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Organisationsrecht
I. Begriff: Der Begriff Organisationsrecht wird bislang nicht einheitlich gefaßt und bezeichnet (noch) keine eigenständige Teildisziplin der Rechtswissenschaften. - 1. Organisationsrecht i. w. S.: Die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die an der Organisation (nach dem instrumentalen und dem funktionalen Organisationsbegriff) arbeitsteiliger Handlungssysteme anknüpfen. Diese organisationsrelevanten juristischen Vorschriften sind nicht geschlossen kodifiziert, sondern entstammen einer nur schwer überschaubaren Vielzahl unterschiedlicher Rechtsquellen. - 2. Organisationsrecht i. e. S.: Die betrachteten Handlungssysteme sind auf die privatautonomen, unter einheitlicher Leitung stehenden wirtschaftlichen Veranstaltungen (Unternehmungen) eingeschränkt. So zählen zu den wichtigsten Quellen des nationalen Organisationsrecht der Bundesrep. D.: das Gesellschaftsrecht (z. B. §§ 114 ff. HGB - Leitung der OHG; §§ 76 ff. AktG - Leitung der AG); das Betriebsverfassungsrecht (z. B. § 87 I Nr. 1 BetrVG - Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb, § 111 Nr. 4 BetrVG - Mitwirkungsrecht bei grundlegenden Fragen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen); das Mitbestimmungsrecht (z. B. § 13 Montan-MitbestG, § 33 MitbestG - Arbeitsdirektor); das Arbeitsrecht i. e. S. (z. B. § 121 GewO - Weisungsabhängigkeit der Gesellen und Gehilfen; §§ 3 ff. AZO - Regelung der Arbeitszeit; § 2 MuSchG - Gestaltung des Arbeitsplatzes); das Konzernrecht (z. B. § 291 AktG - Weisungsrecht beim Beherrschungsvertrag).
II. Entwicklung: Die organisatorischen Implikationen juristischer Vorschriften sind zumindest punktuell seit jeher angesprochen worden. Eine breitere interdisziplinäre Beschäftigung mit organisatorisch-juristischen Problemstellungen hat jedoch erst in der jüngeren Vergangenheit eingesetzt und ist noch in der Entwicklung begriffen. Dabei liegt der thematische Schwerpunkt der Arbeiten bisher eindeutig auf dem Gebiet der Unternehmensverfassung, während Fragen der Betriebsverfassung und die organisatorischen Sonderprobleme von Konzernen weniger intensiv behandelt sind und die Unternehmungsorganisation unterhalb der Ebene des Leitungsorgans (Vorstand o. ä.) nur vereinzelt Beachtung gefunden hat.
III. Konzeptionelle Ansätze: Im Hinblick auf die Konzeption der Beiträge zum Organisationsrecht lassen sich je nach der als Ausgangspunkt gewählten Fachrichtung zwei grundlegende theoretische Bezugsrahmen unterscheiden: a) Von den jeweiligen Gesetzeszwecken ausgehend werden die normative Kraft und Effizienz der verhaltenssteuernden Regeln gültiger (Analysen de lege lata) oder vorgeschlagener (Analysen de lege ferenda) Rechtsordnungen unter Einbeziehung wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsmethoden und -ergebnisse untersucht. b) Der Perspektive der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre folgend werden organisationsstrukturelle Entscheidungsprobleme um ihre juristische Dimension erweitert und Rechtsnormen als Bestimmungsgrößen interpretiert, die bei der Generierung zulässiger und Auswahl optimaler organisatorischer Gestaltungsalternativen zu berücksichtigen sind (entscheidungslogische Betrachtung) bzw. rechtstatsächlich das Verhalten der organisationsbefugten Entscheidungsträger beeinflussen (entscheidungsverhaltensorientierte Betrachtung).
IV. Rechtsnormimplikationen für Organisationsentscheidungen: 1. Betrachtungsperspektive: Legt man aus dem Kreis der skizzierten Ansätze die Entscheidungslogik als betriebswirtschaftlich geprägte Richtung zugrunde, so werden juristische Vorschriften als Daten organisatorischer Entscheidungen aufgefaßt und mit dem Ziel einer Verbesserung der Entscheidungsqualität berücksichtigt. Um die rechtlichen Aspekte der Organisation entsprechend entscheidungsorientiert aufzubereiten, ist es zweckmäßig, die Gestaltungsimplikationen des Organisationsrecht nicht primär nach rechtswissenschaftlichen Gliederungsaspekten (Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht etc.) herauszuarbeiten, sondern den organisatorischen Gehalt jeweils sämtlicher Rechtsbereiche getrennt nach den Aktionsparametern der organisatorischen Gestaltung zu isolieren. Diese Projektion von Rechtsregeln auf die einzelnen Gestaltungsalternativen der Organisation ermöglicht es im Idealfall, alle bei der Ausformung organisatorischer Aktionsparameter jeweils beachtlichen Rechtsnormimplikationen zusammengefaßt aufzuzeigen und so die Entscheidungstransparenz der juristischen Organisationsdimension zu steigern. - 2. Implikationsarten: Die Beziehungen zwischen juristischen Vorschriften und organisatorischen Aktionsparametern lassen sich nach ihrer Stellung im Entscheidungsmodell einteilen: a) Rechtsnorminduzierte Unterstützung: Rechtsnormen können zwar die Zahl der denkbaren organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten nicht ausdehnen und insoweit allenfalls eine Anregungsfunktion für unvollkommen informierte Entscheidungsträger übernehmen; sie können aber den Einsatz organisatorischer Aktionsparameter über das zur Verfügung gestellte rechtliche Instrumentarium juristisch absichern oder durch den gewährten Rechtsschutz gar erst ermöglichen. Ein Beispiel für derartige Unterstützungsbeziehungen bildet das arbeitsvertragliche Direktionsrecht, das rechtsverbindliche Weisungen von Instanzen und damit auch eine (gewisse) Entscheidungszentralisation gestattet. b) Rechtsnorminduzierte Restriktionen: Rechtsnormen schränken den zulässigen Aktionsraum teilweise ein. So darf in aktienrechtlich verfaßten faktischen Konzernen die Zentralisation tochterbezogener Entscheidungen bei der Muttergesellschaft aufgrund §§ 311 ff. AktG ein bestimmtes Maß nicht übersteigen. c) Rechtsnorminduzierte Konsequenzen: Sie ergeben sich, falls organisatorische Aktionsparameter entscheidungsrelevante Rechtsfolgen auslösen. Durch eine vergleichsweise hohe Delegation z. B. kann in gewissen Grenzen die Zahl der leitenden Angestellten und damit der Kreis derjenigen Handlungsträger erweitert werden, auf die zahlreiche Vorschriften entweder nicht (z. B. § 1 II Nr. 2 AZO) oder nur modifiziert (z. B. § 5 III BetrVG, § 14 II KSchG) Anwendung finden. - 3. Differenzierungsmöglichkeiten: Die Implikationsarten, Unterstützungen, Restriktionen, Konsequenzen stellen konzeptionelle Kategorien zur generellen Erfassung der Beziehungen zwischen organisatorischen Gestaltungsmaßnahmen und juristischen Vorschriften dar. In materieller Hinsicht lassen sich die Rechtsnormimplikationen durch eine Spezifizierung der organisatorischen und/oder juristischen Dimension differenzieren: a) Unter organisatorischen Gestaltungsaspekten können grundlegend Maßnahmen der Ablauforganisation von solchen der Aufbauorganisation getrennt und damit ablauf- und aufbauorganisatorische Implikationen von Rechtsnormen unterschieden werden. Ein Beispiel für die zahlreichen ablauforganisatorischen (Detail-)Regelungen bilden die Verfahrensvorschriften in §§ 170 f. AktG zur Prüfung des Jahresabschlusses der AG durch den Aufsichtsrat. Aufbauorganisatorische Implikationen lassen sich z. B. für die Organisation der Unternehmungsleitung nachweisen. So fordert § 77 I AktG für die Arbeitsteilung in einem multipersonalen Vorstand die Beachtung eines strengen Kollegialprinzips und verbietet hierdurch u. a. - im Gegensatz zum GmbHG - Organisationsmodelle, bei denen einzelne Angehörige des Vorstands anderen Vorstandsmitgliedern (etwa dem Vorstandsvorsitzenden) weisungsmäßig unterstehen. b) Für die juristische Dimension ist zunächst eine Unterscheidung nach der gewählten bzw. zur Wahl stehenden Rechtsstruktur der Unternehmung zweckmäßig, da das Rechtskleid in nicht unerheblichem Maße die anzuwendenden Rechtsregeln determiniert. In einer ersten Einteilung lassen sich hier die Rechtsnormimplikationen für rechtseinheitlich verfaßte Einheitsunternehmungen und diejenigen für rechtlich gegliederte Konzernunternehmungen voneinander trennen. Während der organisationsrechtliche Datenkranz für die Einheitsunternehmung unter rechtsstrukturellem Aspekt nur mit der betrachteten Rechtsform variiert, potenzieren sich die Differenzierungsmöglichkeiten im Konzern. So können v. a. die rechtlich selbständigen Einheiten (Konzernunternehmen) jeweils verschiedene Rechtsformen aufweisen und mit Hilfe unterschiedlicher Unternehmensverbindungen - z. B. faktische (§§ 311 ff. AktG), beherrschungsvertragliche (§§ 291 ff. AktG) oder eingliederungsvermittelte (§§ 319 ff. AktG) Konzernbindung - verknüpft werden; vgl. Konzernorganisation.
Literatur: Bleicher, K., Gedanken zur Gestaltung der Konzernorganisation bei fortschreitender Diversifizierung, ZfO 1979, S. 243-251 (1. Teil) und S. 328-335 (2. Teil); Chmielewicz, K. u. a. (Hrsg.), Unternehmungsverfassung, Stuttgart 1981; Diefenbacher, H., Empirische Mitbestimmungsforschung, Frankfurt a. M. 1983; Doralt, P./Grün, O./Nowotny, C., Die Bedeutung der Rechtsform und ihrer Ausgestaltung für die Organisaton von Entscheidungsprozessen - dargestellt am Beispiel einer Projektorganisation (Olympia Baugesellschaft mbH, München), ZGR 1981, S. 249-284; Everling, W., Betriebsabteilung oder Beteiligungsgesellschaft? BFuP 1977, S. 281-287; Gerum, E./Oppenrieder, B./Steinmann, H., Rechtsformabhängige vs. rechtsformneutrale Unternehmensverfassung: Der Fall der mitbestimmten GmbH, DBW 1986, S. 460-472; Hommelhoff, P., Die Konzernleitungspflicht, Köln u. a. 1982; Rancke, F., Betriebsverfassung und Unternehmenswirklichkeit, Opladen 1982; Richter, B., Der mitbestimmte Aktiengesellschaftskonzern, Köln 1983; Scheffler, E., Konzernmanagement - Betriebswirtschaftliche und rechtliche Grundlagen der Konzernführungspraxis, München 1992; Seidel, E., Organisation und Recht, ZfO 1977, S. 443-448; Schwark, E., Spartenorganisation in Großunternehmen und Unternehmensrecht, ZHR 1978, S. 203-227; Theisen, M. R., Der Konzern: betriebswirtschaftliche und rechtliche Grundlagen der Konzernunternehmung, Stuttgart 1991; Wendeling-Schröder, U., Divisionalisierung, Mitbestimmung und Tarifvertrag, Köln u. a. 1984; v. Werder, A., Organisationsstruktur und Rechtsnorm, Wiesbaden 1986; ders., Recht und Organisation, in: Handwörterbuch der Organisation, 3. Aufl., hrsg. v. E. Frese, Stuttgart 1992, Sp. 2168-2184; ders., Konzernmanagement, DBW 1995, S. 147-158; Witte, E., Das Einflußsystem der Unternehmung in den Jahren 1976 und 1981, ZfbF 1982, S. 416-434.
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