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Unternehmungsbewertung

Unternehmensbewertung.
I. Begriff und Aufgaben: Unternehmungsbewertung ist die Bewertung einer Unternehmung als Ganzes zur Erlangung des Unternehmungswertes. Unternehmungsbewertung bereitet besondere Probleme, weil Marktpreise fehlen oder auf ihre Berechtigung hin überprüft werden müssen. Wertdefinition und Wertermittlungsverfahren müssen aufgabenbezogen sein. Vernachlässigt man steuerliche Bewertungszwecke, so liegen die wichtigsten Funktionen einer Unternehmungsbewertung darin, (1) zur Entscheidungsvorbereitung oder Beratung einen Grenzpreis bzw. Entscheidungswert und (2) zur Auseinandersetzung oder Vermittlung einen fairen Einigungspreis bzw. Arbitriumwert (Schiedsspruchwert, Schiedspreis) zu berechnen. Weitere Funktionen sind denkbar; sie sind jedoch i. d. R. mit den genannten Aufgaben mehr oder minder direkt verbunden. - Der Grenzpreis (Entscheidungswert) stellt die gerade noch akzeptable Preisgrenze für den Käufer oder Verkäufer einer Unternehmung dar und wird durch Alternativenvergleich nach dem Opportunitätskostenprinzip ermittelt. Er ist der potentielle Preis, der den ökonomischen Stand des zukünftigen oder gegenwärtigen Eigentümers nicht verändert. Da Schadenersatzleistungen den Geschädigten so stellen sollen, wie er gestanden hätte, wenn das Schadensereignis nicht eingetreten wäre, begründet der Grenzpreis auch Schadenersatzforderungen. - Faire Einigungspreise (Arbitrium- oder Schieds(spruch)werte) müssen zwischen den bekannten oder vermuteten Grenzpreisen der Kontrahenten liegen, die sich auseinandersetzen oder um eine Einigung bemühen. Zentral ist für beide Bewertungsaufgaben die Ermittlung zweckadäquater Grenzpreise.
II. Ermittlung von Bewertungsgrundlagen: Da Grenzpreise potentielle Preise darstellen, die den ökonomischen Stand von zukünftigen oder gegenwärtigen Eigentümern unberührt lassen, muß dieser gemessen werden. Dies geschieht zweckmäßigerweise mit Hilfe der erwarteten zukünftigen Entnahmen aus dem Unternehmen, d. h. dem Beitrag der Unternehmung zum Ziel der Deckung der Konsumausgaben der Eigentümer. Die zukünftigen Entnahmen sind dispositionsabhängig und unsicher. Hinzu kommt, daß sie nur selten von Periode zu Periode gleich sind. Zweckgerechte Bewertungskalküle sollten deshalb die Dispositionsabhängigkeit und Unsicherheit der mehrperiodigen Entnahmen sowohl bei der Grenzpreisermittlung als auch bei der darauf aufbauenden Ermittlung von fairen Einigungspreisen erfassen. - Um die maßgeblichen, der Bewertung zugrunde zu legenden Entnahmen zu ermitteln, ist aus der Sicht von rationalen Entscheidern ein Optimierungskalkül notwendig. Dieser muß auf einem Unternehmensgesamtmodell aufbauen und die bei der prognostizierten Entwicklung von Umweltbedingungen und den geplanten Verhaltensweisen der Unternehmensleitung bestmöglichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Entnahmen im Zeitablauf zu berechnen erlauben. Dieser Optimierungskalkül begegnet den Schwierigkeiten, daß komplexe Unternehmensgesamtmodelle weitgehend fehlen, daß beachtliche Probleme bei der Prognose von zukünftigen Umweltbedingungen entstehen und daß selbst bei Erfüllung der beiden zuerst genannten Bedingungen brauchbare Optimierungskalküle kaum vorhanden sind. Dies zwingt Unternehmensbewerter dazu, Komplexität zu reduzieren, insbes. von nicht optimalen Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Entnahmen im Zeitablauf auszugehen. - Üblich ist es, zur Schätzung zukünftiger Entnahmen mit der Analyse zurückliegender Gewinn- und Verlustrechnungen mehrerer Jahre zu beginnen, um die maßgeblichen Faktoren der vergangenen Entnahmen herauszuarbeiten. Hierzu sind die Zugriffsmöglichkeiten auf diese Unterlagen Voraussetzung, und Korrekturen handels- oder steuerrechtlicher Gewinn- und Verlustrechnungen sind für den Bewertungszweck nötig. Die aus einer solchen Vergangenheitsanalyse zu gewinnenden Informationen sind unerläßlich. Sie dürfen aber nicht überschätzt werden, denn Unternehmen werden oft veräußert, oder Minderheitseigentümer werden oft abgefunden, weil die Zukunft andere Umweltbedingungen erwarten läßt als die Vergangenheit bewies oder weil die Unternehmenspläne strikt geändert werden sollen. Die Extrapolation von Vergangenheitstrends in die Zukunft wird unter diesen Umständen besonders fragwürdig. - Der Vergangenheitsanalyse sollte deshalb eine Lageanalyse und Strategieentwicklung folgen. Die Lageanalyse dient der Aufnahme des Istzustandes der Unternehmung, wobei man sich z. B. des Konzeptes der Portfolio-Matrizen bedienen kann. Die derart gewonnenen Informationen sind qualitativer Art. Sie erlauben noch keine konkrete Aussage über die Höhe und Unsicherheitsstruktur der Entnahmen aus dem Unternehmen in der Zukunft. Anhaltspunkte hierfür könnten unter der Prämisse unveränderter Fortführung der Unternehmung durch eine Letztjahresgewinnermittlung und eine Trägheitsprojektion gewonnen werden. Der Letztjahresgewinn ist derjenige entnahmefähige Betrag, der sich in Zukunft durchschnittlich ergeben würde, wenn von den Letztjahresbedingungen auch weiterhin ausgegangen werden könnte. Die Trägheitsprojektion soll die Schätzung der Entnahmen darstellen, die sich ergeben, wenn die Eigentümer bei sich ändernden Umweltbedingungen dieselbe Politik wie in der Vergangenheit verfolgen. Beide Analysearten führen zu (wichtigen) Referenzergebnissen für die eigentlich interessierenden Entnahmeschätzungen, die auf der Entwicklung einer veränderten (nicht notwendigerweise optimierten) Strategie basieren. Sie zeigen, welche Entnahmeveränderungen durch geplante Strategieänderungen ausgelöst werden sollen, und erlauben es, geplante Entnahmen grob auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen.
III. Bewertungsmethode: Die Orientierung am Ziel der Deckung der Konsumausgaben der Eigentümer ist mit einer Bewertung mit Hilfe der Substanzwertmethode (Reproduktionswert) unvereinbar, weil die in den Substanzwert eingehenden Wiederbeschaffungswerte von einzelverkehrsfähigen Wirtschaftsgütern nichts Zuverlässiges über deren Beiträge zu den zukünftigen Entnahmen aussagen. Der Substanz- bzw. Reproduktionswert taugt auch nicht zur Berücksichtigung der Unsicherheit. Statt der Einzelbewertung ist eine Gesamtbewertung vorzunehmen, wobei sich die Ertragswertmethode anbietet. - Bei der Berechnung des Ertragswerts besteht ein wichtiges Problem in der Ermittlung des zweckgerechten Kalkulationszinsfußes. Hat man die Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Entnahmen prognostiziert, sollte man sie zu Sicherheitsäquivalenten aggregieren und diese mit dem landesüblichen Zinsfuß diskontieren. Das Sicherheitsäquivalent ist der Entnahmebetrag, der einer Wahrscheinlichkeitsverteilung nutzenmäßig gleichgeschätzt wird. Für risikoscheue Bewerter liegt es unter dem Erwartungswert der Entnahmen. Da man zur genauen Ermittlung von Sicherheitsäquivalenten auf Risikonutzenfunktionen zurückgreifen muß, die unbekannt sind, werden in der Praxis zumeist Risikozuschläge zum landesüblichen Zinsfuß addiert, und mit diesem erhöhten Zinsfuß wird der Erwartungswert der Entnahmen diskontiert. Die Risikozuschlagsmethode ist umstritten. Die neuere Literatur zeigt aber, wie man begründbare von unbegründbaren Zuschlägen durch eine generelle Orientierung an Sicherheitsäquivalenten auch ohne genaue Kenntnis von Risikonutzenfunktionen unterscheiden kann. Insbes. bei international tätigen Unternehmen wird neben der Ertragswertmethode der Discounted Cash Flow verwendet. Beim sog. Nettoansatz dieses Verfahrens wird weitgehend analog dem Ertragswertverfahren gerechnet, der Risikozuschlag auf den Zinsfuß jedoch zumeist nach dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) bestimmt. Beim sog. Bruttoansatz wird erst der Wert von Eigen- und Fremdkapital berechnet, bevor sich durch Substraktion des Marktwertes des Fremdkapitals der Eigentümerwert ergibt. Diskontiert wird nach dem gewogenen Kapitalkostensatz. Unter bestimmten Bedingungen läßt sich der so ermittelte Wert in den Ertragswert überführen.
IV. Nachprüfbarkeit des Bewertungsergebnisses: Wegen der mit der Ertragswertmethode verbundenen Subjektivismen hat man oft Zuflucht bei vermeintlich objektiven Verfahren, wie der Substanzwertmethode, gesucht. Übersehen wurde dabei, daß die Objektivierung im Sinne einer Nachprüfbarkeit des Bewertungsergebnisses durch sachverständige Dritte ebenfalls nur teilweise gegeben war und daß sie zu Lasten der ökonomischen Brauchbarkeit des Ergebnisses für die beschriebenen Aufgaben ging. Die Literatur hat mittlerweile Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung entwickelt, die ähnlich wie Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Verhaltenskriterien für Gutachter darstellen, die ihre Sorgfaltspflicht beachten, und die darüber hinaus dem Erfordernis der Nachprüfbarkeit des Bewertungsergebnisses auch bei der Ertragswertmethode, soweit es nötig ist, genügen.


Literatur: Ballwieser, W., Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, 3. Aufl., Wiesbaden 1990; Ballwieser, W., Methoden der Unternehmensbewertung, in: Handbuch des Finanzmanagements, hrsg. v. G. Gebhardt, W. Gerke, M. Steiner, München 1992, S. 151-176; Ballwieser, W./Leuthier, R., Grundprinzipien, Verfahren und Probleme der Unternehmensbewertung, DStR 1986, S. 545-551 und S. 604-610; Copelaud, I./Kolber, T./Murrin, J., Valuation, 2. Aufl., 1994; Hachmeister, D., Der Discounted Cash Flow als Maß der Unternehmenswertsteigerung, Frankfurt a. M. 1995; Kraus-Grünewald, M., Ertragsermittlung bei Unternehmensbewertung, Wiesbaden 1982; Matschke, M. J., Der Entscheidungswert der Unternehmung, Wiesbaden 1975; ders., Funktionale Unternehmungsbewertung, Teil 2: Der Arbitriumswert der Unternehmung, Wiesbaden 1979; Moxter, A., Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl., Wiesbaden 1983; Münstermann, H., Wert und Bewertung der Unternehmung, 3. Aufl., Wiesbaden 1970; Sieben, G., Der Substanzwert der Unternehmung, Wiesbaden 1963.

 

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