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PPS-System
I. Einordnung: 1. Begriff: Der Begriff PPS-S. hat sich als Kurzform für (computergestütztes) Produktionsplanungs- und Steuerungssystem eingebürgert. Ein PPS-S. ist ein Softwaresystem, welches zur operativen Planung und Steuerung des Produktionsgeschehens in einem Industriebetrieb eingesetzt wird. - 2. Entstehung: Umfassende Optimierungsmodelle und Methoden zur industriellen Produktionsplanung, die in der Betriebswirtschaftslehre und v. a. im Operations Research in den 60er Jahren in großer Zahl entwickelt wurden, erwiesen sich weitgehend als untauglich für den praktischen Einsatz; bei Modellen der linearen Optimierung (Programmierung) stellte sich z. B. das Problem der Rechenbarkeit (gigantische Zahl von Variablen und Nebenbedingungen) und der Datenbereitstellung als entscheidendes Hindernis heraus. In der Praxis entstanden deshalb unabhängig davon eigenständige Planungs- und Steuerungskonzeptionen, die sowohl manuell angewendet als auch der Entwicklung der ersten computergestützten PPS-S. (in den 60er Jahren in den USA) zugrundegelegt wurden. Der Aufbau von PPS-S. unterscheidet sich stark von der traditionellen Gutenbergschen Gliederung der Produktionsplanung (vgl. II). - 3. Planungskonzept: PPS-S. folgen einem Konzept der stufenweisen Sukzessivplanung mit zunehmendem zeitlichem Detaillierungsgrad: Ergebnisse einer vorgelagerten Stufe gehen i. d. R. als Vorgabe in die nächste Stufe ein. Dabei findet keine oder nur eine sehr schwache Rückkopplung von nachgelagerten zu früheren Stufen statt. - 4. Zielgruppen: V. a. Industriebetriebe mit überwiegend mechanischer Fertigung (u. a. Montagevorgänge), die Stücklisten führen. Typische Branchen sind etwa der Maschinenbau oder die Elektroindustrie, aber nicht ausschließlich; z. B. werden PPS-S. auch in der chemischen Industrie eingesetzt. - 5. Verbreitung: Der PPS-Bereich war einer der ersten betrieblichen Funktionsbereiche, der mit elektronischer Datenverarbeitung unterstützt wurde. Die Systeme sind heute recht ausgefeilt. In größeren Betrieben erfolgt die Produktionsplanung und -steuerung fast ausschließlich mit Hilfe von PPS-S.; in Klein- und Mittelbetrieben ist die Verbreitung dagegen noch relativ gering.
II. Bestandteile/Aufbau (der meisten gängigen PPS-S.): 1. Grunddatenverwaltung: Diese ist der zentrale Kern eines P., da im PPS-Bereich äußerst umfangreiche und komplexe Datenbestände mit zahlreichen Wechselbeziehungen zu führen sind. Die wichtigsten Daten sind: a) Teilestammdaten: Stammdaten aller Teile des Betriebs, bestehend jeweils aus Teilenummer (Nummernsystem), Bezeichnung, Maßeinheit, technischen Daten, Dispositions-, Bestands-, Kostendaten u. a.; b) Erzeugnisstrukturdaten: Daten über die konstruktive Zusammensetzung der Teile, aus denen u. a. Stücklisten erzeugt werden; graphisch veranschaulicht sind die Erzeugnisstrukturdaten in der Abbildung für zwei Endprodukte X und Y, die sich jeweils aus Baugruppen A, B, C bzw. D, E zusammensetzen etc.; c) Arbeitsplandaten mit Angaben zu Arbeitsgängen, Stückbearbeitungszeiten u. a., die z. B. zur Erzeugung der Arbeitspläne für die Teile benötigt werden; d) Betriebsmitteldaten: Kapazitäts-, Rechnungswesen-, Instandhaltungsdaten, technische Daten der Fertigungsanlagen. - 2. Primärbedarfsplanung: Hauptaufgabe ist die Ermittlung der Mengen an Primärbedarf, die im Planungszeitraum hergestellt werden sollen. Für diese Aufgabe bieten PPS-S. zwei Formen der Unterstützung: a) Absatzprognosen werden dahingehend unterstützt, daß die zu erwartenden Primärbedarfsmengen aufgrund der in der Vergangenheit beobachteten Bedarfe mit Hilfe einfacher Vorhersagemethoden (z. B. gleitende Mittelwerte, exponentielle Glättung) prognostiziert werden. b) Mit Hilfe der Kundenauftragsverwaltung können bekannte oder erwartete Kundenaufträge verwaltet und als Primärbedarf erfaßt werden. - 3. Bedarfsplanung: In diesem Teilbereich erfolgt die Disposition der Mengen untergeordneter Teile (Sekundärbedarf), die zur Herstellung des Primärbedarfs erforderlich sind und die anschließend als Fertigungsaufträge in die Durchlaufterminierung oder als Bestellaufträge in die Beschaffung gehen. - Zu unterscheiden sind folgende Vorgehensweisen: a) Deterministische Disposition (auch bedarfsgesteuerte oder programmgesteuerte Disposition): Die Sekundärbedarfsmengen werden aufgrund der gespeicherten Erzeugnisstrukturdaten (vgl. II 1 b) exakt berechnet; dies erfolgt jeweils durch Multiplikation der Inputkoeffizienten mit den Mengen der übergeordneten Knoten. Dabei wird zunächst eine Nettobedarfsermittlung (u. a. Abgleich mit Lagerbeständen) vorgenommen, u. U. auch eine Losgrößenrechnung, bei der aber meist nur sehr einfache Verfahren zum Einsatz kommen (z. B. Gleichsetzung der Losgröße mit dem Bedarf einer oder mehrerer Perioden, Andler-Formel, gleitende wirtschaftliche Losgröße, Stück-Perioden-Ausgleich). Die eigentliche Ableitung der Mengen untergeordneter Teile wird Sekundärbedarfsrechnung genannt. Zur groben zeitlichen Strukturierung erfolgt u. U. eine Vorlaufverschiebung, indem die Sekundärbedarfe um eine gewisse Zeitspanne in Richtung Gegenwart verschoben werden. - b) Stochastische Disposition (auch verbrauchsgesteuerte Disposition): Die erwarteten Bedarfe werden aufgrund des Verbrauchs in der Vergangenheit mit einfachen Vorhersageverfahren (z. B. gleitende Mittelwerte, exponentielle Glättung) prognostiziert. - c) Vor- und Nachteile: Die stochastische Bedarfsermittlung ist sehr einfach durchzuführen, aber ungenau. Als Folge sind größere Sicherheitsbestände erforderlich, die eine stärkere Kapitalbindung und höhere Lagerhaltungskosten verursachen. Die deterministische Disposition ist genau, aber sehr rechenaufwendig; sie wird deshalb oft nur in periodischen Abständen (z. B. wöchentlich, monatlich) durchgeführt. Als Kompromiß disponiert man höherwertige Teile i. d. R. deterministisch, geringerwertige dagegen stochastisch. Zur Klassifikation der Teile kann z. B. die ABC-Analyse verwendet werden. - 4. Lagerbestandsführung: Die Lagerbestandsführung erstreckt sich auf a) die Erfassung der physischen Lagerbewegungen (Zugänge, Abgänge) und b) die dispositive Bestandsführung, bei der auch Sicherheits-, Reservierungs-, Melde-, Bestell-, Werkstattbestände u. a. berücksichtigt werden. - 5. Bestellwesen: Das Bestellwesen umfaßt die Planung und Abwicklung der Beschaffung fremdbezogener Teile (Bestellpunkte und -termine, Bestellmengenrechnung, Lieferantenauswahl, Bestellüberwachung). - 6. Durchlaufterminierung: Es wird eine zeitliche Struktur des Fertigungsgeschehens erzeugt durch Aneinanderreihung der Arbeitsgänge für die einzelnen Fertigungsaufträge. Die Vorgehensweise kann retrograd sein, d. h. vom Endprodukt ausgehend zu den tieferen Fertigungsstufen hin (Rückwärtsterminierung), oder progressiv, d. h.vom Einzelteil ausgehend in Richtung Endprodukt (Vorwärtsterminierung), oder kombiniert. Bei Terminüberschreitungen erfolgt eine Reduktion der Durchlaufzeiten durch Übergangszeitenreduktion, Splitting-Verfahren oder Überlappung von Aufträgen. - 7. Kapazitätsplanung: Da die vorgelagerten Planungsschritte weitgehend losgelöst von Kapazitätsüberlegungen sind, muß die Realisierbarkeit des Terminplans sichergestellt werden. Dazu werden die terminierten Fertigungsaufträge den Kapazitätseinheiten (Fertigungsanlagen, Arbeitsplätze o. a.) zugeordnet und der Zeitbedarf der verfügbaren Kapazität gegenübergestellt. Bei stärkeren Schwankungen erfolgt eine Glättung der Kapazitätsgebirge durch Verlagerung von Fertigungsaufträgen in andere Perioden (Kapazitätsabgleich). - 8. Verfügbarkeitsprüfung und Auftragsfreigabe: Nach einer Überprüfung, ob Materialien, Werkzeuge, untergeordnete Teile etc. für die anstehenden Aufträge verfügbar sind, werden die in den Freigabehorizont (z. B. ein bis zwei Wochen) fallenden Aufträge zur Fertigung freigegeben, indem u. a. Auftragspapiere ausgedruckt werden. - 9. Feinterminierung (auch Maschinenbelegungsplanung und Ablaufplanung): Diese legt die Bearbeitungsreihenfolgen der freigegebenen Aufträge auf den Betriebsmitteln fest. Zur adäquaten Berücksichtigung mehrfacher, z. T. konkurrierender Zielsetzungen (Prozeßplanungsdilemma) kommen oft Prioritätsregeln zur Anwendung. - 10. Auftragsfortschrittskontrolle: Während des Fertigungsgeschehens müssen Informationen über den Stand und den Fortschritt der Fertigungsaufträge (insbes. bzgl. Mengen- und Termineinhaltung) aufgrund von Rückmeldungen aus der Produktion bereitgestellt werden (ggf. von einem Betriebsdatenerfassungssystem). - 11. Struktur: Die Bestandteile sind in PPS-S. z. T. wie oben dargestellt, eventuell unter anderen Bezeichnungen, z. T. auch zusammengefaßt zu größeren Funktionskreisen, enthalten. Beispiel einer gängigen Struktur: Grunddatenverwaltung; Produktionsprogrammplanung: Absatzprognosen und/oder Kundenauftragsverwaltung; Materialwirtschaft: Bedarfsplanung, Lagerführung, Bestellwesen; Zeit- und Kapazitätswirtschaft: Durchlaufterminierung, Kapazitätsplanung, Werkstattsteuerung: Verfügbarkeitsprüfung und Auftragsfreigabe, Feinterminierung, Auftragsfortschrittskontrolle. - Häufig sind ergänzende Funktionen (z. B. Lieferantenverwaltung, Vorkalkulation) und Schnittstellen zu anderen betrieblichen Planungs- und Informationssystemen, insbes. zum Rechnungswesen, vorgesehen.
III. Zielgruppen: Viele verbreitete PPS-S. haben ihre Wurzeln in den USA und sind eher auf die dortigen Verhältnisse ausgerichtet (Großserien- und Massenfertigung, marktorientierte Produktion), für typisch deutsche Verhältnisse dagegen schlechter geeignet (großer Anteil mittelständischer Betriebe mit starker Kundenorientierung und überwiegend Auftrags- und Einzelfertigung). Deshalb entstanden in den 80er Jahren zahlreiche PPS-S. deutscher Hersteller, die v. a. Auftragsfertigung unterstützen. Wesentlichste Unterschiede: a) auf allen Planungs- und Steuerungsstufen bleibt der Bezug zum verursachenden Kundenauftrag erhalten; b) die Kundenauftragsbearbeitung und -terminierung wird stärker unterstützt, eventuell mit Vorkalkulation bei der Auftragsannahme; c) die Erstellung auftragsspezifischer Stücklisten und Arbeitspläne ist meist möglich.
IV. Neuere Entwicklungen: 1. Prinzipien und Verfahren: a) Das Kanban-Prinzip (Kanban-System) wird z. T. mit konventionellen PPS-S. kombiniert; b) belastungsorientierte Einplanung in der Werkstattsteuerung; c) Fortschrittszahlensysteme zur schnellen Überprüfung des aktuellen Stands der Produktion sind v. a. in der Automobilbranche verbreitet; d) hierarchische Produktionsplanung (vgl. Hax, Meal 1975). - 2. Datenbanksysteme: Es besteht ein zunehmender Trend, die Datenverwaltung aus dem eigentlichen PPS-S. auszulagern und einem universellen Datenbanksystem zu übertragen. Dies bringt den Vorteil der Datenintegration ein, d. h., die PPS-Daten stehen auch anderen betrieblichen Softwaresystemen zur Verfügung, und andererseits hat das PPS-S. Zugriff auf weitere Unternehmensdaten (z. B. aus dem Rechnungswesen). - 3. CIM: Im Rahmen von CIM werden PPS-S. nicht mehr isoliert betrachtet, sondern integriert in eine umfassende Planungs- und Steuerungskonzeption für den gesamten Fertigungsbereich, zusammen mit der technischen Datenverarbeitung. - 4. Elektronische Leitstände: Eine gezielte Unterstüzung der Fertigungs-/Werkstattsteuerung kann durch einen elektronischen/graphischen Leitstand erfolgen.
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