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Zentrale-Orte-Theorie
1. Begriff: Theorie der räumlichen Siedlungsstruktur, welche die Anzahl und räumliche Verteilung von Städten aufgrund einer hierarchischen Arbeitsteilung bei der Bereitstellung überörtlicher Versorgungsangebote erklärt. Wurde von Walter Christaller 1933 begründet. Das von der Theorie verwandte Erklärungsmuster entspricht den Vorstellungen der klassischen Nationalökonomie und erweitert deren Erklärungshorizont um die räumliche Dimension. - 2. Grundbegriffe: Zentrale Güter (zentrale Funktionen) sind ökonomische Funktionen, die punkthaft angeboten und flächenhaft nachgefragt werden und deren Ausübung notwendig an eine zentrale Lage gebunden ist (v. a. Leistungen des tertiären Wirtschaftssektors). Ein zentraler Ort ist Mittelpunkt eines Gebietes, nämlich Standort des Angebots zentraler Güter für das Umland. Seine Zentralität ergibt sich aus dem Bedeutungsüberschuß in bezug auf das Gebiet der umgebenden Siedlungen. Dieses Ergänzungsgebiet (oder auch Einzugsbereich, Marktgebiet, zentralörtlicher Verflechtungsbereich) hat entsprechend ein Bedeutungsdefizit in den relevanten Versorgungsfunktionen. Seine räumliche Größe wird bestimmt von der Reichweite eines zentralen Gutes. Aus den unterschiedlichen Reichweiten folgt eine Rangordnung der zentralen Güter und der zentralen Orte. - 3. Randbedingungen: Die Theorie geht (zunächst) aus von einem abstrakten Raum, der homogen bzgl. der Bevölkerungsverteilung, des Pro-Kopf-Einkommens und der Konsumbedürfnisse ist. Der vorgestellte Raum ist unendlich, so daß es keine Beeinflussung durch Grenzziehungen gibt. Er ist isotrop, d. h. wird von einem einheitlichen Verkehrssystem durchzogen, die Transportkosten sind direkt proportional zur Entfernung. - 4. Verhaltenspostulate: Anbieter und Konsument verhalten sich entsprechend den Vorstellungen über den homo oeconomicus: Der Anbieter will einen maximalen Gewinn erzielen, der Konsument einen maximalen Nutzen, wobei letzterer bei geringem Preis mehr von einem Produkt nachfragt als bei höherem Preis. Beide verfügen über vollständige Informationen. Da der Konsument für die Transportkosten aufkommen muß, nimmt die Nachfrage mit zunehmender Entfernung vom Markt ab. Die Entfernung des am weitesten vom Marktort entfernten Konsumenten bildet die obere Reichweite. Der Anbieter seinerseits braucht zur Kostendeckung eine bestimmte Mindestnachfrage, die die sog. untere Reichweite des zentralen Gutes bestimmt. Dort, wo die obere Reichweite eines Gutes die untere Reichweite überschreitet, kann der Anbieter Extraprofite erwirtschaften. In einer solchen Situation kann es für einen zweiten Anbieter lohnend werden, an einem zweiten Ort dasselbe Gut anzubieten. Liegt dieser Ort näher, so wird der Konsument seinen Bedarf in diesem decken. Die Fortsetzung dieser Entwicklung führt im Endeffekt zu dem Resultat, daß die zentralen Orte für ein Gut über hexagonale Marktgebiete verfügen, die die gesamte Fläche ausfüllen. - 5. System der zentralen Orte: Hat ein zentrales Gut eine größere Reichweite, als die bisher in den zentralen Orten einer Hierarchiestufe angebotenen Güter, dann benötigt es ein größeres Marktgebiet und kann nur in einigen der vorhandenen zentralen Orte angeboten werden. Diese zentralen Orte bilden auf höherer Ebene ein neues System von sechseckigen Marktgebieten. Die zentralen Orte niederer Zentralität liegen dann in den Eckpunkten dieser Sechsecke. Je größer die untere Reichweite (Marktschwelle) und damit die notwendige Nachfrage nach einem zentralen Gut ist, desto größer ist also die Zentralität des Ortes, in dem es angeboten wird. Die Zentralität des Ortes selbst wird durch das bzw. die Grenzgüter bestimmt, also von jenen Gütern, die die höchste untere Reichweite aufweisen. Ein zentraler Ort bietet nicht nur diese Grenzgüter an, sondern auch alle Güter mit unteren Reichweiten, die niedriger sind als die des Grenzgutes. Bei der Aufstellung einer Hierarchie der zentralen Orte hat Christaller sieben verschiedene Hierarchiestufen ausgewiesen (zentralörtliche Hierarchie). In den gängigen Anwendungen der Theorie der zentralen Orte wie auch in den Raumordungsprogrammen gliedern sich die zentralen Orte in oberzentrale Orte, mittelzentrale Orte und unter- bzw. grundzentrale Orte. Neben dem von Christaller mit der Z.-O.-T. begründeten Marktprinzip, bei dem Marktgebiete die Lage der zentralen Orte bestimmen, hat Christaller nach seinen empirischen Untersuchungen noch zwei weitere Prinzipien eines Systems zentraler Orte eingeführt: das Verkehrsprinzip und das Verwaltungsprinzip. Beide Prinzipien passen nicht in den von der Theorie vorgegeben Rahmen. Sie dienen lediglich dazu, für empirisch festgestellte Abweichungen Erklärungsmuster zu liefern. Das Verkehrsprinzip läßt sich damit begründen, daß im System der zentralen Orte die Marktorte niederer Zentralität nicht auf den kürzesten Wegen zwischen den Orten höherer Zentralität liegen, und dadurch längere Wege als nötig mit sich bringen könnten. Das Verwaltungsprinzip wird dadurch begründet, daß politische Einheiten, Machtzentren nicht durch eine Grenze teilen wollen. - 6. Empirische Zentralitätsforschung: Christaller selbst hat seine Theorie im süddeutschen Raum empirisch zu verifizieren versucht. Er hat sich dazu der sog. Telefon-Methode bedient, d. h. er hat die Differenz zwischen den tatsächlichen Anschlüssen in einem Ort und den aufgrund der durchschnittlichen Anschlußzahl pro Einwohner im gesamten Gebiet zu erwartende Dichte ermittelt. Orte mit hoher Telefondichte hatten danach einen Bedeutungsüberschuß, waren damit also zentrale Orte. Diese Methode der Feststellung der Zentralität von Orten ist aus der Theorie nicht ableitbar und wurde in der Folgezeit entsprechend kritisiert. In späteren Untersuchungen wurde entweder mit dem relativen Bedeutungsüberschuß eines Ortes, d. h. der Messung des räumlichen Käuferverhaltens (z. B. empirische Umlandmethode), oder mit dem absoluten Bedeutungsüberschuß eines Ortes, d. h. der Ausstattung und der funktionellen Komplexität des Ortes selbst, gearbeitet. - 7. Dynamik zentralörtlicher Systeme: Innerhalb der Theorie können sich allerdings auch Änderungen in der zentralörtlichen Lage ergeben, und zwar durch die Veränderung der bisher konstant gehaltenen Einflußfaktoren. Einkommensunterschiede und geringe Bevölkerungspotentiale können zu einer Erweiterung der unteren Reichweiten in bestimmten Gebieten führen. Das gleiche gilt für überdurchschnittlich hohe Beschaffungskosten für das Güterangebot eines bestimmten zentralen Ortes, z. B. durch institutionelle Marktzugangsbeschränkungen. Ungünstige oder sehr unterschiedliche Verkehrsverhältnisse können zu einer Auflösung der Sechseckform führen. - 8. Entwicklung/Bedeutung: Eine theoretische Weiterentwicklung erfuhr die Z-.O-.T. durch A. Lösch (1944). Lösch gilt als Idealist, dem es weniger auf die Erklärung vorhandener Strukturen als vielmehr auf die Erarbeitung optimaler Strukturen ankam. Er geht davon aus, daß sich zentrale Güter bzgl. ihrer unteren Reichweiten nicht einfach auf drei oder vier Stufen aggregieren lassen, sondern daß jedes Gut seine individuelle Reichweite hat, die es zu beachten gilt. In der Geographie der Nachkriegszeit wurden v. a. die Annahmen der Z.-O.-T. als restriktiv kritisiert. Dabei wurde i. d. R. übersehen, daß diese Restriktionen dazu dienen, Einflußfaktoren, die zunächst als weniger wichtig eingestuft wurden, konstant zu halten, um die Wirkungen der als wichtig erachteten Faktoren besser verfolgen zu können. Trotz dieser Kritik an der mangelnden Aussagefähigkeit der Theorie wurde sie als Grundlage für empirische Arbeiten immer wieder herangezogen. Dieses dürfte v. a. deswegen der Fall gewesen sein, weil das Konzept der zentralen Orte als Grundlage für die Raumordnungspolitik der Bundesrep. D. Verwendung fand. Modifikationen, die in der Nachkriegszeit an der Theorie selbst vorgenommen wurden, sind längst nicht so breit gestreut wie die empirischen Anwendungen.
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