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Sozialismus

I. Begriff: 1. Sammelbezeichnung für zahlreiche Gesellschaftsentwürfe bzw. Lehren zu deren Verwirklichung, die seit Ende des 18. Jh. entstanden sind, mit dem Ziel, eine Gesellschaftsordnung, in der Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit zwischen allen Menschen gewährleistet ist, anstelle der kritisierten individualistisch-liberalen Marktwirtschaft (privatwirtschaftliche Marktwirtschaft) zu errichten. Art und Umfang der angestrebten Umgestaltung sowie der Weg zur ihrer Realisierung unterscheiden sich je nach sozialistischer Schule z. T. erheblich. - Sozialismus und Kommunismus werden oft synonym verwandt. - 2. Bezeichnung für Gesellschaftsordnungen, die sich (unter Berufung auf die marxistische Geschichtsphilosophie) nach dem Verständnis der dort herrschenden Parteien auf der Entwicklungsstufe zwischen Kapitalismus und Kommunismus befinden.
II. Konzeptionen: 1. Frühsozialistische Konzepte (utopischer Sozialismus): Z. T. werden eine umfassende Vergesellschaftung der Produktionsmittel, eine egalitäre Gesellschaftsordnung und eine straffe, zentrale Organisation aller Lebensbereiche (Babeuf, Cabet), z. T. aber auch die Beibehaltung von Privateigentum und einer gewissen sozialen Differenzierung (Saint-Simon, Fourier) gefordert. In vielen Konzepten wird die Errichtung von Arbeits- und Wohngenossenschaften als Voraussetzung für den Sozialismus (u. a. Fourier, Owen, Buchez, Blanc) betrachtet. - 2. Wissenschaftlicher Sozialismus: a) Der Marxismus übernimmt unterschiedliche Vorstellungen einzelner Frühsozialisten: Die Annahme, bewegendes Moment der Geschichte seien Klassenkämpfe (Babeuf) oder die geschichtliche Entwicklung sei vorbestimmt und münde in eine optimale, harmonische Gesellschaftsordnung, wobei der Weg dorthin durch bewußtes Handeln beschleunigt werden könne (Saint-Simon, Fourier). - b) Rodbertus-Jagedzow, der ebenfalls eine geschichtliche Zwangsläufigkeit unterstellt, hält den Kapitalismus für die Vorstufe zum Staatssozialismus, d. h. einer staatlich gelenkten Wirtschaft ohne privates Grund- und Kapitaleigentum. Dort erfolge keine Ausbeutung der Arbeiter mehr, da ihnen nicht die als unverdientes Einkommen angesehenen Zins- und Grundrenteneinkünfte vorenthalten würden. - c) Lassalle leitet aus der Hegelschen Geschichtsphilosophie ab, daß Endpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung die staats- und klassenlose Gemeinschaft sei. Die Arbeiter müßten jedoch auf dem Weg dorthin versuchen, auf parlamentarischem Weg die Macht im Staat zu erlangen, um durch den Aufbau von Produktionsgenossenschaften den Sozialismus zu verwirklichen. - 3. Der Marxismus-Leninismus (vgl. im einzelnen dort, auch Bolschewismus) beruft sich auf den Marxismus, modifiziert diesen jedoch, um diese Lehre nach erfolgreicher Revolution zur Lösung praktisch-politischer Aufgaben zu nutzen. - 4. Neomarxistische Strömungen ("Neue Linke"), bestehend seit den 60er Jahren in Westeuropa, wenden sich gegen den Marxismus-Leninismus und die als kritikwürdig angesehene Ausgestaltung des sowjetischen Gesellschaftssystems. Sie sind bestrebt, die Marxsche Kapitalismus-Analyse den gewandelten Realitäten anzupassen, insbes. das Ausbleiben des vorhergesagten Zusammenbruchs zu begründen (Spätkapitalismus); die Konzeption einer sozialistischen Gesellschaftsordnung bleibt sehr vage und orientiert sich nicht selten an Modellen einer Rätedemokratie. - 5. Revisionismus (freiheitlich-demokratischer S.): Abkehr von marxistischen Grundpositionen (u. a. Klassenkampftheorie und idealisierende Kommunismuskonzeption) insgesamt; die Vorstellung, daß die Arbeiterschaft auch in einer privatwirtschaftlichen Marktwirtschaft auf demokratisch-parlamentarischem Weg ihre Interessen zur Geltung bringen könne und der Kapitalismus ohne revolutionäre Diktatur des Proletariats zu einer dem Gemeinwohl verpflichteten Gesellschaftsordnung umgewandelt werden könne, herrscht vor. Beispiel: SPD seit dem Godesberger Parteitag von 1959.
III. Kritik: 1. Die Frage nach der durch die einzelnen sozialistischen Programme zu verwirklichenden konkreten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bleibt aufgrund der Vieldeutigkeit des Sozialismusbegriffs und der zumeist vagen Zukunftsentwürfe unbeantwortet. - 2. Die realen marktwirtschaftlichen Ordnungen werden oft an idealisierenden Konzepten, ohne hinreichende Überprüfung deren tatsächlicher Realisierbarkeit, gemessen. - 3. Von liberaler Seite aus wird eingewendet, daß die angestrebte Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität nur mit einem (mehr oder weniger umfassenden) Kontrollsystem realisiert werden kann; dabei bestehe die Gefahr der Entmündigung der Individuen durch die staatlichen Entscheidungsträger, deren politische Vorstellungen und Aktivitäten nicht zwangsläufig gemeinwohlfördernd sein müssen (Kollektivismus). Die Erfahrungen mit den ehemaligen sozialistischen Systemen in Osteuropa zeigen, daß diese die von ihnen angestrebten Ziele nicht notwendigerweise besser lösen können als die die Selbstverantwortung betonenden und dem Individualismus verpflichteten Gesellschaftsordnungen.

 

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