Wirtschaftslexikon - Enzyklopädie der Wirtschaft
lexikon betriebswirtschaft Wirtschaftslexikon lexikon wirtschaft Wirtschaftslexikon Suche im Wirtschaftslexikon
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
 
 
 

regionale Polarisationstheorie

I. Begriff: Regionale Wachstumstheorie, die davon ausgeht, daß räumliche Ungleichgewichte durch einen zirkulären Prozeß verstärkt werden. Die verschiedenen polarisationstheoretischen Ansätze resultieren aus einer aus der Realität abgeleiteten Kritik an den Gleichgewichtsvorstellungen der neoklassischen Theorien. Ihren Ursprung haben die Polarisationstheorien in den Arbeiten von Schumpeter (1911) und von Perroux aus den 50er Jahren. regionale Polarisationstheorie P. wurden vor allem von Myrdal und Hirschman entwickelt. - Folgende Grundannahmen liegen den verschiedenen r. P. zugrunde: (1) Es gibt regionale Disparitäten der internen Wachstumsdeterminanten; (2) die Wachstumsdeterminanten zeichnen sich durch eine zumindest partielle Immobilität aus; (3) es existiert eine interregionale Abhängigkeit bzgl. des regionalen Wachstums; (4) diese Abhängigkeit ist durch oligopolistische und monopolistische Marktstrukturen gekennzeichnet.
II. Theorie: 1. Myrdal hat 1957 die erste r. P. formuliert. Den Ausgangspunkt für Polarisation in einer nichtpolarisierten Region sieht er in der Veränderung eines interdependenten ökonomischen Faktors (Nachfrage, Einkommen, Investition, Produktion) in einer Teilregion. Wird eine Produktionsstätte in einer Region aufgelöst, so werden zum einen Arbeitskräfte freigesetzt, deren vermindertes Einkommen zu einem Nachfrageausfall bei Anbietern von Konsumgütern führt. Zum anderen entfällt die Nachfrage des Betriebs selbst, so daß weniger Vorprodukte und Dienstleistungen abgesetzt werden können. Dies führt bei den betroffenen Firmen zu Einkommenseinbußen und Schrumpfungsprozessen, so daß auch sie Arbeitskräfte freisetzen. Zudem werden eine Reihe von Arbeitskräften und Firmen abwandern. Aus beiden Prozessen resultiert eine Senkung der Steuereinnahmen der öffentlichen Hand. Diese kann mit Steuererhöhungen reagieren, was die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe einschränkt und zu weiteren Schrumpfungsprozessen führt. Neue Betriebe werden sich aufgrund der ungünstigen Bedingungen nicht mehr ansiedeln, zumal dann nicht, wenn die Steuererhöhungen die Einnahmen der öffentlichen Hand nicht erhöht haben und es zu einer Desinvestition in Serviceleistungen und Infrastruktur kommt. Die Situation der Teilregion verschlechtert sich immer weiter. Analog dazu ist der positive Fall genauso zu denken. Das Ausmaß der so entstehenden Polarisation hängt entscheidend von der Wirkung der sog. Entzugs- und Ausbreitungseffekte ab. Entzugseffekte verschärfen die Polarisation, Ausbreitungseffekte entschärfen sie. Als Medium für diese Effekte dienen die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und technischer Fortschritt. Myrdal geht von der Annahme aus, daß die Entzugseffekte die Ausbreitungseffekte übertreffen. Das Ausmaß dieser Übermacht ist vom Entwicklungsstand der jeweiligen Wirtschaft abhängig: je weiter sie entwickelt ist, desto stärker wirken die Ausbreitungseffekte. Andererseits wächst die Gesamtwirtschaft aufgrund der möglichst breiten Ausnutzung der Wachstumspotentiale um so schneller, je stärker die Ausbreitungseffekte wirken. Myrdal nimmt an, daß sich die räumliche Polarisation zumindest dann und solange nicht verändern wird, wie der Staat sich jedes Eingriffes in das "freie Spiel der Kräfte" enthält. - 2. Hirschman (1958) geht einen Schritt weiter als Myrdal. Er meint, daß Wachstum nicht nur Ungleichgewichte schafft, sondern daß diese geradezu eine Bedingung für Wachstum darstellen würden. Er geht davon aus, daß es beim Wachstumsprozeß zwar aufgrund von internen und externen Ersparnissen zunächst zu einer Polarisation kommt, diese dann aber wegen politischer Gegenmaßnahmen und stärker werdenden Agglomerationsnachteilen wieder relativiert wird. Am Ende dieses Prozesses steht langfristig gesehen ein räumliches Gleichgewicht. Der Hauptunterschied zwischen den Vorstellungen Myrdals und Hirschmans liegt darin, daß ersterer davon ausgeht, daß es langfristig zu einer Verstärkung der Ungleichgewichte kommt, während letzterer die Entstehung eines regionalen Gleichgewichts annimmt. - 3. Da die Polarisationstheorien auf die Theorie absichernde Rahmenbedingungen schon deswegen verzichtet haben, weil sie von der Realität ausgehen wollten, war es relativ leicht, an ihnen Kritik zu üben. Die Kritik bezog sich v. a. darauf, daß die Entstehung kumulativer Prozesse nicht theorieimmanent erklärt werde. Die Theorie ist gezwungen, auf ein zufälliges historisches Ereignis bzw. eine zufällige historische Raumstruktur zurückzugreifen. Die Polarisationstheoretiker haben es zudem - v. a. nach Ansicht ihrer neoklassischen Kritiker - versäumt, ihre Theorie so zu formalisieren, daß sie empirisch nachprüfbar wäre. Diesem Mangel hat Kaldor (1970) versucht abzuhelfen. Seine Grundannahme ist, daß regionales Wachstum aufgrund von externer Nachfragesteigerung zustande kommt. Bei der Formulierung seiner Hypothesen hat er vorausgesetzt, daß die Lohnsätze und ihr Wachstum wegen der Mobilität der Arbeitskräfte in etwa gleich sind. Drei Hypothesen, die in Form von mathematischen Beziehungen aufgestellt wurden, sollen den kumulativen Wachstumsprozeß berechenbar machen: (1) Das Wachstum der Produktivität ist abhängig vom Wachstum der Produktion. (2) Die von ihm so genannten "efficiency wages" (Relation von Lohnsatzindex zu Produktivitätsindex) sind abhängig von der Wachstumsrate der Produktivität. Ein Produktivitätsanstieg führt zu einer Senkung der efficiency wages und damit zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Region. (3) Die Wachstumsrate der Produktion ist abhängig von den efficiency wages. Der polarisationstheoretische Ansatz dieser Formelanordnung kann die Defizite der Theorie allerdings auch nicht überwinden.
III. Weiterentwicklung: Die Polarisationstheorie ist mit Bezug auf die Industrieländer in Form der Wachstumspoltheorie und mit Bezug auf die Entwicklungsländerproblematik in Form der Zentrum-Peripherie-Modelle (Wirtschaftsgeographie III 4 c) weiterentwickelt worden.

 

<< vorheriger Begriff
nächster Begriff>>
regionale Organisationsstruktur
regionale Strukturpolitik

 

Diese Seite bookmarken :

 
   

 

  Weitere Begriffe : Arbeitsablauf | Vermietung und Verpachtung | Betrieb gewerblicher Art | Gesamtumsatz | Großhandelsstatistik
wiki wirtschaft

Thematische Gliederung | Unser Projekt | Impressum