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staatssozialistische Zentralplanwirtschaft

I. Charakterisierung: Begriff: Heute nur noch selten in osteuropäischen Ländern realisierte Wirtschaftsordnung mit dominierendem Staatseigentum an den Produktionsmitteln, zentraler Planung und Koordination der Produktions- und Verteilungsprozesse sowie staatlichem Außenhandelsmonopol. Ursprünglich in der Sowjetunion begründet. - Grundlegendes Organisationsprinzip in Staat und Wirtschaft ist der Demokratische Zentralismus: Der Staatsapparat ist dabei Instrument der herrschenden kommunistischen Partei zur Durchsetzung ihrer Ziele in allen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen. - Organe: Oberstes wirtschaftsleitendes Staatsorgan ist der Ministerrat (MR) mit der Staatlichen Plankommission (SPK) als Planungsorgan sowie mit funktional und branchenmäßig strukturierten Ministerien. Letzteren untergeordnet sind die Kombinate als organisatorische Zusammenschlüsse der volkseigenen Betriebe (VEB). - Das Bankensystem ist einstufig, d. h. die Geschäftsbanken sind unselbständige Filialen der Notenbank.
II. Wirtschaftskoordination: Die Vorgaben der kommunistischen Partei werden durch den MR in wirtschaftliche Zielgrößen umgerechnet. Auf deren Basis erstellt die SPK a) einen konzeptionellen Perspektivplan (Planungshorizont ca. 15 Jahre), b) einen Fünfjahrplan sowie c) den auf letzterem aufbauenden und für die Wirtschaftskoordination maßgeblichen Jahresplan: Mit Hilfe der Bilanzierungsmethode erarbeitet die SPK zunächst einen vorläufigen Volkswirtschaftsplan, der sowohl reale als auch monetäre Bestands- und Stromgrößen umfaßt. Zwar basiert die finanzielle Planung auf derjenigen der güterwirtschaftlichen Prozesse, jedoch werden beide Bereiche gleichzeitig (aufeinander) abgestimmt. Gegenstand der finanziellen Planung sind u. a. die Geldeinnahmen und -ausgaben der Betriebe, privaten Haushalte und des Staatshaushalts und das Volumen der Geldschöpfung bzw. -vernichtung. - Auf der Basis des vorläufigen Planentwurfs übergibt die SPK den Ministerien die staatlichen Planaufgaben für die diesen unterstellten Kombinate (bzw. andernfalls regionalen Leitungsorganen), die diese wiederum auf die einzelnen Betriebe aufschlüsseln. Die VEB erarbeiten auf Basis dieser staatlichen Planaufgaben ihre vorläufigen Betriebspläne und schließen unter Beachtung der staatlichen Vorschriften zwischenbetriebliche Liefervorverträge ab. Diese Betriebspläne werden über den gleichen Instanzenweg wieder zusammengefaßt. Die jeweils untergeordnete Hierarchieebene hat dabei gegenüber der nächsthöheren ihren Planentwurf zu verteidigen, damit so bisher unerkannt gebliebene innerbetriebliche Leistungsreserven aufgedeckt werden. Die SPK koordiniert die so aggregierten Teilpläne zum endgültigen Volkswirtschaftsplan, der als Gesetz verabschiedet wird und dessen Erfüllung allen untergeordneten Organen und Wirtschaftseinheiten verbindlich vorgeschrieben wird. Unternehmerisches Formalziel ist also die Planerfüllung (Planerfüllungsprinzip). Die Planauflagen drücken sich in einer Vielzahl von Kennziffern (Faktoreneinsatznormen, monetäre und reale Zielvorgaben etc.) aus, und auf ihrer Basis schließen die Betriebe ihre endgültigen Lieferverträge ab. - Da die güterwirtschaftliche Bilanzierung wegen der Vielzahl der Güter und der Komplexität der produktionstechnischen Interdependenzen nicht alle Güter einzeln erfassen kann, werden von der SPK überwiegend Güterbündel bilanziert, die von den übergeordneten Organen aufzuschlüsseln sind. Hieraus resultieren betriebliche Entscheidungspielräume bei der Planausarbeitung und -durchführung. Um deren Ausnutzung durch die Betriebe im Interesse der Zentralinstanz zu gewährleisten, werden "ökonomische Hebel" wie Preise, Zinssätze, Steuern und Subventionen, Prämierungsvorschriften eingesetzt. Der Einsatz derartiger impliziter Bindungsregeln, d. h. derjenigen Instrumente staatlicher Wirtschaftslenkung, die indirekt über das Prämieninteresse der Beschäftigten wirken, ergänzt die Anwendung der Kennziffern als explizite Bindungsregeln, weil eine umfassende Vorausplanung mittels der Bilanzierungsmethode aus Gründen der Informationsgewinnung und -verarbeitung sowie wegen der Unsicherheit bzgl. der zukünftigen Entwicklung unmöglich ist.
III. Koordinationsprobleme: 1. Die skizzierte Methode der Planaufstellung, durch die die Zentrale Informationen über die betrieblichen Produktionsmöglichkeiten zu erlangen versucht, sowie das Prinzip der Prämiierung in Abhängigkeit von der Erfüllung der auf diesen Informationen beruhenden Pläne, führt zu der betrieblich rationalen Strategie der "weichen Pläne": Produktionsmöglichkeiten werden von den VEB möglichst gering, die notwendigen Inputs möglichst hoch angegeben, um so zum einen leicht erfüllbare Pläne zu erlangen und zum anderen betriebsinterne Reserven ansammeln zu können. Diese Reserven sichern die Planerfüllung auch bei extern verursachten Störungen in der Plandurchführungsphase (z. B. bei Lieferstörungen), binden jedoch die Faktoren unproduktiv. Hieraus resultieren u. a. eine relativ geringe Kapitalproduktivität und versteckte Arbeitslosigkeit. - Die Pläne werden nur "maßvoll" erfüllt bzw. übererfüllt, da die volle Aufdeckung der betrieblichen Leistungsfähigkeit höhere Planauflagen in der nächsten Periode zur Folge hätte. - 2. Die staatlich festgesetzten Preise entsprechen allenfalls zufällig den gesamtwirtschaftlichen Knappheiten und lassen sich aufgrund ihrer bürokratisch-administrativen Festsetzung nur sehr verzögert an Datenänderungen anpassen. Richten sich die Betriebe im Rahmen ihrer Entscheidungsspielräume nach diesen Preissignalen, kommt es zu Fehlallokationen. Das Unmöglichkeitstheorem findet hier seine praktische Bestätigung. Da die Preisrelationen nicht der staatlichen Zielstruktur entsprechen, beeinträchtigt dies die reibungslose Planerfüllung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. - 3. Das System der Kennziffern und "ökonomischen Hebel" erfaßt immer nur einen Teilaspekt des betrieblichen Entscheidungsfeldes; auch sind die Hebel und Kennziffern zumeist nicht konsistent aufeinander abgestimmt. Beide Aspekte führen dazu, daß die Betriebsangehörigen ihre eigenen Prämienziele erreichen können, ohne daß der gesamtwirtschaftliche Planzusammenhang gewährleistet wird. Diese Probleme wurden bisher nicht zufriedenstellend gelöst, wie die häufigen Umstellungen des Kennziffern- und Prämiierungssystems und die abwechselnde Betonung quantitativer Kennziffern (z. B. Warenproduktion, ausgedrückt in Stück, Tonnen, Quadratmeter etc.) und finanzieller Kennziffern (insbes. Plangewinn) zeigen. - 4. Die Interdependenzen zwischen monetärer und güterwirtschaftlicher Planung und Leitung führen in st. Z. bei realen Planstörungen zu inflationär wirkender Geldschöpfung. Da die Preise staatlich festgelegt sind, zeigt sich der Geldüberhang nicht in einer offenen Preisinflation, sondern führt zu einer Zunahme der betrieblichen und insbes. individuellen Kassenhaltung (Kassenhaltungsinflation). - 5. Die st. Z. ist durch eine relativ geringe Innovationsdynamik gekennzeichnet. Eine Ursache hierfür ist, daß Produkt- und Verfahrensinnovationen Risiken für die Planerfüllung bedeuten und daher den Prämiierungsinteressen der Beschäftigten zuwiderlaufen. - 6. Die Unternehmensstruktur ist ausgeprägt monopolistisch. Das ist aus Gründen der administrativen Wirtschaftslenkung zwar zweckmäßig, wirkt sich jedoch negativ auf das Leistungsverhalten der Betriebe aus. Die in den betroffenen Ländern oft selbst beklagte geringe Qualität der Produkte hat ihre Ursache in dem fehlenden zwischenbetrieblichen Konkurrenzdruck.
IV. Reformalternativen: In der ehemaligen DDR und in anderen osteuropäischen Staaten wurde in der Vergangenheit versucht, den oben genannten Problemen durch fortwährende organisatorische Umgestaltungen des Lenkungsapparates und durch Neuformulierung der Vorschriften zur Planung und "Vervollkommnung" der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu begegenen. Eine tatsächlich erfolgsversprechende Reform kann nur auf der Grundlage einer marktwirtschaftlichen Grundsatzentscheidung (soziale Marktwirtschaft) durchgeführt werden; ein Ziel, das heute von fast allen ehemaligen RGW-Staaten verfolgt wird.

 

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