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Beschwerdemanagement

1. Begriff: Das Beschwerdemanagement umfaßt die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Kundenbeschwerden ergreift. Unter Beschwerden sind alle Artikulationen von Unzufriedenheit zu verstehen, die Kunden gegenüber dem Unternehmen bzw. Drittinstitutionen (wie Medien oder Verbraucherorganisationen) mit dem Zweck äußern, auf ein als unangemessen empfundenes Verhalten des Anbieters aufmerksam zu machen, Wiedergutmachung für erlittene Schäden zu erreichen oder eine Änderung des kritisierten Verhaltens zu bewirken. Dazu gehören als Teilmenge auch Reklamationen, in denen Kunden in der Nachkaufphase ihre Beanstandungen von Produkten oder Dienstleistungen mit einer kaufrechtlichen Forderung verbinden, die gegebenenfalls auch auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden kann. - 2. Ziele: Die generellen Ziele des Beschwerdemanagement liegen darin, Kundenzufriedenheit wiederherzustellen, die negativen Auswirkungen von Kundenunzufriedenheit auf das Unternehmen zu minimieren und die in Beschwerden enthaltenen Hinweise auf betriebliche Schwächen und marktliche Chancen zu identifizieren und zu nutzen. Daraus ergeben sich folgende marketingrelevante Teilziele: a) Herstellung von (Beschwerde-) Zufriedenheit, die als wesentliche Grundlage für Einstellungsverbesserungen, Kundenbindung und Markentreue anzusehen ist; b) Vermeidung von Opportunitätskosten anderer Reaktionsformen unzufriedener Kunden. Durch eine konsequente Ermutigung von Kunden, sich im Falle der Unzufriedenheit an das Unternehmen zu wenden, soll dem Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, Abhilfe zu schaffen, Problemursachen zu beseitigen und für das Unternehmen gravierendere Verhaltensalternativen wie Abwanderung oder Einschaltung von Drittinstitutionen zu verhindern; c) Umsetzung und Verdeutlichung einer kundenorientierten Unternehmensstrategie; d) Schaffung zusätzlicher akquisitorischer Effekte mittels Beeinflussung der persönlichen Kommunikation unter den Kunden; e) Auswertung und Nutzung der in Beschwerden enthaltenen Informationen zu Zwecken der Qualitätsüberwachung und -verbesserung sowie zur Identifikation von Marktchancen; f) Reduzierung interner und externer Fehlerkosten. - 3. Aufgaben: Die Ziele des Beschwerdemanagement lassen sich nur erreichen, wenn für unzufriedene Kunden leicht zugängliche Beschwerdekanäle geschaffen werden, eine sach- und problemgerechte Beschwerdereaktion und -bearbeitung erfolgt sowie Beschwerden systematisch hinsichtlich ihres informatorischen Gehaltes ausgewertet werden. Dementsprechend liegen die wesentlichen Aufgaben des Beschwerdemanagement in den Bereichen Beschwerdestimulierung, Beschwerdeannahme, Beschwerdebearbeitung und -reaktion. Zur Erreichung der informationsbezogenen Ziele ist zudem erforderlich, daß eine Beschwerdeauswertung erfolgt, Effektivität und Effizienz im Rahmen eines B.-Controlling überwacht werden und die Informationen im Rahmen eines Beschwerde-Reporting in geeigneter Form an die verschiedenen internen Zielpersonen gelangen. Die Abbildung "Beschwerdemanagement-Direktor und indirekter Managementprozeß" gibt einen Überblick über die Einordnung der Teilaufgaben in den B.-Prozeß. - a) Zu den Teilaufgaben des direkten B.-Prozesses gehören Beschwerdestimulierung, Beschwerdeannahme sowie Beschwerdebearbeitung und -reaktion. Diese Aufgabenbausteine zielen jeweils darauf ab, die Unzufriedenheit des Kunden zu erfassen und zu beseitigen, und ihre Ausführung ist mit einem direkten Kundenkontakt verbunden. - (1) Im Rahmen der Beschwerdestimulierung sollen unzufriedene Kunden dazu bewegt werden, die von ihnen wahrgenommenen Probleme gegenüber dem Unternehmen vorzubringen. Dabei sind vor allem zwei Teilaufgaben zu lösen: die Einrichtung von Beschwerdewegen und die Kommunikation des Beschwerdeweges gegenüber den Kunden. Die Entscheidung über den Beschwerdeweg betrifft die Frage, auf welche Weise (mündlich, telefonisch, schriftlich) und gegenüber welcher Stelle Kunden ihre Beschwerde vorbringen sollen. Damit ein möglichst hoher Anteil der unzufriedenen Kunden die Reaktionsform Beschwerde und den geeigneten Beschwerdekanal wählt, muß zudem über verschiedene Medien (z. Beschwerdemanagement Anzeigen, Verpackungsaufdruck) eine Kommunikation des Beschwerdeweges erfolgen. - (2) Die Phase der Beschwerdeannahme betrifft die Gestaltung des Kontaktes mit dem unzufriedenen Kunden sowie die Erfassung der Beschwerdeinformationen. Mit ihrer unmittelbaren Reaktion auf eine vorgebrachte Beschwerde im Erstkontakt bestimmen Unternehmen maßgeblich darüber, ob die Unzufriedenheit des Kunden abgebaut oder gar noch gesteigert wird. Daher kommt es bei der Beschwerdereaktion wesentlich darauf an, daß Mitarbeiter über Beschwerdewege und Bearbeitungsstandards informiert sind sowie über sozialpsychologische Kenntnisse zur Beruhigung der Situation verfügen und den unternehmerischen Willen zur angemessenen Problemlösung verdeutlichen. Darüber hinaus ist es für einen erfolgreichen Erstkontakt sinnvoll, das Prinzip des "Beschwerdeeigentums" anzuwenden. Danach haben Mitarbeiter, an die eine Beschwerde herangetragen wird, das "Eigentum" an dieser Beschwerde und sind entweder für deren unmittelbare Lösung oder für deren Weiterleitung an zuständige Stellen verantwortlich. - Im Rahmen der Beschwerdeerfassung geht es darum, das vom Kunden vorgebrachte Problem vollständig, schnell und strukturiert aufzunehmen. Dabei sind zum einen Entscheidungen über die Erfassungsinhalte, zum zweiten über die Erfassungsform zu fällen. Grundlegende Erfassungsinhalte stellen die Beschwerdeinhalts-Informationen (Informationen über das Beschwerdeproblem, den Beschwerdeführer und das Beschwerdeobjekt) sowie die Beschwerdebearbeitungs-Informationen (Informationen zur Beschwerdeannahme, Beschwerdebearbeitung und Beschwerdelösung) dar. Hinsichtlich der Erfassungsform stehen standardisierte Formblätter und/oder Eingabemasken PC-gestützter B.-Programme zur Verfügung. - (3) Im Aufgabenfeld der Beschwerdebearbeitung und -reaktion geht es um die Gestaltung der internen Bearbeitungsprozesse, die Festlegung von Verantwortlichen, die Definition von Bearbeitungsterminen sowie die Installation von Mechanismen zur Überwachung der Termineinhaltung (interne Mahn- und Eskalationssysteme). Außerdem müssen Entscheidungen über Umfang und zeitliche Gestaltung der Kommunikation in den Folgekontakten mit dem unzufriedenen Kunden sowie über die Fall-Lösung getroffen werden. - Zusätzlich sind Umfang und zeitliche Gestaltung der Kommunikation nach Beschwerdeeingang zu bestimmen. Hier ist zum einen festzulegen, welche Rückmeldungen (z. Beschwerdemanagement Eingangsbestätigung und Zwischenbescheid) in welcher Form (mündlich, telefonisch, schriftlich) erfolgen sollen, zum anderen sind eindeutige Standards für maximale Zeitspannen zu setzen, in denen diese Kommunikationen erfolgt sein müssen. Eine zentrale Teilaufgabe im Rahmen der Beschwerdebearbeitung liegt in der Entscheidung, welche Lösung dem Kunden im Hinblick auf seine Beschwerde angeboten werden soll. Prinzipiell kommen finanzielle (Preisnachlaß, Geldrückgabe, Schadensersatz), materielle (Umtausch, Reparatur, anderes Produkt, Geschenk) oder immaterielle Kompensationsangebote (Entschuldigung, Information) in Betracht. - b) Mit der Phase der Beschwerdebearbeitung und reaktion ist der direkte B.-Prozeß abgeschlossen. Beschwerdeauswertung, B.-Controlling und Beschwerde-Reporting sind Elemente des indirekten B.-Prozesses, an dem der Kunde nicht unmittelbar beteiligt ist. Die wesentlichen Ziele dieser Teilaufgaben liegen darin, die Beschwerdeinformationen im Rahmen der Beschwerdeauswertung nach bestimmten Kriterien aufzubereiten, die Aktivitäten des Beschwerdemanagement nach festgelegten Standards zu überwachen sowie die erhaltenen Informationen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß bereitzustellen. - (1) Beschwerden enthalten Hinweise auf Produktschwächen und Planungsmängel und somit auch auf Marktrisiken und Chancen. Daher ist es Aufgabe des B., die in Beschwerden enthaltenen Informationen quantitativ und qualitativ auszuwerten und die Ergebnisse systematisch für unternehmerische Entscheidungen bereitzustellen und für kontinuierliche Verbesserungen zu nutzen. Im Mittelpunkt einer quantitativen Beschwerdeauswertung steht die Überwachung des Umfangs und der Verteilung des Beschwerdeaufkommens sowie die Priorisierung der von den Kunden wahrgenommenen Probleme. Die Ergebnisse der quantitativen Beschwerdeauswertung deuten auf innerbetriebliche Schwachstellen hin, ohne aber immer eindeutige Hinweise auf problemerzeugende Ursachen zu geben. Deshalb ist im Rahmen der qualitativen Beschwerdeauswertung eine systematische Ursachenanalyse zu betreiben, und auf dieser Basis sind unter Einsatz von Planungsinstrumenten Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. - (2) Der Aufgabenbereich des B.-Controlling umfaßt zwei zentrale Teilbereiche: Aufgaben-Controlling und Kosten-Nutzen-Controlling. Das Aufgaben-Controlling überwacht, inwieweit die Aufgaben des Beschwerdemanagement erfüllt werden. Hier sind bzgl. aller Teilaufgaben Leistungsindikatoren und -standards zu formulieren, deren Einhaltung und Adäquanz laufend überprüft werden muß. Nur für einen Teil der Leistungsindikatoren können objektive Standards festgelegt werden (z. Beschwerdemanagement zeitliche Vorgaben für die Schnelligkeit der Beschwerdebearbeitung). In anderen Fällen bietet es sich an, Kundenzufriedenheitswerte als Standards vorzugeben und im Rahmen der Beschwerdezufriedenheitsbefragung zu überprüfen. Bei Überschreiten von definierten Toleranzspielräumen zwischen Soll- und Ist-Leistung sind Korrekturprozesse im Beschwerdemanagement einzuleiten. - Das Kosten-Nutzen-Controlling hat die Funktion, die Kosten- und Nutzeneffekte eines B.-Systems abzuschätzen. Im Kosten-Controlling geht es um die Quantifizierung der Kosten, die bei der Annahme, Reaktion und Bearbeitung sowie Auswertung von Beschwerden entstehen. Im Rahmen des Nutzen-Controlling geht es um die Quantifizierung der unterschiedlichen Nutzendimensionen des Beschwerdemanagement (Informations-, Einstellungs-, Wiederkauf- und Kommunikationsnutzen). Aus der Gegenüberstellung von Beschwerdekosten und Beschwerdenutzen läßt sich dann die Rentabilität des Beschwerdemanagement (Return on Complaint Management) berechnen. - (3) Die im Rahmen von Beschwerdeauswertung und B.-Controlling gewonnenen Informationen sind in geeigneter Form durch ein spezifisches Beschwerde-Reporting den Entscheidungsträgern zugänglich zu machen. Dazu bedarf es der Festlegung, für welche Zielgruppen (Geschäftsleitung, Qualitätssicherung, Marketingabteilung etc.), welche Auswertungen (quantitativ und qualitativ) in welchen Zeitintervallen (täglich, wöchentlich, monatlich) aufbereitet und weitergeleitet werden müssen. - 4. Organisation: Hinsichtlich der organisatorischen Verankerung können Beschwerdeannahme, -reaktion und -bearbeitung alternativ in dezentralen, zentralen oder dezentral-zentralen Mischsystemen vorgenommen werden. a) In dezentralen B.-Systemen erfolgen Beschwerdeannahme und -bearbeitung in unterschiedlichen unternehmerischen Einheiten. Dezentrale Annahmestellen können u. a. Außendienstmitarbeiter, Kundendienstabteilungen, Zweigstellen oder Niederlassungen sein. Inwieweit sie die Beschwerden zur Bearbeitung weiterleiten oder selbst über Bearbeitungszuständigkeiten verfügen, hängt von der Art der angebotenen Produkte und der Fall-Lösung ab. Eine dezentrale Beschwerdebearbeitung erweist sich in der Regel als vorteilhaft, wenn verschiedene Einheiten häufig direkten Kundenkontakt haben, die zur Lösung der häufigsten Probleme erforderliche Fachkompetenz dort vorhanden ist und das Problem vor Ort schneller und wirtschaftlicher als in der Unternehmenszentrale gelöst werden kann. Ein erfolgreiches dezentrales Beschwerdemanagement verlangt spezifische Maßnahmen zur Weiterleitung von Beschwerdeinformationen an eine unternehmerische Zentraleinheit, damit dort eine vollständige Übersicht über Art und Häufigkeit der Beschwerdekontakte besteht und für Analysen und Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden kann. - b) In einem zentralen B.-System werden sämtliche Beschwerden unmittelbar einer einzigen Organisationseinheit zugeleitet, die ausschließlich für die Bearbeitung zuständig ist. Eine zentrale Lösung bietet vor allem bei hohem Beschwerdeaufkommen Vorteile in bezug auf die Vollständigkeit der Beschwerdeerfassung sowie die Effizienz der Beschwerdebearbeitung und -auswertung. - c) Vielfach existieren in der Praxis Mischformen, weil Unternehmen ihren Kunden entweder generell mehrere Beschwerdewege einräumen oder für den Fall, daß die primär zuständige dezentrale Beschwerdebearbeitung nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt, die zentrale Einheit als endgültige Entscheidungs- und Konfliktregelungsinstanz vorsehen.
Literatur: Bruhn, M., Konsumentenzufriedenheit und Beschwerden, Frankfurt a. M. u. a. 1982; Hansen, U./Jeschke, K., Beschwerdemanagement für Dienstleistungsunternehmen: Beispiel des Kfz-Handels, in: Bruhn, M./Stauss, Beschwerdemanagement (Hrsg.), Dienstleistungsqualität, 2. Aufl., 1995, S. 525-550; Hansen, U./Jeschke, K./Schöber, P., Beschwerdemanagement - Die Karriere einer kundenorientierten Unternehmensstrategie im Konsumgütersektor, in: Marketing-ZFP, 17. Jg. (1995), Heft 2, S. 77-88; Hansen, U./Schoenheit, I. (Hrsg.), Verbraucherzufriedenheit und Beschwerdeverhalten, Frankfurt a. M. u. a. 1987; Hoffmann, A., Die Erfolgskontrolle von Beschwerdemanagement-Systemen, Frankfurt a. M. u. a. 1991; Riemer, M., Beschwerdemanagement, Frankfurt a. M. u. a. 1986; Stauss, B./Seidel, W.: Beschwerdemanagement, München/Wien 1996; Wimmer, F., Beschwerdepolitik als Marketinginstrument, in: Hansen U./Schoenheit, I. (Hrsg.), Verbraucherabteilungen in privaten und öffentlichen Unternehmen, Frankfurt a. M. u. a. 1985, S. 225-254.

 

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