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Stadtökonomie

Stadtökonomik, urban economics. 1. Begriff: Disziplin der Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftstheorie), die durch die Anwendung der allgemeinen Mikroökonomik die wirtschaftlichen Zusammenhänge der standörtlichen Entscheidungen von Unternehmen, Haushalten und des öffentlichen Sektors in der Stadt einerseits und der Stadtgröße und Stadtstruktur andererseits untersucht. Das Ziel der ökonomischen Theorien und Modelle der Stadtökonomie ist die Erklärung des Verstädterungsprozesses und des Stadtwachstums. Eine geschlossene Theorie der Stadtentwicklung hat sich bisher noch nicht herausgebildet. Vielmehr werden verschiedene Erklärungsansätze für eine Vielfalt von Schwerpunkten in dieser Disziplin verknüpft. Die Stadtökonomie versteht sich als ökonomische Grundlagenwissenschaft der Stadtplanung. - 2. Entwicklung: Entstanden ist die Stadtökonomie zu Beginn der 60er Jahre in den USA im Zusammenhang mit sozialen und politischen Konflikten in den großen Städten, die aus Armut, Wohnungsnot, Slumsanierung und mangelhafter infrastruktureller Versorgung resultierten. Ausgehend von der Frage, wie die Stadt die Wohlfahrt ihrer Bewohner steigern kann, hat sich die neue Teildisziplin mit Erklärungsansätzen der Wachstums- und Schrumpfungsprozesse der städtischen Wirtschaft, der Einkommensverteilung, des städtischen Arbeits- und Wohnungsmarktes, der Produktion des städtischen Standortgefüges durch den Bodenmarkt, des Transportmarktes, des Marktes für öffentliche Güter und der städtischen Finanzen befaßt. Später sind die Fragen des Zusammenhangs von Urbanisationsprozeß und Veränderung der Umweltqualität hinzugekommen. - 3. Gegenstand der Stadtökonomie sind die verschiedenen Phasen des Verstädterungsprozesses. - In der theoretischen Diskussion zwei Ansätze: a) Das mikroökonomische Konzept führt die Bewegungen des Verstädterungsprozesses auf Veränderungen der Standortentscheidungen von Haushalten, Unternehmen und Behörden zurück. - b) Der systemtheoretische Ansatz betrachtet Städte als komplexe Systeme, die sich mit ihrer Umwelt in zumeist dauerhaften Spannungszuständen befinden. - 4. Ziele: a) Einer der Forschungsschwerpunkte der Stadtökonomie beinhaltet die Theorie des Stadtwachstums. Dabei wird die Stadt betrachtet als ein System von Prozessen, getragen von den Entscheidungen der Unternehmen, Haushalte und Kommunen. Diese die Stadt konstituierenden Produktions-, Konsum-, Kommunikations- und politisch-administrativen Prozesse werden von Faktoren wie Stadtgröße, sektoraler Wirtschaftsstruktur, räumlicher Struktur der Stadt, ihrer Lage wie auch der historisch "gewachsenen" Präferenzen und Kultur im privaten und öffentlichen Bereich und dem Innovationspotential beeinflußt. Die Analyse von Widerständen, Engpässen und Verstärkern im System der Stadtentwicklungsprozesse ist eines der zentralen Anliegen. Dazu zählt insbes. die Bestimmung einer optimalen Stadtgröße in bezug auf konkrete historische Sektoral- und Sozialstrukturen wie Funktionserfordernisse. Das Optimum der Stadtgröße hängt wiederum ab von der Lage und Stellung der Stadt im Städtesystem, woraus sich das Problem der relativ optimalen Rang-Größen-Verteilung (Rang-Größe-Regel) eines Städtesystems (Städtesystemtheorie) ergibt. Der bedeutendste Erklärungsansatz für städtische Wachstumsprozesse stellt der in der Stadtökonomie entwickelte Exportbasisansatz (Wirtschaftsgeographie III 4 b) dar, nach dem das Gesamteinkommen einer Stadt maßgeblich von der Exporttätigkeit der städtischen Wirtschaft abhängt und die relative Größe des Exportbasissektors eine Funktion der Stadtgröße ist. - b) Neben dieser Betrachtung des städtischen Wirtschaftskreislaufes und Stadtwachstums in seiner Wechselbeziehung zu seiner "Umwelt", d. h. dem Umland, dem Städtesystem und der regionalen Arbeitsteilung einer Volkswirtschaft, liegt ein weiterer Forschungsschwerpunkt der Stadtökonomie in der Analyse der Stadtstruktur und des innerstädtischen Standortgefüges, die das Ergebnis der Standortentscheidungen von Unternehmen und Haushalten sowie der Konkurrenz auf dem Bodenmarkt sind. Die innerstädtischen Standortentscheidungen sind im wesentlichen eine Funktion der Grundrente und der Transportkosten, weiterhin sind baulich-physische Strukturen und besonders die über die Allokation von Infrastruktur durch die Kommunalpolitik geschaffene Standortgunst relevant. Abgesehen von ersten Ansätzen, die sich auf die Wohnnutzung durch verschiedene Einkommensgruppen beziehen (konzentrische, sektorale, polyzentrische Stadt), sind bisher noch keine differenzierten ökonomischen Stadtstrukturmodelle der Produktions- und Wohnstandorte abgeleitet worden. Ein Grund dafür ist in den Schwierigkeiten der empirischen Messung der Stadtstruktur, d. h. ihrer Elemente und räumlichen Lagebeziehungen, der Dichte, der äußeren Stadtgestalt u. a., durch graphentheoretische Maßzahlen, Dichtegradienten, Entropiemaße, Lokalisationsparameter u. a. zu sehen. Ein weiteres Problem stellt die Bewertung der gegenwärtigen wie zukünftigen Stadtstruktur durch die Wirtschaftssubjekte dar. Die Wechselwirkungen von Standortentscheidung und Stadtstruktur erfolgen als permanenter Anpassungsprozeß im Zeitablauf, in dem es unterstützt durch die Langlebigkeit von Bausubstanz und Transportnetzinfrastruktur zu kumulativen Prozessen (z. B. Suburbanisierung, Slumbildung, Citybildung) kommen kann. Die Theorie der Bodennutzung versucht diesen Anpassungsprozeß als ökonomisches Modell zu formulieren. Von zentraler Bedeutung ist darin die städtische Standorttheorie, die an die klassischen Standorttheorien anknüpft, und der Mechanismus der Bodenmärkte (Bodenrententheorie). Die Konkurrenz der verschiedenen Nutzungsarten wird über deren langfristig mögliche Preisgebote für den Boden bestimmt. Die Preisgebote hängen wiederum ab von der Grundstücksgröße, der Lage und der Umgebung des potentiellen Standortes. Da sich die Bodennutzungsstruktur dynamisch verändert, kann es durch Spekulationen der Grundeigentümer oder "Grundstücksentwickler" zu Instabilitäten des Stadtwachstums kommen. Die jüngere Stadtökonomie versucht diese Prozesse mathematisch-modellhaft durch den Rückgriff auf die Synergetik und Chaosdynamik einzubeziehen. Im Vordergrund stehen jedoch nach wie vor die mikroökonomischen Standard-Stadtmodelle über die Verteilung von Wohnstandorten in monozentrischen Stadtstrukturen und die Ableitung der räumlichen Segregation der Haushalte aus den Präferenzen der substituierbaren Faktoren Transportkosten und Flächenkonsum (Wohnungsmarktmodelle). - c) Schließlich befaßt sich die Stadtökonomie mit dem Zusammenhang einzelwirtschaftlicher Nutzenmaxierung und gesamtstädtischer Wohlfahrt, d. h. der effizienten Nutzung der Produktionsfaktoren, insbes. des Bodens. Die vielfach fehlende preisliche Bewertung öffentlicher Güter und die Produktion externer Effekte durch die staatliche Planung begründet Unvollkommenheiten in bezug auf den freien Markt. Die Schwierigkeit der preislichen Bewertung wirft nicht nur Probleme für die Wohlfahrtsmessung auf, sondern auch die Frage nach dem politischen Entscheidungs- und Zielsystem zur angemessenen Lösung des Verteilungsproblems. - 5. Bedeutung: Die Stadtökonomie hat in den letzten Jahrzehnten, insbes. ausgehend von den USA, große Beachtung gefunden, da sich die Folgen des sozialen, ökonomischen und politischen Wandels der modernen Industriegesellschaft v. a. in den Großstädten niedergeschlagen haben. Symptome sind u. a. zunehmende, zumeist strukturell bedingte Arbeitslosigkeit in den großen Städten, oft unzureichendes Angebot an Infrastrukturleistungen und hieraus resultierende Sozialkonflikte. Diese Veränderungen bewirkten in fast allen Großstädten der westlichen Welt eine z. T. gravierende Wanderungsbewegung aus den Zentren in stadtnahe Gebiete.

 

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