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Genossenschaft

I. Rechtsgrundlagen: Genossenschaftsgesetz (GenG) und HGB.
II. Begriff/Charakterisierung: Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl mit dem Zweck, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu fördern. Der Charakter der Genossenschaft als Personenvereinigung mit wirtschaftlicher Förderungsaufgabe kommt zum Ausdruck: a) in der Gleichberechtigung der Mitglieder untereinander ohne Rücksicht auf die Höhe ihrer Kapitalbeteiligung an der Genossenschaft sowie in der Selbstverwaltung durch die Genossenschaftsorgane; b) im gemeinschaftlich begründeten Geschäftsbetrieb, der im Sinne der Förderungsaufgabe nicht gewinnorientiert sein soll (Preispolitik II). Die Genossenschaft als Form solidarischer Eigenhilfe ist eine Privatwirtschaft; sie ist eingebunden in den marktwirtschaftlichen Prozeß. Im Gegensatz dazu v. a. im Ausland gemeinwirtschaftliche oder halbstaatliche Formen mit ordnungspolitischem Anspruch.
III. Arten: 1. Wirtschaftliche Arten: a) Förderungs-Genossenschaft (Hilfs-G.), die als Hilfswirtschaft der auch weiterhin selbständig bestehenden Mitgliederwirtschaften anzusehen sind. - Arten: (1) Beschaffungs-G.: (a) Bezugs-Genossenschaft der Handwerker (Handwerkergenossenschaften), (b) Einkaufs-Genossenschaft des Handels (EDEKA-Genossenschaften, Rewe-Genossenschaften), (c) Bezugs-Genossenschaft der Landwirte (landwirtschaftliche Waren- und Verwertungsgenossenschaften), (d) Verkehrsgenossenschaften, (e) Konsumgenossenschaften (Verbraucher-G.); (2) Absatz-G.: (a) Absatz-Genossenschaft der Handwerker (Handwerkergenossenschaften), (b) Landwirtschaftliche Absatz-Genossenschaft (landwirtschaftliche Waren- und Verwertungsgenossenschaften) und Produktionsgenossenschaften (Molkereigenossenschaften); (3) Kredit-G.: gewerbliche (Volksbanken), ländliche (Raiffeisenbanken); (4) Wohnungsbau-G.; (5) Nutzungs-Genossenschaft (landwirtschaftliche Dienstleistungsgenossenschaften). - b) Produktivgenossenschaften (Voll-G.), bei denen neben dem Genossenschaftsbetrieb keine Mitgliederwirtschaften bestehen, weil die Mitglieder in der Genossenschaft gemeinsam arbeiten. - 2. Rechtliche Arten: a) Es bestehen drei Haftpflichtformen, wobei alle nur mit dem Zusatz eingetragene Genossenschaft (eG) firmieren dürfen: (1) Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht: Die Genossen haften für die Schulden der Genossenschaft mit ihrem ganzen Vermögen; (2) Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht: Die Genossen haften mit der im Statut festgelegten Haftpflichtsumme (nicht unter dem Geschäftsanteil); (3) Genossenschaft ohne Haftpflicht: Die Genossen haften nicht, sondern nur die Genossenschaft als Körperschaft. - b) Verboten ist es, in Form der Genossenschaft ein Versicherungsunternehmen, eine Hypothekenbank oder eine Bausparkasse (ausgenommen die vor dem 1. 10. 1931 gegründeten) zu betreiben.
IV. Rechtliche Regelungen: 1. Gründung durch mindestens sieben Personen, die ein Statut (Satzung II) für die Genossenschaft aufzustellen und Vorstand und Aufsichtsrat (Genossenschaftsorgane) zu wählen haben. Eintragung der Genossenschaft in das Genossenschaftsregister durch Vorstand anzumelden unter Einreichung des von den Gründern unterzeichneten Statuts (nebst einer Abschrift desselben), einer Liste der Mitglieder, von Urkunden über die Bestellung des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie des Zulassungsbescheids zu einem Prüfungsverband. Mit Eintragung wird die Genossenschaft juristische Person und gilt (ohne Rücksicht auf ihre Größe) als Kaufmann im Sinn des HGB; damit ist sie neben den Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes auch denen des HGB unterworfen. - 2. Kennzeichnend für die Genossenschaft ist das Prinzip der Selbstorganschaft. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder müssen Genossen sein. Das "Basiswissen" der Mitglieder, insbes. ihre Förderungsvorstellungen, soll stets unmittelbar in der Verwaltung der Genossenschaft präsent sein. Die Genossenschaft ist eine wirtschaftliche Selbsthilfeorganisation von Mitgliedern für Mitglieder. Das Ehrenamt im Vorstand ist typusbestimmend für die G.; wenngleich die praktische Bedeutung des Ehrenamtes im Vorstand in den vergangenen Jahren deutlich nachließ, sind heute selbst in Kreditgenossenschaften noch häufig Vorstandsmitglieder ehrenamtlich tätig. - 3. Rechtsstellung der Genossen: a) Aufnahme durch Teilnahme an Gründung oder Eintritt, der durch schriftliche Beitrittserklärung mit Zustimmung des Vorstands und Eintragung in die Genossenliste wirksam wird. b) Rechte: (1) Recht zur Benutzung der satzungsgemäßen Einrichtungen der G.; (2) Stimmrecht, bei Großgenossenschaften das aktive und passive Wahlrecht zur Vertreterversammlung; (3) Anspruch auf Gewinnanteil, soweit nicht durch Statut ausgeschlossen. c) Pflichten: (1) Zahlung der Pflichteinlagen; (2) Nachschußpflicht (Genossenschaftskonkurs); (3) andere durch Statut begründete Pflichten (z. B. Abnahmepflichten). d) Ausscheiden: (1) Austritt durch schriftliche Kündigung mit Dreimonatsfrist zum Schluß des Geschäftsjahres. Das Statut kann eine andere (höchstens fünfjährige) Kündigungsfrist vorsehen; (2) Aufkündigung durch Gläubiger des Genossen; (3) Ausschließung; (4) Übertragung des Geschäftsguthabens auf einen Genossen; (5) Tod des Genossen. - Eintragung des Ausscheidens in die Genossenliste erforderlich. Der Ausscheidende hat Anspruch auf Auszahlung des sich nach der Bilanz ergebenden Geschäftsguthabens binnen sechs Monaten, ggf. muß er einen anteiligen Fehlbetrag einzahlen. Hatte der Genosse seinen Geschäftsanteil voll eingezahlt, kann das Statut ihm einen Anspruch einräumen auf Auszahlung eines Anteils an einer zu diesem Zweck aus dem Jahresüberschuß zu bildenden Ergebnisrücklage. - 4. Auflösung der G.: a) Gründe: (1) Beschluß der Generalversammlung, zu fassen mit Dreiviertelmehrheit der Stimmen der erschienenen Mitglieder; (2) Ablauf der Zeit, wenn das Bestehen der Genossenschaft im Statut (Satzung II) von vornherein auf eine bestimmte Zeitdauer beschränkt worden ist; (3) Sinken der Mitgliederzahl unter sieben; (4) gesetzwidrige Handlungen oder Unterlassungen der G.; (5) Verfolgung anderer als der im Gesetz zugelassenen Zwecke; (6) Genossenschaftskonkurs. b) Verfahren: Die Auflösung der Genossenschaft muß in das Genossenschaftsregister eingetragen und bekanntgemacht werden. Außer bei Konkurs schließt sich an die Auflösung die Liquidation (Abwicklung) der Genossenschaft an. Liquidatoren sind der Vorstand oder wenigstens zwei andere dazu bestellte (auch juristische) Personen. Verteilung des Liquidationserlöses an die Mitglieder frühestens nach Ablauf eines Jahres nach Bekanntmachung der Auflösung, wobei zunächst das Verhältnis der Geschäftsguthaben zueinander zugrunde zu legen ist. Übersteigt der Liquidationserlös den Betrag der Geschäftsguthaben, so ist er nach Köpfen zu verteilen, wenn das Statut keinen anderen Verteilungsmodus bestimmt.
V. Steuerpflicht: 1. Körperschaftsteuer: Nach § 1 I Nr. 2 KStG sind alle Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften steuerpflichtig. Von der Körperschaftsteuer befreit sind Hauberg-, Wald-, Forst- und Lauf-G., wenn sie keinen Gewerbebetrieb unterhalten oder verpachten (§ 3 II KStG, Realgemeinden) sowie unter bestimmten Voraussetzungen landwirtschaftliche Betriebs-Genossenschaft Bei Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaft sind Rückvergütungen an Nichtmitglieder Betriebsausgaben. Rückvergütungen an Mitglieder sind nur insoweit Betriebsausgaben, als die dafür verwendeten Beträge im Mitgliedergeschäft erwirtschaftet worden sind (§ 22 I KStG). Erzielen unbeschränkt steuerpflichtige Genossenschaft ausschließlich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, wird gem. § 25 KStG vom Einkommen ein zeitlich befristeter Freibetrag von 30 000 DM abgezogen. - 2. Gewerbesteuer: Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaft sind wegen ihrer Rechtsform steuerpflichtig (§ 2 II Nr. 2 GewStG). Die Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes, die den Gewinn der Genossenschaft ganz oder teilweise von der Besteuerung freistellen, gelten auch für die Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 8 GewStG). - 3. Vermögensteuer (Vermögensteuer I a): Nach § 7 VStG bleiben bei der Veranlagung bestimmter Genossenschaft in den der Gründung folgenden zehn Kalenderjahren 100.000 DM vermögensteuerfrei. Steuerbefreiung unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der Körperschaftsteuer.
VI. Geschichtliche Entwicklung in Deutschland: 1. Die Genossenschaft sind Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Not der ländlichen Bevölkerung, der Gewerbetreibenden und der Arbeiter, eingeleitet durch V. A. Huber (1800-69) als erstem theoretischen Wegbereiter, wenn auch ohne praktischen Gründungserfolg; er propagierte die Gründung von Verbraucher-, Siedlungs- und Bau-Genossenschaft - 2. Auf anderen Gebieten waren bahnbrechend Schulze-Delitzsch (Prinzip der Selbsthilfe anstelle von Staatshilfe) und Raiffeisen. Schulze-Delitzsch gründete 1849 in Delitzsch die ersten Rohstoffassoziationen der Tischler und Schuhmacher; weiterhin in den Folgejahren Vorschußvereine, die den Handwerkern Kredite zur Verfügung stellten. - Raiffeisen ist der Begründer von landwirtschaftlichen G., erste Gründung von Vorformen in den Jahren 1847-54 in Weyerbusch, Flammersfeld und Heddesdorf im Westerwald. - Um die Wirksamkeit des genossenschaftlichen Zusammenschlusses zu erhöhen, wurden von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen Genossenschaftsverbände und zentrale Kreditinstitute gegründet: 1859 "Centralkorrespondenzbüro der Deutschen Vorschuß- und Kreditvereine" als Vorläufer von "Allgemeiner Verband der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschafts-G.", 1864 "Deutsche Genossenschaftsbank von Soergel, Parrisius u. Co.", 1876 "Landwirtschaftliche Central-Darlehnskasse", 1877 "Generalverband ländlicher Genossenschaft für Deutschland". - Anerkennung der Genossenschaft als Unternehmungsform durch Genossenschaftsgesetz (GenG) 1867. - 3. In den folgenden Jahrzehnten starke Zersplitterung in den Genossenschaftsverbänden: 1883 wurde von Wilhelm Haas die "Vereinigung (später umbenannt in Reichsverband) Deutscher Landwirtschaftlicher Genossenschaften" gegründet; 1895 zur Unterstützung der Landwirtschaft die "Preußische Central-Genossenschafts-Kasse" als staatliche Bank errichtet, mit der der Schulze-Delitzsch-Verband nicht zusammenarbeitete, weil er Staatshilfe ablehnte. - 4. Daher 1901 Zusammenschluß von handwerklichen Genossenschaft unter W. Korthaus im "Hauptverband deutscher gewerblicher G.", die mit der "Preußenkasse" in Verbindung traten. Aus dem "Allgemeinen Verband" wurden nach inneren Auseinandersetzungen 1902: 98 Konsum-Genossenschaft ausgeschlossen, von denen sich ein Teil 1903 zum "Zentralverband deutscher Konsumvereine", ein anderer Teil 1908 zum "Verband westdeutscher Konsumvereine" (seit 1913 "Reichsverband deutscher Konsumvereine") zusammenschloß. - 5. 1920-35 Vereinigung der verschiedenen Verbände und Zentral-Genossenschaft einzelner Genossenschaftszweige zu vier großen Sparten, von denen jede in einem Spitzenverband organisiert war: Gewerbliche G., ländliche G., Wohnungsbau-G., Konsum-Genossenschaft - 6. 1972 Zusammenschluß der gewerblichen und ländlichen Genossenschaftsverbände zum Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband e. V. (DGRV), Sitz Bonn, mit drei fachlich gegliederten Bundesverbänden. Zusammenarbeit des DGRV mit dem Revisionsverband deutscher Konsum-Genossenschaft e. V. (RdK), Hamburg, und dem GDW Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, Köln, im Freien Ausschuß der deutschen Genossenschaftsverbände. - Vgl. auch Genossenschaftswesen I.


Literatur: Aschhoff, G./Henningsen, E., Das deutsche Genossenschaftswesen - Entwicklung, Struktur, wirtschaftliches Potential, Frankfurt a. M. 1985; Boettcher, E., Die Genossenschaft in der Marktwirtschaft, Tübingen 1980; ders. (Hrsg.), Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen, Tübingen 1985; Draheim, G., Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl. Göttingen 1955; ders., und Genossenschaftsforschung, hersg. von Genossenschaft Weisser, Göttingen 1968; Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, hrsg. von Mändle, E/Winter, H. W., Wiesbaden 1980; Henzler, R., Die G., eine fördernde Betriebswirtschaft, Essen 1957; ders., Betriebswirtschaftliche Probleme des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1962; Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 31. Aufl., Berlin (West) 1984; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 12. Aufl., München 1983; Müller, K., Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 3. Bde., Bielefeld 1976-80; Ohm, H., Die Genossenschaft und ihre Preispolitik, Karlsruhe 1955; Paulick, H., Das Recht der eingetragenen G., Karlsruhe 1956; Schmidt, F., Die Prüfung von G., 2. Aufl., Herne/Berlin (West) 1968; Schultz, R./Zerche, J., Genossenschaftslehre, Berlin (West) 1983; Zülow/Henze u. a., Die Besteuerung der G., 6. Aufl., München 1978.

 

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