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Operations Research (OR)
operational research, Unternehmensforschung.
I. Begriff: Obwohl es nicht an vielfältigen Versuchen gefehlt hat, den Inhalt des Begriffs allgemeingültig festzulegen, kann bis heute keine Definition als allgemein anerkannt gelten. Weitestgehend unstrittig ist, daß es im OR um die Entwicklung und den Einsatz mathematischer Methoden (das sind v. a. mathematische Modelle und Rechenverfahren zur Ableitung von Aussagen daraus) zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen geht; allerdings besteht Unklarheit darüber, welche Phasen solcher Prozesse konkret angesprochen sind. Zur Herausarbeitung der verschiedenen Auffassungen seien Entscheidungsprozesse gedanklich wie folgt gegliedert (vgl. auch die Abbildung): - 1. Die Entscheidungsvorbereitung soll sämtliche Tätigkeiten umfassen, die der Beschaffung und Aufbereitung von - im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung - geeigneten Informationen dienen. Die zu diesen Zwecken eingesetzten Methoden sind v. a. Beschreibungs-, Berechnungs-, Experimentier- und Prognosemodelle sowie Rechenverfahren, die die gewünschten Informationen liefern. Idealtypischerweise gipfelt diese Phase in der Erstellung eines Entscheidungsmodells. - 2. In der sich anschließenden, zentralen Phase der Entscheidungsfindung dient das Entscheidungsmodell der Ableitung von Entscheidungsvorschlägen, aufgrund derer schließlich der eigentliche Willensakt zustande kommt, der die Menge der potentiellen Handlungsmöglichkeiten auf die zu realisierende Handlungsmöglichkeit reduziert. Nach der wohl engsten Definition geht es im OR ausschließlich um mathematische Methoden, die die Phase der Entscheidungsfindung betreffen. OR kann dann etwa interpretiert werden als Lehre von den Entscheidungsmodellen und den zugehörigen Lösungsverfahren zur Ableitung von Entscheidungsvorschlägen (so etwa Dinkelbach). In der nächst weiteren Definition werden mathematische Methoden der Entscheidungsvorbereitung mit einbezogen (so etwa sinngemäß Müller-Merbach). - 3. Nur in seltenen Fällen sieht man dagegen auch die Entscheidungsdurchsetzungs- und -kontrollphase explizit als ein Anwendungsfeld für OR-Methoden an, obwohl die dort eingesetzten Methoden denjenigen der übrigen Phasen häufig sehr ähnlich sind und sich in OR-Lehrbüchern gelegentlich auch Beispiele finden, die dieser Phase zuzurechnen sind (wie etwa Matrizenmodelle zur innerbetrieblichen Leistungsverrechnung).
II. Akzessorische Merkmale; In der Literatur werden eine Reihe weiterer Merkmale angeführt, die viele - aber nicht alle - OR-Studien gemeinsam haben. - 1. Gegenstand des OR sind in erster Linie ökonomische Entscheidungsprozesse; allerdings werden OR-Methoden auch zur Untersuchung ingenieurwissenschaftlicher, physikalischer, biologischer, medizinischer, militärischer u. a. Fragestellungen eingesetzt. - 2. In dem betrachteten Entscheidungsprozeß strebt man gewöhnlich eine optimale Entscheidung an. Neuere Forschungs- und Anwendungsgebiete des OR (Multikriteria-Entscheidungsmethoden) befassen sich aber gerade mit solchen Entscheidungssituationen, in denen es aufgrund von Zielkonflikten keine optimalen Entscheidungen mehr gibt. - 3. Die betrachteten Entscheidungsprozesse dienen der Gestaltung komplexer Systeme, d. h. es ist eine Vielzahl von kontrollierbaren (in einer Unternehmung etwa der Einsatz an Arbeitskräften, Maschinen, Rohstoffen, Finanzmitteln) und nicht kontrollierbaren Faktoren (Umwelt- wie Konjunkturentwicklung, Konkurrenzverhalten, Wirtschaftsgesetzgebung) und ihre häufig nur ungenau vorherzusagende Wirksamkeit im Hinblick auf die Zielerreichung verschiedener Personen bzw. Personengruppen (Anteilseigner, Unternehmensleitung, Beschäftigte, Kunden, Kreditgeber) sowie ihre wechselseitigen Beeinflussungen zu beachten. - 4. Eng mit der Komplexität der betrachteten Systeme hängt die Notwendigkeit des Computereinsatzes zusammen.
III. Gebiete des OR: Die Methoden des OR lassen sich gliedern zum einen in solche Methoden, die sich einem ganz konkreten realen, wenn auch stark abstrahierten Problemhintergrund zuordnen lassen (problemorientierte Methoden), und in solche, die keinen derartigen Bezug aufweisen (allgemeine Methoden). - 1. Problemorientierte Methoden: Dazu gehören diejenigen der Warteschlangentheorie, der Ersatztheorie, der Zuverlässigkeitstheorie, der Bedienungstheorie und der Kontrolltheorie, der Lagerhaltung (Lagerbestandsmanagement) und des Projektmanagements. - 2. Allgemeine Methoden der Entscheidungsfindung: a) Dazu gehören im wesentlichen diejenigen der mathematischen Optimierung (wie etwa die der linearen Optimierung, nichtlinearen Optimierung, dynamischen Optimierung, stochastischen Optimierung), die Methoden der Entscheidungsfindung bei mehrfacher Zielsetzung, bei Risiko und Ungewißheit sowie bei Gruppenentscheidungen. - b) In der Phase der Entscheidungsvorbereitung sind v. a. Techniken zur Generierung von Alternativen und Szenarien (Szenario-Technik) Methoden der Prognose und der Simulation von Bedeutung.
IV. OR-Prozeß: Das Vorgehen im Rahmen einer OR-Studie läßt sich wie folgt gliedern: (1) Formulierung und Analyse des Problems; (2) Festlegung der Modellstruktur, die der Untersuchung des Problems dienen soll; (3) Auswahl bzw. Entwicklung eines Rechenverfahrens zur Ableitung der gewünschten Aussagen aus dem Modell; (4) Beschaffung und Aufbereitung der Daten zur Konkretisierung des Modells; (5) Implementierung von Modell- und Rechenverfahren auf einem Computer; (6) Validierung von Modell und Verfahren (etwa anhand von Vergleichsrechnungen mit Daten aus der Vergangenheit); (7) Einweisung und Übergabe an den Benutzer; (8) Einsatz von Modell und Verfahren.
V. Geschichte des OR: Zwar lassen sich verschiedene frühe Arbeiten aufzeigen, in denen ökonomische Entscheidungsprobleme mit mathematischen Methoden untersucht wurden und die man aus heutiger Sicht durchaus als OR-Studien bezeichnen könnte (so die Arbeiten von Launhardt (1872-82) und A. Weber (1909) zur Standortwahl von Unternehmungen; die Untersuchung Erlangs (1905) bzgl. der Warteschlangen im Telephonnetz Kopenhagens; die Lagerhaltungsmodelle von Harris (1915) und Andler (1929); die Arbeiten von von Neumann und Morgenstern (1928) zur Spieltheorie, die eigentliche Gründungsphase fällt jedoch in die Zeit des 2. Weltkriegs, als man in Großbritannien und den USA versuchte, militärische Entscheidungen mit Hilfe mathematischer Methoden zu verbessern). Die hiermit befaßten Wissenschaftler setzten nach dem Krieg ihre Arbeiten in der Industrie fort, nachdem dort die Bedeutung der Methoden für ökonomische Fragestellungen erkannt worden war. Meilensteine der Entwicklung stellen die erste Simplexmethode durch G. B. Dantzig (1946), die Netzplantechniken CPM und MPM (1958) und die Begründung der dynamischen Optimierung durch Bellmann (1957) dar. Aus dem deutschen Sprachraum sind insbes. die betriebswirtschaftlichen Planungsmodelle von Pichler und Wenke zu nennen.
VI. Anwendungsstand: Empirische Untersuchungen in Industrieunternehmungen zeigen, daß in der Bundesrep. D. die Anwendungsschwerpunkte des OR in Unternehmungen der Grundstoff-, metallverarbeitenden und chemischen Industrie, der Elektrotechnik und in Energieversorgungsunternehmen liegen. Vielfältige Anwendungen sind außerdem von Fluggesellschaften, Handelsunternehmungen und landwirtschaftlichen Betrieben bekannt. In bezug auf die betrieblichen Funktionsbereiche betreffen die Anwendungen v. a. Produktion, Lagerhaltung und Absatz. Weniger stark ist die Durchdringung im Investitions-, Finanz-, Beschaffungs- und Personalbereich. Anwendungen lassen sich zwar nicht ausschließlich aber schwerpunktmäßig in Großunternehmungen nachweisen. Verantwortlich hierfür ist u. a. die Notwendigkeit des Einsatzes von Computern; die rasante Entwicklung auf dem Sektor der Personalcomputer eröffnet aber auch hier ganz neue Möglichkeiten. Das gilt insbes. für Anwendungen von Methoden des Projektmanagements und der linearen Optimierung, für die bereits ausgezeichnete, auf Personalcomputern einsetzbare Softwarepakete angeboten werden.
VII. Institutionen: Im deutschen Sprachraum befassen sich die Deutsche Gesellschaft für OR (DGOR), die Gesellschaft für Mathematik, Ökonomie und OR (GMÖOR), die Schweizerische Vereinigung für OR (SVOR) und die Österreichische Gesellschaft für OR (ÖGOR) mit OR. Auf internationaler Ebene sind die nationalen Gesellschaften u. a. zur International Federation of Operational Research Societies (IFORS) und in Europa zur Association of European Operational Research Societies within IFORS (EURO) zusammengeschlossen.
Literatur: Deutsche Gesellschaft für OR (Hrsg.), Modellgestützte Planung im Unternehmen, o.Operations Research (OR) 1982; Dinkelbach, W., Unternehmensforschung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, S. 123-136, Stuttgart 1978. - Fachzeitschriften: OR-Spektrum, Heidelberg seit 1979; Zeitschrift für OR, Würzburg seit 1956; European Journal of Operational Research, Amsterdam, Niederlande seit 1977; The Journal of the Operational Research Society, Oxford, Großbritannien, seit 1950; Management Science, Providence, R.I., USA, seit 1954; OMEGA, Oxford, Großbritannien, seit 1973; Operational Research, Baltimore, MD, USA, seit 1952; International Abstracts in OR, Amsterdam, Niederlande, seit 1962. Gal, T., Gehring, H., Betriebswirtschaftliche Planungs- und Entscheidungstechniken, Berlin(West)-New York 1981; Hanssmann, F., Einführung in die Systemforschung, 3. Auflage, München-Wien 1986; Heinhold, M., Nitschke, C., Papadopoulos, G., Empirische Untersuchung von Schwerpunkten der OR-Praxis in 525 Industrieunternehmungen der Bundesrep. D. In: Zeitschrift für OR 22 (1978), B185- B218; Meyer, M., OR/Systemforschung, Stuttgart 1983; Müller-Merbach, H.: OR, 3. Auflage, München 1973; Neumann, K., OR-Verfahren, 3 Bände, München-Wien 1975-77; Runzheimer, B., OR, 2 Bände, 2. Auflage, Wiesbaden 1983; Späth, H. (Hrsg.), Fallstudien OR, 3 Bände. München-Wien 1978-80.
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