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Ordnungsökonomik
I. Gegenstand: 1. Ökonomische Analyse von Ordnungen: Gegenstand der Ordnungsökonomik sind Ordnungen i. S. v. Mustern, die als Folge einer Koordination von Handlungen individueller Akteure entstehen. Die Analyse ist ökonomisch in einem doppelten Sinn: (1) Methodisch geht sie vom Handeln der Individuen unter Knappheit aus; (2) nach dem Gegenstand gilt das Hauptaugenmerk Ordnungen, die sich aus arbeitsteiligem Wirtschaften ergeben; allerdings werden vermutete Verbindungen zu anderen Teilordnungen einer Gesellschaft ausdrücklich in die Analyse einbezogen.
2. Bedeutung von Institutionen: Zentrale Vermutung der Ordnungsökonomik ist, daß Ordnungen institutionengestützt sind. Institutionen sind sanktionsbewährte Regeln, welche die Handlungsmöglichkeiten der Akteure in der einen oder anderen Form beschränken. Während Regeln oder Institutionen z. B. in der konventionellen Allokationstheorie und der darauf aufbauenden Wohlfahrtsökonomik als Teile des Datensatzes der Entscheider nicht weiter thematisiert werden, gilt ihnen in der Ordnungsökonomik das Hauptinteresse. Je nach Beschaffenheit der Regeln entstehen unterschiedliche Arten der Ordnung. Die Einhaltung der Regeln durch die Handelnden, die funktionale Qualität der einzelnen Regeln und die Konsistenz des eine Ordnung prägenden Regelsystems haben Folgen für den Prozeß arbeitsteiligen Wirtschaftens. Daraus ergibt sich eine weitere Konkretisierung des Gegenstandes der O.: Sie beschäftigt sich mit dem Entstehen, der Durchsetzbarkeit und der Koordinationsqualität von Regeln und Regelsystemen vor allem im Hinblick auf den Prozeß arbeitsteiligen Wirtschaftens.
3. Politische Willensbildung: Soweit die Regeln aus gesetztem Recht bestehen, ist die politische Willensbildung des Gesetzgebers von Erkenntnisinteresse für die Ordnungsökonomik Die politische Willensbildung wird selbst wiederum von den für sie geltenden Regeln beeinflußt.
4. Wertebezug der Regeln: Regeln kommen in ihren zu erwartenden Auswirkungen den Wertvorstellungen der davon betroffenen Akteure in unterschiedlichem Maße entgegen. Sie spiegeln zugleich Auffassungen von dem Verhältnis zwischen Individuen und Gesellschaft wieder. Der Wertebezug der Regeln und das ihnen konforme Gesellschaftsverständnis sind für die Akzeptanz und damit für die Regelbefolgung bedeutsam. Für die Ordnungsökonomik hat dies zur Folge, daß die Beschäftigung mit Wertvorstellungen - i. S. v. Aussagen über Werte - mit zu ihren analytischen Aufgaben gehört.
5. Internationale Dimension: Die Ordnungsökonomik hat schließlich auch eine internationale Dimension(internationale Ordnungsökonomik). Die einzelnen Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme können mehr oder weniger offen sein. Offenheit bedeutet ökonomisch, daß der grenzüberschreitende Austausch von Gütern und Diensten, sowie die Wanderung von Produktionsfaktoren (Kapital, Migration von Personen) möglich ist. Institutiontheoretisch gesehen findet der Austausch zwischen unterschiedlichen Rechtssystemen statt. Da Regierungen aus internen Erwägungen Interesse an der Manipulation grenzüberschreitender Tauschmöglichkeiten haben können, entsteht die Notwendigkeit, ein Regelsystem für den zwischenstaatlichen Verkehr zu entwickeln. Da souveräne Staaten grundsätzlich gleichgeordnet sind, ergeben sich mangels übergeordneter Durchsetzungsinstanzen für die international orientierte Ordnungsökonomik besondere Fragestellungen.
6. Ordnungstheorie und -politik: In der Ordnungsökonomik kann zwischen Ordnungstheorie und Ordnungspolitik unterschieden werden. Zur Ordnungstheorie gehören die Beschreibung, die Erklärung und Prognose der Entstehung und Wirkung von Regeln im Hinblick auf die Interaktion von Individuen. Abhängig von dem ordnungstheoretischen Erkenntnisstand kann ordnungspolitisch relevantes Wissen abgeleitet werden. Es bezieht sich auf die Möglichkeiten und Grenzen zielorientierter Gestaltung von Ordnungen, insbes. von Ordnungen arbeitsteiligen Wirtschaftens.
7. Dogmenhistorischer Hintergrund: Dogmengeschichtlich hat sich die Ordnungsökonomik bislang noch nicht zu einer nach den Fragestellungen, den Methoden und den Grundannahmen abgerundeten Teildisziplin entwickelt. Dazu mag auch beigetragen haben, daß Institutionen in den meisten übrigen Teildisziplinen der Ökonomik kein Thema waren und ihre Bedeutung auch aufgrund der dort vorherrschenden Annahmen - vor allem hinsichtlich des Wissens der Akteure und ihrer Rationalität - nicht erkannt werden konnte. Grundlegende ordnungsökonomische Erkenntnisse lassen sich bereits auf die nationalökonomischen Klassiker, insbes. auf die schottischen Moralphilosophen Hume, Ferguson und Smith zurückführen. Smiths unsichtbare Hand-Erklärung ist ohne Bezug auf Regeln kaum zugänglich. Fergusons Betonung der Evolution von Regeln und Regelsystemen ist ebenso von Bedeutung für die Ordnungsökonomik wie es Humes Überlegungen zu den institutionellen Grundlagen eines marktwirtschaftlichen Systems und dessen Einbettung in das geistige, kulturelle und politische Leben einer Gesellschaft sind. Von der österreichischen Grenznutzenschule erhielt die Ordnungsökonomik wertvolle Anstöße vor allem durch die Arbeiten von Menger, Mises und später Lachmann, Hayek sowie Kirzner. Insbes. Hayeks befruchtende Wirkung auf die Ordnungsökonomik wird im folgenden häufiger erkennbar werden. Das gilt auch für den deutschen Beitrag zur Ordnungsökonomik Hier hat die Freiburger Schule mit Eucken und Böhm als herausragenden Persönlichkeiten für Jahrzehnte die Entwicklung bestimmt. Hinzu kommen schließlich noch die Impulse, als deren Beginn die Arbeiten von Coase sowie von Buchanan und Tullock angesehen werden kann. Inzwischen ist mit der Neuen Institutionenökonomik ein breites Forschungsfeld entstanden, das die Bedeutung von Institutionen für wirtschaftliches Handeln zum Gegenstand hat.
II. Arten der Ordnung: 1. Ordnung als Koordinationsfolge: Ordnungen als gesellschaftliche Phänomene ergeben sich aus Handlungen der einzelnen Akteure. Im Hinblick darauf, wie die für eine Ordnung charakteristische Koordination dieser Handlungen zustandekommen kann, lassen sich zwei elementar verschiedene Möglichkeiten unterscheiden (z. B. Hayek, 1973, Polanyi, 1951). a) geplante oder gesetzte Ordnung als Ergebnis menschlichen Entwurfs und Handelns (Organisation, monozentrische Ordnung): Beispiele für eine geplante Ordnung sind Betriebs- und Verwaltungsabläufe sowie eine Zentralverwaltungswirtschaft. In den genannten Beispielen wird das Zusammenwirken der Mitglieder der Organisation von einem Organisator im Hinblick auf die Ziele des Zusammenwirkens gedanklich vorweggenommen und mit Hilfe entsprechender Regeln in Form von Anweisungen durchgesetzt (ex-ante-Koordination). - b) ungeplante oder spontane Ordnung als Ergebnis einer nicht entworfenen Koordination im Verlaufe des Handelns (Handelnsordnung, polyzentrische Ordnung): Beispiele für ungeplante Ordnungen sind die sprachliche Kommunikation, das Handeln nach Regeln der Moral sowie die marktwirtschaftliche Koordination. Solche Ordnungen sind im allgemeinen schwerer verständlich, weil verbreitete Denkgewohnheiten dazu verleiten, Ordnung in erster Linie als beabsichtigtes Ergebnis ordnender Tätigkeit zu interpretieren, d. h. hinter jeder Art von Ordnung das Wirken eines Organisators zu vermuten. Ungeplante Ordnungen bilden sich jedoch erst im Verlauf des Zusammenwirkens der Gesellschaftsmitglieder heraus. Dabei treten als Koordinationshilfen an die Stelle von spezifischen, planorientierten Handlungsanweisungen eines Organisators allgemeine Regeln, die lediglich die Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaftsmitglieder begrenzen. Sie lassen einen mehr oder minder großen Freiraum, den die Individuen nutzen können, um ihre selbstgesetzten Ziele unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Lebensumstände zu verfolgen. Weil an die Stelle der Ziele eines Organisators die Ziele und die Realisierungsversuche von vielen treten, ist ein konkretes Koordinationsergebnis vorweg nicht angebbar. Es können lediglich Aussagen über Eigenschaften des Grundmusters der sich herausbildenden ungeplanten oder spontanen Ordnung gemacht werden. - c) Wirtschaftssysteme als Prototypen: Bei den folgenden Überlegungen stehen die gesellschaftlichen Ordnungen arbeitsteiligen Wirtschaftens im Vordergrund. Dabei wird - stark abstrahierend - zwischen der Zentralverwaltungswirtschaft als Prototyp einer geplanten Ordnung und der Marktwirtschaft als Prototyp einer ungeplanten Ordnung unterschieden. Hinsichtlich der Verursachung der Ordnung bereitet die Zentralverwaltungswirtschaft relativ wenig Schwierigkeiten. Verursacher ist die staatliche Organisation. Demgegenüber bereitet im Falle der Marktwirtschaft gerade die Verursachung der Ordnung immer wieder besondere Verständnisprobleme, weil sie dem autonomen Handeln vieler Akteure hervorgeht.
2. Die Bedeutung der Ordnungsregeln: Sowohl die geplante als auch die ungeplante Ordnung erfordern Regeln. Diese Ordnungsregeln müssen schon deshalb unterschiedlich sein, weil die Handlungsziele in beiden Fällen voneinander abweichen: (1) Geplante Ordnungen entstehen aus konkreten Handlungsanweisungen; die Anweisungen beruhen auf zentralisiertem Wissen und darauf gestützten Erwartungen über die Umstände, unter denen die Gesellschaftsmitglieder bei der Verfolgung ihnen vorgegebener Ziele zu handeln haben. (2) Ungeplante Ordnungen entstehen als Folge der Vereinbarung von Handlungen und mit Hilfe allgemeiner und abstrakter Regeln; die Regeln dienen in erster Linie dazu, die Handlungsmöglichkeiten einzugrenzen, welche die Gesellschaftsmitglieder zur Verfolgung selbstgesetzter Ziele ungehindert wahrnehmen können, sowie die Kooperation der Mitglieder durch Stabilisierung ihrer wechselseitigen Verhaltenserwartungen zu erleichtern und zu sichern.
3. Ordnungsregeln und Sozialbeziehungen: Die unterschiedlichen Ordnungsregeln spiegeln zugleich Unterschiede in den Sozialbeziehungen wider, die für die beiden Ordnungsarten charakteristisch sind. a) Herrschaft und Hierarchie: Im Falle der geplanten Ordnung versucht die Organisationsspitze, durch Anweisungen ein Koordinationsergebnis zu erzielen, das den vorgegebenen Zielen dienlich ist. Das beinhaltet als Sozialbeziehung Herrschaft. Herrschaft bedeutet hier "die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden" (Max Weber, 1921, 28). Das Befolgen von Anweisungen der Organisationsspitze setzt ein Verhältnis der Über- und Unterordnung - eine Hierarchie - voraus. - b) Gleichordnung und Vereinbarung: Demgegenüber ist für die ungeplante Ordnung die Gleichordnung der Handelnden charakteristisch. Eine Chance, Gehorsam zu finden, besteht nicht. Herrschaft bezieht sich nur auf Sachen. Mit Hilfe der Sachherrschaft werden für jeden Handelnden Einflußbereiche definiert. Würde ihre Veränderung andere betreffen, so wäre deren Zustimmung erforderlich. Der Vereinbarung bedarf es deshalb, weil keine Herrschaft über mögliche Betroffene besteht, diese also gleichgeordnet sind. Das schließt nicht aus, daß sich jemand unterordnet. Dazu bedarf es aber ebenfalls einer Vereinbarung, wie das z. B. durch einen Arbeitsvertrag geschieht. Für das arbeitsteilige Wirtschaften impliziert Gleichordnung, daß die zur Realisierung der individuellen Wirtschaftspläne erforderliche Kooperation anderer auf dem Wege der Vereinbarung mit diesen gewonnen werden muß. - Im Hinblick auf die Regeln für eine ungeplante Ordnung bedeutet das zweierlei: Einmal muß die Gleichordnung selbst sichergestellt werden; niemand darf gegen seinen Willen in die Realisierung der Wirtschaftspläne anderer einbezogen werden. Zum anderen sind neben den ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens in großen Gesellschaften auch solche Regeln erforderlich, mit denen die Einhaltung getroffener Vereinbarungen gesichert und Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien beigelegt werden können. - c) Die Rolle des Staates: Infolgedessen bedarf es auch im Falle der ungeplanten Ordnung des Staates, der die Einhaltung der Ordnungsregeln gewährleistet. Entscheidend ist jedoch, daß mit den Regeln die ihnen Unterworfenen nicht zu Weisungsempfängern im Vollzug eines staatlichen Wirtschaftsplanes werden. Vielmehr beschränkt sich die Aufgabe des Staates in diesem Fall darauf, einen möglichst reibungslosen Wirtschaftsverkehr zwischen den privaten Wirtschaftssubjekten nach ihren selbstgesetzten Zielen zu gewährleisten. Mit der Inanspruchnahme des Staates als Organisator der Rechtsordnung und ihrer Durchsetzung werden also lediglich Bedingungen geschaffen und gesichert, unter denen eine ungeplante Ordnung arbeitsteiligen Wirtschaftens entstehen kann. Insofern sind die Regeln der ungeplanten, marktwirtschaftlichen Ordnung zwar organisationsgestützt. Jedoch wird deshalb die Ordnung selbst nicht zur Organisation, zur geplanten Ordnung.
III. Normative Grundlagen von Ordnungen: 1. Diametrale Gesellschaftsvorstellungen: Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen sowie der Staat als Organisation können von zwei diametralen Positionen des Gesellschaftsverständnisses beurteilt werden: dem Individualismus und dem Kollektivismus. a) Individualismus: Nach individualistischer Auffassung ist das menschliche Handeln stets auf individuelle Ziele gerichtet. Individuelle Handlungsmotivation und die ausgelösten Handlungsfolgen sind meist nicht deckungsgleich. Dementsprechend spiegelt der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang auch unbeabsichtigte Folgen individuellen Handelns wider. Das ändert jedoch nichts an der Verursachung durch Individuen. Die Gesellschaft erhält damit keinen eigenen Zweck, sondern entwickelt sich durch spontan aufeinander abgestimmtes Handeln, welches nicht auf die Realisierung eines Gesamtentwurfs gerichtet ist. Auch die Regeln, die ein abgestimmtes Handeln erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen sollen, sind Folge eines kreativen Lernprozesses, in den die Erfahrungen vieler eingehen. Der Prozeß ist insofern "überindividuell". Damit wird jedoch die Gesellschaft nicht zu einem überindividuellen Ganzen. Auch gewährleisten die Regeln keine gesellschaftliche Entwicklung hin zum "Besseren"; denn die Regeln selbst und die von ihnen mitgeprägten Ordnungen bleiben den Einschätzungen der Individuen unterworfen, die sich im Zeitablauf ändern können. Aufgrund des ständigen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft können Regeln - ob gewachsen oder gesetzt - nicht mehr als fehlbare Orientierungshilfen sein, welche ein aufeinander abgestimmtes Handeln mehr oder weniger gut ermöglichen und erleichtern. - b) Kollektivismus: Demgegenüber ist nach kollektivistischer (holistischer) Auffassung das gesellschaftliche Ganze mehr als seine Teile, die Individuen. Es hat eine Totalität besonderer Art. Das Ganze ist nicht nur Ergebnis des Zusammenwirkens von Individuen, sondern folgt eigenen Entwicklungsgesetzen. Im Falle des historischen Materialismus ist es eine dialektische Entwicklung hin zu einem als gut beurteilten Endzustand der Gesellschaft. Das Kollektiv hat als solches und aufgrund seiner Entwicklung eine Legitimation, die von seinen jeweiligen Mitgliedern unabhängig ist. Es hat einen Selbstzweck, dem im Falle eines Konfliktes mit Individualinteressen Vorrang einzuräumen ist. - c) Normative Konsequenzen: Dem individualistischen Standpunkt entspricht am ehesten eine marktmäßige Koordination derjenigen Handlungen, welche sich bei der Verfolgung individueller Interessen unter Wahrung allgemeiner Verhaltensregeln ergeben. Demgegenüber liegt es bei einer kollektivistischen Auffassung nahe, die vorrangigen Interessen des Kollektivs durch eine zentrale Planung des Wirtschaftsgeschehens zu sichern. - d) Das Problem der Identifikation kollektiver Interessen: Die Sicherung der vorrangigen Interessen des Kollektivs setzt deren Identifikation voraus. Es ist zu entscheiden, wer letztinstanzlich wie legitimiert die übergeordneten Interessen formulieren und ihnen Geltung verschaffen soll. Bei einer konsequent individualistischen Position gibt es solche Interessen nicht, sondern lediglich das Problem einer Versorgung mit Kollektivgütern. Daraus resultiert die Notwendigkeit, Sozialtechniken zu entwickeln und zu verwenden, die es dem einzelnen erlauben, seine Interessen hinsichtlich der Versorgung mit Kollektivgütern zur Geltung zu bringen. Dem dient z. B. das demokratische Verfahren. Ferner ist sicherzustellen, daß beim Konflikt von Interessen Möglichkeiten der Konfliktbehandlung zwischen den Mitgliedern bestehen. Aus einer konsequent kollektivistischen Position läßt sich eine derartige Notwendigkeit nicht ableiten. Weil Bedürfnisse für das nicht artikulationsfähige Kollektiv formuliert werden müssen, die bei einer Kollision mit Individualinteressen als vorrangig gelten, drängt sich für den einzelnen nicht so sehr der Rückgriff auf das auf, was auch andere Gesellschaftsmitglieder als Bedürfnisse des Kollektivs identifizieren würden. Vielmehr wird die Einnahme einer autoritären Haltung erleichtert. - e) Rechte und Pflichten: Die Sicherung der vorrangigen Interessen des Kollektivs bedeutet zugleich, daß es möglich sein muß, diese Interessen notfalls auf dem Wege der Anordnung durchzusetzen. Hierfür eignet sich die staatliche Organisation. Gegenüber einer solchen staatlichen Zuweisung von konkreten Pflichten an den einzelnen bestehen jedoch Bedenken, wenn eine individualistische Position eingenommen wird. Nach ihr empfiehlt sich vielmehr eine strenge Begrenzung politischer Autoritäts- und Zwangsrechte. Vorherrschendes Prinzip ist bei dieser Position die Einräumung individueller Verantwortungsbereiche durch allgemeine Regeln, innerhalb derer der einzelne nach seinem Ermessen eigenverantwortlich handeln kann. Dort, wo seine Handlungen mit den Interessen anderer Individuen (nicht jedoch mit angeblichen "Kollektivinteressen") kollidieren, muß allerdings gewährleistet sein, daß er diese Interessen nicht beiseite schieben kann.
2. Gesellschaftsverständnis und individuelle Freiheit: Die beiden sozialphilosophischen Grundpositionen sind nicht mit beliebigen ethischen Vorstellungen vereinbar, d. h. mit Werten, welche das Handeln der Individuen in einer Gesellschaft beeinflussen. Wertvorstellungen sind zusammen mit Theorien über Zweck-Mittel-Beziehungen sowie Erwartungen über Handlungen anderer handlungsleitend. Infolgedessen setzt freiwilliges Zusammenwirken einen Minimalkonsens über Werte voraus. a) Gesellschaftlicher Wertekonsens: In einer kollektivistisch orientierten Gesellschaft ist der erforderliche Konsens besonders groß, wenn sie auf Freiwilligkeit und nicht auf Unterdrückung beruhen soll. Wie problematisch dieses Erfordernis ist, lehren zahlreiche Beispiele aus der Geschichte. Erforderlich ist ein Menschentyp, der sich im Dienen an der Gemeinschaft und im Gehorsam gegenüber den Anweisungen der kollektiven Führung übt. Freiheit kann für ihn nur eine Freiheit zum positiven Tun aus Einsicht in die Notwendigkeit sein. In individualistisch orientierten Gesellschaften kommt es nicht auf einen breiten Konsens über konkretes Tun, sondern auf den Konsens über abstraktes Unterlassen an. Es ist der Konsens darüber, daß alles zu unterlassen ist, was andere in der Wahrnehmung ihrer legitimen Interessen beeinträchtigt. In der Sprache Kants sind es die "Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann". Kant geht es um das Recht als Regelwerk der Freiheit. Allgemeingültigkeit kann dieses Recht nur dann haben, wenn es für eine unbekannte Zahl von Personen und Fällen gleichermaßen gilt. Da der Gebrauch der Freiheit nicht vorhersehbar ist, muß das Regelwerk vor allem auf solche Handlungen abstellen, die nach der bisherigen Erfahrung als unverträglich mit der gleichen Freiheit aller gelten. Das ist am ehesten durch einen allgemeingültigen Katalog unerlaubter Handlungen erreichbar. - b) Handlungsfreiheit und Konfliktbehandlung: In einer individualistischen Gesellschaft sind also dem Gebrauch der Freiheit mit Hilfe von Regeln da Grenzen zu ziehen, wo die Freiheit anderer beschränkt würde. Das schließt Konflikte nicht aus. Sie treten immer dann auf, wenn aus der Handlungsfreiheit ableitbare Interessensphären von Individuen sich überschneiden. - Zwei generelle Möglichkeiten der Konfliktbehandlung können unterschieden werden: (1) Die begrenzte Vorbeugung dadurch, daß die Konfliktgefahr durch Abgrenzung von Einflußsphären mit Hilfe von Ausschlußrechten zu mindern versucht wird und (2) die Regelung von dennoch auftretenden Konflikten nach vorheriger Übereinkunft, Sitte, Konvention oder geltendem Recht. Der Konfliktvorbeugung dienen z. B. das Persönlichkeitsrecht und das Eigentumsrecht (die ökonomischen Handlungsrechte) in ihren vielfältigen Ausprägungen. Mit ihnen werden Einflußsphären abgegrenzt und Handlungsmöglichkeiten gewährt, deren Beeinträchtigung durch andere mit Mitteln des Rechts (z. B. einer Klage auf Unterlassung, auf Schadensersatz bzw. auf einen Bereicherungsausgleich) abgewehrt werden kann. Eine Konfliktregelung kann z. B. darin bestehen, daß die potentiellen Konfliktparteien (z. B. die Vertragspartner in einem Rechtsgeschäft) im vorhinein übereinkommen, wenn nötig, den Schiedsspruch eines Außenstehenden einzuholen. - c) Freiheit und Macht: Handlungsfreiheit eröffnet Chancen, selbstgesetzte Ziele nach eigenen Plänen anzustreben. Darüber hinaus kann es dem einzelnen auch möglich sein, auf andere in der Wahrnehmung ihrer Handlungsfreiheit so Einfluß zu nehmen, daß sie entsprechend den Zielen des Einflußnehmenden handeln. In Tauschbeziehungen vermag die Chance des einen, auf Substitute ausweichen zu können, den anderen dazu bewegen, dem Tauschpartner Zugeständnisse zu machen; umgekehrt erlaubt das Fehlen von nahen Substituten eine leichtere Durchsetzung der Interessen durch den vor Wettbewerb geschützten Tauschpartner. - d) Macht und Zwang: Als Extremform der Ausübung von Macht ist Zwang anzusehen. Zwang übt aus, wer eine Möglichkeit nutzt, bei anderen ein bestimmtes Verhalten dadurch herbeizuführen, daß er den Betroffenen über diese Verhaltensmöglichkeit hinaus nur noch für sie ungünstige, schadensträchtige Möglichkeiten einräumt (Hayek, 1960, 134 ff.). Für die Betroffenen stellt sich das erzwungene Verhalten als das kleinere Übel dar. Sie werden daher veranlaßt, Ziele eines anderen oder anderer in vorgeschriebener Weise zu verfolgen; im Geltungsbereich des Zwangs ist ihnen die Handlungsfreiheit genommen. Obgleich mit der gegebenen Definition von Zwang scheinbar eine Grenze zur sonstigen Machtausübung gezogen wurde, dürfte in konkreten gesellschaftlichen Beziehungen strittig sein, wo Macht in Zwang übergeht. Das ist bedeutsam, weil Zwang seitens Privater als Unrecht gilt. Mit dem Blick auf die Macht wird damit immer wieder die Frage aufgeworfen, welche ihrer Erscheinungsformen (noch) als rechtens gelten sollen. Im Bereich gesellschaftlichen Wirtschaftens können Machtstellungen nicht ohne Berücksichtigung ihrer Entstehung beurteilt werden. So sind aus einer ordnungsökonomischen Sicht Phänomene wie Pioniergewinne aufgrund erfolgreicher Innovationen anders zu beurteilen als Monopolrenten aus Marktzugangsbeschränkungen. Angesprochen ist damit das Problem wirtschaftlicher Macht und seine Behandlung im Rahmen der Wettbewerbspolitik. - e) Staat und Recht: Wird das Recht durch eine Herrschaftsorganisation - den Staat - durchgesetzt, so ist damit - ökonomisch gesehen - für alle Gesellschaftsmitglieder ein "Abrüstungsvorteil" (Buchanan, 1975, 58 ff.) verbunden. Der Abrüstungsvorteil wird sichtbar, wenn nach den individuellen Kosten gefragt wird, die ohne ein staatlich gesichertes Regelwerk der Freiheit entstünden, wenn also jedes Gesellschaftsmitglied ständig selbst seine Handlungsfreiheit sichern und Konflikte mit anderen ohne anerkanntes Verfahren zu behandeln hätte. Wird nicht zu einer Gesellschaftsutopie vollkommener Harmonie oder zu einem optimistischen Menschenbild Zuflucht genommen, so ist ohne einen Staat als Ordnungs- oder Schutzmacht mit hohen und ständig anfallenden Kosten der Freiheitssicherung zu rechnen. - f) Die Gefahr staatlichen Machtmißbrauchs: Wenn deshalb die Bereitstellung und Sicherung des Rechts einer Herrschaftsorganisation übertragen wird, folgt daraus allerdings keineswegs automatisch, daß die Organisation dies auch leistet. Vielmehr bedarf es besonderer Vorkehrungen, damit die Befehlsgewalt der Herrschaftsorganisation nicht für andere Zwecke mißbraucht wird. Demokratie als Verfahren zur Hervorbringung von Gesetzen ist zwar grundsätzlich geeignet, die Spannung zwischen individueller Freiheit und unumgänglicher politischer Herrschaft zu mildern. Jedoch darf nicht übersehen werden, daß eine schrankenlose (totale) Demokratie, die selbst nicht wiederum der Herrschaft des Rechts unterworfen ist, freiheitsgefährdend sein kann. Infolgedessen geht es darum, den Staat als Herrschaftsorganisation im Dienste der Freiheit zu nutzen und ihn zugleich zum Schutze der Freiheit zu zähmen. Die "Zähmung des Leviathan" ist eine der zentralen Fragen der normativen Konstitutionenökonomik.
3. Gerechtigkeit: Die Ausgestaltung gesellschaftlicher Regelsysteme wird nicht nur von der Freiheitsnorm geprägt, sondern vor allem von spezifischen Gerechtigkeitsvorstellungen. Grundsätzlich können Gerechtigkeitsvorstellungen zwei verschiedene Bezugspunkte haben. a) Verhaltensgerechtigkeit, individuelle Gerechtigkeit: Gerechtigkeit kann als eine Norm zur Beurteilung des Verhaltens gegenüber anderen verstanden werden. In diesem Fall ist Gerechtigkeit auf das Individuum bezogen und darauf, ob es seine gesellschaftlichen Beziehungen entsprechend dem Recht gestaltet. - Aus der Perspektive des Rechts als Regelsystem kann im Hinblick auf die Verhaltensgerechtigkeit gefragt werden: Wie muß das Recht beschaffen sein, damit die erlaubten und zugesicherten individuellen Verhaltensmöglichkeiten bei den Gesellschaftsmitgliedern als gerecht gelten? Eine nach dem abendländischen Rechtsverständnis grundlegende Antwort wird mit dem Prinzip des für alle gleichen Rechts gegeben. Mit der Gleichbehandlung wird die "Gleichheit des staatsbürgerlichen Status" (Dahrendorf) garantiert. Sie schließt jegliche Diskriminierung (vor allem nach Herkunft, Rasse, Religion und Geschlecht) aus. Damit ist zugleich die Voraussetzung für eine grundsätzlich gleiche Handlungsfreiheit aller gegeben. Auf das arbeitsteilige Wirtschaften angewendet, bedeutet Gleichbehandlung durch das Recht eine Gleichordnung aller. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für den einzelnen, andere auf dem Wege vertraglicher Vereinbarungen zur Kooperation zu gewinnen, um selbstgesetzte Ziele des Wirtschaftens eigenverantwortlich zu erreichen. Kern des hierfür relevanten Privatrechts ist das, was David Hume die drei fundamentalen Naturrechte nannte: Die Unverletzlichkeit des Eigentums, seine Übertragbarkeit durch Vertrag und die Einhaltung gemachter Zusagen. Mit der Gleichbehandlung durch das Recht wird sichergestellt, daß die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen, eigenverantwortlich zu handeln, für alle gleich sind. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Wahrnehmung der für alle gleichen Rechte zu gleichen oder auch nur ähnlichen ökonomischen Ergebnissen und sozio-ökonomischen Positionen führt. - b) Verteilungsgerechtigkeit oder soziale Gerechtigkeit: Gerechtigkeit kann als eine Norm zur Beurteilung von gesellschaftlichen Stellungen sowie von Ergebnissen des Zusammenwirkens von Individuen und Gruppen herangezogen werden. - Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit gehen in der Regel von einem Vergleich individueller Einkommenserzielungspositionen oder von erzielten Markteinkommen aus und sind auf eine Angleichung gerichtet. Damit entsteht jedoch ein Konflikt mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Wenn nämlich Gleichbehandlung zu ungleichen Ergebnissen führt oder ungleiche Ausgangspositionen fortbestehen bzw. entstehen läßt, dann erfordert Angleichung, daß von einer Gleichbehandlung abgewichen wird. Angleichung macht Diskriminierung unumgänglich, wie geringfügig diese im Vergleich zu wahrgenommenen oder sonst erwarteten sozialen Ungleichheiten auch immer sein mag. Als Instrument zur Diskriminierung mit dem Ziel der Angleichung sozialer Positionen dient wiederum das Recht. Anders als bei seinem Einsatz zur Gleichbehandlung (als formales Recht) soll es nunmehr für bestimmte Personen (Gruppen) und Fälle systematische Ergebnisse im Sinne einer Angleichung herbeiführen, indem es die davon Betroffenen gegenüber Nichtbetroffenen begünstigt oder benachteiligt. Eine Materialisierung des formalen Rechts (Max Weber, 1921) kann durch entsprechende Korrekturen des Privatrechts (z. B. des Vertrags- und des Eigentumsrechts) bewirkt werden oder durch öffentliches Recht (z. B. Besteuerung). Wird staatliches Handeln über eine Gleichbehandlung hinaus mit dem Ziel ausgedehnt, Chancen, aber auch Ergebnisse anzugleichen, ändert sich das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Vor einer solchen Ausdehnung ist der Staat als Herrschaftsorganisation in erster Linie Ordnungsmacht, Garant einer sich mit Hilfe des Privat- und Wirtschaftsprivatrechts im wesentlichen selbst gestaltenden Gesellschaft (protektiver Staat). Angleichung ist dem gegenüber der Kern des Prinzips der Sozialstaatlichkeit und ein Hauptanliegen staatlicher Lenkungsversuche in realen, marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnungen (Abschnitt VI).
4. Sicherheit: Sicherheit läßt sich auch umschreiben als "Freiheit von der Angst um die Freiheit" (Giersch, 1961, S. 83). Die Freiheit kann vor allem durch die Gewaltanwendung anderer bedroht werden. Kriegerische Konflikte sind die schrecklichste Form der Abweichung vom Ziel der Sicherheit. a) Alltägliche Konflikte: Diesen extremen Formen der Bedrohung der Sicherheit gewissermaßen vorgelagert ist der konfliktreiche Alltag. Die alltäglichen Konflikte entstehen dadurch, (1) daß allein schon der Versuch der Selbstverwirklichung aufgrund der gesellschaftlichen Interdependenz die Freiheit anderer tangieren kann und (2) daß die Wertvorstellungen der Individuen sowohl nach dem Inhalt als auch nach Rangfolge der Einzelnormen voneinander abweichen können. Zur Konfliktregelung kommen folgende Verfahrensweisen in Betracht: (1) die Verhandlung ausschließlich zwischen den Konfliktparteien und (2) die Hinzuziehung von einem oder mehreren Außenstehenden. - b) Anonyme Konfliktregelung im Wettbewerb: Konflikte verlieren häufig an Schärfe und sind dementsprechend weniger bedrohlich für die Sicherheit, wenn es gelingt, sie zu entpersonalisieren. Im ökonomischen Bereich leistet dies der Wettbewerb. Als Instrument der Machtkontrolle kann durch ihn einmal Machtmißbrauch als Bedrohung der Freiheit anderer verhindert werden. Zum anderen funktioniert Wettbewerb aber auch als Prozeß der Leistungskontrolle. Denjenigen, deren Leistung dabei nicht oder gar negativ honoriert wird, erscheint die damit einhergehende Beschneidung ihrer materiellen Möglichkeiten weniger als das böse Werk einzelner Mitbewerber und mehr als "Diktat des Marktes". Allerdings kann diese Form der Entpersonalisierung von Konflikten nur funktionieren, wenn der Wettbewerb als Ordnungsprinzip einschließlich seiner Folgen für den einzelnen allgemein akzeptiert wird und wenn sichergestellt ist, daß weder Bemühungen der Wettbewerber (z. B. Kartellierungsbestrebungen) noch des Staates (z. B. Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels) seine gesellschaftliche Funktion aushöhlen. - c) Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit: Die Funktionsweise der marktmäßigen Koordination kann durchaus auch Folgen für die individuelle Sicherheit haben. Die unstetige Entwicklung auf Einzelmärkten, das Phänomen der Konjunktur sowie die wirtschaftliche Entwicklung (Wachstum und Strukturwandel) bringen Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit von Marktteilnehmern mit sich. Als weiteres Sicherheitsrisiko kommt vor allem der Einkommensausfall durch krankheits- und altersbedingte Erwerbsunfähigkeit hinzu. Aber auch Existenzprobleme als Folge von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Einkommensverteilung mit Gefahren für Beschäftigung und Geldwertstabilität gehören hierzu. Solche Sicherheitsrisiken lassen über private Risikobewältigung hinaus Bedarf an spezifischen staatlichen Aktivitäten entstehen. - d) Konflikte mit anderen Werten: Aus den Sicherheitsrisiken marktmäßiger Koordination können mehr oder weniger weitgehende Forderungen nach Sicherheit abgeleitet werden. Die dabei auftretenden Konflikte mit anderen Wertvorstellungen werden besonders offenkundig, wenn totale Sicherheit durch Ausschaltung aller individuellen Einkommens- und Vermögensrisiken angestrebt werden soll. Dies ließe sich nur in einem völlig erstarrten System realisieren. In seiner Erstarrung müßte es zudem von nachwachsenden Generationen akzeptiert werden. Obwohl sie den organisatorischen Anforderungen eines Systems mit möglichst großer materieller Sicherheit in besonders starkem Maße entsprachen, sind weder die mittelalterliche Zunftwirtschaft noch die zentralistisch-bürokratischen Ausprägungen des Sozialismus überzeugende Belege dafür, daß materielle Sicherheit für die Gesellschaftsmitglieder nachhaltig erreicht werden konnte.
IV. Kognitive Grundlagen von Ordnungen: Die Frage nach der Gestaltbarkeit des gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Geschehens wird unterschiedlich beantwortet. Die Antworten hängen davon ab, wie die Möglichkeiten eingeschätzt werden, verläßliches, wirtschaftspolitisch relevantes Wissen zu erwerben. Solches Wissen müßte Gesetzmäßigkeiten im Bereich arbeitsteiligen Wirtschaftens beinhalten, die sich steuerungsorientiert umformen lassen. Dem sind wiederum zwei Themenbereiche vorgelagert: (1) Die individuellen Wissensgrundlagen und (2) die Verwertung des individuellen Wissens im Tauschprozeß. - 1. Individuelle Wissensgrundlagen: a) Subjektive Wahrnehmung und Kreativität: Subjektive Wahrnehmung bedeutet, daß gleiche Elemente der ökonomischen Umwelt unterschiedlich wahrgenommen werden können, da jedes Individuum seine eigene Wahrnehmungsgeschichte hat, in die es zusätzliche Eindrücke auf seine persönliche Weise einordnet. Die Wahrnehmungen sind subjektive Theorien über die Außenwelt und deshalb irrtumsanfällig. Kreativität bedeutet, daß in der Auseinandersetzung mit dem Wahrgenommenen und dem Versuch, Probleme zu lösen, neue Handlungsmöglichkeiten entdeckt werden können. Infolgedessen bilden die Individuen Vermutungswissen, und sie können ihren Handlungsspielraum kreativ verändern. Das bedeutet, daß sie nach dem stets begrenzten, persönlichen Wissen rational und zugleich überraschend handeln können. - b) Wissenserwerb und begrenzte Rationalität: Da der Wert von zusätzlichem Wissen für ein Individuum erst nach dessen Erwerb abschätzbar ist, kann der kostspielige Wissenserwerb nicht im vorhinein einem Optimierungskalkül unterworfen werden. Eine optimale Wissensgrundlage für die eigentliche Wahlhandlung kann weder von dem Individuum noch von einem Beobachter angegeben werden. Insofern kann es auch keine objektive, sondern nur eine subjektive, begrenzte Rationalität geben (Simon, 1983). - c) Institutionen als Orientierungshilfen im Tauschprozeß: Warum erweist sich die notwendigerweise sehr begrenzte Teilkenntnis der Wirtschaftssubjekte dennoch als hinreichend, um eine erfolgreiche laufende Koordination ihrer Handlungen herbeizuführen? Ein Teil der Antwort auf die Frage ist in der Orientierungsleistung der Regeln (Institutionen) zu suchen, die für die jeweiligen Entscheidungen von Bedeutung sind. Zu diesen Institutionen gehören in einem marktwirtschaftlichen System die privaten Handlungsrechte (Eigentumsrechte). Durch sie werden Spielräume für eigenverantwortliches Handeln abgegrenzt. Das bedeutet, daß für Berechtigte wie Nichtberechtigte gerade die Grenzen der einem Handlungsrecht zugeordneten Verfügungs- und Nutzungsrechte Informationswert haben. Ein relativ stabiler institutioneller Rahmen erlaubt auf Dauer den routinemäßigen Umgang mit demselben. Seine unreflektierte Nutzung kann soweit gehen, daß die Wirtschaftssubjekte in diesen Rahmen gewissermaßen hineinwachsen, indem sie das institutionenorientierte Verhalten anderer durch Erfahrung lernen, ohne selbst die Ursache der Verhaltensstabilisierung im einzelnen zu kennen. Der größte Teil der alltäglichen Transaktionen dürfte ohne Reflexion der institutionellen Handlungsgrundlagen abgewickelt werden. - d) Kosten der Koordination: Trotz der Orientierungsleistung der Institutionen ist die Koordination zwischen den Wirtschaftssubjekten nicht kostenlos. Im Tauschprozeß fehlt es ihnen an Wissen darüber, (1) wer als Transaktionspartner in Frage kommen könnte, (2) zu welchen Bedingungen eine Transaktion konsensfähig sein wird und (3) ob die vertraglich zugesicherten Eigenschaften der Transaktionsgegenstände auch zutreffen werden. Die Kosten, die aufgewendet wurden, um entsprechendes Wissen zu erwerben, werden als Transaktionskosten bezeichnet (Transaktionskostenökonomik). In Anlehnung an Coase (1960, S. 15) können folgende Arten von Transaktionskosten unterschieden werden: (1) Anbahnungskosten. Potentielle Tauschpartner müssen aufgespürt und über den Transaktionswunsch sowie die angestrebten Tauschbedingungen informiert werden. (2) Aushandlungskosten. Die für die Transaktionspartner konsensfähigen Vertragsbedingungen müssen ausgehandelt und rechtswirksam fixiert werden. (3) Kontrollkosten. Die Erfüllung der vertraglichen Vereinbarungen muß kontrolliert und damit der Wert von Leistung und Gegenleistung gesichert werden. - Das Wirtschaftssubjekt kann darüber entscheiden, wieviel es zur transaktionsorientierten Kommunikation aufwenden will. Den Aufwand selbst kann es jedoch nicht optimieren; denn Optimierung würde voraussetzen, daß es den Wert der zu suchenden bzw. auszutauschenden Information bereits kennen würde. - e) Transaktionskosten-mindernde Strategien: Als Versuch, Transaktionskosten kostensenkend zu substituieren, kann die Verlagerung des Tausches in Organisationen (z. B. Unternehmen) angesehen werden. Statt der Kosten einer Koordination durch Transaktionen entstehen nunmehr Kosten durch die Integration in organisationsinterne Arbeitsabläufe (Organisationskosten). Auch die umgekehrte Substitutionsrichtung kann erfolgversprechend sein. Derartige Erwägungen dürften sich z. B. in der Veränderung der Fertigungstiefe von Industrieunternehmen niederschlagen. In einem marktwirtschaftlichen System besteht also die Möglichkeit einer kostensparenden Wahl zwischen Koordination durch den Markt oder durch eine Organisation (Coase, 1937; Williamson, 1975). Bei der Wahl zugunsten der Organisation ist vor allem zu berücksichtigen, daß sich die Kontrolle der Ressourcenverwendung durch mögliche Wettbewerbshandlungen anderer Wirtschaftssubjekte verringert. Es entstehen spezifische Kontrollkosten, die z. B. im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie analysiert werden. Zum Nulltarif ist koordinationsrelevantes Wissen nirgendwo zu haben.
2. Wissen und Wettbewerb: Der zweite Teil der Antwort auf die zuvor gestellte Frage, warum die Teilkenntnis der Individuen dennoch für eine erfolgreiche Koordination ihrer Handlungen ausreichen kann, zielt auf folgende Aspekte: (1) Wie werden Individuen dazu angeregt, sich Wissen zu beschaffen? (2) Wie wird subjektives Wissen über wirtschaftliche Umstände verbreitet, das auch für Dispositionen anderer nützlich sein könnte? (3) Wie wird die Verwertung subjektiven Wissens kontrolliert, um Irrtümer aufzudecken? (4) Wie werden Irrtümer aufgegriffen und wie wird ihnen so entgegengewirkt, daß ihre Folgen für die Funktionsfähigkeit des Systems begrenzt bleiben? a) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren: Die Antwort auf diese Fragen wurde im wesentlichen von Hayek (1968) gegeben: durch die Anreiz- und Kontrollwirkungen des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren. Seine Funktionsweise läßt sich besser verdeutlichen, wenn Marktprozesse in zwei rückgekoppelte Teilprozesse aufgespalten werden (Hoppmann, 1967, S. 88 ff.): den Austauschprozeß und den Parallelprozeß. Während der Austauschprozeß die Beziehungen zwischen den beiden Marktseiten beschreibt, umfaßt der Parallelprozeß die Beziehung zwischen den Akteuren auf der gleichen Marktseite. Der Substitutionsdruck, dem der Anbieter eines bestimmten Produkts im Austauschprozeß ausgesetzt ist, wird um so stärker sein, je mehr Nachfrager Leistungsunterschiede zwischen den Anbietern und damit lohnende Substitutionsmöglichkeiten entdecken und zu als vorteilhaft beurteilten Substituten abwandern. Da der Wissenserwerb mit Transaktionskosten verbunden ist, variiert die Wettbewerbsintensität sowohl mit der Bereitschaft, Ressourcen für den Wissenserwerb zu verwenden als auch mit dem Transaktionskostenniveau. - b) Anreize zum Wissenserwerb: Durch die veränderten Dispositionen der Nachfrager im Zuge der Aufdeckung neuer Substitutionsmöglichkeiten erfahren einige Anbieter einen Nachfragerückgang, andere dagegen einen Nachfragezuwachs. Mit diesen Veränderungen gehen pekuniäre externe Effekte einher, die sich als Vermögenswertänderungen bei den Anbietern niederschlagen. Wenn diese auf die veränderte Marktlage reagieren möchten, sind die erfahrenen Vermögenswertänderungen eine notwendige, aber nicht hinreichende Wissensgrundlage, da sich in ihnen keine eindeutige Handlungsanweisung offenbart. Daraus ergibt sich für die Anbieter die Notwendigkeit, zusätzliches Wissen zu erwerben, um die Ursachen für einen Nachfrageausfall bzw. -zuwachs zu entdecken und erfolgversprechende zukünftige Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Als erfolgversprechend werden solche Handlungen angesehen, die geeignet erscheinen, die eigene Position im Austauschprozeß zu verbessern. Durch das Bestreben, den Substitutionsdruck zu mindern, kommt es zu Wettbewerbshandlungen im Parallelprozeß. Diese können sich in Preiswettbewerb und Werbung äußern, aber auch in Form von Prozeß- oder Produktinnovationen. - c) Kontrollwirkungen des Wettbewerbs: Die Kontrolle der Wissensverwertung leistet der Wettbewerb, indem die Nachfrager unter Aufwand von Transaktionskosten Leistungsunterschiede zwischen den Anbietern aufdecken und in eigenem Interesse nutzen. Solche Leistungsunterschiede können die Folge angebotsseitiger Fehleinschätzungen sein, die angesichts des konstitutionellen Wissensmangels der Marktakteure nicht ausbleiben. Im Austauschprozeß werden solche Fehleinschätzungen durch Umschichtungen der Kaufkraft negativ sanktioniert. Wenn es einem Anbieter auf Dauer nicht gelingt, seinen Rückstand im Parallelprozeß aufzuholen, sei es, weil die ergriffenen Maßnahmen nicht den Präferenzen der Nachfrager entsprechen, sei es, weil sie von diesen einfach nicht wahrgenommen werden, wird der Produzent schließlich aus dem Marktprozeß ausscheiden müssen. So werden Fehleinschätzungen im Zuge des sich selbst koordinierenden Marktprozesses hinsichtlich ihrer ökonomischen Folgen begrenzt. - d) Macht und Wettbewerb: Wettbewerb kontrolliert aber nicht nur den Gebrauch der Handlungsrechte in allokativer und distributiver Hinsicht. Der im Austauschprozeß ausgeübte Substitutionsdruck wirkt auch kontrollierend auf die wirtschaftliche Macht als mögliche Ursache politischer Probleme. Diese wettbewerbliche Kontrolle darf aber nicht im Sinne einer vollständigen Unterdrückung wirtschaftlicher Machtentfaltung mißverstanden werden. Im Gegenteil: Wirtschaftliche Macht ist ein originärer Bestandteil des Wettbewerbs, wird doch der Anreiz zum Vorstoß im Parallelprozeß erst durch die Aussicht auf Entwicklungsprämien begründet. Die durch den Wettbewerb ausgeübte Kontrolle ist vielmehr im Zusammenhang mit dem Problem einer Verfestigung wirtschaftlicher Macht zu sehen. Erst wenn ein Wettbewerbsvorsprung durch Wettbewerbsbeschränkungen zementiert wird, kommt der Wettbewerb als Prozeß des Aufholens und Überholens durch Wettbewerbshandlungen zum Erliegen. Erst dadurch wird die Kontrollfunktion selbst nachhaltig beeinträchtigt. Wird die Verfestigung wirtschaftlicher Macht daher zugelassen oder sogar staatlicherseits gefördert, müßte anstelle der Selbstkontrolle des marktwirtschaftlichen Systems ein anderes - politisches - Kontrollverfahren benutzt werden. Da wettbewerblich unkontrollierte Macht aber auch zu politischer Einflußnahme nutzbar ist, verspricht diese Art der Kontrolle wenig Erfolg.
3. Ordnungspolitisch relevantes Wissen: Die der Frage nach der Gestaltbarkeit ganzer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme vorgelagerte Frage nach dem individuellen Wissen und Vernunftgebrauch kann zusammenfassend wie folgt beantwortet werden: Individuen können immer nur über begrenztes Wissen verfügen. Die Grenzen des Wissens sind unbestimmbar, da nur ein Allwissender die Wissensdefizite vollständig angeben könnte. Die Rationalität der Individuen ist deshalb notwendig begrenzt. Darüber hinaus ist sie subjektiv. Sie wird nicht nur von subjektiven Präferenzen, sondern auch von subjektiven Wahrnehmungen und Erwartungen geprägt. a) Traditionen des Rationalismus: Diese Einschätzung menschlicher Vernunft ist keineswegs selbstverständlich. Geistesgeschichtlich lassen sich hinsichtlich des Vernunftgebrauchs zwei Traditionen der Aufklärung unterscheiden: (1) Der konstruktivistische Rationalismus in der Tradition von Descartes, Bacon und Comte sowie (2) der kritische Rationalismus in der Tradition von Kant, Hayek und Popper. Die erste Tradition geht davon aus, daß es möglich ist, nicht nur der Natur, sondern auch dem gesellschaftlichen Geschehen Gesetzmäßigkeiten i. S. v. endgültigen Wahrheiten durch Beobachtung zu entlocken, die dann zur verläßlichen Steuerung nach vorgegebenen Zielen genutzt werden können. Demgegenüber betont der kritische Rationalismus das Evolutorische in der menschlichen Erkenntnis und damit auch die Möglichkeit des Irrtums. Außerhalb der reinen Logik sind Überraschung und Irrtum möglich, weshalb Erklärungen mit empirischem Gehalt auch nur als vorläufig nicht widerlegt gelten können. - b) Konstruktivismus: Für den konstruktivistischen Rationalismus war es aufgrund der erkenntnistheoretischen Grundposition viel leichter zu behaupten, daß der Mensch soviel vermag, wie er weiß (Bacon). Auch der Optimismus, neue Erkenntnisse würden durch den Gebrauch der Vernunft stets zur Veränderung zum Besseren genutzt, wird so begründbar. Von da bis zu einer Überschätzung der Vernunft, auch hinsichtlich der Gestaltbarkeit von Gesellschaft und Wirtschaft, war es nur ein kleiner Schritt (Hayek, 1959). Erkenntnistheoretische Vorbehalte gegenüber dem unbedingten Fortschrittsoptimismus in der Tradition des konstruktivistischen Rationalismus münden in den berechtigten Vorwurf einer Hybris der Vernunft (z. B. Röpke, 1944). Hybris der Vernunft ist zugleich die erkenntnistheoretische Erklärung dafür, warum sich jene Wirtschaftssysteme als Sackgassen gesellschaftlicher Entwicklung erweisen mußten, welche am Grundtyp der Zentralverwaltungswirtschaft orientiert waren. Zentrale und verschwendungsarme Planung des gesamten Wirtschaftsgeschehens setzt mehr an Wissen voraus, als jemals in einer Organisation - geschweige denn bei einem einzelnen - konzentriert werden könnte. Ordnungsökonomisch sind Zentralverwaltungswirtschaften kostspielige "Irrtümer des Konstruktivismus" (Hayek, 1970). - c) Ordnungspolitische Gestaltungsmöglichkeiten: Wenn nach den ordnungspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten marktwirtschaftlicher Systeme gefragt wird, sind drei ordnungstheoretische Befunde zu berücksichtigen: (1) Marktwirtschaftliche Systeme folgen dem Prinzip der Selbstorganisation. Die Ordnungen sind Handelnsordnungen als Folge des Bemühens der Akteure, andere zur Realisierung selbstgesetzter Ziele durch Transaktionen zu gewinnen. Dabei ist von begrenzter, subjektiver Rationalität auszugehen. (2) Sie sind durch Selbstkontrolle gekennzeichnet. Diese ergibt sich aus wettbewerblichen Prozessen des Erwerbs, der Verwertung und der Kontrolle von Wissen. (3) Sie werden in ihrer Funktionsweise durch Institutionen gestützt. Sie reduzieren den Wissensbedarf der Akteure für erfolgversprechende Handlungen und beeinflussen als Beschränkungen die Entwicklung des Systems. - Ansatzpunkte für ordnungspolitische Aktivitäten können infolgedessen vor allem die externen Institutionen (das gesetzte Recht) sein. Wird darüber hinaus akzeptiert, daß die Akteure selbstgesetzte Ziele nach ihren individuellen Möglichkeiten verfolgen, so ergibt sich eine weitere ordnungspolitische Einschränkung: Es kommt in erster Linie darauf an, die Orientierungsleistung der (externen) Institutionen zu verbessern und dabei das System für Neuerungen offen zu halten. Dazu gehört, daß das Anreizpotential des Wettbewerbs gesichert wird. Ordnungspolitisch relevantes Wissen ist infolgedessen in erster Linie möglichst empirisch bewährtes Wissen über die Funktionsweise von Institutionen.
V. Institutionelle Voraussetzungen einer Marktwirtschaft: 1. Ausgangsfragen: Um die institutionellen Voraussetzungen einer Marktwirtschaft aus der funktionalen Perspektive zu erschließen, ist es zweckmäßig, von den ordnungsökonomischen Fragen auszugehen, welche in jedem Wirtschaftssystem zu beantworten sind: (1) Wer entscheidet über die Allokation (Kompetenz)? (2) Wie werden die Allokationsentscheidungen koordiniert (Koordination)? (3) Mit welchen Anreizen bzw. Sanktionen haben die Entscheidungsträger zu rechnen (Kontrolle)?
2. Grundlegende Funktionsprinzipien: Im Falle von Marktwirtschaften ergeben sich die institutionellen Konsequenzen hinsichtlich der Kompetenz, Koordination und Kontrolle aus folgenden charakteristischen Systemmerkmalen: (1) Die privaten Akteure entscheiden eigenverantwortlich bei der Verfolgung selbstgesetzter Ziele (Privatautonomie). (2) Die Koordination geschieht durch Tausch nach zu vereinbarenden Konditionen (Selbstkoordination). (3) In dem Maße, wie die Wahrnehmung der Privatautonomie auch Wettbewerbshandlungen beinhaltet, ist sie der (wechselseitigen) Kontrolle ausgesetzt (Selbstkontrolle). a) Privatautonomie: Privatautonomie bedeutet, daß die Akteure als Konsumenten mit ihren Einkommensdispositionen letztlich darüber entscheiden, was und jeweils wieviel zu produzieren ist, daß sie als Anbieter von Faktorleistungen darüber entscheiden, wie sie sich in die Arbeitsteilung einfügen wollen, und daß sie als Produzenten von Gütern und Leistungen darüber entscheiden, wie und wo sie mit welchem Kapitalaufwand produzieren. Die Akteure entscheiden eigenverantwortlich. Sie haben die Folgen ihrer Entscheidungen in Form von Einkommens- und Vermögensänderungen selbst zu tragen. - b) Selbstkoordination: Selbstkoordination findet innerhalb eines Netzwerks statt, das sich durch die Transaktionen zwischen autonomen Individuen oder Organisationen (hauptsächlich Unternehmen) durch Tausch bzw. Vereinbarungen bildet. Das Netzwerk ist äußerst komplex und durch ständigen Wandel gekennzeichnet. Ferner generiert es in hohem Maße Wissen, da bei jeder Transaktion Information darüber erworben, verarbeitet und verbreitet wird, was in welchem Maße knapp ist. - c) Selbstkontrolle: Selbstkontrolle wird wirksam, sobald potentielle Transaktionspartner in der Lage sind, die Bedingungen eines in Aussicht genommenen Tausches im Hinblick auf die Möglichkeit der Substitution von Transaktionspartnern (oder Transaktionsobjekten) zu beurteilen, d. h. sobald wirksamer Wettbewerb möglich ist. Unternehmerische Entscheidungen werden durch die selektive Wahl der Nachfrager sanktioniert, wodurch zugleich die negativen Folgen von Fehlentscheidungen begrenzt werden. Insofern dient der Wettbewerb nicht nur der Entdeckung und Verbreitung von Wissen, sondern auch der Kontrolle der Wissensverwertung. Die an die Kontrolle geknüpften Sanktionen bestehen aus Einkommens- und Vermögensänderungen bei den Entscheidungsträgern.
3. Externe Institutionen: Die Wirtschaftsverfassung: Ausgehend von den skizzierten Eigenschaften eines Marktsystems kann nun gefragt werden, welche Institutionen oder Regeln der Funktionsweise eines solchen Systems förderlich sind. a) Formelle und informelle Regeln: Im Verlaufe der Entwicklung von Gesellschaften, in denen die individuelle Freiheit einen hohen Stellenwert gewann, hat sich eine Vielfalt von Regeln herausgebildet, die die marktmäßige Koordination erleichtern. Davon dürften inzwischen nur vergleichsweise wenige formelle Gesetzesregeln sein. Informelle Regeln wie Sitten und Konventionen dürften bei den alltäglichen ökonomischen Vorgängen vermutlich bedeutsamer sein als formelle Regeln. Formelle und informelle Regeln unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit. Lediglich die formellen Regeln sind mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols durchsetzbar. Allerdings muß auch die staatliche Organisation, die Zwang als letztes Mittel zur Durchsetzung von formellen Regeln nutzen kann, weitgehend auf deren Akzeptanz setzen. Das bedeutet, daß die Regeln, welche durch die Gesetzgebung gesetzt oder verändert werden, durch entsprechende Wertvorstellungen in der Gesellschaft Unterstützung finden müssen. - b) Wirtschaftsverfassung: Die formellen Regeln, die das Verhalten von Akteuren in erster Linie in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zueinander beschränken, bilden die Wirtschaftsverfassung eines konkreten Wirtschaftssystems. Für die Akteure im Wirtschaftsprozeß sind diese Regeln externe Institutionen; denn mit ihnen wird der rechtliche Rahmen verbindlich vorgegeben, innerhalb dessen sie operieren können. In einer zweiten Bedeutung kann Wirtschaftsverfassung funktional verstanden werden. In diesem Fall geht es um die externen Institutionen, die nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand als konstitutiv für ein marktwirtschaftliches System gelten. Inhaltlich ist mit ihrer Hilfe die Selbstkoordination und Selbstkontrolle zu erleichtern bzw. zu sichern. Dabei müssen die Institutionen so ausgestaltet sein, daß sie die Handlungsfreiheit der ökonomischen Akteure gewährleisten und zugleich ihren Wissensbedarf reduzieren. - c) Universalisierbarkeit von Regeln: Die zuletzt genannten institutionellen Anforderungen werden seit Kant unter den Begriff der Universalisierbarkeit subsumiert. Universalisierbare Regeln sind (1) allgemeingültig, d. h., sie gelten für eine unbestimmte Zahl von Personen und Fällen, (2) offen oder abstrakt, d. h., sie untersagen nur solche Handlungen, die für die Handlungsfreiheit anderer als erheblich erkannt wurden, und lassen damit eine unbekannte Zahl von Handlungsmöglichkeiten zu, sowie (3) bestimmt oder gewiß, d. h. auf ihr Fortbestehen kann vertraut werden, und sie untersagen nur solche Handlungen, die von Umständen abhängen, welche zu kennen oder festzustellen vernünftigerweise von den Betroffenen erwartet werden kann. - Hinsichtlich des Wissensproblems hat die Universalisierbarkeit von externen Institutionen zwei Funktionen zu erfüllen: (1) Sie stabilisiert Erwartungen. Dadurch, daß die Handlungsfreiheit in bestimmter und verläßlicher Weise beschränkt wird, ist es den Wirtschaftssubjekten möglich, solche Handlungsweisen anderer zu identifizieren, mit denen sie nicht zu rechnen haben. (2) Universalisierbare Regeln sind offen. Sie erlauben somit, neues Wissen über Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und zu nutzen, sofern eine Nutzung nicht gegen die bestehenden Regeln verstößt. - d) Regeln der Selbstkoordination: Bei der rechtlichen Gewährleistung von Selbstkoordination kommt es inhaltlich darauf an, (1) private Eigentumsrechte zu definieren und zu sichern, die von den Inhabern derartiger Rechte in eigener Verantwortung zum Tausch, aber auch zum Ausschluß Nichtberechtigter genutzt werden können; (2) die Autonomie aller Wirtschaftssubjekte in dem Sinne herzustellen, daß ihnen gleicher Rechtsstatus verliehen wird. Dies veranlaßt sie, in all jenen Fällen, in denen sie bei der Verfolgung ihrer individuellen (wirtschaftlichen) Ziele auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen sind, ihre Wirtschaftspläne nur durch Aushandeln von Verträgen zu koordinieren; (3) die wirtschaftliche Freiheit privater Akteure insbes. vor staatlichen Übergriffen zu schützen. Die diese Prinzipien ausfüllenden Rechtsregeln sind wichtige Bestandteile des Privatrechts. Daher kann der sich hieraus ergebende "soziale Kosmos", zu dem sich "ein Nebeneinander freier, gleichberechtigter und autonom planender Individuen von selbst zusammenfügt", als "Privatrechtsgesellschaft" (Böhm, 1966) bezeichnet werden. - e) Regeln der Selbstkontrolle: Selbstkontrolle erfordert Wettbewerbshandlungen. Wettbewerb ist die mögliche, aber nicht notwendige Folge des Gebrauchs der allgemeinen Handlungsfreiheit. Diese Freiheit schließt auch die Möglichkeit ein, sich nicht wettbewerblich zu betätigen. Sie kann ferner dazu genutzt werden, um die Freiheit anderer zu Wettbewerbshandlungen zu beschränken. Solche Beschränkungen sind zunächst einmal Zwang, Irreführung und Betrug als generelle Verletzungen des Rechts auf Handlungsfreiheit. Ihre Identifikation als solche ist im konkreten Einzelfall nicht immer leicht. Die Identifikationsprobleme wachsen noch, wenn die Wettbewerbsfreiheit (Hoppmann, 1970) vor a priori weniger offensichtlichen Beeinträchtigungen geschützt werden soll. Die in Rede stehenden wettbewerbspolitischen Probleme können hier nicht im einzelnen behandelt werden (Streit, 1993). Hinsichtlich der Beschaffenheit wettbewerbsrechtlicher Ergänzungen legt jedoch das bisher dargelegte Systemverständnis folgende Vorgehensweise nahe: Allgemeine per se-Regeln, mit denen Handlungen verboten werden, die als Wettbewerbsbeschränkungen gelten, sind einer diskretionären Beurteilung von Markthandlungen vorzuziehen, die auf Mißbrauch der Handlungsfreiheit abstellt. Solche per se- Regeln entsprechen dem Kriterium der Universalisierbarkeit und damit einem offenen, sich selbst organisierenden System.
5. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung: Die Wirtschaftsverfassung, welche die externen Institutionen für das Marktsystem enthält, ist eine institutionelle Teilordnung. In ihrem Bestand und ihren Veränderungen ist sie im hohen Maße abhängig von den Handlungsbefugnissen, welche den staatlichen Entscheidungsträgern durch die politische Verfassung zugewiesen werden sowie davon, wie die Entscheidungsverfahren institutionell ausgestaltet sind, nach denen Souveränitäts- oder Hoheitsrechte mit Hilfe der staatlichen Verwaltung wahrgenommen werden können. Einige davon sind von unmittelbarer ordnungsökonomischer Bedeutung. In diesem Abschnitt soll lediglich einer funktionalen Frage nachgegangen werden. Sie betrifft die Beziehung zwischen politischem und ökonomischem System. a) Systemhierarchie und -autonomie: Durch das politische System werden vom staatlichen Gewaltmonopol abgesicherte Regeln für das ökonomische System generiert und nicht umgekehrt. Deshalb besteht eine hierarchische Beziehung zwischen beiden Teilsystemen. Da jedoch das marktwirtschaftliche System ein sich selbst organisierendes System ist, erfordert es ein hohes Maß an Autonomie. Dementsprechend ist es nur einer begrenzten Kontrolle durch das politische System zugänglich. Weitergehende Kontrollversuche sind mit der Gefahr verbunden, daß sich die Problemlösungskapazität des ökonomischen Systems als unbeabsichtigte Nebenwirkung solcher Versuche verringert. Auf diese Weise unlösbar gewordene Probleme werden dem politischen System z. B. durch Arbeitslosigkeit signalisiert. Signalisiert werden aber auch Defizite bei externen Institutionen. Ein Beispiel hierfür sind externe Effekte, die eine Präzisierung von Eigentumsrechten oder staatliche Regulierungen zur Gefahrenabwehr erforderlich machen. - b) Privatrechtsgesellschaft und Rechtsstaat: Die Übertragung von Herrschaftsfunktionen auf die staatliche Organisation gewährleistet nicht automatisch, daß diese sich ausschließlich im Dienste der Freiheit der Bürger betätigt (Abschnitt III 2). Infolgedessen müssen Vorkehrungen getroffen werden, um einem Mißbrauch der Herrschaftsorganisation zur Beschneidung oder gar Aufhebung der Freiheit vorzubeugen. Solche Vorkehrungen können wiederum nur mit Hilfe des Rechts getroffen werden. Die staatliche Organisation muß selbst unter das Recht gestellt werden (Herrschaft des Rechts - rule of law (Rechtsstaatlichkeit)). Das Recht soll die Bürger vor staatlichen Übergriffen schützen und gleichzeitig die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben ermöglichen. Um diesem doppelten Erfordernis zu entsprechen, wurden vielfältige institutionelle Vorkehrungen entwickelt. Dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit entsprechen im Hinblick auf die politische und die Wirtschaftsverfassung Deutschlands drei Ordnungselemente: (1) Die Garantie eines Katalogs von Grundrechten, die als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen entweder allen Individuen (Menschenrechte) oder den deutschen Staatsbürgern (Bürgerrechte) zustehen. (2) Die Teilung der staatlichen Gewalt und das garantierte Recht der Bürger, die Ausübung dieser Gewalt durch unabhängige Richter überprüfen zu lassen. (3) Das Erfordernis der Rechtssicherheit, wonach alle staatlichen Handlungen für den Bürger klar, widerspruchsfrei und berechenbar zu sein haben. - c) Komplementäre Staatsaufgaben: Der Staat ist also im Hinblick auf die Privatrechtsgesellschaft und das Marktsystem in erster Linie Ordnungsmacht. Neben dieser Schutzfunktion wird ihm jedoch seit Adam Smith auch eine Leistungsfunktion zuerkannt, deren Wahrnehmung komplementär zum sich selbst organisierenden Marktsystem ist. Knapp, aber zutreffend dürfte Friedman (1962, S. 34) diese beiden Aufgaben eines Staates definiert haben: "Ein Staat, der Recht und Ordnung aufrechterhielte, Eigentumsrechte definierte, als Medium diente, über welches wir Eigentumsrechte und andere Regeln des ökonomischen Spiels ändern könnten, Streitigkeiten über die Interpretation der Regeln entschied, die Erfüllung von Verträgen durchsetzte, den Wettbewerb förderte, eine Währungsverfassung bereitstellte, Aktivitäten entfaltete, um technischen Monopolen entgegenzuwirken und solche Nachbarschaftseffekte zu bewältigen, die weithin als hinreichend wichtig erachtet werden, um staatliche Intervention zu rechtfertigen, und der die private Wohltätigkeit ebenso ergänzte wie die private Familie bei dem Bemühen, den Unmündigen, ob geistig Behinderten oder Kind, zu schützen - solch ein Staat hätte eindeutig wichtige Funktionen zu erfüllen."
6. Interdependenz der Ordnungen: a) Grundidee: Diese wurde insbes. von Eucken in seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" (1952, S. 180 ff.) herausgearbeitet. Für Eucken ist die Erkenntnis der wechselseitigen Abhängigkeit von Wirtschaftsordnung, politischer Ordnung und Rechtsordnung eine Voraussetzung für die Analyse und Gestaltung bestehender Gesellschaftsordnungen. Zwar findet sich bei Eucken selbst keine umfassende Theorie zum Beziehungsgefüge der genannten Teilordnungen. Doch wird von ihm die Interdependenz der Ordnungen anhand historischer Beispiele zu belegen versucht. - b) strukturelle Entsprechungen: Als Ausgangspunkt für die Analyse des Interdependenzproblems kann die zuvor (Abschnitt V 5.) beschriebene Beziehung zwischen Privatrechtsgesellschaft und Rechtsstaat genutzt werden. In diesem Fall gibt es eine charakteristische strukturelle Entsprechung von politischer Verfassung und Wirtschaftsverfassung. Im Kern besteht sie darin, daß mit den Regeln der politischen Verfassung die staatlichen Organe unter das Recht gestellt und ihre Kontrolle ermöglicht werden soll. Kongruent dazu sollen mit den Regeln der Wirtschaftsverfassung rechtliche Vorkehrungen für die Ausübung und Kontrolle wirtschaftlicher und damit privater Macht getroffen werden. Es ist somit Aufgabe des Rechts, den Schutz des Bürgers vor staatlicher und privater Willkür zu ermöglichen.
7. Interne Institutionen: Neben den externen Institutionen der Wirtschaftsverfassung sind in einem Marktsystem zahlreiche interne Institutionen verhaltenswirksam. a) Begriff: Interne Institutionen unterscheiden sich von externen sowohl hinsichtlich der Durchsetzung als auch - zumindest in modernen Gesellschaften - der Entstehung. Externe Institutionen sind - wie ausgeführt - gesetztes Recht, dem mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols Geltung verschafft werden kann. Interne Institutionen sind das Ergebnis privaten Handelns. Ihre Durchsetzung kann privat organisiert sein, z. B. durch die Einrichtung von Schiedsgerichten. Es gibt aber auch viele Regeln, deren Vollzug sich entweder lediglich auf informelle Sanktionen stützt oder bei denen regelkonformes Verhalten auf nicht reflektierter Nachahmung beruht. - Das selbst geschaffene Recht der Wirtschaft wäre ein Beispiel für interne Institutionen mit privat organisiertem Vollzug. Handelsbräuche können der zweiten genannten Kategorie zugeordnet werden. Allerdings können sie sich zum Gewohnheitsrecht fortentwickeln und damit in die staatliche Rechtssprechung Eingang finden. - b) Funktionen: Wie bei externen Institutionen wird die Funktion interner Institutionen in der Ordnungsökonomik in erster Linie in ihrer Orientierungsleistung gesehen. Hier, wie bei den externen Institutionen, bedeutet die Reduktion des Wissensbedarfs bei Markthandlungen eine Einsparung von Transaktionskosten. - c) Entstehung und Durchsetzung: Bei der Analyse der Entstehung und Durchsetzung interner Institutionen ergeben sich im Vergleich zu externen Institutionen, die durch politische Entscheidungst
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