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Organisationstheorien
I. Ursprung: Die Entwicklung von Organisationstheorien geht auf die Auseinandersetzung mit Organisationsproblemen bei Kirche, Heer und Staat zurück. Hier entstand das Bedürfnis, "allgemeingültige" Organisationsprinzipien zu entwickeln. Im Zuge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die im Gefolge der Industrialisierung zu wirtschaftlichen Einheiten zunehmender Größe führte, erfolgte eine Übernahme dieser Organisationsprinzipien in den Bereich der Wirtschaft und eine Differenzierung der theoretischen Aussagen.
II. Organisationstheoretische Ansätze: In der Entwicklung der Organisationstheorien standen zunächst Einzelansätze im Mittelpunkt, die zumeist das Organisationsproblem von der schwerpunktmäßigen Betrachtung eines Elements her entfalteten. In jüngster Zeit hat eine deutliche Suche nach einer Integration dieser vielfältigen Einzelansätze in Form übergreifender theoretischer Gesamtkonzepte eingesetzt.
1. Elementorientierte Ansätze: Vielfältige Ansätze der Organisationstheorien versuchen, von einem bestimmten Element ausgehend, organisatorische Gestaltungsprobleme zu analysieren. Dabei werden von den Vertretern einzelner organisationstheoretischer Richtungen unterschiedliche Elemente gewählt und akzentuiert: a) Aufgabenorientierte Ansätze: Die anfängliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Problemen der Organisation wird von pragmatischen Zielsetzungen getragen (Fayol, Taylor). Probleme effizienter Arbeitsteilung und Spezialisierung und Lösungen zur Koordination dieser gegliederten Prozesse standen im Vordergrund. Während sich die angloamerikanische Management-Literatur Aufbauproblemen der Organisation relativ wenig formalisiert zuwendet, widmete sich in der Folgeentwicklung der größte Teil der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Organisationslehre der Untersuchung von aufbau- und ablauforganisatorischen Problemen (Nordsieck, Henning, Ulrich, Kosiol). Von einer vorgegebenen Aufgabe (Betriebsaufgabe) ausgehend, wurden sowohl die Probleme eines Potentialgefüges der Organisation (Kosiol: Verteilungs-, Leitungs-, Stabs-, Arbeits-, Kollegienzusammenhang) als auch Fragen des raumzeitlichen Prozeßgefüges (Kosiol: personale, temporale und lokale Gestaltung; vgl. auch Schweitzer) untersucht. In einer vororganisatorischen Analyse wird nach bestimmten Prinzipien eine Untergliederung der gegebenen Aufgabe in Unteraufgaben und dieser in Arbeitselemente vorgenommen. Im Rahmen einer Organisationssynthese erfolgt eine Zuteilung von Aufgaben auf Organisationseinheiten (Stellen und Abteilungen) sowie eine ablaufgerichtete Synthese von Arbeitselementen. Der Mensch wird dabei im rein strukturtechnisch verstandenen Organisationssystem als abstrakter, "mechanistischer" Aufgabenträger ("Funktionär") verstanden. - Die geschlossenen aufgabenorientierten Ansätze sind aus dem angelsächsischen Bereich zunehmend durch personen- und personengruppenorientierte Ansätze ergänzt worden. b) Personenorientierte Ansätze: Ansätze, die das menschliche Verhalten (Orientierung an Individual- bzw. Gruppenverhalten) zum Gegenstand haben. Ausgelöst durch die Hawthorne-Untersuchungen (Dickson, Mayo, Roethlisberger) verlagerte sich das Interesse zunehmend auf sozialwissenschaftliche Untersuchungen des menschlichen Verhaltens in Organisationen, insbes. auf die Gestaltung der sozialen Umwelt des Menschen in der Unternehmung zur Leistungssteigerung (Gegenstand der Human-Relations-Bewegung). Die Herausstellung der Bedeutung sozialer Beziehungen und individueller Merkmale für die Arbeitsleistung führten zu einer grundlegenden Änderung des Menschenbildes, weg vom reinen sachrationalen Funktionsträger (Scientific Management) zur sozio-emotionalen Person (March und Simon). Bedeutende Anstöße für die organisationstheoretischen Ansätze kommen im Verlauf der Human-Relations-Bewegung aus anderen Disziplinen, z. B. aus der Psychologie (Bedürfnishierarchie; Maslow). Individual-psychologische Aspekte fließen durch die Arbeiten von Herzberg und Vroom ein, die primär motivierende Komponenten organisatorischer Regeln im Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen zum Untersuchungsgegenstand erheben. Mit dem Vordringen der Kleingruppenforschung wurden Fragen wie Führerschaft, Status, Kommunikation, soziale Normen, Innovation untersucht. Verfahren zur Messung sozialer Interaktionen wurden entwickelt (Bales). Beiträge zur verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie kommen sowohl von der Soziologie als auch von der Sozialpsychologie. Geschlossene Systeme (Barnard, Simon, Cyert, March) stellen eine Verbindung von menschlichem Verhalten und organisatorischer Strukturierung her. c) Informationsorientierte Ansätze: Die rapide Entwicklung der automatischen Datenverarbeitung verstärkte das Interesse zur Entwicklung informationstechnologischer Ansätze der Organisationstheorien Waren die anfänglichen Untersuchungen auf Strukturierungsprobleme der Anlagen (Hardware) und von Programmen (Software) ausgerichtet, so wenden sich weitere Untersuchungen den Führungsinformationssystemen zu (Grochla, Szyperski). Neben den gestaltungsergebnisorientierten Ansätzen (Komponenten und Gestaltung von Informationssystemen) finden sich die gestaltungsprozeßorientierten Beiträge, die mehr auf Konzepte und Methoden der Informationssysteme ausgerichtet sind.
2. Integrative Ansätze: Im Gegensatz zu den bisher dargestellten, nur eine (element- und beziehungsorientierte) Blickrichtung isolierend erfassenden organisationstheoretischen Ansätzen, handelt es sich bei den integrativen Ansätzen um Versuche, eine Verbindung dieser elementaren Ansätze herzustellen. a) Entscheidungsorientierte Ansätze: Im Gefolge der Entwicklung der Unternehmensforschung (Operations Research) verstärkten sich in der Organisationstheorie Bemühungen, entscheidungstheoretische Ansätze zur Lösung von Organisationsproblemen heranzuziehen. - Diese entscheidungslogisch-orientierten Beiträge akzentuieren insbes. organisatorische Regeln und Aufgabenerfüllungsprozesse der Aktionsträger. Rationales Verhalten wird bei den Entscheidungsträgern vorausgesetzt, was im Einklang steht mit der zumeist formalisierten und mathematisierten Ausrichtung dieser Ansätze. Dabei handelt es sich um eine Erweiterung allgemeiner wirtschaftstheoretischer Modelle: Die Unternehmung wird nicht mehr als eine Entscheidungseinheit ohne eigene innerorganisatorische Probleme angesehen. Entscheidungen vollziehen sich vielmehr in einer vielgliedrigen Einheit, die aus vielen Entscheidungszentren besteht, die miteinander und mit ihrer Umwelt Informationen austauschen. - Die Behandlung von Umweltsegmenten und die Eigenschaften der Aktionsträger (Menschen und Maschinen) stehen hingegen in den entscheidungsverhaltens-orientierten Ansätzen im Vordergrund. b) Systemtheoretisch orientierte Ansätze: Möglichkeiten der Verbindung der erwähnten Einzelansätze werden durch die Systemtheorie als interdisziplinärem Ansatz eröffnet. Die Systemtheorie (v. Bertalanffy, Ashby, Flechtner) geht begrifflich von einem begrenzten Komplex von Elementen aus, die miteinander in Beziehung stehen. Eine derart weite Fassung gestattet die Untersuchung unterschiedlichster Systeme. Die systemtheoretisch-kybernetische Sicht (Wiener) widmet sich insbes. den Regelungsvorgängen in Systemen. Sie wird dabei durch die Informationstheorie unterstützt, die sich mit der Informationsübermittlung in Systemen beschäftigt. Dahingegen befaßt sich die systemtheoretisch-soziologische Variante mit der Institutionalisierung psychologischer, sozialer und kultureller Ordnungen (Luhmann). Gegenwärtig erfährt diese Forschungsrichtung - mit Rückgriff auf die Ergebnisse personenorientierter Einzelansätze - in der Diskussion der sozialen bzw. "weichen" Dimension der Unternehmung unter den Stichworten "Unternehmungs-(Organisations)Kultur" (Schein) und "organisatorisches Lernen" (Argyris/Schön) eine besonders intensive Behandlung durch Wissenschaft und Praxis. Neuere Entwicklungen in der systemtheoretischen Sicht des Managements von Unternehmungen (Ulrich, Ulrich/Probst, Malik) konzentrieren sich ihrerseits auf die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung sozialer Organisationen als Auftrag des Managements. Insbes. die evolutionäre Kraft Unternehmung und die sich dabei entfaltenden selbstorganisatorischen Prozesse (Probst, Gomez/Zimmermann) sind hier aus organisationstheoretischem Blickwinkel von Bedeutung. c) Situations-, kontext- und kontingenztheoretische Ansätze: Die sich oft widersprechenden Empfehlungen allgemein anwendbarer Organisationsprinzipien führen ebenso wie ein zu hoher Abstraktionsgrad mit nur geringem Bezug zu empirisch gehaltvollen Aussagen dazu, daß die Erscheinungsvielfalt realer Organisationsstrukturen theoretisch nur unzureichend berücksichtigt wird. Die situative Organisationstheorien ist ein Versuch, auf diese Schwächen zu reagieren. Über vergleichende empirische Erhebungen werden Auswirkungen erfaßter situativer Einflußfaktoren (Kontext) aus der Umwelt und aus der Unternehmung auf einzelne Organisationsparameter beschrieben (Contingency Approach; Bedingtheitsansatz; Burns und Stalker; Lawrence und Lorsch; Blau und Schoenherr). Die Situation kann dabei in einzelne Komponenten zerlegt werden, wie etwa Differenziertheit des Leistungsprogramms, Größe der Unternehmung, angewendete Fertigungs- und Informationstechnologie, Rechtsform und Eigentumsverhältnisse neben der allgemeinen Umwelt (Kieser, Kubicek). Die angesprochenen Kontextfaktoren gehen als unabhängige Variablen, Struktureigenschaften der Unternehmung als abhängige Variablen in die Betrachtung ein, wobei durch Variation der Kontextvariablen nach möglichen Erklärungsursachen für reale Erscheinungsformen der Organisationsstruktur gesucht wird. Auch die besondere Bedeutung der Umwelt für die zweckgerechte Gestaltung der Organisationsstruktur heben erweiterte Ansätze dieser organisationstheoretischen Richtung hervor. Nach wie vor ist es problematisch, daraus Effizienzaussagen organisatorischer Gestaltungsalternativen abzuleiten. Probleme der Messung, Operationalisierung und Auswertung eines nicht immer repräsentativen Datenmaterials sowie die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes schränken die Gestaltungsempfehlungen der situativen Organisationstheorie ein. Spielräume in der Gestaltung der Organisationsstruktur, die daraus resultieren, daß Effizienzwirkungen von Organisationsstrukturen nicht eindeutig bestimmt werden können sowie andererseits Einwirkungsmöglichkeiten auf den bestehenden Kontext durch unterschiedliche Strategiewahl, belegen das Konzept der strategischen Wahl (Strategic Choice; Child). Situationsfaktoren stellen demnach keine starren, "quasi-mechanischen" Anpassungszwänge dar, und selbst von der Situation her sich widersprechende Anforderungen an die Strukturgestaltung schaffen einen voluntaristischen Gestaltungsspielraum für kreative Gestaltungsleistungen des Managements. Damit wird eine eher unternehmensindividuelle Wahl hinsichtlich des anzustrebenden Leistungsstandards (Effizienz) ermöglicht. d) Empirisch-theoretische Ansätze: Situationskontext- und kontingenztheoretische Ansätze problematisieren das Verhältnis von Bedingungsrahmen, organisatorischer Gestaltung und ihre Wirkung auf das Erreichen von "organisationalen" Zielen. Aussagen über diese komplexen Zusammenhänge sind kaum ohne empirische Belege zu treffen. Sie können über eine sich vom methodischen Konzept her eigenständig profilierende empirische Theorie der Organisation gewonnen werden (vgl. Witte, Kirsch, Köhler, Kubicek). Ausgehend von konkreten organisatorischen Problemen und Problemlösungen wird versucht, mittels Abstraktion und Verallgemeinerung (Generalisierung) allgemeingültige und damit auch auf andere organisatorische Zusammenhänge übertragbare Aussagen zu gewinnen.
Literatur: Aldrich, H. W., Organizations and Environments, Englewood Cliffs, 1979; Argyris, Ch./Schön, D., Organizational Learning. A Theory of Action Perspective. Reading 1978; Bleicher, K. (Hrsg.), Organisation als System, Wiesbaden 1972; ders., Unternehmensentwicklung und organisatorische Gestaltung, Stuttgart - New York 1979; ders., Organisation - Strategien, Strukturen und Kulturen, 2. Aufl., Wiesbaden 1991; ders., Organisation, in: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Band 2, hrsg. von F. X. Bea, E. Dichtl und M. Schweitzer. 5. Aufl., Stuttgart - New York, 1991, S. 101-184; Bühner, R., Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, München - Wien 1986; Chandler, A. D. Jr., Strategy and Structure-Chapters in the History of the Industrial Enterprise, 3. Aufl., Cambridge, Mass. - London, England 1966; Child, J., Organizational Structure, Environment and Performance. The Role of Strategic Choice, in: Sociology, Vol. 6, S. 55-67; Frese, E., Grundlagen der Organisation, 3. Aufl., Wiesbaden 1987; Gomez, P./Zimmermann, T., Unternehmensorganisation. Profile, Dynamik, Methodik, Frankfurt - New York 1992; Grochla, E., Einführung in die Organisationstheorie, Stuttgart 1978; ders., Grundlagen der organisatorischen Gestaltung, Stuttgart 1982; ders., Organisationstheorien, in: HWOrganisationstheorien 2. Aufl., Stuttgart 1980, Sp. 1795-1818; ders., Unternehmungsorganisation. Neue Ansätze und Konzeptionen, Reinbek bei Hamburg 1972; Grochla, E./Szyperski, N. (Hrsg.), Management-Informationssysteme, Wiesbaden 1971; Herzberg, F., Work and the Nature of Man, 6. Aufl., New York 1972; Hill, W./Fehlbaum, R./Ulrich, P., Organisationslehre. Ziele, Instrumente und Bedingungen der Organisation sozialer Systeme, 2 Bde., 4. Aufl., Bern und Stuttgart 1989; Hoffman, F., Entwicklung der Organisationsforschung, 2. Aufl., Wiesbaden 1976; ders., Führungsorganisation, Bd. I: Stand der Forschung und Konzeption, Tübingen 1980; Kieser, A. (Hrsg.), Organisationstheoretische Ansätze, München 1981; Kieser, A./Kubicek, H., Organisationstheorien I und II, Stuttgart 1978; Kieser, A./Kubicek, H., Organisation. 2. Aufl., Berlin - New York 1983; Kirsch, W., Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, Wiesbaden 1977; Köhler, R. (Hrsg.), Empirische und handlungstheoretische Forschungskonzeptionen in der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1977; Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, 2. Aufl., Wiesbaden 1976; Krüger, W., Organisation der Unternehmung, Stuttgart 1984; Kubicek, H., Empirische Organisationsforschung, Stuttgart 1975; Lawrence, P. R./Lorsch, J. W., Organization and Environment, Homewood, III, 1969; Luhmann, N., Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M 1984; Malik, F., Strategie des Managements komplexer Systeme, Bern - Stuttgart 1984; March, J./Simon, H. A., Organisationen und Individuum, Wiesbaden 1976; Mintzberg, H., The Structuring of Organizations, Englewood Cliffs 1979; Morgan, G., Images of Organization. Beverly Hills u. a. 1986; Nordsieck, F., Betriebsorganisation. Lehre und Technik, 2 Bände, Stuttgart 1961; Probst, G., Selbstorganisation, Berlin - Hamburg 1987; Roethlisberger, F. J./Dickson, W. J., Management and the Worker, Cambridge, Mass. 1939; Schanz, G., Organisationsgestaltung - Struktur und Verhalten, München 1982; Schein, E., Organizational Culture and Leadership, San Francisco 1985; Schreyögg, G., Umwelt, Technologie und Organisationsstruktur. Eine Analyse des kontexttheoretischen Ansatzes, Bern - Stuttgart 1978; Simon, H. A., Administrative Behavior, A Study of Decision-Making-Processes in Administrative Organization, 2. Aufl., New York 1957, Deutsch: Das Verwaltungshandeln, Stuttgart 1955; Taylor, F. W., Die Betriebsleitung (Shop Management), 3. Aufl., Berlin 1914; Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System. Grundlagen der allgemeinen Unternehmungslehre, 2., überarb. Aufl., Bern - Stuttgart 1970; ders. Management, Bern - Stuttgart 1984; Ulrich, H./Probst, G., Anleitung zum ganzheitlichen Denken. Bern - Stuttgart 1988; Vroom, V. H., Work and Motivation, New York - London - Sydney 1964; Witte, E., Das Informationsverhalten in Entscheidungsprozessen, Bd. 1 der Schriftenreihe "Empirische Theorie der Unternehmung", Tübingen 1972.
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