkeit verlangt eine zutreffende Erfassung nach Art, Menge und Wert der zu inventarisierenden Posten. - Es gilt der Grundsatz der Einzelbewertung, wobei auch hier Vereinfachungen bei gleichartigen Gegenständen des Vorratsvermögens sowie anderen gleichartigen oder annähernd gleichwertigen beweglichen Vermögensgegenständen durch Gruppen- und Durchschnittsbewertungen zulässig sind (§ 240 IV HGB). - Der Grundsatz der Klarheit verlangt eine übersichtliche, eindeutige, nachprüfbare Aufzeichnung der Inventurmethoden und -ergebnisse. - Der Grundsatz der Rechtzeitigkeit verlangt die Aufstellung des Inventars innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit (§ 240 II HGB). Da neben der Stichtagsinventur auch die vor- bzw. nachverlegte Stichtagsinventur und die laufende Inventur zulässig sind (§ 241 II/III HGB), betrifft die Frage der Rechtzeitigkeit in erster Linie die Bewertung der Bestände. - 3. Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung: a) Gliederungsgrundsätze: Nach dem Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit (§ 243 II HGB), der für alle Kaufleute gilt, sind die Gliederung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung so zu gestalten, daß jede Art von Verschleierung vermieden wird. - Die Form der Darstellung ist beizubehalten (Grundsatz der formellen Kontinuität oder Stetigkeit, § 265 I), um die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse zu gewährleisten. Abweichungen von den für alle Kapitalgesellschaften geltenden gesetzlichen bzw. für einzelne Branchen durch Rechtsverordnungen vorgeschriebenen Gliederungen sind zulässig, insbes. auch Zusammenfassung von Positionen wegen Geringfügigkeit (Grundsatz der Wesentlichkeit). - b) Grundsätze der Bilanzierung dem Grunde und der Höhe (Bewertung) nach: Der bei den Inventurgrundsätzen dargestellte Grundsatz der Vollständigkeit gilt auch für den Jahresabschluß. Daraus und aus dem Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit folgt, daß i. d. R. Forderungen nicht mit Verbindlichkeiten, Erträge nicht mit Aufwendungen und Grundstücksrechte nicht mit Grundstückslasten aufgerechnet werden dürfen (§ 246 HGB). - Der Jahresabschluß ist zum Schluß eines jeden Geschäftsjahres (Stichtagsprinzip, § 242 I/II HGB) innerhalb der einem geordneten Geschäftsgang entsprechenden Zeit (§ 243 III HGB) aufzustellen (Grundsatz der Rechtzeitigkeit). Dabei muß die Schlußbilanz des Vorjahres der Eröffnungsbilanz des nächsten Jahres entsprechen (Grundsatz der Bilanzidentität). - Bei der Bewertung ist von dem Grundsatz der Vorsicht auszugehen (§ 252 I 4 HGB), d. h. Ergebnisse sind erst dann auszuweisen, wenn sie realisiert sind (Realisationsprinzip); vorhersehbare Risiken und Verluste sind im Gegensatz zu Gewinnen bereits vor ihrer Realisation zu berücksichtigen (Imparitätsprinzip). Zu bewerten sind grundsätzlich die einzelnen Bilanzposten (Grundsatz der Einzelbewertung, § 252 I 3 HGB). Dabei ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, solange nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen (Going-concern-Prinzip, § 252 I 2 HGB). Die Bewertungsmethoden sind beizubehalten (materielle Bilanzkontinuität oder Stetigkeit, § 252 I 6 HGB). - Für Aufwendungen und Erträge gilt der Grundsatz der periodengerechten Zuordnung (§ 252 I 5 HGB). Der in den USA anerkannte Grundsatz, zusammengehörende Aufwendungen und Erträge derselben Rechnungsperiode zuzuordnen (matching principle), gilt in der Bundesrep. D. weder handels- noch steuerrechtlich. - Im übrigen sind Abweichungen von den oben aufgeführten Grundsätzen nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig (§ 252 II HGB). Zur Bewertung im Jahresabschluß im einzelnen vgl. Bewertung
IV. Verstöße gegen GoB: 1. Bei erheblichen formellen Mängeln, die das Wesen der Buchführung berühren, liegt keine ordnungsmäßige Buchführung vor (z. B. Fehlen notwendiger Aufzeichnungen des Tagebuchs, Kassenbuchs oder des Inventarbuchs, mangelnde Ausdruckbereitschaft bei Speicherbuchführung). Bei kleineren formellen Mängeln ist die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht zu beanstanden, wenn das sachliche Ergebnis nicht beeinflußt wird (Buchführungspflicht). - 2. Bei materiellen Mängeln der Buchführung (z. B. Nichtbuchung oder Falschbuchung von Geschäftsvorfällen, Passivsalden im Kassenbuch) kann sich folgendes ergeben: a) die Fehler in der Buchführung werden berichtigt; b) das Buchführungsergebnis wird durch eine ergänzende Schätzung berichtigt; c) das gesamte Ergebnis wird unter Verwendung der Buchführungsunterlagen geschätzt.
V. Folgen fehlender Ordnungsmäßigkeit: 1. Steuerlich: (1) Schätzung der Besteuerungsgrundlagen; (2) Entzug derjenigen steuerlichen Vergünstigungen, die an das Vorliegen bestimmter Buchnachweise geknüpft sind; (3) Umkehrung der Beweislast; (4) Zwangsmittel, ggf. Steuerstrafverfahren. - 2. Straf- und zivilrechtlich: (1) Mangelnder Beweiswert der Geschäftsbücher; (2) Konkursvergehen nach § 283 ff. StGB strafbar (Bankrott); (3) bei Kapitalgesellschaften Versagung des Bestätigungsvermerks.
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