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Krisenmanagement

I. Begriff/Bedeutung: Krisenmanagement ist als einprägsames Schlagwort aus dem allgemeinen Sprachgebrauch in Verbindung mit unterschiedlichsten Krisen vertraut. 1. Begründet wurde der Begriff Krisenmanagement im politischen Bereich, wobei dessen erstmalige Verwendung dort umstritten ist und sowohl G. Washington, wie auch - allerdings mehrheitlich - J. F. Kennedy im Zusammenhang mit der Kuba-Krise 1962 zugeschrieben wird. - 2. In der Betriebswirtschaftslehre findet der Begriff Krisenmanagement erst seit den 70er Jahren Verwendung, wenn auch anfangs mit sehr unterschiedlichem Bedeutungsinhalt. Durchgesetzt hat sich eine Begriffsbestimmung etwa folgenden Inhalts: Krisenmanagement ist eine besondere Form der Führung von höchster Priorität, deren Aufgabe es ist, alle jene Prozesse in der Unternehmung zu vermeiden (Krisenvermeidung) oder zu bewältigen (Krisenbewältigung), die ansonsten in der Lage wären, den Fortbestand der Unternehmung substantiell zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen (Unternehmungskrise). a) Krisenvermeidung bedeutet, überlebenskritische Prozesse nicht erst bis in akute Stadien anwachsen zu lassen, sondern sie auf Basis geeigneter Prognose- und Früherkennungsmethoden vorbeugend zu bekämpfen. b) Krisenbewältigung dagegen betrifft alle Formen der Reaktionen des Krisenmanagement auf manifeste, bereits eingetretene und in ihren (destruktiven) Wirkungen für die Unternehmung fühlbare Krisenerscheinungen. Sie schließt eine zielorientierte und planvolle Liquidation nicht mehr sanierungsfähiger/-würdiger Unternehmungen ebenso ein wie die Sanierung/Reorganisation krisenbefallener Unternehmungen. - 3. Bedeutung: Angesichts national und international zunehmender Krisenerscheinungen, einer stark gestiegenen Wirtschaftsdynamik und stärker werdender Diskontinuitäten innerhalb und außerhalb der Einflußsphäre der Unternehmung kommt einem umfassenden Krisenmanagement stärker werdende Bedeutung zu, zumal die Anzahl der Insolvenzen in den westlichen Industrienationen stark gestiegen ist (vgl. Konkurs). - 4. Krisenmanagement auf internationaler Ebene: Vgl. internationales Krisenmanagement.
II. Krisenmanagement als Prozeß: Krisenmanagement als (Führungs-)Prozeß durchläuft (idealtypisch) charakteristische Phasen und ist mit deren Hilfe darstellbar. - 1. Identifikation von Unternehmungskrisen: Der Prozeß beginnt in der Praxis nicht bereits zu dem Zeitpunkt, in dem das Problem (die Unternehmungskrise) objektiv entsteht, sondern erst dann, wenn es als solches wahrgenommen wird. Bei nicht rechtzeitiger Identifikation von Unternehmungskrisen verengt sich der Handlungsspielraum eines wirksamen Krisenmanagement wegen der Vernichtung von Alternativen durch Zeitablauf kontinuierlich. Der Früherkennung (strategische Frühaufklärung, operative Frühaufklärung) überlebenskritischer Prozesse kommt daher im Rahmen eines umfassenden Krisenmanagement größte Bedeutung zu. - 2. Planung: Planung ist ein Zentrum des Krisenmanagement schlechthin. Es geht dabei um die Planung von Zielen, die mit der jeweiligen Krisenvermeidung oder -bewältigung verfolgt werden und insbes. um die Planung von Strategien und Maßnahmen, mit deren Hilfe die zukunftsorientierten Wertziele (z. B. Mindestgewinn, Mindestliquidität), Sachziele (z. B. zukunftserfolgsträchtige Produkte) und Humanziele (z. B. Sicherung von Arbeitsplätzen, Verhaltensweisen gegenüber Dritten) erreicht werden sollen. - Vgl. auch Unternehmensplanung, Unternehmungsziele. - Die Gesamtheit aller Zielerreichungsplanungen strategischen Charakters (Strategien) und operativen Charakters (Maßnahmen) ergibt das Krisenprogramm, das als eine auf die Sicherung überlebensrelevanter Ziele ausgerichtete Gesamtheit von Teilplänen bezeichnet wird. - 3. Steuerung: Die Realisation der in jeweiligen Krisenprogrammen festgelegten Planungsinhalte erfolgt zumeist in Form von Projekten. Steuerungstätigkeiten im Rahmen eines umfassenden Krisenmanagement beziehen sich dabei schwerpunktmäßig auf die Leitung/Steuerung eines Krisen-Projektes, die Koordination zwischen allen notwendigen Krisen-Projekten sowie die Koordination zwischen der Gesamtheit aller Krisen-Projekte und sonstigen (regulären) Aktionen der Unternehmung. Die Steuerung speziell in akuten Krisenphasen wirft besondere Probleme des anzuwendenden Führungsstils (der Führungsform) auf (Führungsstil). - 4. Kontrolle: Kontrolle als notwendige Ergänzung zur Planung folgt der Realisation, begleitet diese oder eilt ihr in Form von Hochrechnungen voraus (vgl. auch Kontrolle). Zentrale Bedeutung haben für das Krisenmanagement begleitende und vorauseilende Kontrollen. Gegenstand von Kontrollen müssen auch Wirkungen krisenorientierter Aktionsfolgen auf übrige (reguläre) Tätigkeiten der Unternehmung sein.
III. Krisenmanagement als Institution: Krisenmanagement als Institution meint alle diejenigen Führungspersonen (Krisenaktoren), die verantwortlich bei der Identifikation, Planung, Realisation und Kontrolle von Zielen, Strategien und Maßnahmen zur Krisenvermeidung und/oder -bewältigung einzeln oder in Gruppen mitwirken. Zu ihnen zählen: (1) die (reguläre) Führung der Unternehmung, (2) die Aufsichtsgremien der Unternehmung, (3) externe Berater sowie im Insolvenz- und Konkursfall, (4) Vergleichs- oder Konkursverwalter. - Bei der Krisenvermeidung dominiert die (reguläre) Führung als Krisenfaktor, zumeist in Verbindung mit den Aufsichtsgremien der Unternehmung (z. B. Aufsichtsrat) und nicht selten unterstützt durch externe Berater. - Die Krisenbewältigung ist zwar ebenfalls dominante Aufgabe der (regulären) Führung, hier wird jedoch in der Praxis ein verstärkter Bedarf an Mitwirkung externer Berater (Krisenmanager auf Zeit) spürbar. Haben dagegen Unternehmungskrisen ein Stadium erreicht, in dem ein Insolvenzverfahren (Vergleichs- oder Konkursverfahren) angemeldet werden mußte, so wird das Krisenmanagement als Institution um den Vergleichs- oder Konkursverwalter erweitert oder durch ihn ersetzt. Im Fall des Konkurses geht die oberste Führung faktisch völlig auf den Konkursverwalter über. - In der Praxis findet sich (je nach Krisenphase) i. d. R. eine Kombination der vorgenannten Personen/-gruppen als Träger eines umfassenden K.
IV. Krisenmanagement als System: Krisenmanagement als System meint die unterschiedlichen Aktionsfelder (Elemente) der Krisenvermeidung oder -bewältigung, die einem umfassenden Krisenmanagement in Koppelung an die jeweiligen Phasen (Aggregatzustände) von Unternehmungskrisen zugänglich sind (vgl. Abbildung ). Insgesamt lassen sich vier solcher Krisen-Phasen kennzeichnen (Unternehmungskrisen): (1) potentielle Unternehmungskrise, (2) latente Unternehmungskrise, (3) akut/beherrschbare Unternehmungskrise und (4) akut/nicht beherrschbare Unternehmungskrise. In der Literatur wird überwiegend von einer grundsätzlichen Zweiteilung des Krisenmanagement als System in ein aktives und reaktives Krisenmanagement ausgegangen, wenn auch mit sprachlichen Unterschieden im Detail. - Diese nur grobe Unterteilung des Krisenmanagement erscheint vor dem Hintergrund des vorgestellten Phasenschemas von Unternehmungskrisen unzureichend, d. h. eine weitergehende Differenzierung in vier Formen eines umfassenden Krisenmanagement erscheint sinnvoll. a) Aktives K.: (1) Antizipatives K.: Bezugspunkt dieser ersten (und äußersten) Form des aktiven Krisenmanagement sind potentielle Unternehmungskrisen im zuvor definierten Sinne, deren Wirkungen die Unternehmung - wenn überhaupt - erst in zukünftigen Perioden treffen. Zentrale Aufgabe des antizipativen Krisenmanagement ist die gedankliche Vorwegnahme möglicher Unternehmungskrisen mit Hilfe spezifischer Prognosen/Szenarien sowie eine darauf aufbauende Ableitung von Alternativplänen (Eventualplan), um so Zeitgewinn für den Fall des überraschenden Eintritts von Krisensituationen zu realisieren. (2) Präventives K: Bezugspunkt dieser zweiten Form des aktiven Krisenmanagement sind latente Unternehmungskrisen. Zentrale Aufgabe des präventiven Krisenmanagement ist die Früherkennung verdeckt bereits vorhandener Unternehmungskrisen mit Hilfe von Frühwarnsystemen (strategische Frühaufklärung) sowie die Planung, Realisation und Kontrolle präventiver Strategien/Maßnahmen zur Vermeidung des Ausbruchs akuter Unternehmungskrisen. b) Reaktives K.: (1) Repulsives K: Bezugspunkt der ersten Form des reaktiven Krisenmanagement sind akute, d. h. bereits eingetretene Unternehmungskrisen, die aus der Sicht der Krisenaktoren auf Basis von Analysen und Prognosen als beherrschbar im Sinne einer unternehmungserhaltenden Krisenbewältigung angesehen werden. Es wird hierbei also eine erfolgreiche Zurückschlagung (Repulsion) der eingetretenen Unternehmungskrise angenommen. Bei Betrachtung des betriebswirtschaftlich relevanten Begriffs Krisenmanagement in einem sehr engen Sinne ist dies die zentrale Form des Managements überlebenskritischer Prozesse. Sie ist zugleich die aus Berichterstattungen bekannteste Form des K., die sich allerdings auf rein reaktive Maßnahmen und damit auf Formen der Zurückschlagung bereits eingetretener Unternehmungskrisen beschränken muß. Damit ist ihre zentrale Aufgabenstellung gekennzeichnet, die sich auf die Planung, Realisation und Kontrolle von Repulsivmaßnahmen i. S. v. Sanierungsstrategien/-maßnahmen konzentriert. Repulsives Krisenmanagement bezieht sich nicht nur auf die Bewältigung von Unternehmungskrisen außerhalb gerichtlicher Ordnungsverfahren (Vergleich, Konkurs), sondern bezieht auch Formen der unternehmungserhaltenden Krisenbewältigung im Rahmen von gerichtlichen Vergleichsverfahren (Fortsetzungsvergleich) mit ein. (2) Liquidatives K.: Bezugspunkt des liquidativen Krisenmanagement sind akute Unternehmungskrisen, die für die Unternehmung keine Überlebenschancen mehr bieten, also aus Sicht der Krisenaktoren als unbeherrschbar gelten. Dies weil aufgrund erstellter Analysen und Prognosen mittel- bis langfristig keine Überlebenschance für die krisenbefallene Unternehmung besteht und/oder weil kurzfristig eine erfolgreiche Zurückschlagung nicht möglich erscheint. Dementsprechend ist es zentrale Aufgabe des liquidativen K., einen "geordneten Rückzug" im Sinne einer planvollen Liquidation der Unternehmung anzutreten, der Anteilseigner, Mitarbeiter, Fremdkapitalgeber, Kunden, Lieferanten sowie sonstige an der Unternehmung unmittelbar oder mittelbar beteiligte Gruppen vor (noch) größeren Verlusten schützen kann und zugleich die letzte Möglichkeit einer - wenn auch stark eingeschränkten - Zielerreichung der beteiligten Personen/Personengruppen darstellt. Dies wird ermöglicht durch eine zielorientierte Planung, Realisation und Kontrolle von Liquidativmaßnahmen.


Literatur: Barton, L., Crisis in organizations: managing and communicating in the heat of chaos, Cincinnati, Ohio 1993; Bratschitsch, R./Schnellinger, W., Hrsg., Unternehmenskrisen - Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, Stuttgart 1981; Farwick, D. (Hrsg.) Krisen. Die große Herausforderung unserer Zeit, Frankfurt, M./Bonn 1994; Gabele, E., Ansatzpunkte für ein betriebswirtschaftliches Krisenmanagement, in: ZfO 1981, S. 150 ff.; Gareis, R. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Krise. Konstruktionen, Methoden, Fallstudien zum Krisenmanagement, Wien 1994; Gless, S.-E., Unternehmenssanierung. Grundlagen - Strategien - Maßnahmen, Wiesbaden 1996; Hahn, D., Frühwarnsysteme, Krisenmanagement und Unternehmungsplanung, in: Albach H./Hahn, D./Mertens, P. (Hrsg.), Frühwarnsysteme, ZfB Ergänzungsheft 2/79, S. 25 ff.; Hahn, D./Krystek, U., Krisenmanagement, internationales, in: Macharzina K./Welge M. (Hrsg.), Handwörterbuch Export und Internationale Unternehmung, Stuttgart 1989, Sp. 1220 ff.; Holzmüller, H./Schwarzer, S., Krise und Krisenbewältigung, Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Beiträge zur Krisenforschung, Wien 1985; Krummenacher, A., Krisenmanagement, Leitfaden zum Verhindern und Bewältigen von Unternehmungskrisen, Zürich 1981; Krystek, U./Müller, M., Unternehmenssanierung. Strategien zur erfolgreichen Bewältigung von Unternehmenskrisen, Freiburg 1995; Kunczik, M./Heintzel, A./Zipfel A., Krisen - PR. Unternehmensstrategien im umweltsensiblen Bereich, Köln, Weimar, Wien 1995; Lambeck, A., Die Krise bewältigen. Management und Öffentlichkeitsarbeit im Ernstfall. Ein praxisorientiertes Handbuch, Frankfurt, M. 1992; v. Löhneysen, G., Die rechtzeitige Erkennung von Unternehmungskrisen mit Hilfe von Frühwarnsystemen als Voraussetzung für ein wirksames Krisenmanagement, Diss., Göttingen 1982; Luneburg, W., V., The Role of Management in an Atmosphere of Crisis, in: MSU Business Topics 4/1870, S. 7 ff.; Mathes, R./Gärtner, H.-D./Czaplicki, A., Kommunikation in der Krise, Frankfurt, M. 1991; Reutner, F., Turn around. Sanierung und strategische Ausrichtung. 2. Aufl., Landsberg/Lech 1988; Schimke, E./Töpfer, A. (Hrsg.), Krisenmanagement und Sanierungsstrategien, Landsberg/L. 1985; Ten Berge, D., Crash Management, Düsseldorf - Wien - New York 1989; Schneck, O., Management-Techniken. Techniken zur Planung, Organisation und Strategiebildung, Frankfurt, M./New York 1995; Schwarzecker, J./Spandl, F., Kennzahlen - Krisenmanagement, Wien 1993; Siegwart, H./Mahari J.I./Caytas, I.G./Bockenförde, B. (Hrsg.), Restrukturierung und Turnarounds, Stuttgart 1990; Staehle, W., Krisenmanagement. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, Teilband 2, hrsg. von W. Wittmann et al. 5. Aufl., Stuttgart 1993, Sp. 2452 ff.; Stratemann, I. Kreatives Krisenmanagement, Frankfurt, M./New York 1994.

 

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